Diskutieren statt verbieten: The more, the better.

Die Frage nach Sexismus in der Musik und den Konsequenzen daraus, vom Subventionsentzug bis zum Auftritts- und Sendeverbot ist eine Facette von vielen in dem breiten Feld von Kunstkonflikten. Nun ist zwar das Recht der Kunstfreiheit in der Verfassung garantiert, es kommt aber laufend zu gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen darüber, was innerhalb einer Gesellschaft toleriert wird (rechtlicher Rahmen), in welchem Ausmaß (von der Duldung bis zur Förderung) und wie die jeweiligen Werke überhaupt im Kunstfeld zu positionieren sind (Kunst oder nicht?). Aktuell ist die Debatte um die Grenzen frauenfeindlicher und homophober Inhalte neu aufgeflammt, diesmal im Kontext von Musik und der Frage nach der öffentlichen Unterstützung derartiger Bands, sei es auch nur dadurch, dass sie in subventionierten Locations auftreten. Von Elisabeth Mayerhofer.

Machtpositionen oder Wer will wem was verbieten?

Wenn davon ausgegangen wird, dass Förderungen – sei es durch direkte Geldvergabe, sei es indirekt, indem Konzerträume subventioniert werden – eine bestimmte repräsentative, bildende oder identitätsstiftende Intention verfolgen, so eröffnet sich im Fall einer Absage schnell das verminte Feld von politischer Zensur, wie es denn anlässlich der Kontroverse um den Auftritt der „Hinichen“ in der Wiener Szene auch in einer Vielzahl von Foren diskutiert wurde. Der Kulturwissenschafter Tasos Zembylas schreibt dazu:

„Im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind die Interventionsformen des Staates immer subtiler geworden. Das wirksamste Druckmittel der Politik heißt: Geld. Es ist nicht ganz falsch (aber auch nicht vollständig wahr), wenn wir behaupten, dass das das öffentliche oder private Sponsoring heute (zumindest potentiell) die Funktion der sozial-politischen Kontrolle der Kunst übernommen hat.“ (Zembylas 2000: 42)

Nachdem sich die Kunstförderung in Österreich zu einem offenen Kunstbegriff und kultureller Vielfalt bekennt, wird Subventionsstreichung schnell als aggressiver Akt der staatlichen Intervention empfunden. Deshalb ist im Interesse von kultureller Vielfalt der Schutz von Minderheitenpositionen zu unterstützen. Und dies führt wiederum direkt zur Frage nach ebendiesen Mehr- und Minderheiten: Denn, aus  jeweils welcher Position heraus wird gesprochen, wird eine Gruppe angegriffen und im schlimmsten Fall herabgewürdigt? Gegen wen richten sich Akte der „Zensur“ und von welcher Machtposition gehen sie aus? Und warum stehen eigentlich fast immer Frauen und Schwule/LBT im Fokus der Abwertung?

Doch zurück zur Musik und ihren vielen Funktionen in und für eine Gesellschaft. In diesem Zusammenhang wichtig ist ihre Rolle bei der Konstruktion kollektiver Identitäten, besonders in Gesellschaften wie der unsrigen, die sich immer stärker entlang von Lebensstilen strukturieren. Fandom und kollektives Erleben auf Konzerten schafft eine Gruppenindentität, die permanent im Austausch mit den anderen erneuert und wieder hergestellt wird und sich – wie jede andere Identität – auch über Abgrenzungen konstituiert. Identität als performativer Akt wird im Kollektiv wieder und wieder hergestellt. Und auch hier muss auf individueller Ebene ausgelotet werden, wann die persönliche Grenze zwischen z.B. dem Musikgeschmack als einem Bestandteil dieser Indentität und bestimmten Posen und Inhalten nicht mehr stimmig ist, wie ein Eintrag von Anna-Sarah auf dem feministischen Blog Mädchenmannschaft zu Hiphop schön inllustriert:

„So weit, dass ich irgendwann gänzlich aufhörte, bestimmte Musik zu hören und  Genres die mir eigentlich zusagten, gänzlich den Rücken kehrte. Nicht nur wegen sich wandelnden Geschmacks und Authentizitätsbedenken.  Sondern weil es mir einfach keinen Spaß mehr machte, abzufeiern, wenn Frauen* und damit zuweilen auch ich selbst fortwährend unsichtbar gemacht, bitchisiert oder in Sachen Fuckability abgeurteilt wurden, und seien die Beats dazu auch noch so mitreißend.“ (1)

