Musik, Performance, Kunst, Film und Diskurs. Das donaufestival, das seit 2017 unter der künstlerischen Leitung von Thomas Edlinger steht, präsentiert abenteuerliche Ästhetiken und Vibrationen aktueller Gegenwartskunst. In diesem Jahr finden rund 55 Programmpunkte an zwei Wochenenden (19.–21.04. sowie 26.–28.04.2024) an unterschiedlichen Orten in Krems statt.
Community of Aliens
Nur Fremde verstehen die Welt, heißt es. Wie können die Fremden aussehen, die uns verstehen? Vielleicht so wie jenes erratische Wesen im Zentrum der Performance VOID von Joshua Serafin, das von philippinischen Gottheiten inspiriert ist? Oder wie jene „alien collectives“, die Sylvia Eckermannund Gerald Nestlerin einem Mixed-Reality-Projekt im Zeichen der kosmologischen Vielfalt zur Geltung verhelfen wollen?
Im Zentrum des Festivals 2024 steht eine „unmögliche“ Frage: Wie soll sich eine Gemeinschaft herstellen, die die Erfahrung von Fremdheit und (Selbst-)Entfremdung sowie den gestörten Stoffwechsel mit der Natur zur Grundlage hat? Wo finden sich künstlerische Transformationspotenziale, die einen produktiven Umgang mit tyrannischen Formen des „Othering“ wie Rassismus und Sexismus ermöglichen?
Das donaufestival 2024 sucht nach Figuren des Übergangs, die zwischen toxischen Vergangenheiten und ungeahnten Zukünften vermitteln könnten. Solche finden sich möglicherweise in der futuristischen Folk Music des exiliranisch-chilenischen Trios HUUUM,in der neuen warholesken Arbeit I Want To Be A Machine der Sängerin Jenny Hval, in den afrofuturistischen Telepathie-Spekulationen von Dopplereffektoder in den campen, mit Bühnen-Schweißarbeiten beschäftigten Cowboys in der Performance Impact Driver von Eve Stainton(Live-Musik: Leisha Thomasund Mica Levi). Erfreulich fremd im eigenen Kopf, im eigenen Körper wird man vielleicht inmitten des Abrissbirnen-Gedöns von Evian Christ, angesichts des energetischen Rap von Aunty Rayzor, des Techno-Animismus von Meuko! Meuko!,vor dem ungebärdigen Noise der neuen heimischen Supergroup EAERESoder in der puristischen Dunkelheit einer Autechre-Beschallung. Auch die Alien-Musik des Gospel-, Soul- und R’n’B -Zerstäubers Dawunaoder des Black Techno-Acts Speaker Music (DeForrest Brown, Jr.), die radikal queeren Bildfindungen von Johanna Bruckneroder die Parallelisierung von Roboteraufständen und historischen Riots in Südlondon 1981 in einem Video von Kibwe Tavaresmachen diesbezügliche Vorschläge.
Community of Aliens sucht nach einer „Gemeinschaft der Ungewählten“ (Sabine Hark), nach planetarischen Allianzen, die der Renaissance von imperialer Gewalt und den neuen politischen Unversöhnlichkeiten etwas entgegensetzen können. Dabei geht es auch um das, was solche zukunftsorientierten Verbindungen verhindern will: In der Kunsthalle Krems bearbeitet Candice Breitzin der Videoinstallation Whiteface auf satirische Weise die Behauptung eines Rassismus gegen Weiße, in dem sie wie eine Bauchrednerpuppe die Diskurse über „Weißsein“ Revue passieren lässt. Die wie tot wirkenden Augen der Künstlerin platzieren die Fiktionen, die die weiße Vorherrschaft legitimieren und aufrechterhalten, mitten im Horrorgenre. Christian GuerematchisGeisterfigur namens Blaq Tito erinnert hingegen an die Politik der blockfreien Staaten. Seine Videoinstallation wirkt wie ein Echo der Beziehung zwischen Ex-Jugoslawien und Ghana und illustriert das, was Frédéric Neyrat den „Communism of the Strange“ genannt hat. Julian Hetzel & Ntando Celespekulieren über eine Absurdität namens „flüssige Empathie“ in Form eines aus Tränen gewonnenen Drinks. Eglė Budvytytė & Marija Olšauskaitėzeigen alienhafte Körper, die „ihre Angst kompostieren“. Die Medienguerilla Total Refusalschmuggelt ihre Botschaft über den faschistoiden Sturm auf das Kapitol in ein Videospiel, während ein furios-brachiales Hip-Hop-Trio wie Clipping.die Brutalisierung der Verhältnisse mit ihren eigenen Mittel schlägt.
