EHRFEM 23/24 – Festival der Frauen in der Musik

In dieser Saison richtet der EHRBAR SAAL in Wien einen besonderen Fokus auf der Veranstaltungsreihe „EHRFEM 23/24 – Festival der Frauen in der Musik“, die den Frauen in der Musik eine Plattform bietet und ihnen die verdiente Aufmerksamkeit schenken soll.

DIE ERSTE FRAU,die ihren Status als Komponistin öffentlich machte, indem sie ihre Werke drucken ließ, war Maddalena Casulana. Sie gilt als eine Komponistin der Spätrenaissance und wurde im Jahr 1544 in der Provinz Siena geboren. Ihr erstes Madrigalbuch, das „Primo libro de madrigali a cinque voci“, Venedig, Gardano, 1583, bedeutete einen der herausragendsten Funde der Musikwissenschaft. Doch galt es als unvollständig, da das Alto-Stimmbuch, welches sich in einer polnischen Bibliothek befand, verloren gegangen war. Im Oktober 2021 jedoch fand Laurie Stras dieses fehlende Stimmbuch in der russischen Staatsbibliothek in Moskau. Seit April 2023 ist es inklusive Übersetzungen von Texten und Lyrik vollständig verfügbar. Ihr Ziel sei, der Welt den eingebildeten Irrtum der Menschen aufzuzeigen, dass nur Männer in der Lage seien, große geistige Werke zu vollbringen – das schrieb Casulana in ihrer Widmung zum veröffentlichten Band von 1568.

Was ist die bessere Waffe?

Eine Zeitgenossin Maddalena Casulanas war Barbara Strozzi. Strozzi stellte einmal an die Mitglieder der Accademia degli Unisono, die alle Herren waren und aus der intellektuellen Oberschicht der Lagunenstadt Venedig stammten, die Frage, welche Mittel die besseren Waffen der Liebe seien. Als Antwortmöglichkeiten schlug sie die Natur, die Tränen, oder die Kunst – wie etwa die Musik – vor. Es war ein drückender Abend im Venedig des 17. Jahrhunderts, als die Mitglieder besagter Accademia sich in Gondeln zum Haus des Librettisten Giulio Strozzi rudern ließen. Sie waren gespannt, denn Barbara Strozzi, seine Frau, um derentwillen die Akademie überhaupt erst gegründet wurde, sollte an jenem Abend die Antwort auf diese Frage geben.

„Was ist nun die beste Waffe der Liebe?“, fragte sie nochmals, als sie selbstbewusst vor die Gesellschaft trat. Sie könne nicht am Entschluss ihrer Gäste zweifeln, sprach sie zu den Herren Accademici, denn diese hätten, vermutlich ohne es zu wissen, zugunsten des Gesangs entschieden. Sie selbst wisse mit Sicherheit, dass sie nicht die Ehre der Anwesenheit ihres Publikums genießen könne, wenn sie dazu eingeladen hätte, ihr beim Weinen zuzusehen anstatt sie singen zu hören. Kurz darauf hob ein, bis dahin unbemerkt gebliebener, junger Musiker an auf seiner Theorbe zu spielen, und nach einigen Takten floss Strozzis Stimme in den Saal, woraufhin alle wussten, weshalb sie gekommen waren.

Über die Jahrhunderte fliegen

Mit der Musik weiblicher Komponistinnen lässt es sich auf diese Weise leicht über die Jahrhunderte fliegen, denn sehr viele sind leider nicht verzeichnet, die Recherche ist schwierig. Im Ehrbar Saal aber werden in den nächsten Monaten auch viele zeitgenössische Kompositionen aus weiblicher Hand zu hören sein. Allen voran Werke von Johanna Doderer, die, 1969 in Dornbirn geboren, in ihre Kompositionen gerne Elemente der Freude einarbeitet. Ihre Musik darf an vergangene Epochen anknüpfen, denn „Es ist die Zeit selbst“, so Johanna Doderer, „die Dinge wieder neu werden lässt“. Sie wolle die Düsterkeit aller neuen Musik seit 1945 verlassen und aus ihren eigenen inneren Räumen heraus eine Musik komponieren, die es im Idealfall schafft, einen Konzertsaal durch Klänge zum Strahlen zu bringen.

