LADY LYNCH verortet sich abseits jeglicher österreichischen Heimatklänge und feierte am 21. April 2017 nach mehrjähriger Schaffenspause im Wiener AU die glückliche Wiedervereinigung. Mit dem Release-Konzert von „Hommage“ (Cut Surface) ist dem „Art-Punk-Vierer“ (wie sich THERESA ADAMSKI, PHILIPP FORTHUBER, LINA GÄRTNER und CHRISTIAN SUNDL gerne selbst bezeichnen) nicht nur eine Revitalisierung, sondern vor allem die Veröffentlichung 50 einseitiger Vinyl-Singles gelungen, von denen jede einzelne ein Unikat ist. „Hommage“ wurde in den vergangenen Februartagen live eingespielt und via Vinylograph direkt in Vinyl geschnitten. Mit tatkräftiger Unterstützung des Labels „Cut Surface“ verkauften sich die Platten noch vor der Release-Show, was vermutlich auch den handgemalten Cover-Sleeves des Wiener Künstlers PHILIPP HANICH zu verdanken ist. Julia Philomena sprach mit der Band.
Wie kam es zur „Hommage“-Idee?
Christian Sundl: 2008 habe ich in Graz das Kassettenlabel „Wilhelm Show Me The Major Label“ gegründet. Mit der Grazer Band hidden by the grapes hatte ich geplant, live immer dieselbe eine Nummer auf Tape aufzunehmen – 100 mal. Ich habe Michael Giebel von dem Projekt erzählt, der mich Natascha Muhič vorstellte, die lustigerweise dasselbe mit der Band Dot Dash vorhatte. Da sich Dot Dash dann aber leider aufgelöst hat, hat Lady Lynch die Idee aufgegriffen und es selbst ausprobiert.
Theresa Adamski: Das Team bestand neben Lady Lynch aus den beiden Vinylograph-Entwicklern Christoph Freidhöfer und Natascha Muhic und „Cut Surface“ als Label.
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Inwiefern war „Cut Surface“ in das Projekt involviert?
Theresa Adamski: Es war zwar nie klar, wie das Endergebnis ausschauen wird, aber wir haben uns vorweg oft mit dem gesamten Team im Rüdigerhof zusammengesetzt und alles besprochen und geplant. Wir haben auf Facebook eine Projektgruppe erstellt, die eine gute Kommunikation möglich gemacht hat. Alle waren wahnsinnig enthusiastisch und engagiert, Philipp Hanich vom Label hat außerdem angeboten, jedes Cover eigenhändig zu gestalten. Das war in jeder Hinsicht ein tolles Teamwork!
Philipp Forthuber: Besonders weil alles so unkompliziert verlaufen ist. Es gab eigentlich nie Streit, sondern die Entwicklung sehr enger und schöner Freundschaften. Das wurde alles immer verwobener. Philipp hat neben dem Cover auch den Live-Mix bei der Aufnahme gemacht.
Theresa Adamski: Und Anna hat sehr viel Filmmaterial beigesteuert und Promotion gemacht. Deswegen hatten wir eigentlich durchgehend Anfragen diverser Medien, die sie alle koordiniert hat.
Philipp Forthuber: Es war schön, medial einmal nicht unterzugehen [lacht].
Wie kann man sich die Vorbereitungen konkret vorstellen?
Philipp Forthuber: Proben gab es beispielsweise sehr wenige. Einen Nachmittag lang haben wir das Lied durchgespielt. Wir haben bewusst ein Lied gewählt, das verhältnismäßig einfach zu spielen ist und keine großen Virtuositäten erfordert. Auch mit dem Augenmerk darauf, dass wir die Nummer so oft spielen werden. Im Endeffekt war es 80-mal!
Lina Gärtner: Uns war wichtig, nicht zu kollabieren [lacht]. Nicht zu schnell Kraft und Energie zu verlieren.
