„Ein Festival hat die Möglichkeit, Signale zu setzen […]“ – LUDWIG NUSSBICHLER (ASPEKTE SALZBURG) im mica-Interview

Beim heuer vom 25. bis zum 29. April stattfindenden Festival ASPEKTE SALZBURG geht es unter dem Motto „Moving Pictures“ um die verschiedenartigen Verschmelzungen und Kombinationsmöglichkeiten zwischen Film und Musik. Wobei hierbei u. a. auch aktuelle Fragen nach dem (Zu-)Stand der Moderne zur Diskussion gestellt werden. Auf alle Fälle aber lässt sich allein das Programm schon sehen: 25 Komponistinnen und Komponisten (u. a. FAUSTO ROMITELLI, OLGA NEUWIRTH, HERBERT GRASSL, MARCO DÖTTLINGER), sechs Jungkomponistinnen und -komponisten (KARIM ZECH, KIROM ATOM TELLIAN, ANDREAS BACHMAIR, HEINRICH FUHRMANN, MAGDALENA ELISABETH FÜRNTRATT, EDUARD WERNISCH), fünf Klangkörper (ENSEMBLE PHACE, NAMES, ŒNM, STUTTGARTER KAMMERORCHESTER, LONDON CONTEMPORARY ORCHESTRA) und acht Uraufführungen (u. a. ALEXANDRA KARASTOYANOVA-HERMENTIN, JULIA PURGINA, MANUELA MEIER, TAMARA FRIEDEL, VERONIKA MAYER, HERBERT GRASSL) sind ein ebenso geballtes wie facettenreiches Paket. Hinzu kommt ein Schwerpunkt mit internationalen Komponistinnen sowie Erweiterungen und Öffnungen des musikalischen Spektrums hin zu populären Musikformen wie Rock und Techno. Didi Neidhart sprach mit LUDWIG NUSSBICHLER, dem künstlerischen Leiter des Festivals ASPEKTE SALZBURG. 

Beim diesjährigen ASPEKTE-Motto „Moving Pictures“ geht es um das Zusammentreffen der Kunstformen Musik und Film sowie die sich daraus ergebenden Spannungen, Transformationen und Diskurse. Sie sprechen dabei ja auch von Film und vom Kino als Kunstformen, die „tief mit dem Geist der Moderne verbunden“ sind. Was verstehen Sie darunter und wie wichtig sind Verweise auf „den Geist der Moderne“ in Zeiten wie diesen?

Ludwig Nussbichler: Den Begriff „Geist der Moderne“ verbinde ich persönlich sehr stark mit dem Bedürfnis, sich von den jeweils gültigen Paradigmen abzugrenzen und Neues zu schaffen. Das Medium Film ermöglichte in der Zeit seiner Pionierzeit neue Möglichkeiten der Information, der Dokumentation und der kreativ-künstlerischen Gestaltung. Ich kann nur erahnen, was diese Entwicklung für die Menschen damals bedeutet hat. Diesen Geist der Moderne entdecke ich heute wieder in einer jungen Künstlergeneration.

Auf dem Video-Art-Sektor wird es dabei am 25. April die „psychedelische“ Video-Oper „An Index of Metals“ des jung verstorbenen italienischen Komponisten Fausto Romitelli, am 26. April die Video-Installation „Different Trains“ (ausgehend von Steve Reichs gleichnamigem Streichquartett und mit neuen Stücken von Jonny Greenwood, Edmund Finnis und Mica Levi) sowie am 29. April „frozen gesture“ der Videokünstlerin Conny Zenk zu sehen geben. Wie ist diese Auswahl zustande gekommen und was erwartet das Publikum an diesen Abenden?

Ludwig Nussbichler: Die Produktionen wurden von mir so gewählt, dass sie sowohl unterschiedliche Konzepte präsentieren, als auch – auf einer übergeordneten Ebene – Gemeinsamkeiten aufweisen. So eröffne ich das Festival mit der eher abstrakten, poetisch-emotionalen Welt von „An Index of Metals“, die im Laufe der Video-Oper eine starke Sogwirkung entfaltet. Als Kontrast dazu folgt „Different Trains“, eine Musik von Steve Reich, die dem konkreten Thema der Schoa gewidmet ist und zu der Beatriz Caravaggio ein Kunstvideo aus Archivmaterial gearbeitet hat.
In „Orlacs Hände“ wird dann in einem der Pionierwerke der Gattung Science-Fiction und Horrorfilm eine Geschichte erzählt, die mit einer Musik von 2018 in ein neues Licht gerückt wird, während das Ensemble NAMES und die Video-Künstlerin Conny Zenk noch ungehörte Musik in Raum und Licht inszenieren.
Das alle Werke Verbindende ist die zumindest gleichwertige Rolle der Musik. Man könnte sagen, dass sich die Kunstformen „auf Augenhöhe begegnen“ und das bewegte Bild die Hörerfahrung unterstützt, vertieft, bereichert. Es gibt aber natürlich noch weitere Querverbindungen zu entdecken.

