„EIGENTLICH EIN TOTALER PUNK-ROCK-MOVE!” – ANDREAS SPECHTL VON JA, PANIK IM MICA-INTERVIEW

ANDREAS SPECHTL sitzt im Obergeschoss des Recordbag, einem Wiener Plattenladen, in dem irgendwas von The Cure läuft. Es ist sein vorletztes Interview, davor waren schon der und die und alle da. Ja, Panik, seine Gruppe, veröffentlichen schließlich eine neue Platte und da kommen auch die Herren aus den Kulturredaktionen, weil: Indie-Rock aus Österreich, der wie Indie-Rock aus Deutschland klingt, das muss man gehört haben. Folgerichtig erscheint „Don’t Play With The Rich Kids”, das siebte Album der österreichischen Berlin-Band, wie sein Vorgänger auf Bureau B. SPECHTL hat es in Argentinien geschrieben, wo er seit einem Jahr lebt. Das merkt man der Platte nicht, seinem Urheber aber umso mehr an. Statt nobler Hauptstadt-Blässe lässt SPECHTL eine Gringo-hafte Grundbräune erkennen. Er spricht in langsamen Sätze, leise, wie immer – alles durchdacht und dann auch ein wenig lustig. Schließlich geht das inzwischen auch: Humor, Spaß, „lass es von mir aus Cringe sein”, sagt SPECHTL und meint: „Das ist eigentlich ein totaler Punk-Rock-Move!”

Du hast letztes Jahr deinen Führerschein gemacht, bist daraufhin durch Argentinien gefahren und hast dabei ein Album geschrieben. Ist das nicht genau das, was ein Künstler-Rich-Kid machen würde?

Andreas Spechtl: Na ja, ich bin ja kein Künstler-Rich-Kid und Argentinien hab ich mir auch nicht ausgesucht. Ich wohne vorübergehend dort, weil meine Partnerin für den Deutsch-Akademischen Austauschdienst arbeitet. Das Gute ist: Ich kann mit, weil ich als Künstler auch mal für ein paar Jahre den Kontinent wechseln kann. Meine einzige Bedingung war ein Arbeitszimmer. Das hab ich bekommen. 

Also spartanische Rückbesinnung statt Reisehedonismus?

Andreas Spechtl: Genau, trotzdem lerne ich dabei das Land kennen. Ich hatte ja keine Ahnung von Argentinien. Ursprünglich sollte es nämlich nach Mexiko gehen, dort habe ich bereits mit dem Autor Thomas Köck ein Theaterstück gemacht, dort hätten wir ein bestehendes soziales Umfeld vorgefunden. Plötzlich wurde Argentinien draus. Ich habe mir gedacht, super, dann bin ich jetzt halt Hausmann und Trophy Boy.

Mittlerweile lebt ihr schon über ein Jahr in Argentinien. 

Andreas Spechtl: Ich erinnere mich an die Anfangszeit. Wir kommen in einem fremden Land an, in eine leere Wohnung. Aus diesem zweiten, für mich allein gemachten Lockdown habe ich in kürzester Zeit die Platte geschrieben. Im Auto. Beim Rumlaufen. In diesen ersten magischen Monaten, wo ich noch nicht angekommen, also neu war und niemanden kannte, habe ich mich einfach inspiriert gefühlt. Trotzdem ist daraus keine Argentinien-Platte geworden.

Auch keine Heimweh-Platte?

Andreas Spechtl: Ich wusste natürlich, dass ich da nicht mehr so einfach wegkomme, habe mich gelangweilt und meine Leute in Berlin vermisst. Und wenn ich mir damals ein Land zum Auswandern aussuchen hätte dürfen, wäre es wohl nicht Argentinien geworden. Das hat sich mittlerweile aber alles geändert. Ich habe das Land lieben gelernt – auch wenn wegen des neuen Präsidenten ein anderer Vibe herrschen wird.

Du kommst aus dem Burgenland, bist vor langem nach Berlin gezogen, jetzt Buenos Air…

Andreas Spechtl: Nein, wir sind in Córdoba, der zweitgrößten Stadt Argentiniens – dort wohnen mehr Menschen als in Wien. 

Was ich sagen will: Geografisch wie gedanklich ist das ein weiter Weg.