In Johanna Doderers Oper „Schuberts Reise nach Atzenbrugg“ treffen viele Komponenten aufeinander, die auch zusammengehören: Die Dichtung eines Schriftstellers, nämlich Peter Turrinis, der sich für das Libretto verantwortlich zeichnet, die Musik eines Franz Schubert, sein Leben und Lieben und die zeitgenössische Komposition von Johanna Doderer.
Franz Schubert ist auch im Ehrbar Saal ein oft wiederkehrender Programmpunkt, im Speziellen – nomen est omen – bei der Schubertiade Wieden, die ihr Eröffnungskonzert im Herbst mit „Josefa“ betitelt. Hier ist Schuberts Schwester gemeint, die ihren Bruder in der Wiener Kettenbrückengasse, die letzten Tage bis zu seinem Tod, gepflegt hat.
Von Johanna Dodererwird an diesem Abend zum ersten Mal in dieser Saison eine Komposition zu hören sein, aber keines Falls zum letzten Mal. So freuen wir uns, einen ihrer Walzer auch bei unserem Neujahrskonzert hören zu dürfen.

Wann stimmen Realität und Vorstellung überein?

In den Werken der ukrainischen Komponistin Anna Korsun, 1986 in Donezk geboren, ist es möglich, in tiefe Ozeane zu tauchen, dabei immer langsamer zu werden, so langsam, dass es kaum mehr erträglich ist und dass jede Form gänzlich sich aufzulösen droht. Nur in Tagträumen und in der Kunst ist es möglich, Realität und Vorstellung eins werden zu lassen.

Anna Korsun beschäftigt sich mit Gegensätzen, deren Koexistenz und Aufeinandertreffen vom gegenseitigen Verdrängen bis zum gegenseitigen Durchdringen, von einer reziproken Beeinflussung, einem klanglichen Kontrast der Vokale und Konsonanten, von Harmonie bis zu Konflikt reichen. Seit der Krieg wütet, tragen ihre Werke diese traumatischen Ereignisse gleichsam in sich. Manche Töne setzen sich durch die furchtbaren Ereignisse von selbst in einen anderen Kontext. In „Song of a Fish“ wirken die Laute eher wie ein Schlucken und Aufschreien, im Hören fühlt man die Bewegungen von Kehle und Kiemen, das Ringen um Sauerstoff.

Uns ist bewusst, hier besteht die Gefahr einer ideologischen Harmonisierung des Widerspruchs von Musik und Politik, nämlich, dass Ideen, oder Ereignisse zusammengedacht und zusammengefügt werden, die durchaus nicht zwingend zusammengehören. Zeitgeschehen, Kontext und Werk hängen nicht automatisch aneinander wie Perlen an einer Kette.

Die jüngste Komponistin

Die jüngste Komponistin des Herbst-Programms ist Alma Deutscher.Sie wird im Dezember bei ihrem C. Bechstein Klavierabend eigens für den Abend neu komponierte Stücke vortragen. Worum es sich genau handelt, bleibt bis zum Abend des Recitals geheim. Selbst Alma Deutscher weiß es noch nicht, da die Werke erst erschaffen werden. Sie schweben vielleicht schon über Wien, werden bald realisiert und hoffentlich im Dezember im Ehrbar Saal manifestiert.

Vision und Inspiration

Wisse die Wege, wisse die Berge, wisse die Bäume, wisse den Schnee, wisse das Licht. Libia scivias. Wisse die Wege, gilt als heimlicher illuminierter Hildegard von Bingen-Kodex. Womit jetzt wieder weit zurückgereist wird.

In Libia scivias beschreibt sie, im Jahr 1151, 26 selbst erlebte Visionen. Diesen Visionen entspringen auch ihre 77 Gesänge, von denen sie sagte, dass sie Versuche seien, das Unsagbare auszudrücken. Sie habe den Gesang der Engel gehört und versucht, jenen in Noten zu verwandeln. Wenn Alma Deutscher vom Akt des Komponierens spricht, dann klingt das, so viele Jahrhunderte später, auch nach einer Mischung aus Inspiration und Vision und so ist es vielleicht auch manchmal zu verstehen, wenn Musikerinnen von ihrer Beziehung zu ihrem Instrument sprechen, von dieser Interaktion und auch davon, wenn sich das Zusammenwirken auf der Bühne mit noch einer Kraft zu verbinden scheint und dann plötzlich diese Energie entsteht, die auf das Publikum überschwappt wie eine warme, sanfte Welle und alle ergreift, sie erschüttert. Erschüttert geht man dann nach Hause, von Musik und geheimnisvollen Kräften durchgerüttelt, wie aufgestöbert, erfüllt und inspiriert.

Was aber hat es nun mit dem Neujahrskonzert weiblicher Komponistinnen auf sich?

Beim Neujahrskonzert im Ehrbar Saal, das am 1. Jänner 2024, um 17 Uhr stattfindet, werden Kompositionen weiblicher Komponistinnen zu hören sein. Gemeinsam mit Ursula Erhart Schwertmannerarbeitet Irene Suchyein Musik-Programm, das all die Polkas, Märsche und Polonaisen zur Aufführung bringt, nämlich von Josephine Weinlich, Charlotte Wiener, Lena Stein-Schneider, Hilda Löwe, Leopoldine Blahetkaund neueste Tanzweisen von Viola Falb, Sofia Gubaidulina, Johanna Dodererund Melissa Coleman.