Schon am Eröffnungstag des donaufestivals 2024, der mit The Jesus And Mary Chainauch süßesten Feedbacklärm nach Krems bringen wird, versuchen die syrisch-ukrainische Bildkünstlerin Diana Azzuzund die iranische Künstlerin Nazanin Noorimit der harschen AV-Arbeit Rybachka, die schleichende Gewöhnung an Kriege und an eine mehr und mehr zur Normalität werdende Politik der Gewalt aufzubrechen. Der in Berlin lebende Musiker Andrey Guryanovwidmet sich am zweiten Wochenende einer Dekonstruktion sowjetischer und russischer Nationalhymnen, die sich unter anderem aus den Geräuschen der Explosionen in der überfallenen Ukraine speist. Galya Bisengalievaverarbeitet auf ihrem neuen Album Polygon den gespenstischen Nachhall hunderter Atombombenversuche in einem bis heute verseuchten Gelände in ihrer Heimat Kasachstan, während Mayssa Jalladin ihren berückenden Songs an die Geschichte Beiruts erinnert und das Solistenensemble Kaleidoskop & Anikasich in eine intime Neuvertonung des legendären Nico-Albums Desertshore vertieft.
Jemanden finden an der Küste einer Wüste: Nicht zuletzt ermutigt die Frage nach der Community of Aliens dazu, das Nein zu Ausgrenzung und Abwertung anderer mit dem Anders-Sein der anderen in Verbindung treten zu lassen. Am Festival. Vor den Bühnen, beim Tanzen, im Gespräch. Bertolt Brecht, der Erfinder des antiillusionistischen Verfremdungseffekts im Theater, dichtete einmal: „Denn alle Kreatur braucht Hilf von allen.“
(Thomas Edlinger)
donaufestival 2024
Wochenende 1
Sound
19. April
Mariana Berezovska presents Rybachka with Diana Azzuz (Video) & Nazanin Noori (Live) / Maria Chavez, Mariam Rezaei, Victoria Shen / EAERES / The Jesus And Mary Chain / Deena Abdelwahed (AV Live) / Meuko! Meuko!
20. April
Grand River / Dawuna / Jenny Hval – I Want To Be A Machine / Gazelle Twin / Clipping. / Föllakzoid / Aunty Rayzor
21. April
The Necks / Mayssa Jallad / Solistenensemble Kaleidoskop & Anika present Nico: Desertshore
Performance
- Sylvia Eckermann und Gerald Nestler: Like a Ray in Search of its Mirror (Performance: 19.04.; Installation: 20.04. und 21.04.)
- Eve Stainton: Impact Driver (19.-21.04.)
- Eglė Budvytytė und Marija Olšauskaitė: Song Sing Soil (19.-21.04.)
- Jefta van Dinther: Unearth (20.+21.04.)
Theory & Talk
- Stefan Moos: East of Representation, Lecture (DE) (20.04.)
- Candice Breitz: Some of My Best Friends are White, Lecture (EN) (21.04.)
Film
- Se ti sabir, R: James Bridle / The Exiles, R: Kent Mackenzie (20.04.)
- Anhell69, R: Theo Montoya (21.04.)
Wochenende 2
Sound
26. April
Speaker Music (DeForrest Brown, Jr.) / Kenji Araki / SØS Gunver Ryberg & Sybil Montet present Weaving Fields (AV Live) / NAH / Ben Frost Scope Neglect ft. Greg Kubacki & Tarik Barri / 33EMYBW & Joey Holder (AV Live) / Evian Christ
27. April
Andrey Guryanov / Galya Bisengalieva / Maya Shenfeld + Pedro Maia / ZULI & Omar El Sadek / Autechre / Kabeaushé / PÖ
28. April
Joe Rainey / HUUUM / Dopplereffekt
Performance
- Sylvia Eckermann und Gerald Nestler: Like a Ray in Search of its Mirror (Installation: 26.04. bis 28.04.)
- Studio Julian Hetzel und Ntando Cele: SPAfrica (26.04. bis 28.04.)
- Joshua Serafin: VOID (26.04. bis 28.04.)
- Total Refusal: Sons and True Sons (27.04. und 28.04.)
Theory & Talk
- DeForrest Brown, Jr.: Spaceship Earth 2.0, Lecture (EN) (27.04.)
Film
- SPK Komplex, R: Gerd Kroske (28.04.)
Wochenende 1 und Wochenende 2
Permanente Kunstprojekte und Installationen
- Candice Breitz: Whiteface (2022)
- Jonáš Gruska: Zvon [Glocke] (2024)
- Christian Guerematchi: CRNI TITO (Blaq Tito Addressing the Parliament of Ghosts) (2023)
- Theaster Gates: The Flood (2023)
- Johanna Bruckner: Body Obfuscations (2023)
- Yein Lee: The Rate of Regenerating in Decay Process (2022)
- Kibwe Tavares: Robots Of Brixton (2011)
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