Andreas Spechtl: Gedanklich total! Ein Grund, warum wir uns anfangs nicht so sehr für Argentinien interessiert hatten, war der exotisierende Blick. Wir dachten, Argentinien und Chile seien die europäisierten lateinamerikanischen Länder. Das stimmt zwar auch teilweise – wenn man in Buenos Aires nach 14 Stunden aus dem Flieger steigt, hat man nicht unbedingt das Gefühl, Europa verlassen zu haben – für mich, der zuvor Mexiko kennengelernt hatte, war das aber ein kultureller Schock. Schließlich orientiert sich in Mexiko vieles in Richtung der USA. Der Amerikanismus unterwandert dadurch das Land. In Argentinien gibt es das nicht. Die Orientierung geht eher nach Europa. Das macht auch Sinn: Über 60 Prozent der Bevölkerung haben italienische Wurzeln. In Sprache und Architektur erkennt man überall die Einflüsse. Und in Buenos Aires spürt man an allen Ecken die vergangene europäische Opulenz – es ist eine ziemliche Mark-Fisher-Stadt.

Die Vergangenheit ist spürbar?

Andreas Spechtl: Sie ist ur-da! Deshalb merkt man, dass irgendwas nicht stimmt – es herrscht eine Patina, die es in Europa nie geben würde. Sie ist überall sichtbar und zeigt, dass dort einmal alles rich war, sich aber schon länger in einem ewigen Verfall befindet, der notdürftig repariert wird. Und immer so weiter.

Bild Ja, Panik
Ja, Panik (c) Luca Celine

Ich finde den Kontext, den du gerade aufmachst, spannend. Darin könnte man den Titel der Platte auch lesen.

Andreas Spechtl: Darüber habe ich tatsächlich noch nicht gesprochen. Der Titel stammt ja eher von meinem Upbringing, meiner Familiengeschichte. Gleichzeitig gibt es keinen Menschen mit österreichischem Pass, der nicht auf vielen Teilen der Welt ein rich kid ist, da kann ich noch so sehr die proletarische Fahne hochhalten.

Das heißt, man muss es sich leisten können, um in der Distanz zu realisieren, wie gut es einem eigentlich geht?

Andreas Spechtl: So habe ich das noch gar nicht gedacht – ich sehe aber, dass diese Bedeutung im Titel stecken kann, auch wenn Ja, Panik nicht deren Autor:innen sind. Sie ist da, ich finde sie interessant. Wir haben den Titel aber ein bisserl hingeworfen.

Hingeworfen?

Andreas Spechtl: Das ist zu kokett ausgedrückt. Wir denken immer alles zu Tode, was aber nicht heißt, dass es zu Ende gedacht ist. Für Ja, Panik-Verhältnisse steckt diesmal wirklich wenig Konzept dahinter. Wir sind übermütig und wollten reißerisch sein. 

Es ist die Platte mit den wenigsten Parolen und den meisten Phrasen.

Andreas Spechtl: Wirklich?

„Ich bin der Kung Fu Fighta, steh auf und mach immer weita” taugt nicht so für die Antifa-WG, oder? Dafür ist es die lustigste Zeile, die du jemals geschrieben hast.

Andreas Spechtl: Siehst du: Zum ersten Mal hat Humor seinen Platz innerhalb der Gruppe nach außen gefunden. Nach innen gab es den nämlich immer. 

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Der Humor steht euch jedenfalls gut!

Andreas Spechtl: Ja? Ich dachte, du findest das schlecht!

Nein, im Gegenteil. Ich muss mit 25-seitigen Textanalysen in der Spex zum Glück nichts mehr anfangen. Das passt nicht in die Gegenwart.

Andreas Spechtl: Dann geht es uns ähnlich. Dorthin zu kommen und sich einzugestehen, dass Humor offen sein darf, war aber viel Arbeit … Je länger ich darüber nachdenke, merke ich: Vielleicht ist das das Konzeptuelle dieser Platte. 

Der Humor?

Andreas Spechtl: Ja, der Weg dorthin. Ich habe während des Schreibens jeden Tag mit Stefan (Pabst, Gründungsmitglied der Band und Bassist, Anm.) telefoniert. Wir haben uns stundenlang über unsere gemeinsame Geschichte unterhalten, warum wir damals mit der Musik begonnen haben, wer wir waren und wohin wir gekommen sind. Dadurch haben wir uns auch über das Bild unterhalten, das Ja, Panik nach außen hin hat.

Ihr habt euch darüber unterhalten, wie euch die Leute sehen?

Andreas Spechtl: Gerade bei der letzten Platte waren wir überrascht, was man über uns geschrieben hat. Ich hab mich davor jedenfalls noch nie so wenig darin gefunden. Wahrscheinlich ist die Art, wie man heute über Kunst und Kultur nachdenkt, einfach schlecht gealtert. Es hat uns aber ehrlich upgeturnt. 

„ICH HABE NICHTS AN MEINER RADIKALITÄT EINGEBÜSST.”

