donaufestival – Beyond human

An zwei verlängerten Wochenenden im Spätfrühling (28.04. – 30.04. sowie 05.-07.05.2023) versetzt das donaufestival die kleine Stadt Krems an der Donau erneut in einen Ausnahmezustand. Rund 20 Veranstaltungen pro Tag präsentieren unter dem Titel „Beyond human“ abenteuerliche Ästhetiken und Vibrationen zwischen Musik, Performance, Bildender Kunst, Film und Diskurs. 

Sound, Art, Performance, Diskurs. Schauplätze des Musik- und Performancefestivals, das rund 20 Programmpunkte pro Tag präsentiert, sind der Klangraum Krems Minoritenkirche, mehrere Hallen am Messegelände, das Kino im Kesselhaus, Forum Frohner und die Kunsthalle Krems. Folgt man dem Vorschlag des Theoretikers Frédéric Neyrat (am 6.5. zur Video-Lecture mit anschließendem Q&A online), dann befinden wir uns nicht mehr im Anthropozän, sondern im Alienozän. Das von Neyrat betriebene Journal Alienocene zelebriert die Unvertrautheit mit der Umgebung. Es widmet sich den Begegnungen des Humanen mit dem Inhumanen und sympathisiert mit Aliens aus dem All und Exilant*innen auf unserem Planeten. Wir leben in einer Welt, in der Organisches und Synthetisches zusammenwachsen, in der von Militärs trainierte Adler Drohnen jagen und Steaks aus dem Labor kommen.

Müssen wir uns radikal neu entwerfen, um eine Zukunft zu haben? Sicher muss nicht nur über die Klimakrise unter kapitalistischen Bedingungen gesprochen werden, sondern auch über jene unheilvollen Parallele zwischen kolonialen und ökologischen Einteilungen der Welt in Höheres und Niedrigeres. Die dadurch vermeintlich legitimierten Ausbeutungsverhältnisse korrespondieren mit dem Gegensatz von schützenswerter Natur (Nationalparks oder Haustiere) und rechteloser Natur (Fracking-Böden oder Schlachtvieh). Vielleicht brauchen wir nicht nur eine dekoloniale Ökologie, sondern eine bislang ungeahnte Vorstellung einer Welt voller Intelligenzen, die nicht nur in menschlichen Gehirnen und digitalen Maschinen, sondern auch in „denkenden Wäldern“ oder im „Internet der Tiere“ hausen. Lesen Sie hier das Vorwort von Thomas Edlinger.

Beyond human

Manche künstlerischen Intelligenzen machen beim donaufestival 2023 Vorschläge dazu. Der Gitarrist Daniel Bachman verschmilzt in seinem aktuellen, am Festival als Film präsentierten Album „Almanac Behind“ Folk-Improvisationen mit Field Recordings von Winterstürmen und Buschbränden, unterbrochen von Aufnahmen einer lokalen Wetterradiostation. Kim Noble schlüpft in seiner komischen Outsider-Performance in eine Vaterrolle für eine Made. Eglė Budvytytė Videoinstallation Songs from the Compost handelt von mutierten Körperbildern in Wald- und Dünenlandschaften. Das Kollektiv DISNOVATION.ORG entwirft ein hybrides „Bestiarium des Anthropozäns“ und entwickelt Werkzeuge für eine Gesellschaft, die sich vom Fetisch des Wachstums verabschiedet hat. Der Künstler Oliver Ressler beschäftigt sich einer Videoinstallation mit dem Sound schmelzender Gletscher in der Arktis. Die Religionsstifter*innen des Toxic Temple feiern Plastik verdauende Bakterien und beten den nuklearen Müll an. In ihrer das Festival infiltrierenden Mission klingt zugleich an, dass die Spekulation über Transhumanismus und das Ende der Menschheit die Frage nach konkreten Formen des Unmenschlichen im Hier und Jetzt nicht ersetzen darf. Die musikalisch treibenden Performance Aphasia von Jelena Jureša fragt: Warum tritt ein beliebter serbischer DJ im Krieg auf den Kopf einer muslimischen Frau? Wovon erzählt der volle Körpereinsatz des Performers Harald Beharie in seinem mit dröhnendem Prog-Rock untermalten Stück Batty Bwoy? Und müssen Menschen, wie veranschaulicht in workpiece von Anna-Marija Adomaityte, heute in Lagerhallen nach dem Vorbild von Robotern arbeiten?

Wer dazu nein sagt, kann dazu auch den Körper mobilisieren. Musikalisch setzt der Name des technospirituellen Duos Animistic Beliefs ein Zeichen: Musik als Magie, befreit von dem Zwang, vernünftig zu sein, gemacht von fühlenden Maschinen. Neue Alben werden von der Sängerin und Rapperin Debby Friday, dem gewitzten Provokateur Zebra Katz oder James Holden präsentiert, der sein aktuelles Schaffen als Rave Music für eine Paralleluniversum versteht. Die momentan vielleicht aufregendste Live-HipHop-Band des Planeten Petronn Sphene sorgt für Mutantendisco-Berserkertum, die Lärmspezialistin Puce Mary hat nun auch dämonische Balladen im Gepäck, Hüma Utku verschmilzt orientalische Einflüsse mit zeitgemäßer Elektronik. Stimmliche Extravaganzen finden sich in den zerklüfteten „Überlebenshymnen“ von Lingua Ignota, den raffinierten Bearbeitungen von Arbeiter*innenliedern von Silvia Tarozzi and Deborah Walker oder in der Musik von Phew, Marina Herlop oder Félicia Atkinson und der gefeierten Grammy-Award-Gewinnerin Arooj Aftab (gemeinsam mit Vijay Iyer & Shahzad Ismaily). Intensive Begegnungen von Sound und Visuals offenbaren sich in den Live-Versionen des Post-Industrial-Sounds der Formation Klara Lewis & Nik Colk Void + Pedro Maia, im vom donaufestival coproduzierte Auftragswerk von Slikback x Weirdcore, in der avancierte Psychedelik von Heith live AV ft. DECLINO, in der den sensorischen Exzess ansteuernden Digitalästhetik von Amnesia Scanner & Freeka Tet sowie in der Bühnenumsetzungen der Elektronik-Komponistin Maya Shenfeld & Pedro Maia.

2023 werden auch einige Bands Krems besuchen: Noiserock-Kaliber wie Godflesh oder BIG|BRAVE genauso wie Neuentdeckungen wie die die auf Percussion fokussierte, furiose Live-Band Nihiloxica aus dem Umfeld des Nyege Nyege Kollektivs. Dazu gesellen sich afrofuturistischer Voodoo-Zauber von Nwando Ebizie, und natürlich auch verschärfter Clubsound, etwa von DJ Lag, Omar Souleyman oder RP BOO. Und last but not least werden am donaufestival 2023 auch mehrere österreichische Acts vertreten sein: Radian präsentiert die Weltpremiere ihres neuen, im Herbst erscheinenden Albums, Lukas König stellt ein internationales, raplastiges Projekt vor, Rojin Sharafi & Épong präsentieren eine vom donaufestival coproduzierte audiovisuelle Performance (World Premiere), Geier aus Stahl (Band) führen klapprig-düstere Maschinenmusik auf.

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