"Ein guter Pop-Song steht über allem" – Valerie Sajdik im mica-Interview

In ihren deutschen und französischen Liedern schwankt sie zwischen der Lust am einfachen Leben und einer gewissen Weltuntergangsstimmung. Schwer einzuordnen, aber leicht zugänglich bietet Valerie Sajdik progressives Pop-Chanson mit Rock’n’Roll-Attitüde. Als Sängerin von “Saint Privat” hat sie im Vorjahr den Amadeus Award als “Newcomerin des Jahres” bekommen.

Sie haben 2005 für “St.Privat” den Amadeus-Award als Newcomerin des Jahres bekommen. Aber es scheint, als würden Sie nun zum zweiten Mal entdeckt werden. Schon Ende der 90ger Jahre waren Sie prägendes Mitglied der weiblichen Pop-Band “c-bra”. In der Zwischenzeit sind Sie nach Frankreich übersiedelt. Inwiefern hat sich Ihre Wahrnehmung des österreichischen Musikmarktes verändert?

Valerie Sajdik: Ich glaube, mein Blick hat sich geöffnet. Bevor ich weggegangen bin, habe ich mich in Österreich eingeengt gefühlt. Österreich als begrenzt betrachtet. Was stimmt, wenn man die Größe des Landes nimmt. Ich glaube heute nicht mehr, dass es ein Hindernis ist, in Österreich ein internationaler Künstler zu sein. Im Grunde ist es ja immer ein Fehler, seine Wurzeln zu negieren. So wird man nie international Bedeutung gewinnen. Ich habe mich aber immer auch als kosmopolitischen Menschen verstanden gesehen, ich brauche einfach diesen Bezug zu Frankreich, der aber wiederum meine Beziehung zu Österreich verstärkt hat.

Warum hat sich “c-bra” relativ schnell aufgelöst?

Valerie Sajdik: Das definitive Ende kam, als eines der Bandmitglieder ausgestiegen ist. Die Meinungen bei allen Beteiligten wurden immer verschiedener. Wir haben viel erlebt in den zwei Jahren, hatten immerhin vier Radiohits, zwei davon Nummer 1 in den Airplaycharts und Unmengen von Konzerten. Ich kann behaupten, viel von Österreich gesehen zu haben. Damals hatte ich ein bisschen das Gefühl, in einem behüteten Swimmingpool zu sein. Ich konnte viel ausprobieren und habe einiges gelernt. Dafür bin ich heute noch dankbar. Interessant ist, dass ich damals ja als Jazzstudentin vom Konservatorium kam und gar nicht so auf Pop-Musik ausgerichtet war. Aber heute sehe ich das anders: ein guter Pop-Song steht über allem.

Das Sympathische an “c-bra” war, dass ihr einen selbstironischen Touch hattet.

Valerie Sajdik: Das stimmt, das war ganz bewusst so. Wir sind auch immer hinter dem Projekt gestanden und haben unsere Songs genial gefunden. Manche Songs finde ich noch heute richtig gut. Leider ist zu dem Zeitpunkt immer ein bisschen mitgeschwungen, wir seien die österr. Antwort auf die Spice Girls. Kein Wunder, waren die Damen zu dem Zeitpunkt doch ziemlich gross. Aber so ein Vergleich tut keiner Band gut-auch wenn er im Grunde eine Ehre ist. Unsere eigentliche Identität ist dadurch zuwenig rübergekommen.

Wenn “c-bra” eine auf den Markt hin erdachte Band war, so ist der Erfolg mit “St.Privat” ja eigentlich auch ein Retro-Projekt, weil ja auch hier ein anderes Lebensgefühl nachgeahmt wird. Aber es wirkt viel authentischer. Kann man also vom paradoxen Fall eines authentischen Retro-Projektes sprechen?

Valerie Sajdik: Ja, das könnte man so sehen. Es geht ja doch darum, etablierte Formen und Sprachen der Popkultur immer wieder neu zu definieren und in einen neuen Kontext zu stellen. einem unbekannten Kontext neu zu befragen. Auch ironisch zu hinterfragen und zu beleben. Ich glaube ohnehin, dass es nur wenige originäre Ideen gibt. Vieles in der Kunst ist eine Variation. Bestimmte Lebensgefühle allerdings haben nichts mit einer bestimmten Zeit zu tun, die gibt es immer, daher können sie nicht « outdated »bzw « Retro » sein.

“St.Privat” verkauft sich über Ihren Charme und dem südländischen Touch der Performance. Wie ist dieses Erscheinungsbild entstanden?

