Beitrag zur Serie „Neues vom österreichischen Musikgeschehen“ zum Themenkomplex „Situation der Neuen-Musik-Szene“ für mica – music austria (Gespräche von WOLFGANG SEIERL) von MICHAEL MAUTNER.
Prinzipiell
Bevor ich auf die in den einzelnen Gesprächen angeführten Themen eingehe, möchte ich einige prinzipielle Ansichten darlegen.
Ob eine Musik „schön“ oder „hässlich“ ist, sagt noch nichts über ihre Qualität oder ihre Gültigkeit aus, das verwendete Material allein ist noch keine Garantie für Gelingen oder Misslingen. Daher behalte ich mir eine strikte stilistische Ambivalenz vor. Ich vermeide weder tonalen Wohlklang noch scheue ich dissonante Schärfe.
Generell versuche ich, unnötige Schwierigkeiten für die InterpretInnen wie für die HörerInnen zu vermeiden, ohne aber auf den Anspruch, neue Räume und Inhalte zu erforschen, zu verzichten. Ich bemühe mich daher, eine Tonsprache zu finden, die keiner umständlichen Erläuterungen bedarf und die bei aller Komplexität und Kompromisslosigkeit unmittelbar zugänglich bleibt. Dies gilt auch für meine Arbeiten im Bereich der angewandten Komposition (Theater, Film, verschiedene Medien).
Neben meiner Begeisterung für transdisziplinäre Arbeiten (u. a. mit dem Künstler und Designer Franz West) und multimediales Musiktheater (vor allem im Rahmen des Projekts COM.MEDIA nach Dante Alighieri) beschäftige ich mich mit Spektralharmonik und ekmelischen Klängen (Mikrotonalität bei 72-stufiger Oktavteilung), ohne allerdings die vorher erwähnten Postulate zu negieren.
Die meiner Ansicht nach wichtigsten Herausforderungen an die Komponierenden heute sind, Werte von Nachhaltigkeit zu schaffen, die Bild und Spiegel unserer Zeit sein können, und den Stellenwert von zeitgenössischer Musik im öffentlichen Bewusstsein zu verändern, die Kluft zwischen den Ansprüchen des Publikums und den Intentionen der KünstlerInnen zu verringern, zu überbrücken.
Es gilt, sich mit aktuellen Themen und Fragen auseinanderzusetzen, sie ins künstlerische Bewusstsein zu integrieren. Kunst, die nur selbstreflexiv ihre eigene Bedeutung transportiert, gleitet leicht ab in die Beliebigkeit. Der Elfenbeinturm ist eine bequeme Wohnung, aber schwer zugänglich.
Einerseits darf im Sinne der Nachhaltigkeit das Publikum nicht vergessen werden. Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit sind im Arbeitsprozess zu berücksichtigen, man soll verführen statt verunsichern. Dabei soll aber nicht das Rad zurückgedreht und seligen Traditionen nachgefeiert zu werden, sondern Techniken und Ausdrucksmöglichkeiten unserer Zeit sind so anzuwenden, dass eine Deutlichkeit und eine Intensivierung des Dargebotenen erzeugt werden. Tonalität und Atonalität sind Mittel zum Zweck, nicht Inhalt. Andererseits ist die Kommunikation nach außen zu intensivieren. Komplexe Arbeiten können bei einmaligem Hören meist nur unzureichend aufgenommen werden. Daher sollten Werke vor einer Uraufführung im Internet als freie Downloads vorab zugänglich gemacht werden (Probenmitschnitte, Demoversionen, Notenbeispiele etc.). In den Vorankündigungen (Plakate, Annoncen, elektronische Verteiler) muss auf diese Möglichkeit hingewiesen werden. Die Auseinandersetzung vorweg erleichtert den Zugang im Augenblick der Darbietung. Information schafft Interesse.
