„Ein Bowie-Requiem der etwas anderen Art“ – BERNHARD NEUMAIER im mica-Interview

Thomas Jerome Newton betäubt in seinem New Yorker Apartment die Seele mit Gin, an Helden glaubt er schon lange nicht mehr. „Lazarus“ heißt das 2015 uraufgeführte Musical von DAVID BOWIE, eine Weiterführung des Films „The Man Who Fell to Earth“, die dem Alien Newton jetzt auch am WIENER VOLKSTHEATER ein irdisches Ende beschert. Unter der Leitung des Belgrader Regisseurs MILOŠ LOLIĆ agieren GÜNTER FRANZMEIER als Newton, KATHARINA KLAR als Mädchen (aus dem All) und BERNHARD NEUMAIER als musikalischer Leiter, der mit seiner Liveband 17 Nummern nahtlos und in einem Guss zur Aufführung bringt. Mit Julia Philomena sprach der Musiker über Mut und Herausforderung, über das Theaterprojekt als Gesamtkunstwerk und über die Zeit als Prämisse.  

Zu welchem Zeitpunkt stand fest, dass Sie als musikalischer Leiter Teil des „Lazarus“-Ensembles sein werden?  

Bernhard Neumaier: Vor genau einem Jahr kam der Spielplan für die nächste Volkstheater-Saison heraus, somit waren die Stücke alle festgelegt. Der musikalische Leiter für „Lazarus“ wurde durch eine Art Hearing ausgewählt. Mit Albert Held, dem Leiter des künstlerischen Betriebsbüros, habe ich in Graz schon einige Projekte gemacht, mich immer gut verstanden und der hat mich nach Wien eingeladen. Nach dem ersten Team-Treffen im Biergarten wurde ich noch am selben Abend gefragt, ob ich definitiv dabei sein möchte.

Welche Art der Vorbereitung fand statt?  

Bild Bernhard Neumaier
Bernhard Neumaier (c) privat

Bernhard Neumaier: Das Wichtigste, was auch sehr früh passiert ist, war, die Unterlagen und Notizen des Dramaturgen mit meinen zu vergleichen. Wir haben überlegt, welche Schauspielerinnen und Schauspieler zu den Rollen passen, weil man sich bei einem Musical doch sehr dringend die Frage des Stimm-Umfangs stellt. Mit meinem Vocal-Coach Helmut Stippich habe ich das Ensemble durchgecastet. Ein großer Luxus ist gewesen, dass wir das gesamte Ensemble zur Verfügung und somit die freie Auswahl hatten. Es gibt nur eine Sängerin, die nicht fix am Volkstheater spielt und sich zum Teenage-Girls-Chor hinzugeschummelt hat. 

Zu welchem Zeitpunkt gab es die ersten konkreten Vorschläge?  

Bernhard Neumaier: Es war uns vor dem Sommer 2017 klar, wer die Hauptrollen bekommt. Bei den „Teenage Girls“ haben wir sehr lange und sehr viele Variationen ausprobiert. 

Das Musical „Lazarus“ hatte im November 2015, also wenige Wochen vor David Bowies Tod, Premiere und erzählt den Filmklassiker „The Man Who Fell to Earth“ quasi weiter. Es geht um Betäubung, Erlösung, Leben und Tod. Wie haben Sie sich als Ensemble dem Themenkomplex angenähert?  

Bernhard Neumaier: In der achtwöchigen Probenzeit, die wir zur Verfügung hatten, haben wir uns die Zeit nehmen können, kollektiv den Film „The Man Who Fell to Earth“ anzuschauen. Wir haben uns generell sehr viel über David Bowie unterhalten, versucht festzustellen, was diesen Menschen ausmacht. Es war uns schnell klar, dass man einen Großmeister nicht imitieren sollte, das wäre immer nur ein schlechter Versuch. „Mach’s doch mal so wie Bowie“ funktioniert einfach nicht. Aber was man schon machen kann, ist, von dem Mut zu erzählen, der Bowie ausgezeichnet hat. Wir haben versucht, uns in einer Welt fallen zu lassen, die wir wiederum für das Publikum erschaffen wollten. 

Bild Lazarus von David Bowie und Enda Walsh
Lazarus von David Bowie und Enda Walsh / Regie Miloš Lolic (c) www.lupispuma.com / Volkstheater

Inwiefern hat es Überwindung gebraucht, mutig zu sein?

Bernhard Neumaier: Die Zeit ist das größte Geschenk am Theater. Und die braucht es auch, wenn man sich einer Legende annähern möchte. Aber abgesehen davon öffnet sich in einem produktiven Team schnell ein Weg, den man gerne gemeinsam beschreitet. Im Falle eines Musicals kommt dazu, dass man technisch in der Lage sein muss, eine zweistündige Show ohne Pause zu meistern. Ryan Thomas Carpenter, unser Korrepetitor, war eine sehr hilfreiche „Native-Speaking-Polizei“ und hat stark auf die Aussprache geachtet. 

Wie intensiv waren die Einzelproben?  

Bernhard Neumaier: Tatsächlich hat man bei musikalischen Inszenierungen zu Beginn hauptsächlich Einzelproben. Das kann man sich wie in der Musikschule vorstellen [lacht]. Toll war, dass unser Hauptdarsteller Günter Franzmeier eigentlich studiert zur ersten Probe gekommen ist. Da konnte man sofort Detailarbeit machen und musste nicht bei null beginnen. 