Von Sichtbarkeiten und gegenderten Machtpositionen

Viele Musikstile bedienen sich gerne einer Sprache der Widerständigkeit gegen geltende Normen, wobei vor allem deren Symbolcharakter zählt – ob sich die Bands nun in die Verwertungsketten der Unterhaltungsindustrie einfügen oder nicht, ist zweitrangig, wie die Soziologien Rosa Reitsamer am Beispiel Punk darstellt: Von der subversiven Transgression von Geschlechterstereotypen zur verwertbaren Massentaugichkeit war es ein kleiner Schritt.(2) Reitsamer richtet damit den Blick auf das Wesentliche, indem sie den Bildausschnitt verbreitert, der zu betrachten ist, wenn es um Sexismus in der Musik geht: Es geht dabei um die – größtenteils – männlichen Akteure im Musikfeld und seinen Institutionen: Von der Ausbildung, über den Veranstaltungsbereich, Musikkritik bis hin zur Kanonisierung/Historisierung sind die wesentlichen Positionen mehrheitlich von Männern besetzt, die darüber entscheiden, was gehört und gehypt wird und was nicht. Es geht um Geld und um Macht. Und es geht darum, wie dieser Gestus der Widerständigkeit soweit verwendet werden kann, um den Gewinn zu maximieren.

Denn auch in der Diskussion um Hiphop ist weniger die Frage zu stellen, ob eine bestimmte Musikrichtung an mehr Sexismus „schuld“ ist, sondern vielmehr die Frage danach, warum gerade dieser Spielart von Hiphop derart viel Sichtbarkeit und mediale Aufmerksamkeit gegeben werden – und wer davon profitiert. Natürlich existiert nicht nur Hiphop, der sexistisch und homophob ist, im Gegenteil, eine Musikerin wie Sokee ist hier nur ein Beispiel unter vielen. Es handelt sich also weniger um eine bestimmte Musikrichtung, sondern eher um den gehypten Mainstream zwischen Bushido und Sido, der – wie jede andere im Mainstream (über)präsente Musik – nur ein begrenztes Repertoire an ritualisierten Geschlechterperformances aufweist. Darin unterscheidet sich kommerzieller Hiphop wenig vom ebenso kommerziell orientierten, klassischen Konzertbetrieb.

Die Grenze des politisch Korrekten zu dehnen und damit mediale Aufmerksamkeit zu lukrieren ist wesentlicher Teil des Geschäftsftsmodells. Natürlich könnten auch andere Grenzen gedehnt werden – z.B. die der Heteronormativität, aber in welche Richtung Widerstand gezeigt wird, liegt an den Personen, die die Entscheidungen im Musikbetrieb treffen, den Gatekeepern und ihren Einstellungen und Werthaltungen.

In welchem Ausmaß das popkulturelle Feld nach wie vor männlich bestimmt ist, hat erst kürzlich wieder eine Erhebung des Netzwerkes female:pressure gezeigt: Solange ein Frauenanteil von 10% auf renommierten Festivals als überdurchschnittlich hoch zu werten ist (3), wird sich auch nur wenig bewegen, denn sozial homogene Felder verlieren an innerer Dynamik.

Hate speech und die Frage nach mehr Öffentlichkeit

Einen wesentlichen Unterschied gibt es dennoch: Die (ritualisierte) Verwendung von hate speech, also von offen diskriminierenden Bezeichnungen bestimmter Gruppen – Frauen, Schwule – die aus dem jeweils geltenden Normbegriff herausfallen. Dies geht provokant weit und mitunter allzuweit – bis zu offenen Aufrufen zu Gewalt und Mord. Der Widerstand von LBGT-AktivistInnen hat hier eine breitere Debatte ausgelöst (4), wie sie zuletzt 2012 in Wien anlässlich eines geplanten Auftritts von Sizzla im Wiener Reigen geführt wurde. Die Diskussion um Sizzla hat aber auch gezeigt, dass Vereinbarungen, die im Vorfeld von Konzerten geschlossen werden, gebrochen werden – und somit erst recht wieder die Verkaufsmaschine anfeuern. Der Tabubruch als Generator von Aukmerksamkeit ist einfach ein zu wirksames Instrument, als dass auf ihn verzichtet würde.