Theresa Adamski: Wir wollten auf jeden Fall auch vermeiden, dass uns die Nummer auf die Nerven geht. Deswegen haben wir bewusst Raum für Improvisation gelassen, damit sich die Takes voneinander unterscheiden.
„Wir sind im Laufe der Aufnahme immer besser geworden und haben immer mehr Spaß an der Sache gehabt.“
Lina Gärtner: Wir konnten uns überhaupt nicht vorstellen, wie das sein wird, ein Lied immer und immer und immer wieder zu spielen. Wir haben eigentlich alle damit gerechnet, dass wir es hassen werden und vergessen wollen. Absurderweise ist das Lied aber zu unserer Lieblingsnummer geworden. Wir sind im Laufe der Aufnahme immer besser geworden und haben immer mehr Spaß an der Sache gehabt. Das war für unsere Gruppendynamik sehr wichtig. Die Band war quasi immer derselben Meinung.
Philipp Forthuber: Ich denke, das ist ein Fall von Stockholm-Syndrom [lacht].
Wie ist der Song konkret entstanden?
Philipp Forthuber: Die Nummer ist ursprünglich im Herbst in unserem Probenraum entstanden. Wenn die Theresa noch keinen Text hat, helfen fremde Lyrics als Platzhalter. Für „Hommage“ haben wir „Take Me Home Vienna“ von Bruch stibizt, der für Lady Lynch eine wichtige Rolle spielt.
Theresa Adamski: Die Band hat es ja eigentlich seit Jahren nicht mehr gegeben. In Graz findet aber jährlich am 30. Dezember die Tweety Party statt. Die Veranstalter und Veranstalterinnen oder Veranstalter_innen laden für diesen Abend immer sehr viele Bands ein, die jeweils ein 15-Minuten-Set spielen, das aber in der Regel nicht zu ihrem Repertoire gehört. Deswegen entstehen dort viele neue Bands, All-Star-Bands, Neuinterpretationen und Wiedervereinigungen. Im Zuge dessen hat sich vor zwei Jahren auch Lady Lynch wieder gemeinsam auf die Bühne gestellt, mit der Idee einer Reunion für eine Nacht. So ist Bruch ins Spiel gekommen, denn an diesem Abend haben wir „Take Me Home Vienna“ gecovert. Der Song hat sich in unser kollektives Lady-Lynch-Gedächtnis eingebrannt.
Philipp Forthuber: Daher auch der Titel „Hommage“, denn sie gilt Bruch.
Verglichen mit dem damaligen Reunion-Abend: Wie hat die musikalische Zusammenarbeit bei der jetzigen Aufnahme funktioniert?
Theresa Adamski: Die Band ist zum Zeitpunkt der Tweety Party ähnlich uneingespielt gewesen wie zum Zeitpunkt der Aufnahme von „Hommage“. Wir haben nicht nur wenig geprobt, sondern auch kaum Konzerte gespielt. Deswegen war die Entscheidung, das Bruch-Lied zu nehmen nicht nur romantisch, sondern vor allem pragmatisch, weil wir uns bei „Take Me Home Vienna“ sicher fühlten.
Philipp Forthuber: Schwierig war es dann nur, einen gemeinsamen Aufnahmetermin in Wien zu finden. Einige der Beteiligten sind ja in Graz zu Hause.
Theresa Adamski: Und ein Großteil spielt außerdem in anderen Bands. Wir mussten Rücksicht auf Releases, Konzerte etc. nehmen. So gesehen haben wir eigentlich sehr schnell einen möglichen Zeitpunkt gefunden.
Wie wurde das Projekt finanziert?
Philipp Forthuber: Die Budgetierung war sehr niederschwellig. Für Natascha war das ein Experiment. Sie wollte testen, ob das für den Vinylographen und die Band rein technisch und physisch überhaupt machbar ist. Jeder hat sein Bestes gegeben und viel Arbeitszeit investiert. Wir haben jetzt 50 Platten um je 20 Euro verkauft, damit sind unsere Ausgaben gedeckt.