Valerie Sajdik: Dass ausgerechnet eine Hochzeit in Grinzing die Geburtsstunde von « Saint Privat » werden sollte, hat natürlich niemand ahnen können. Ähnlich klischeemässig geht es weiter : Klaus Waldeck als Gast hört mich in der Hochzeitsband singen, man bleibt in Kontakt, sagt sich , mann müsse gemeinsam etwas musikalisch machen.NUR WAS ? Damals hatte ich die Band « Valeriesgarden. » Das war eher eine Experimentier-Band mit Clemens Wabra und Rüdiger Kostron, die beide heute in der “St.Privat”-Band spielen. Ich hatte leider bei der Amadeus-Verleihung nicht die Zeit, mich bei ihnen und bei unserem Schlagzeuger Erwin Schober öffentlich zu bedanken. Dies möchte ich hiermit nachholen. Beide haben den Stil von “St.Privat” sehr geprägt. Wir waren gemeinsam am Konservatorium und haben einfach Jazz-Standards gespielt. Die Herausforderung war, sie so zu verändern, dass sie nicht gleich zu erkennen waren. Wir sind naheliegenderweise dann auch immer elektronischer geworden.  Klaus Waldeck wiederum hat zu diesem Zeitpunkt glaube ich in seinem künstlerischen Leben ein bisschen « Bandfeeling » gefehlt.  Der erste gemeinsame Nenner war dann ein Bossa Nova Stück. Als es richtig losging, lebte ich aber schon in Frankreich. Diese Facette ist dann mit eingeflossen. In dem Ort Saint Privat regiert nunmal die Leichtigkeit des Seins.

Dieser “St.Privat”-Touch spricht offenbar irgendwelche Sehnsüchte an, die im monotonen Büroalltag der Mittelklasse zu kurz kommen. Man assoziiert Gelassenheit, Licht, positive Energie. Alles das, was selbstverständlich scheint, was wir aber trotzdem entbehren. Und trotzdem scheint es, dass ihr nicht mit einem Marketing-Konzept auf diese Wohlfühl-Nische losgegangen seid, sondern dass es sich einfach so ergeben hat.

Valerie Sajdik: Genau so ist es gewesen. Der erste künstlerische Input ist vom Klaus gekommen und wir Musiker haben dann peu a peu unsere Ideen mit eingebracht.

Was hat es mit dem Mythos des Ortes “St.Privat” auf sich? Wie haben Sie dieses Künstler-Dorf in Südfrankreich gefunden?

Valerie Sajdik: Das war wohl Schicksal. Ich wollte nach einer sehr intensiven Zeit in Paris einfach Ruhe und Kontemplation. Wir haben reihenweise Absagen bekommen, weil wir nur sechs Monate lang ein Haus mieten wollten und da auch ein Studio reinbauen wollten. Wer gibt schon jungen Musikern, die kein festes Einkommen haben, diese Möglichkeit? In St.Privat haben wir dann ein altes Steinhaus gefunden, 200m2 insgesamt und einem 50m2 Raum, leicht renovierungsbedürftig, dicke Steinwände und auch deswegen einfach perfekt, um als Musikstudio zu dienen. Aus den sechs Monaten sind mittlerweile dreieinhalb Jahre geworden. Es gibt viele Lebenskünstler in St.Privat, die aus allen Ecken der Welt kommen. Warum das so ist, kann ich eigentlich nicht sagen. Dass George Harrison und Pink Floyd hier waren, hat allerdings eher mit einer Drogen-Entzugsstation in London zu tun und ist eher mentaler Natur. Es hat sich da ein regelrechter Mythos darum entwickelt, den man aber relativieren muss.

Man hat die Musik von “St.Privat” auch als “Solarium für das Ohr” bezeichnet, Ihre leicht geführte Stimme mit einer jener von Astrud Gilberto verglichen. Können Sie sich da wieder finden?

Valerie Sajdik: Mit Astrud Gilberto würde ich mich in dem Sinn vergleichen, als Singen “natürlich” bleiben muss. Es muss im Fluss bleiben, darf nicht kalkuliert wirken. Was mich im Pop-Genre oft sehr stört, ist der kokettierende Einsatz der weiblichen Stimme. Es muss immer extrem sexy sein. Das ist mir zu viel. Man kann nur sexy wirken, wenn man “natürlich” ist. Weniger ist mehr. Natürlich kann und soll man nicht immer alles extrem gelassen und über den Dingen stehend interpretieren. Auch das wäre wiederum nur eine Pose.