Zu wenig Rezeption?

Wenn man im Internet nach Viola Falb oder Melissa Coleman sucht, dann findet man ihre Werke, ihren persönlichen Auftritt im Netz und Ton- oder Videoaufnahmen.
Was man kaum findet, sind Rezensionen, Schriften über ihre Kompositionen, Besprechungen ihrer CDs oder Konzerte. Keine Interviews, keine Zitate. Wäre es nicht die Aufgabe der Musikwissenschaftler:innen und Musikjournalist:innen, aber auch der Institutionen, der Medien, die neu entstehenden Werke zu besprechen, damit sie eingeordnet, verstanden, kontextualisiert, erinnert, aufgerufen, in Beziehung zu anderen gesetzt werden können?

Mit jeder Frau wird die Geschichte reicher

Frauen haben große Werke komponiert und sie tun es immer noch und immer mehr. Sie komponieren und sie dirigieren. Es liegt an der Gesellschaft, ihr Werk, Können und Schaffen sichtbar zu machen. Das passiert durch die Schaffung von Möglichkeiten auf große Bühnen zu treten und sich zeigen zu können. Es liegt an den Förderinstitutionen, an den Veranstalter:innen, an Dramaturgie und Regie und an den Zuhörer:innen, wie sichtbar Künstlerinnen und Komponistinnen gemacht werden. Es liegt an der Gesellschaft, die Geschichte neu zu schreiben, zurück und nach vorne. Sie wird schöner, tiefer und reicher, mit jeder Frau, die in die Sichtbarkeit rückt.

Die Frage nach ihrer eigenen musikalischen Sprache beantworten Musikerinnen und Komponistinnen meist sehr unterschiedlich. Fast ist es so, als spräche die Musik unendlich viele Sprachen und als seien sie zugleich vielen verständlich. Es ist eben nicht so wie beim Turmbau zu Babel, dass alles am Ende ein schiefes Gebilde ergibt, sondern vielmehr so, als würden sich die musikalischen Sprechweisen zu einem Teppich verweben, der an manchen Stellen dichter, an manchen leichter, an manchen verwobener, an manchen durchlässiger ist. Dort steht er in einer Tradition, da löst er sich von einer anderen und dennoch wiederholen sich Rhythmen, Melodien, Tonalität und Atonalität, sodass insgesamt ein irres Gewebe entsteht, das hoffentlich nie zu

Ende geknüpft sein wird.

Warum also EHRFEM? Falls diese Frage noch im Raum steht, dann sei es nochmals an dieser Stelle festgeschrieben: Es ist so und es ist traurig. Komponistinnen und Musikerinnen wurden in der großen Geschichtsschreibung der Musik kaum beachtet und nicht „mitgeschrieben“.

Höhepunkte mit Musik von und mit Frauen im Ehrbar Saal sind u.a.:

  • Die großen C. Bechstein Klavierabende, die in dieser Saison von herausragenden Pianistinnen bestritten werden, und zwar von Irma Gigani (28.9.), Lilya Zilberstein (9.11.) und Alma Deutscher (14.12.)
  • Die Schubertiade Wieden, bei der Werke von Johanna Doderer (17.10.) und ein Alma-Mahler-Schwerpunkt (30.11.) präsentiert werden.
  • Ein spannendes Symposion zum Thema Regietheater in der Oper mit der renommierten Mezzosopranistin Waltraud Meier (23. & 24.11.).
  • Ein Konzert, in dem die Saxophonistin Michaela Reingruber gemeinsam mit der Pianistin Baiba Osina die Frage „Ist das Saxophon weiblich?“ erkundet (1.12.).
  • Das Concerto delle donne – die Musikerinnen von Cantando Admont mit Werken von Maddalena Casulana, Mirela Iviĉevic u.a. (2.12.)
  • Ein Neujahrskonzert, das ausschließlich weibliche Komponistinnen präsentiert, basierend auf einem Konzept von Irene Suchy (1.1.)

EHRBARE NÄCHTE – Ein Fest der Künste

Ein weiteres herausragendes Ereignis im Herbst ist „EHRBARE NÄCHTE – Ein Fest der Künste“, das am 14. & 15. Oktober stattfindet. An diesen Tagen werden sämtliche Räume und Säle des Palais Ehrbar zu einer beeindruckenden Bühne für Musik, Literatur, Kabarett, Theater, Performance, Oper, Pop, Jazz, Film und Installation. Das bunte und vielfältige Spektakel beginnt um 10 Uhr (mit open end!) und verspricht sowohl kulturelle Vielfalt als auch kulinarische Genüsse in der brandneuen Ehr-Bar.

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Link:
Ehrbar Saal