Zum Gespräch mit Klaus Ager und Jakob Grundmann
„Salzburg ist für Komponistinnen und Komponisten eine schwierige Stadt.“
Wer über Salzburg jammert, jammert auf hohem Niveau. Ja, Salzburg ist ein Kulturdorf, das für zwei Monate im Jahr weltweite Strahlkraft besitzt. Die Salzburger Festspiele sind allerdings keine Heimstadt für ortsansässige Musikerschaffende; der Heimvorteil ist ein Heimnachteil. Ausnahmen bestätigen die Regel. Das Wort „provinziell“ geistert in diesem Zusammenhang gern öfters herum, was natürlich Unsinn ist.
Aber es gibt das Mozarteum, einen großartigen Ort, um zu lernen und Kontakte zu knüpfen, das österreichische ensemble für neue musik, ASPEKTE Salzburg, die ARGEkultur Salzburg u. a., die zwar finanziell alle dünn gehalten werden, aber dafür agil sind. Für die finanziell besser gestellte Biennale gilt allerdings, was bei den Festspielen Sache ist: Heimnachteil! Warum eigentlich?
Allein: In Salzburg zu wirken ist unersprießlich, aber gilt das nicht für alle Orte?
„[…] Integration der Kompositionsklassen in die Szene [findet] nicht statt.“
Das liegt aber auch an den Studierenden. Eigeninitiative ist gefragt, und zwar in vielen Richtungen. Das Erwarten von Förderung ist nicht zielführend. Eigentlich ist man als Komponierende und Komponierender gefordert, sich den Bedarf an Neuer Musik selbst zu fördern und dabei den Bedarf an Neuer Musik im Auge zu behalten. Neben den zugegeben spärlichen Konzertveranstaltern gibt es aber andere Bereiche: Theater, Film, Tanz, Performance, Kunstprojekte etc.
Ich habe mich als Studierender an die Schauspielabteilung gewandt, an das Stadttheater (damals Elisabethbühne) und an die Filmabteilung in Wien. Das hat mir Aufträge, Aufführungen und auch einen soliden Erfahrungsschatz gebracht. Das dabei einige GralshüterInnen der reinen Lehre die Nase rümpfen, kann man ignorieren. Es gibt ein Leben als Musikerschaffende bzw. Musikerschaffende auch ohne Lob von Lothar Knessl.
Diese Erfahrungen habe ich auch in meine Lehrtätigkeit im Fach „Angewandte Komposition“ am Mozarteum (1994–2005) eingebracht. Neben der Vermittlung von theoretischen Kenntnissen war der Unterricht stark praxisorientiert, was in zahlreichen Aufführungen szenisch-musikalischer Projekte seinen Niederschlag fand. Die Vernetzung von Komponierenden mit anderen Abteilungen und Fakultäten wie Film, Theater, Tanz, Bildende Kunst und Raumgestaltung war Weg und Ziel eines Unterrichtes, der neben künstlerischen Ergebnissen auch praktischen Folgen ergeben hat, wie weiterreichende Möglichkeiten für Kontakte, Aufträge und Aufführungen.
„[…] vom Komponieren leben […]“
Es gilt, was auch für AphoristikerInnen gilt: „[…] wer von Aphorismen leben will, muß von Aphorismen leben können“ (Herbert Rosendorfer). Allein von der Schaffung zeitgenössischer Musik kann nur leben, wer sehr bescheiden ist oder wer im Musiktheater reüssiert. Das war eigentlich immer so (Puccini ist so ziemlich der Einzige, der nur vom Komponieren gut gelebt hat).
Aber wer will schon allein vom Komponieren leben, außer man macht Populärmusik? Jede und jeder sollte auch als Interpretin bzw. Interpret tätig sein, sei es instrumental, gesanglich oder in leitender Funktion. Oder in der Theorie, der Wissenschaft, als Lehrende bzw. Lehrender. Komposition hat nicht nur mit Musik zu tun, es ist ratsam, auch in anderen Sparten firm zu sein. Wer nur komponiert, läuft Gefahr, dem Schreibtischtätertum zu erliegen.