Ja, Panik fühlen sich also missverstanden?

Andreas Spechtl: Wenn ich mir manche Sachen durchgelesen habe, bin mir vorgekommen wie eine uralte Band aus einem anderen Jahrhundert. Das sind wir aber gar nicht! Also wirklich nicht! 

Ihr seid dem 20er als Band näher als dem 10er.

Andreas Spechtl: Voll, wir sind eine alte Band. Wir haben aber kein Problem mit unserem Alter. 

Wie geht der Spruch, wer mit 20 kein Linker ist, hat kein Herz und wer es mit 40 …

Andreas Spechtl: Immer noch ist, ist ein Träumer? 

Ja, irgendwie so. Du wirst heuer 40.

Andreas Spechtl: Die politische Person, die ich im Privatleben bin, hat sich aber überraschend wenig geändert – zumindest gegenüber jener, die ich mit 20 war. Nur ihr Ausdruck hat sich gewandelt. Ich habe ein anderes Selbstbewusstsein, das hat mit Klasse und Imposter-Syndrom zu tun.

Wie meinst du das?

Andreas Spechtl: Ich hätte mich mit Anfang 20 nicht getraut, eine cringige Platte wie die zu machen. Damals wollte ich allen beweisen, dass ich es ernst meine – also wirklich alles umstürzen will! Das muss ich nicht mehr. Trotzdem habe ich nichts an meiner Radikalität eingebüßt. Außer dem Schwachsinn, der Schwachsinn war …

Ihr müsst euch nicht mehr ausziehen.

Andreas Spechtl: Genau. Ich hab aber nicht mehr das Gefühl, dass alles, was ich bin und zeigen will, auf unserer Platte widerspiegeln muss. Sie soll Spaß machen. 

Das geht mit einem Zulassen einher, oder?

Andreas Spechtl: Ich steh zumindest nicht mehr über den Dingen.

Bild Ja, Panik
Ja, Panik (c) Luca Celine

Du erhebst auch seltener den Zeigefinger.

Andreas Spechtl: Dabei habe ich mich immer bemüht, das nicht zu tun. Aber klar, in dem Moment, in dem man sich bemühen muss, etwas nicht zu tun, passiert es trotzdem. Dahingehend gehen wir den umgekehrten Weg – wir waren früher ernster und werden zunehmend übermütiger. Eigentlich ein totaler Punk-Rock-Move!

Der Übermut?

Andreas Spechtl: Die Überraschung! Mit der hat niemand gerechnet und zerstört ein wenig jenes Bild, das es über Ja, Panik gibt. 

Also der Bildersturm! Was soll danach überbleiben?

Andreas Spechtl: Schwierig! In der Vergangenheit war ich mir in meinen eigenen Interviews unsympathisch. Ich hab aber auch gemerkt, wie viele Fragen in den Antworten sind. Das Problem ist: Manche Leute fangen an, ihre eigenen Vorstellungen in meine Antworten zu projizieren.

Um den Nietzsche einzupacken, um mit Andreas Spechtl herumzuphilosophieren.

Andreas Spechtl: Das kann ja ok sein, wenn es sich ergibt. Bei manchen hatte ich aber das Gefühl, dass sie sich dazu zwangen – sie mussten mit mir philosophieren, weil es drunter offenbar nicht ging. Daraus haben sich Pat-Situationen ergeben, in denen sich niemand wohlgefühlt hat. Manchmal habe ich mir also schon gedacht, what the fuck?

Das hängt aber damit zusammen, wie man euch als Gruppe von außen wahrgenommen hat.

Andreas Spechtl:Stimmt schon, Ja, Panik hat man immer Zeitgeist unterstellt. Zur großen Finanzkrise, zu Corona, wozu auch immer. Dadurch wurden die Stücke aber aufgefressen. Der Humor stellt sich dem entgegen. Oder wie war das bei Freud? Humor kommt von der Gewalt. Er führt zu einer Gelöstheit, weil: Man lässt Dinge raus, die einem sonst wehtun. Das ist doch interessant! 

Man könnte auch sagen, nimm’s mal mit Humor.

Andreas Spechtl: Das haben wir eh immer. Mit Stefan, den ich seit meiner Kindheit kenne, verbindet mich ein Humor, der wie eine Geheimsprache ist. Viel von Ja, Panik war und ist  deshalb genau das – eine doppelbödige Geheimsprache, die nicht zu entschlüsseln ist, vielleicht nicht einmal von uns selbst.  

Danke für das Gespräch!

Christoph Benkeser

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Links: 
Ja, Panik (Homepage)
Ja, Panik (mica-Datenbank)