„Für mich war es spannend herauszufinden, dass ein Bowie-Arrangement so großartig und unzerstörbar ist.“

Welche Haltung empfehlen Sie dem Publikum?  

Bernhard Neumaier: Ich denke, dass man den Film, die Geschichte nicht kennen muss, um den Abend aufnehmen und verstehen zu können. Was wir wollen, ist, eine Art Fiebertraum zu ermöglichen. Ich hatte während der Probenzeit das Gefühl, eine Totenmesse vorzubereiten. Ein Bowie-Requiem der etwas anderen Art vielleicht. Es kommen Nummern aus seiner ganzen Schaffensphase vor, frühe, alte, populäre, absurde. Die einzige Vor- und Nacharbeit, die man als Zuseherin und Zuseher eventuell machen könnte, ist, sich seine Musik anzuhören und die Gelegenheit zu nutzen, sich noch einmal mit dieser besonderen Person auseinanderzusetzen. Für mich war es spannend herauszufinden, dass ein Bowie-Arrangement so großartig und unzerstörbar ist. 

Wie sind Sie musikalisch vorgegangen? Wie viel Spielraum gab es – wie viel ist 1 : 1 Broadway-Version?   

Bernhard Neumaier: Der Spielraum ist natürlich sehr eng. Text, Reihenfolge der Songs, Band-Anzahl und Musikinstrumente sind ganz klar vorgegeben. Im Rahmen der Arrangements habe ich aber einen schmutzigeren Sound gesucht, der durch minimale Abwandlungen gelungen ist. „Mehr Drive“, habe ich oft gesagt, „mehr Verzerrung“, damit man der Musik trotz der Struktur einen eigenen Charakter geben kann. 

Lazarus von David Bowie und Enda Walsh / Regie Miloš Lolic (c) www.lupispuma.com / Volkstheater

War Ihnen schon vor Probenbeginn klar, welchen Charakter der Sound haben soll?  

Bernhard Neumaier: Nein, das ist alles im Probenprozess entstanden. Ich würde sagen, dass mir genau diese Suche nach Farbe, Klang etc. am meisten Spaß macht. Wie verschmelzen Szenen mit der Musik. Wann muss Musik kommentieren, unterstreichen, widersprechen? Darum geht’s am Theater, und das finde ich spannend.

Haben Sie als Musiker das Gefühl, die Inszenierung aktiv in ihrer visuellen Bedeutsamkeit mitdirigieren zu können?   

Bernhard Neumaier: Absolut! Vor allem interessiert mich das entstehende Gesamtkunstwerk, das Zusammenspiel der unterschiedlichen Gewerke, die vom Regisseur verbunden, dirigiert werden. Gerade in diesem Fall war unser Regisseur Miloš Lolić ein sehr lieber, toller und mutiger Mensch, der sofort Zugang zum Projekt gefunden hat, zu den unterschiedlichen Ebenen. Als musikalischer Leiter ist eine gute Zusammenarbeit aber sicher besonders wichtig, vor allem, weil ich die Regieanweisungen musikalisch übersetzen und an meine Kollegen weiterleiten muss. Es war unglaublich schön, dass mir Miloš so vertraut hat, sich mit mir beraten und Vorschläge angenommen hat. Die Hierarchie war sehr flach, die Kommunikation auf Augenhöhe, der Umgang immer respektvoll.

Gab es trotzdem Schwierigkeiten bzw. große Herausforderungen?  

Bernhard Neumaier: Musikalisch ist alles gut gelaufen, inhaltlich war es sicher schwierig, das Ganze zu fassen, diesen besagten Fiebertraum zu kreieren. Im Laufe der Inszenierung haben wir uns immer wieder gedacht, dass diese Szenen-Fragmente ja tatsächlich Ausschnitte aus dem Leben David Bowies gewesen sein könnten. Dass es um Personen geht, die ihm begegnet sind. Und diese Fülle an Information, Emotion, Narration und Musik zusammenzuführen, war natürlich per se eine Aufgabe.

Worin besteht für Sie generell der Reiz, Theatermusik zu kreieren?

Bernhard Neumaier: Ich merke, dass die Livemusik momentan wieder einen sehr großen Stellenwert genießt, wieder en vogue ist. Und live zu spielen ist – traue ich mich zu sagen – auch das Schönste für Musikerinnen und Musiker. In der momentanen Konstellation habe ich mit meinem Vocal-Coach schon insgesamt drei Produktionen gemacht, die anderen Musikerinnen und Musiker habe ich aus der Wiener Musikszene zusammengestellt. Andreas Lettner war mir als Schlagzeuger beispielsweise sofort klar, mit dem habe ich schon vor gefühlten 100 Jahren gemeinsam in Salzburg gespielt. Aber unabhängig davon habe ich diese Band konkret für dieses Projekt zusammengestellt. Live kann man als Band so schön reagieren auf das, was gerade passiert. Gute Musikerinnen und Musiker können improvisieren, können etwas anbieten, genauso wie gute Schauspielerinnen und Schauspieler. Und Improvisation ist nicht unpraktisch am Theater, weil es zum Glück nie möglich sein wird, alles haargenau so zu timen, wie man es gerne hätte. Irgendetwas wird immer anders sein. Irgendetwas bleibt immer spannend. 

Herzlichen Dank für das Gespräch!  

Julia Philomena

Links:
Volkstheater / Lazarus