Bild Different Trains
Different Trains (c) Beatriz Caravaggio

Mit Spannung wird dabei ja auch der Abend mit dem Komponisten und Dirigenten Johannes Kalitzke erwartet, der den legendären spätexpressionistischen österreichischen Science-Fiction- und Horrorfilm „Orlac‘s Hände“ von Robert Wiene aus dem Jahr 1924 neu vertonen wird. Darin spielt Conrad Veidt, den wir ja auch als Cesare aus „Das Cabinet des Dr. Caligari“ sowie aus Hollywood-Filmen wie „Der Dieb von Bagdad“ (1940) und speziell „Casablanca“ (1942), einen Konzertpianisten, der bei einem schrecklichen Zugunfall seine Hände verliert und dem die Hände eines gerade hingerichteten Mörders angenäht werden, woraufhin er Panikattacken und Angstzustände bekommt. Wie ist dieser Film, der wohl nicht nur für viele aktive Musikerinnen und Musiker quasi den Alptraum schlechthin darstellt, ins Programm gekommen?

Ludwig Nussbichler: Ich kann mich noch gut an meine erste Erfahrung mit der Musik zu „Die Weber“ von Johannes Kalitzke erinnern. Damals war ich tief beeindruckt und fasziniert von der anachronistischen Begegnung eines Stummfilms mit dieser fantasievollen neuen Musik, die fast 100 Jahre später nach seiner Entstehung komponiert wurde.
Der Wunsch, dieses Konzept nach Salzburg zu bringen, wird nun mit der Uraufführung von „Orlacs Hände“ erfüllt. Thematisch gesehen spielt dieser Film in einer Zeit, die dominiert war von dem Gedankengut der freudschen Psychoanalyse, wo Alpträume, Vatermord und Ur-Ängste thematisiert wurden – starke Emotionen im ursprünglichen Sinne und so im kreativen Kontext mit „Moving Pictures“ zu sehen.

Neben diesen vier Abenden im Zeichen von Film und Musik gibt es auch „Konzerte ohne Film“, die u. a. Olga Neuwirth und Herbert Grassl (zu Ehren dessen 70. Geburtstags) gelten werden. Ebenso wird es dabei (interpretiert vom Pianisten Marino Formenti und dem oenm) neue Werke von Julia Purgina, Alexandra Karastoyanova-Hermentin und Peter Jakober zu hören geben. Jetzt sind Konzerte in Regel ja meist sowieso „ohne Film“, hier soll es nun aber darum gehen, dass und wie Musik nicht nur „Emotionen“, sondern auch „Bilder“ evozieren kann. Ein Bild sagt bekanntlich mehr als 1.000 Worte, aber ein Ton kann mehr als 1.000 Bilder hervorrufen. Wie sind Sie hierbei vorgegangen, um der Gefahr einer gewissen X-Beliebigkeit vorzubeugen?

Ludwig Nussbichler: Die „Konzerte ohne Film“ sind für mich im dramaturgischen Sinne Inseln, die sich mit den eher spannungsgeladenen Film- und Musik-Programmpunkten abwechseln. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob hier für die Zuhörenden das sogenannte Kopfkino oder einfach der reine Hörgenuss im Mittelpunkt stehen wird.
Es ist schon richtig, dass beim Programmieren Uraufführungen grundsätzlich eine Unbekannte darstellen. Allerdings kenne ich den „Tonfall“ der Musik der Komponierenden sehr gut, die die neuen Werke schreiben – Überraschungen sind jedoch nie ausgeschlossen und erwünscht!

In der Ankündigung zu „An Index of Metals“ wird von einer zu erwartenden Musik gesprochen, die sich „auch auf die Elemente der Subkultur, auf Pop- und Rockmusik und Technosounds“ bezieht. Auf dem Programm des Abends „Au Poisson Rouge – Hommage á Olga“ (25. April) stehen neben Stücken von u. a. Olga Neuwirth, Satie, Schubert, Ligeti, Cage auch solche von Pink Floyd und Klaus Nomi (mit Bezug zu Henry Purcell). Ist das ein Anzeichen einer generellen Öffnung hin zu diesen Stilen des 20. Jahrhunderts, hat sich das quasi zufällig so ergeben oder steckt dahinter schon auch eine Absicht?

Ludwig Nussbichler: Ich denke, es ist nur natürlich, dass kreativ Schaffende ohne akademisch-dogmatische Einschränkungen die persönlichen Erfahrungen mit Musik unterschiedlicher Stile und Herkunft in ihre Werke einfließen lassen. Was heute vielleicht ins Auge sticht, ist die große Palette der Möglichkeiten, die genutzt wird, das pluralistische Nebeneinander der verschiedenen Genres.

