AFAMIA AL-DAYAA und GERALD RESCH präsentieren Anfang März in Wien im Rahmen eines Gesprächskonzerts, moderiert von Nadja Kayali, im Musiksalon im Palais Mollard Kammermusikwerke für das alljährliche Osterfestival IMAGO DEI.
AFAMIA AL-DAYAA wurde 1985 in Deutschland geboren und hat Sprachkunst, Klavier und Komposition studiert. Sie arbeitet als Komponistin sowie als Autorin in Wien.
GERALD RESCH, 1975 in Linz geboren, wird in Zusammenarbeit mit Imago Dei und der Loisiarte präsentiert. Beispiele aus dem Werk des renommierten Komponisten werden sowohl beim Musiksalon in Wien und in Krems wie auch in Langenlois zu hören sein. Michael Franz Woels sprach mit den beiden über das heurige Festivalmotto von Imago Die – nämlich den Begriff Freiheit – sowie über ihre Lieblingsautor:innen und ihren Glauben an absolute Musik.
Ich würde gerne mit einer Glaubensfrage beginnen. Welche Vorstellung von Gott haben Sie? Imago Dei heißt ja soviel wie Abbild Gottes.
Gerald Resch: Das ist eine sehr persönliche Frage. Ich habe schon Gottes-Vorstellungen, möchte darüber aber nicht so gern öffentlich sprechen.
Afamia Al-Dayaa: Ich mache mir tatsächlich sehr viele Gedanken darüber. Erst neulich hatte ich ein Gespräch über das Bild Gottes, mit Dei hat es ja eine männliche Form. Und es fällt mir sehr schwer, dieses Geschlechtliche so zu sehen. Es ist eine sehr wesenhafte, menschliche Vorstellung (Anmerkung: Das Eröffnungskonzert 2022 unter der neuen Leitung von Nadja Kayali stand unter dem Motto der Göttinnenbilder: „Imago deae. Music across the borders“ und umfasste fast 50 weibliche Mitwirkende.)
Das Festival Imago Dei hat heuer das Thema Freiheit. Können Sie mit diesem Begriff etwas anfangen:
Gerald Resch: Das Thema Freiheit ist für mich der große essentielle Begriff, wenn es um das Machen von Kunst geht. Wo liegt diese Freiheit? Wie gewinnt man sie? Wie verteidigt man sie? „Der Kunst ihre Freiheit“ steht in Wien über dem Gebäude der Secession. Eigentlich ist die Frage nach der Freiheit für mich so etwas wie die Kernfrage der Kunst.
Afamia Al-Dayaa: Freiheit ist eine Grundvoraussetzung, um kreativ zu sein. Natürlich bewegt man sich immer in einem gewissen Rahmen, einem ästhetischen, künstlerischen oder gesellschaftlichen.
Gerald Resch: Mich interessiert der Unterschied zwischen der Freiheit von und der Freiheit für. Ein Bücherregal, komplett vollgestellt mit Büchern, lässt keinen Platz mehr für neue Bücher. Mir wird die Frage – auch im übertragenen Sinn –, wie ich in meiner Musik Platz und Löcher lassen kann, immer wichtiger. Raum dafür zu finden, dass etwas noch Unbekanntes in Freiheit entstehen kann.
Afamia Al-Dayaa: Mir ist auch die Freiheit von Erwartungen von anderen, von einem aktuellen Außen, wichtig.