„Probleme einer Zeit wie der heutigen […]“
Es ist nach wie vor ein großes Interesse an Neuem vorhanden. Nur das dieses Interesse in nur sehr geringem Maße bei Neuer Musik herrscht. Das Regietheater ist ein gutes Beispiel: Traditionelle, bewährte Werke werden in einem neuen Licht dargestellt, oft radikal verändert, ja sinnentfremdet umgedeutet. Neuerdings ist es in Mode, mit meist elektronischen Interpolationen zu arbeiten, so beim „Fidelio“ in Salzburg oder der „L’Incoronatione di Poppea“ im Theater an der Wien. Es wäre lohnenswert, darüber nachzudenken, wie man dieses Interesse am Neuen wieder auf das Werk an sich umpolen könnte. Neue Stoffe? Alte Stoffe neu gesehen? Neue Mittel, neue Wege, neue Klänge?
Zum Gespräch mit Stephan Maria Karl und Hermann Peseckas
„Kommunikation der Künstlerinnen und Künstler untereinander […]“
Es ist oft nicht leicht, mit KünstlerInnen anderer Sparten zu kommunizieren, da man oft nicht dieselbe Sprache spricht. Manche Aussagen haben eine andere Bedeutung, manche Bedeutungen werden nicht gleich wahrgenommen. Aber die intensive Beschäftigung mit den anderen Sparten führt früher oder später immer zu einem Ergebnis. Es bedarf eines offenen Geistes und viel Geduld. Die Erfahrungen, die man beim Betreten fremder Gebiete macht, sind aber immer lohnend. Oft in mehrfacher Hinsicht. Man muss sich als Musikerschaffende bzw. Musikerschaffender aber im Klaren sein, dass die Musik dann oft nicht die Hauptrolle spielt. Es ist auch eine Charakterfrage.
Zum Gespräch mit Gerhard Wimberger und Stefan D. Hummel
Da stimmt etwas nicht
„Es besteht heute bei allen Komponistinnen und Komponisten die Tendenz, zu erwarten, gefördert zu werden, von der Gesellschaft, von der Politik, von persönlichen oder institutionalisierten Mäzeninnen und Mäzenen bis hin zu einer Komponistenvereinigung, der sie selbst angehören“, sagt Gerhard Wimberger. Diese Tendenz ist eine Folge der Aufbruchsstimmung in den 1970er- und 1980er-Jahren, als das Interesse an Neuer Musik im Wachsen begriffen war. Seit der Jahrtausendwende sind die Mittel dafür stark zusammengeschrumpft bzw. zentralisiert (Biennale Salzburg, Tiroler Festspiele Erl usw.).
Das Projekt Neue Musik und seine Probleme sind inzwischen über 100 Jahre alt. Man hat oft von experimenteller Musik gesprochen; aber ist ein Experiment, das seit hundert Jahren nicht wirklich funktioniert, als gescheitert zu betrachten?
Nein, denn die Herausforderung an jede Generation, Neues zu schaffen, ist größer als der Wechsel von Scheitern und Gelingen. Es bedarf nur einer Neuordnung der Parameter dieses Experiments. Diese habe ich aus meiner Sicht am Anfang meiner Besprechung postuliert.
Abschließend
Ich möchte noch anführen, dass die Themen und Fragen der anderen Gespräche in die Besprechungen der erwähnten Gespräche miteingeflossen sind. Tenor meiner Betrachtungen bleibt: Eigeninitiative setzen, nicht nur an Musik denken, Genregrenzen überschreiten, Bedarf schaffen und nicht nur an Musik denken beim Komponieren.
Michael Mautner
Gespräche:
„Dieser Zustand eines Bettlerdaseins ist äußerst unwürdig“ – GERHARD WIMBERGER und STEFAN DAVID HUMMEL im mica-Interview
Gibt es eine Musikszene in Salzburg? – Sabina Hank und Wolfgang Niessner
„Ich glaube, das europäische Denken ist ganz wesentlich“ – KLAUS AGER und JAKOB GRUCHMANN im mica-Interview
Milieu und Vielfalt – HERMANN PESECKAS und STEPHAN MARIA KARL im mica-Interview
Sahne oder Joghurt: Anmerkungen von Annelie Gahl