Neben Olga Neuwirth sind mit Julia Purgina, Manuela Meier, Tamara Friebel, Manuela Kerer, Veronika Mayer, Alexandra Karastoyanova-Hermentin (sowie der Videokünstlerin Conny Zenk) Komponistinnen heuer sehr prominent vertreten.

Trotzdem hört man immer noch Ausreden, wonach es – egal ob nun im Zeitgenössischen oder in der Klassik – „keine KomponistInnen“ gäbe. Obwohl ein paar Mausklicks ausreichen würden, diese Ausreden zu widerlegen, scheint es dennoch immer wieder wichtig zu sein, extra darauf hinzuweisen. Wie ist da Ihre Erfahrung bzw. Herangehensweise? Im Rahmen der heurigen ASPEKTE gibt es zwar den Komponistinnen-Schwerpunkt, aber die Stücke werden eben nicht an einem speziellen „Frauenabend“, sondern quer durchs komplette Programm präsentiert.

Ludwig Nussbichler: Ein Festival hat die Möglichkeit, Signale zu setzen, und genau das ist es, was ich hier versucht habe: So wurden für dieses Festival Kompositionsaufträge ausschließlich an Frauen vergeben, ich wollte auch, dass das œnm ein Konzert vorwiegend mit Interpretinnen bestreitet, und Silvia Spinnato übt als Dirigentin eine Führungsfunktion aus, die nach wie vor von Männern dominiert ist.

Beim zuvor schon erwähnten Abend „frozen gestures“ spielt ja mit NAMES (New Arts and Music Ensemble Salzburg) ein junges Salzburger Ensemble für zeitgenössische Musik, das 2014 gegründet wurde. Abgesehen von Aspekten wie Nachwuchsförderung – wie wichtig ist es, jungen Ensembles auch Auftrittsmöglichkeiten zu geben und wie wichtig sind dabei die von diesen Ensembles auch selbst angestrebten Erneuerungen und Erweiterungen in Gegensatz zu herkömmlicher bzw. klassischer Ensemblearbeit? NAMES integriert ja auch andere Formen zeitgenössischen Kunstschaffens (Performance, Tanz, Visual Arts, Literatur usw.).

Ludwig Nussbichler: Ich kann das nur unterstreichen und darf ergänzen, dass es gerade die jungen Ensembles sind, bei denen momentan eine spannende Energie zu spüren ist. Beim NAMES ebenso wie beim Ensemble PHACE, dem LCO und dem jung gebliebenen œnm. Für mich ist die Balance zwischen respektvoll anerkennendem Umgang mit etablierten Größen und jungen, eigenwillig kreativen Erscheinungen in vieler Hinsicht sehr wichtig. Vor allem auch deshalb, weil sowohl das œnm als auch die ASPEKTE aus einer ebensolchen jungen Gruppe von Musikern und Komponisten hervorgegangen sind.

Mit dem aktuellen Zyklus des oenm, der Reihe „Sweet Spot“ um das „Elektronische Studio“ im Mozarteum, den Trans-Art-Aktivitäten von Astrid Rieder sowie den Konzerten in der Universitätskirche von Werner Raditschnig gibt es in Salzburg nach dem Ende der Biennale ja eine durchaus rege, sich zumindest kontinuierlich bemerkbar machende Szene, die sich der zeitgenössischen Neuen Musik verschrieben hat. Wie sehen Sie generell die Situation der Neuen Musik in Salzburg? Tut sich da jetzt mehr oder täuscht dieser Eindruck? 

Ludwig Nussbichler: Aus meiner Sicht gibt es in dem Miteinander der Institutionen und Initiativen ein großes Potenzial. Allein die Kooperation zwischen dem œnm, dem Paul Hofhaymer Ensemble, der Universität Mozarteum und dem ASPEKTE Salzburg zum 70. Geburtstag von Herbert Grassl zeigt modellhaft auf, wie in Salzburg im besten Sinne zusammengearbeitet wird.

Zu guter Letzt noch die vielleicht wichtigste Frage: Wie finanziert sich so ein Festival und was wird die Zukunft bringen?

Ludwig Nussbichler: Das Festival bündelt bestehende regionale Kräfte und holt frische Impulse aus der österreichischen und internationale Szene der Neuen Musik nach Salzburg. Dafür erhalten wir auch die Wertschätzung und die Unterstützung der Kulturressorts von Bund, Land und Stadt. Das sind unsere Partner, ohne die das Festival in dieser Form und in dieser Qualität nicht durchführbar wäre.

Herzlichen Dank für das Gespräch! 

Didi Neidhart

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