“St.Privat” legte Sie auf ein gewisses Genre fest. Kann man sagen, dass sie jetzt mit dem neuen Projekt das Spektrum erweitern wollen?

Valerie Sajdik: Absolut. Das Spektrum sollte unerschöpflich sein. Ich mache deutsch-und französischsprachige Popsongs mit Chanson-Charakter.
Ich würde sagen, mein Album sollte wie ein sonniger Spaziergang durch eine sehr abwechslungs-und kontrastreiche Landschaft sein.
Stimmlich gilt dasselbe ; Bei “c-bra” war ja mein Stimmansatz ganz anders. Wenn man sich das heute anhört, dann ist da alles noch der unschuldige Brustton der überzeugung. Klasse definiert sich auch durch Vielseitigkeit und Mut. Ich möchte nicht immer dieselbe Stimmfarbe verwenden, aber trotzdem immer zu erkennen sein.

Wovon handeln die Texte?

Valerie Sajdik: Vieles ist eine Verarbeitung meiner Zeit in Paris und meine turbulente Anfangszeit in Saint Privat. Ich behandle zum Teil harte Inhalte, will sie aber mit einer Leichtigkeit rüberbringen. Den Weltuntergang sozusagen lakonisch mitteilen. Es muss ein Bruch da sein.

Rückblende: Wie hat sich eigentlich ihre musikalische Sozialisation abgespielt?

Valerie Sajdik: Ich bin meinem Vater sehr dankbar, dass er mich früher auf sehr viele Konzerte mitgenommen hat. Ich kann mich noch an einige “Blood, Sweat & Tears”-Konzerte erinnern, an Fela Kuti, Youssou N Dour, aber auch an ein Heavy Metal Konzert der österr. Band Blind Petition in Moskau – da habe ich geweint vor lauter für mich damals unstrukturiertem Lärm. Ich habe als Kind sehr viel Diana Ross gehört, The Supremes, aber auch The Kinks, Cat Stevens, und immer und immer wieder : die Beatles. Meine Mutter hat mich früh mit dem französischen Chanson vertraut gemacht. Mit 17 war ich als Au-Pair in New York, dann habe ich eine Zeitlang nur Jazz gehört.

Billie oder Ella?

Valerie Sajdik: Bei Billie Holiday habe ich länger gebraucht, um hinein zu kippen, dann aber umso mehr. Die Erwartungshaltung war sehr gross, und ich habe am Anfang nicht ganz verstanden, was da passiert. Erst als ich ihre Biografie gelesen habe, ist mir die Musik aufgegangen. Ähnlich ist es mir mit Edith Piaf gegangen. Ihre Lebensgeschichte hat mich so beeindruckt, vor allem die Männergeschichten. Ich brauche bei manchen Künstlern den Zugang über das Leben, um die Musik wirklich zu verstehen. Ella hat mich immer mit ihrer technischen Virtuosität fasziniert. Aber das ist emotional nie so tief gegangen.

Ich habe den Eindruck, dass Sie eigentlich ein hoher lyrischer Sopran sind, wenn man nach klassischen Kategorien vorginge.

Valerie Sajdik: Dasselbe hat mir einmal ein Opernsänger gesagt. Seit ein, zwei Jahren ist das auch eine geheime Passion von mir. Ich nehme klassische Gesangsstunden und es macht mir unglaublich viel Spaß. Ich mag da eher die Lieder. Ich war eine Virtuosin des Probierens, weil mich alles fasziniert hat. Eine Zeitlang war zum Beispiel Ute Lemper meine Hausheilige. Das hat auch damit zu tun, dass ich eine große Passion für Kurt Weill habe. Das Schwierige bei Weill-Songs ist, dass man in einem Song ganz unterschiedliche Stimmfarben zur Verfügung haben sollte. Die klassische Gesangstechnik ist sehr sicherheits-orientiert. Das hilft dann natürlich unglaublich. Man kann sich auf ein Fundament verlassen. Das ist in der Konzert-Situation sehr wichtig. Die Stimme ist so ein subtiles, reichhaltiges Medium, man kann so viel vermitteln. Die Möglichkeiten sind unglaublich. Wenn mir ein Mensch sympathisch ist, dann liegt das oft auch an seiner Stimme. Die Stimme ist der Spiegel der Seele. Ein Gemeinplatz, aber er stimmt.

Interview: Wolfgang Schaufler

 

 

 

Valerie Sajdik