Ein großes Werk gehört ins Repertoire – Nachlese zur “Melancholia” in Graz

Georg Friedrich Haas gehört zu den auch international “arrivierten” österreichischen Komponisten der mittleren Generation. In Koproduktion mit dem steirischen herbst machte die Grazer Oper nun endlich hierzulande die Erstaufführung dieser Produktion der Opéra National de Paris, wo das Stück mit dem Libretto des Norwegers Jon Fosse mit großem Erfolg uraufgeführt wurde. Auch in Graz waren die nur zwei Vorstellungen ausverkauft und stießen sogar bei herkömmlichen Grazer Besuchern des Hauses auf begeisterte Zustimmung. Eine “Mahnung” und Erinnerung für die Wiener Großhäuser: Das ist ein Meisterwerk der modernen Oper!

Und gehört – ohne die Hand um öffentliche Extra-Subventionen aufzuhalten – in Wien nicht nur für einmal vier- bis sechs Mal aufgeführt (in Übernahme der Produktion Paris & Opera Vest in der deutschen Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel). Sondern ins Repertoire samt Wiederaufnahme zu späteren Terminen übernommen. Oder vielleicht noch besser: in einer sehr guten Neuproduktion in Zusammenarbeit mit dem Komponisten und ersten Kräften), Genauso wie Alban Berg (“Wozzeck”, “Lulu”) oder Janácek und Bartók (da kann man aus mehreren Angeboten auswählen .), wichtigen internationalen Opern nach 1945 (wie – auch wieder einmal – Helmut Lachenmanns “Mädchen mit den Schwefelhölzern”) oder auch Ernst Krenek (etwa “Kehraus aus St. Stephan” – Goldstein kann Kabulke heißen.), Gottfried von Einem, Friedrich Cerha (wann sieht man wieder einmal “Baal” oder macht den unterschätzten “Der Rattenfänger” neu, das geht!), Haubenstock-Ramati (“Amerika”), HK Gruber, Kurt Schwertsik  (“Walzerträume”, “Fanferlieschen”, “Cafe Museum”, “Katzelmacher” .). Und andere.  Olga Neuwirth (Libretto: Elfriede Jelinek, Nobelpreisträgerin), Beat Furrer, Bernhard Lang (“I hate Mozart”, “Montezuma – fallender Adler”!!), Klaus Lang gehören aufgeführt und mit neuen Kompositionsaufträgen versehen und uraufgeführt. Und andere (in der Eile nicht Genannten). Das Klangforum Wien (wenn es frei ist) und andere Ensembles gehören dazu, wenn nötig und sinnvoll, als Orchester eingeladen.

Den Herren Dominique Meyer, Robert Meyer und dem in mancher Hinsicht ja verdienstvollen Roland Geyer sei das heute ins Stammbuch geschrieben. Und dem/der zukünftigen Kunstminister(in), woran sie die Leistung dieser Herren und der österreichischen Festivalchefs auch politisch einschätzen und bewerten sollten.

Haas’ “Auftragswerk fürs, nun ja, breite Publikum” (O-Ton Walter Weidringer in der sorgfältigen, aber vom Autor dieser Zeilen in manchen Punkten nicht geteilten “Presse”-Besprechung, an deren guten letzen Absatz hier angeknüpft wurde .) wird übrigens auch in Stavanger, Oslo und Bergen gespielt.

Lassen wir G.F. Haas ein Jahr vor der Grazer Aufführung für die mica-Musiknachrichten interviewt, dazu hier noch einmal über seine Auffassung der Aufgabe von Festivals  und Opernhäuser zu neuen Werken für Musiktheater zu Wort kommen:

HR: Zum nächsten Opernprojekt muss man sich nach Paris begeben. Oder wird Melancholia auch in Österreich aufgeführt werden?

GFH: Die Oper wird sicher im Rahmen des steirischen herbst in Graz aufgeführt werden, wofür ich der Intendantin Veronica Kaup-Hasler auch sehr dankbar bin. Aber ich sage jetzt das, was ich ihr auch sagte: Es ist eine Schande, dass sie im Rahmen des steirischen herbst aufgeführt werden muss. Die Oper wird im Palais Garnier in Paris gespielt, sie wird in Bergen und in Oslo im normalen Opernhaus gespielt. Der steirische herbst sollte eigentlich die Opern der 30-jährigen aufführen und nicht Opern von 56-jährigen. Ich finde es wirklich traurig, dass die großen Opernhäuser so wenig Raum für aktuelles neues Musiktheater bieten. Das Publikum wäre da, vorausgesetzt, man nimmt die Aufgabe wirklich ernst.”