Theresa Adamski: Verglichen mit der klassischen Plattenproduktion habe ich unseren Prozess als sehr viel einfacher und schneller empfunden. Es ist alles vor Ort passiert, alle Involvierten sind innerhalb kürzester Zeit auf Hochtouren gefahren. Normalerweise dauern Liederschreiben, Aufnahme, Mastering, Musikvideo, Release-Show und Plattenverkauf mindestens ein Jahr, wenn Dinge wie das Presswerk etc. nicht noch zu einem zusätzlichen Stressfaktor werden. Und bei uns gab es das alles nicht.
Die 50 Alben waren noch vor dem Release ausverkauft. Hättet ihr rückblickend mehr Platten produzieren sollen?
Philipp Forthuber: Das ist vorweg immer schwer zu sagen. In dem Fall hatten wir die Politik, dass niemand mehr als zwei Stück kaufen darf.
Christian Sundl: Die Wirtschaft geht im künstlerischen Prozess unter. An solche Sachen denkt man vorweg zu wenig.
Lina Gärtner: Wichtig war auf jeden Fall, dass alle Beteiligten eine Platte bekommen – aber die Beteiligten wurden im Laufe des Projekts immer mehr. Es hat sich im Zuge der Aufnahme zum Beispiel spontan ein Chor formiert und einige Features mit anderen Musikerinnen und Musikern. Theresas Schwester ist zufällig nach einer Probe bei uns vorbeigekommen und hat für zwei Takes das Cello gespielt. Die Leute haben sich natürlich über eine Platte gefreut.
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Gab es Pausen?
Lina Gärtner: Kurze gab es immer wieder, weil allein der Vinylograph fünf Minuten Zeit braucht, um die bespielte Platte auszuwerfen und eine neue einzulegen. Aber wir haben zwischendurch immer wieder Leute begrüßt und jeweils nach fünf Takes eine größere Unterbrechung eingelegt.
Wie war die Stimmung beim Release-Konzert in Wien?
Christian Sundl: Als Gag haben wir „Hommage“ gegen Ende des Konzerts einige Male gespielt. Niemand hat gewusst, wie lange und wie oft wir das jetzt durchziehen. Fürs Publikum war das sicher ein guter Eindruck davon, wie sich der Aufnahmeprozess für uns angefühlt hat.
Lina Gärtner: Die Insider haben sich total gefreut und laut mitgesungen. Das war eine lustige Stimmung. Es wurde sogar getanzt, obwohl es sicher das am wenigsten tanzbare Lied von allen ist.
Wie wird es mit Lady Lynch weitergehen?
Christian Sundl: Wir planen auf jeden Fall weitere und eventuell herkömmlichere Releases [lacht].
Theresa Adamski: Der unverfälschte, unmittelbare und gleichzeitig doch verfremdete, asynchrone Vinylograph-Sound passt so gut zu uns, dass ich gerne noch mal in der Form aufnehmen würde! Auch die Zusammenarbeit mit Philipp Hanich war sehr schön. Momentan suchen wir nach einem möglichen Kompromiss, um die digitale Arbeitsweise mit der analogen zu verbinden, um Live-Aspekte bei einer Aufnahme beibehalten zu können.
Philipp Forthuber: Es ist schön, ein Endprodukt nicht beeinflussen zu können und sich stattdessen auf die gegenwärtige Arbeit zu fokussieren. Ich, als Band-Baby, habe Lady Lynch als Außenstehender als sehr gekünstelt und visuell imposant empfunden.
Wird es in Zukunft regelmäßigere Zusammenkünfte geben?
Lina Gärtner: Wir sehen uns sehr häufig, aber proben halt meistens unabhängig voneinander.
Theresa Adamski: Gut vorbereitet zu einer Probe zu kommen, ist fast wichtiger als die Probe selbst, denn das macht fünf gemeinsame Proben obsolet.
Philipp Forthuber: Da muss man sich selbst an der Nase nehmen, denn Vorbereitung ist nicht nur Zeit sparend, sondern bei Lady Lynch quasi Prämisse.