Fazit: Reden, reden, reden

Was kann dann aber getan werden? Wie in vielen anderen Bereichen auch, gibt es auch hier keine One-size-fits-all-Lösung, Gesetze, Förderverträge, Selbstverpflichtungen etc. sondern nur anlassbezogene Diskussionen. Diese müssen allerdings geführt werden und können zu Konsequenzen – wie Absagen oder Subventionsstreichungen führen. Automatisierte Verbote würden genau diesen wichtigen Aushandlungsprozess nach einer einmalig zu erwartenden Eskalation beenden und Feindseligkeiten vertiefen – wie es Gesetze, die mit gelebten Praxen nichts zu tun haben, in der Regel tun.

Die Forderung nach solchen Einmallösungen ist aus der Sicht politischer Imagepflege attraktiv, weil somit symbolisches Kapital durch die Profilierung als moralische Instanz lukriert werden kann, ändert langfristig aber nur wenig, sondern behindert viel eher eine andauernde Debatte, die erst jenen politischen Konfliktraum herstellt, den es braucht um über diskriminierende Mechanismen und ihre Verschränkungen und letztlich ihren Konnex zu kapitalistischen Marktstrukturen zu verstehen.

Denn das Problem sind weniger die extremen Spitzen wie die hetzerische Homophobie im jamaikanischen Reggae, sondern der breite Backlash, aus dem sie herauswachsen und innerhalb dessen sie hierzulande rezipiert werden. Ein Mainstream, der von Frauenbildern zwischen „Blurred Lines“ und „Wocki mit deim Popo“ geprägt ist, wirkt sich eben aus. Irgendwann greift der Dauerbeschuss an den ewig gleichen und gestrigen Bildern, Texten, Zuschreibungen und Klischees dann doch. Egal wie läppisch der Kontext ist, egal, wie irrelevant und harmlos Einzelerscheinungen daherkommen mögen – und wie wenig am Einzelfall dann auch „dabei sein mag“ (5).  Es geht um das „bigger picture“, wo sich die Spielräume für Geschlechterperformances wieder einmal auf immer weniger Klischees verengen und Frauen zwischen Hure und Heiliger wenig Raum bleibt. Und dem Rest schlägt zuerst stylische Ablehnung, dann Ausgrenzung und zuletzt Hass entgegen. Die britische Theoretikerin Angela McRobbie macht deutlich, dass der Weg vom postmodernen, ironischen Zitat vermeintlich überkommener Geschlechterrollen schnell zum Bumerang wird:

“(…) a whole bunch of comedians then locked into what was actually a kind of clever and complex new form of misogyny. I also began to recognise that there was a kind of fearfulness on the part of a younger generation of women. They somehow feared male disapproval: it was as though the idea of sexual politics itself had got lost. (6)”

Insofern ist die dauernde Auseinandersetzung, der Konflikt um die Grenzen des Erträglichen der einzige Weg um einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu erzeugen, welche Inhalte möglich sind und welche nicht. Die Mittel dazu sind vielfältig und reichen von der Parodie (wie es sie mittlerweile blitzschnell auf dieversen Plattformen auftauchen) bis hin zur seriösen Diskussion. Eine liberale Gesellschaft braucht Räume, um sich neue Konsensformen zu erarbeiten; Verbote allein bewirken das Gegenteil.

Bequem ist das alles natürlich nicht, aber es geht letztlich um gesellschaftliche Machtstrukturen, die zu ändern noch nie ein Sonntagsspaziergang war.

Literatur
Holzleithner, Elisabeth (2000): An den Grenzen der Kunst: Reaktionen des Rechts. In: Zemblylas, Tasos: Kunst und Politik. Studienverlag. S. 50-65. http://homepage.univie.ac.at/elisabeth.holzleithner/HolzleithnerKunstfreiheit.pdf

Zembylas, Tasos (2000): Kunst und Staat: Zwischen Förderung und Kontrolle. In: Zemblylas, Tasos: Kunst und Politik. Studienverlag. S.34-49

(1) http://maedchenmannschaft.net/lets-dance-ambivalenz-feministisch-musikho…
(2) http://republicart.net/disc/aap/reitsamer02_de.htm
(3) http://femalepressure.wordpress.com/facts/
(4) http://www.migrazine.at/ausgabe/fokus/2012/2
(5) http://diestandard.at/1330390132868/Fernsehauge-Club-2-Ratlosigkeit-was-…
(6) http://www.socialsciencespace.com/2013/06/angela-mcrobbie-on-the-illusio…