Das ist bescheiden formuliert für die eigene Person, und sehr solidarisch und richtig, was aktuelles Schaffen betrifft. Wir gehen auch davon aus, dass sich die Qualität dieses Haas-Werks bald sehr und noch mehr als bisher ohnedies herumsprechen wird und sehen daher von Inhaltsangabe, Schilderung eigener Eindrücke und der Besprechung der Eigenheiten der interessanten und eloquenten Inszenierung durch Stanislas Nordey ab. Nicht ohne hinzuzufügen, dass dieser guten Inszenierung nicht eine weitere, gleichwertige oder noch bessere, an renommiertem Platz mit  entsprechenden Probenbedingungen und allem was dazugehört (Mitarbeiterstab, technische Produktionseinrichtung, Beleuchtung usw.) dazugesellt werden könnte

Das Stück, die Handlung, die Musik

Die Umsetzung dessen, was Haas ausdrücken will, ist ohnedies klar und ohne komplizierende Nebenhandlungen vorgegeben. Jon Fosses Libretto komprimiert den eigenen Roman sehr gut auf die inneren und äußeren Zwänge der Hauptperson, dem jungen Maler Lars Hertervig in seinem Mietzimmer in Düsseldorf, wo er an der Kunstakademie Malerei studieren soll. Er weiß, dass er besser malen kann, als (fast) alle, diese anderen halten ihn für einen Spinner. Er zerbricht an seiner Liebe zur 15-jährigen Helene, die er anbetet, ihr Onkel Herr Winckelmann fordert ihn auf, das Quartier zu verlassen und lässt Lars schließlich mit Hilfe von Polizisten abführen. Drei Teile – im zweiten spielen Studentenkollegen und eine Kellnerin ihr grausames Spiel  mit ihm, vor dem er nur immer mehr verstummt.

Der geniale Personenkniff: Alle anderen Figuren, schließlich auch Helene, bilden zusammen mit dem Vokalensemble die anonyme, feindselig-schadenfrohe  Gesellschaft im mehrstimmigen, sich auch bedrohlich gleitend hinaufschraubenden Chor. Eben so wie Lars seine Umwelt erlebt, so weit er sie an sich heranlässt. Er widerspricht, wird stummer und stummer und steht nach letzten vergeblichen Appellen an Helene allein gegen alle.

Genug. Otto Katzameier in der Hauptrolle war glänzend und überzeugend, Melanie Walz (Helene), Johannes Schmidt (Winckelmann), Ruth Weber(Frau Winckelmann), Annette Elster (Kellnerin) detto, das Vokalensemble Nova exzellent, das Klangforum unter dem einfach toll disponierenden Emilio Pomarico leistete einen nicht unerheblichen Beitrag zur großen Wirkung dieser Musik.

Wir können hier leider nicht die Programmheftbeiträge von Daniel Ender, Karin Kathrein (über Jon Fosse) und – vor allem und allererster Güte – von Bernhard Günther, dem langjährigen Kurator des mica und wesentlichem Herausgeber und Rechercheur des (Komponisten-) Lexikons zeitgenössischer Musik aus Österreich, immer noch gerühmt und auch Grundlage der derzeitigen mica-Musikdatenbank, wiedergeben. Seit 2004 ist Günther Dramaturg der Philharmonie Luxemborg.

In dem wirklich lesenswerten Beitrag erklärt Bernhard Günther so akribisch und genau, wie das mit Worten nur möglich ist, und aufgeschlüsselt nach den drei Teilen das jeweilige Wie und Wo der Mischung der musikalischen Mittel, die Haas zu Gebote stehen: Obertonspektrum, Mikrointervallik, Chromatik in schwellendem Ansteigen und Gleiten, ja sogar “Generalbass”- und Tonalität, unterschiedliche Rhythmen. In Tönen – und nur in diesen – zeigt sich auch in den perlenden Girlanden des ,Fjordmotivs’ (“Lars geht mitten durch den Kammerchor hindurch . und ist nicht mehr zu sehen”), am Ende, wir zitieren: Das Leben “als ein Traum von Liebe, ein Traum von Transzendenz” – für Georg Friedrich Haas eines der großen Themen der Oper Melancholia (neben dem der Unfähigkeit zu kommunizieren) – erweist sich am Schluss stärker als alle Versuche des Beendens.

Der Aufsatz zeigt wunderbar auf, dass sich die Dramatik des Geschehens von der äußeren Handlung in eine innere verlagert. Die ,objektive Handlung’ macht nur einen Teil des Geschehens aus, der Raum des Unsichtbaren, dessen wie sich das Geschehen sich im Inneren der Hauptfigur entlädt, ist entscheidend und den zeichnet Hass mit seiner Musik. Chapeau für  Bernhard Günthers Abhandlung (“Das Unsichtbare in der Musik”)! mica-music austria wird versuchen, aus Graz ein Dutzend restlicher Programmhefte zu erbitten, damit sie hier bei uns zur allgemeinen Einsicht – wie auch immer noch Exemplare des gebundenen “Musiklexikons” – aufliegen können.
Heinz Rögl