Theresa Adamski: Schön ist bei uns auch, dass der Turbo mit dem Beat und nicht dem Text kommt. Das ist zwar untypisch, aber funktioniert für uns sehr gut. Der Beat gibt den Stil vor und lässt den Rest von selbst entstehen.
Christian Sundl: Das ist für den Schlagzeuger natürlich ein Privileg. Ein Freund meinte nach einem Konzert in Graz, dass er bewundert, wie sehr unsere Musik auf der Rhythmik basiert.
Und die inhaltliche Ebene?
Theresa Adamski: Für mich zählt Lady Lynch sicher zu den Bands, in denen Text und Stimme nachrangig sind.
Philipp Forthuber: Obwohl man überdurchschnittlich gut versteht, wovon du singst [lacht].
„Ich finde Politik in der Kunst sehr wichtig, nur ist das Politische an Lady Lynch nicht unbedingt der Text.“
Theresa Adamski: Ja, nur sehe ich die Stimme nicht als führende Instanz, sondern als weiteres Instrument, das sich in den Sound einfügt. Ich finde Politik in der Kunst sehr wichtig, nur ist das Politische an Lady Lynch nicht unbedingt der Text. Für mich ist die Band an sich ein Statement. Wir wurden alle nicht in Bands sozialisiert, wir haben als Freundeskreis begonnen, Musik zu machen. Wir wollten bewusst Barrieren und elitäre Strukturen der Musikwelt übergehen und als Band symbolisieren, dass jede und jeder Musik machen kann, egal wann, wo und wie.
Welchen Stellenwert hat Anerkennung?
Theresa Adamski: Ruhm macht uns nichts aus, aber viel Promotion passiert gerade mit dem Label “österreichisch”, womit wir nichts zu tun haben wollen. Wir identifizieren uns als antinationale Band nicht mit einer dezidiert österreichischen Szene. Unsere Netzwerke bestehen aus Veranstalter_innen und Bands, die in vielen verschiedenen Städten agieren und sich gegenseitig Supporten.
Philipp Forthuber: Der Sänger von Tocotronic hat 1996, als die Band den VIVA-Preis Comet in der Kategorie „Jung, deutsch und auf dem Weg nach oben“ abgelehnt hat, gesagt: „Wir sind weder stolz darauf, jung zu sein, noch darauf, deutsch zu sein …“ So ähnlich sehen wir es auch [lacht].
Die Internetpräsenz von Lady Lynch ist recht spärlich. Warum?
Theresa Adamski: Wäre Lady Lynch unsere einzige Band, könnten wir uns wahrscheinlich nicht erlauben, keinen Facebook-Account zu haben. Wir leben von unseren anderen Bands, die Informationen über Lady-Lynch-Aktivitäten laufen da mit.
Philipp Forthuber: Es ist angenehm, keinen Druck in einer Formation zu spüren. Bei uns kann alles entspannt und leidenschaftlich seinen Lauf nehmen. Natürlich ist Anerkennung trotzdem schön, nur freut uns in dem Kontext auch die kleinste.
Lina Gärtner: Hört sich an wie unser Pensionsprojekt [lacht]!
Wo spielen Sie am liebsten bzw. wo würden Sie gerne spielen?
Philipp Forthuber: Ich würde gerne mal nach Freiburg in den Slow Club. Das sind super nette Leute, die Club auf Studio-Sound-Niveau führen. Das ist auf allen Ebenen ganz einzigartig.
Theresa Adamski: Unser Vorteil ist das große Netzwerk. Durch Connections und Überschneidungen der anderen Bands könnten wir vermutlich ohne großen Aufwand in Freiburg spielen.
Philipp Forthuber: In Graz, Wien und Linz funktioniert es sowieso sehr gut, weil der interne Support sehr groß ist.
Theresa Adamski: Es gibt in unsereR Szene zum Glück keinen Neid, sondern hauptsächlich Anerkennung und Aufrichtigkeit.
Vielen Dank für das Gespräch!
Julia Philomena