Der italienische Schriftsteller Italo Calvino ist für Sie, Gerald Resch, eine bedeutende Inspirationsquelle. Beruhend auf Essays von ihm charakterisieren Sie Ihre Stücke mit den Begriffen Genauigkeit, Leichtigkeit, Anschaulichkeit, Vielschichtigkeit und Schnelligkeit. Gibt es auch für Sie wichtige Autoren oder Autorinnen, Afamia Al-Dayaa? Sie haben ja auch selber 2018 einen Roman veröffentlicht …
Gerald Resch: Italo Calvino ist mein Lieblingsautor, auch weil er unglaublich frei war und unterschiedlichste Gattungen verwendet hat, von Kriminalroman, Science Fiction bis hin zu Essays und Märchen. Alles durchdringt sich auf eine ausgesprochen intelligente und konzise Art und Weise. Am Ende seines Lebens verfasste er etliche Essays zur Literatur, sie heißen „Six Memos for the Next Millennium“. Er hat sich Gedanken gemacht, wie die Kunst im Allgemeinen, die Literatur im Besonderen, interessant bleiben kann, indem er einige „Tugenden“ empfiehlt, die seiner Meinung nach die Qualitäten guter Literatur definieren.
Ich liebe Calvinos Buch, weil er unglaublich belesen fantastische Querverbindungen über die Zeiten hinweg schlägt. Ich habe ein Klaviertrio geschrieben, das sich mit den fünf von Calvino verwendeten Begriffen Leichtigkeit, Schnelligkeit, Genauigkeit, Vielschichtigkeit und Anschaulichkeit beschäftigt. Dieses Klaviertrio „Fünf Versuche nach Italo Calvino“ wird bei der Loisiarte am 23. März gespielt, bei der ich dieses Jahr „Composer in Residence“ bin. Diese fünf Schlagworte stecken einen für mich praktikablen Rahmen ab, in dem ich mich künstlerisch frei bewegen kann und innerhalb dessen ich mich wohl fühle.
Afamia Al-Dayaa: Mein Buch unter dem Autorinnennamen Yara Lee ist nun auch schon wieder vor vier Jahren erschienen. Ich weiß gar nicht, ob ich mich jetzt noch so einfach als Autorin bezeichnen würde. Für mich ist sowohl das Schreiben an einem Buch wie auch das Schreiben an einem Musikstück eine Filterung meiner Wahrnehmung. Es sind nur zwei verschiedene Wege. Das Schreiben habe ich oft als sehr konkret empfunden, die Musik hingegen als sehr abstrakt, mit einer in gewissem Sinne größeren Freiheit. Ich mache mir bei beidem sehr viele Gedanken über die Form.
Eine meiner Lieblingsautorinnen, die mich auch lange Zeit begleitet hat, ist Friederike Mayröcker. Es gab immer wieder Berührungspunkte zwischen uns beiden. Ich habe ihr zum Beispiel zum Geburtstag ein Gedicht geschrieben, sie hat einen Ausschnitt in ihrem letzten Buch auch zitiert. Dieser Austausch war aber leider aus der Ferne, wir haben uns nie persönlich gesehen, obwohl ich sogar einmal ein paar Häuser weiter in derselben Gasse gewohnt habe. Ich finde sie jedenfalls sehr faszinierend, weil sie Erwartungen an Form und Spannung bricht.
Kommen wir zu Ihrem Stück „Con moto“ aus dem Jahr 2018. Es wird im Rahmen von Imago Dei vom Platypus Ensemble unter der Leitung von Jaime Wolfson und der Klangregie von Christina Bauer im Klangraum Krems Minoritenkirche präsentiert. Filmisch umgesetzt wurde „Con moto“ von Šimon Voseček.
Gerald Resch: „Con moto“ heißt ja nichts anderes als „mit Bewegung“. Das Stück besteht aus vier Sätzen, aus vier Versuchen, unterschiedliche Arten von Bewegung abbilden. Bewegung ist neben der Freiheit auch ein zentraler Begriff für das Musikmachen. Wie schaffe ich es, dass eine Musik in Bewegung kommt? Wie erhalte ich die Bewegung? Wie kanalisiere ich sie in andere Bahnen? Bei „Con moto“ wollte ich die „bewegte Musik“ in Bilder rückübersetzen lassen. Ich habe mich an einen befreundeten Künstler, Šimon Voseček, gewandt, der ja vor allem als Komponist bekannt ist. Er konnte aufgrund seiner Profession als Komponist mein Werk sehr genau erfassen und hat eine Visualisierung erstellt, die bei Imago Dei am 15. März in Krems gleichzeitig mit der live gespielten Komposition zu erleben sein wird.
Und kann man schon etwas über die Uraufführung „darkness, unveilded“ verraten, die es am 15. März im Rahmen des Festivals Imago Dei gemeinsam mit Werken von Gerald Resch, Rebecca Saunders und Fausto Romitelli zu erleben gibt?
Afamia Al-Dayaa: Bei mir geht es auf verschiedenen Ebenen um Begegnung. Licht – Dunkel. Das Erkennen von etwas im Licht. Es wird auch ein gemeinsames Video mit Masao Ono geben, ein Live-Video mit einer Kamera, um das Thema auch auf einer visuellen Ebene zu transportieren. Mich interessiert das interagieren von Musik und Bild, das Bild reagiert variabel und im Moment auf die Musik.
Man könnte Komponist:innen auch als Chronist:innen und Beobachter:innen – auch politisch – ihrer Zeit bezeichnen. Wie sehen Sie das?
Gerald Resch: Ich finde, mein Musikmachen hat weniger unmittelbar mit aktuellen Zeitfragen zu tun, vielmehr geht es allgemeinen, überzeitlichen Beobachtungen nach.
Afamia Al-Dayaa: Ein politisches Statement und eine Positionierung durch die Musik finde ich ehrlich gesagt schwierig. Politische Wahrnehmung kann auf vielen Ebenen stattfinden, das muss nicht explizit erwähnt werden. Aber ich empfinde mich als eine akustische Beobachterin.
Wenn man geschichtlich weit genug zurückgeht, dann lässt sich rituelle Musik von rein repräsentativer Musik unterscheiden. Wo ist da ihrer Meinung nach die Neue Musik angesiedelt?
Gerald Resch: Ich würde neben den Begriffen funktionale Musik und rituelle Musik auch noch die seit etwa 200 Jahren existierende absolute Musik nennen wollen. Eine Musik, die nur für sich selbst steht und sich nicht chronistisch sieht. Ein Großteil der Neuen Musik folgt meiner Meinung nach diesem dritten Musik-Begriff. Aber gibt es überhaupt noch die Bereitschaft der Hörer:innenschaft für eine absolute Musik „ohne Anhaltspunkte“? Wackelt dieser Glaube an die absolute Musik, weil sich unser aller Aufmerksamkeitsspanne bereits massiv verändert hat? Vielleicht ist es kein Zufall, dass etwa wir beide, Afamia und ich, immer wieder auch mit Videoergänzungen arbeiten, um unserer Musik mehr „Konkretheit“ zu geben.
Afamia Al-Dayaa: Dadurch, dass wir verschiedene Medien nutzen und diese in das eigene Schaffen mit einfließen lassen, werden wir ja wieder zu Chronist:innen. Ich betrachte das noch mit Neugier. Ich versuche zu verstehen, was es zu ergänzen gibt. Absolute Musik mit anderen Medien kombiniert – es gilt die nötige Balance zu finden.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Michael Franz Woels
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Termine:
Dienstag, 5. März 2024. 19:30 Uhr
Gesprächskonzert (Eintritt frei)
Musiksalon, Palais Mollard, Herrengasse 9, 1010 Wien
Freitag, 15. März 2024, 19:00 Uhr
Per Astra Ad Astra: Musik zwischen Dunkelheit und Licht
Ensemble Platypus / Jaime Wolfson (Dir)
21.–24. März 2024
LOISIARTE 2024 – Composer in Residence
Loisium, Langenlois
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Links:
Gerald Resch
Gerald Resch (Musikdatenbank)
Afamia Al-Dayaa (Musikdatenbank)
Festival Imago Dei