"Digital Natives" forever! – Station Rose im mica-Interview

Das legendäre österreichische audiovisuelle Duo gibt mit „NEXT“ gleich zweifach ein kräftiges Lebenszeichen. STATION ROSE gehören seit Ende der 1980er-Jahre zu den Pionieren in Sachen Computerkunst und agieren nach einem knapp 20-jährigen Aufenthalt in Frankfurt am Main nun wieder seit 2011 von Wien aus. Nun erscheinen mit „NEXT“ ein aus sechs Tracks bestehender Onlinerelease und der Katalog „NEXT Digital Quarter Century“, der Arbeiten der letzten Jahre versammelt. Für mica unterhielt sich Didi Neidhart mit GARY DANNER (Musik) und ELISA ROSE (Visuals) über den Umzug nach Wien, „Digital Bohème“, Cyberspace und „Krautstep“.

Sie sind 2011 nach 20 Jahren in Frankfurt wieder nach Wien gezogen. War es schwer, wieder Fuß zu fassen? Welche Veränderungen sind Ihnen aufgefallen? Welche Projekte konnten realisiert werden?

Gary Danner: Musikalisch und audiovisuell waren wir auf großen und auf kleineren Bühnen vertreten, unter anderem Ars Electronica, Kunsthalle Wien, T.A.N.K., Ottensheim Open Air. Auf Christina Nemec‘ Label Comfortzone erschien 2012 die EP „even STRibber“ und wir haben für Ö1 vier Kunstradiosendungen komponiert. Meine Band von 1980, The Vogue, deren Gesamtwerk letztes Jahr auf Trost released wurde, hat offensichtlich 35 Jahre gebraucht, um hier anerkannt zu werden. Da lassen wir uns jetzt etwas Zeit, um wieder Fuß zu fassen.
Unsere letzten großen materialisierten Projekte waren die TV-Serie „Un_Commercials 1–16“ auf ORF III und der gerade aus der Druckerei gelieferte Katalog „NEXT Digital Quarter Century“. Mitte März erscheint der Audiorelease dazu, die EP „NEXT“ mit sechs Tracks.
Der Kontakt zu den seit 1991 entstandenen Szenen ist zwar manchmal schwierig, aber nie so, dass das nicht durch verständliche Revieransprüche oder Ähnliches zu erklären wäre. Die Ästhetik der Stadt und der Szenen hat sich global angepasst und schon dadurch im Vergleich zu den 1980ern verändert.
Sehr wohltuend an der Wiener Szene im Vergleich zur Frankfurter ist der Umstand, dass die Grenzen zwischen analog und digital nicht eisern durchgezogen werden müssen. Bei DJ-Sets kann zum Beispiel Soft Machine auf Pinch folgen. Allerdings habe ich das Gefühl, dass man hier im Umgang mit Neuem immer noch etwas patschert ist. Man ist lieber unter sich und die Tür bleibt zu.

Elisa Rose: 20 Jahre in der Welt und online unterwegs, das ist ein sehr langer Zeitraum. Durch diese „Lebensform abroad“ bekamen wir den „Blick von außen“ auf Wien und Österreich. Im Grunde genommen war das schon seit unserem Aufenthalt und Leben in Kairo 1988/89 so, wobei da noch der orientalische Blickwinkel dazukam. Den Blick von außen bekommt man nicht mehr weg und den will ich auch nicht wegbekommen.
2011 kamen wir uns sehr alienated vor. Auch wenn die Straßen in Wien dieselben waren wie früher, befanden wir uns doch in einer Art Parallelwelt. Das ist inzwischen anders – wir sind angekommen. Nun gehen wir wieder auf Tour. Die Veränderungen, die mir auffallen: Erstens ist das graue Erscheinungsbild der 1980er-Jahre großteils verschwunden, zweitens ist das Stadtbild nun heller, freundlicher, jünger, upgedated, drittens gibt es viele Kunstaktivitäten, auch in unserem vierten Bezirk und viertens ist es aber auch viel gentrifizierter, das heißt, Wien ist aktuell viel zu teuer. Aber STR-Projekte konnten von Anfang 2011 an realisiert werden. Wir haben einen Stützpunkt im MuseumsQuartier und machen dauernd neue Projekte. Insofern hat sich doch nicht so viel geändert in unserem Leben.

Sie hatten ja zuerst eher vor, es etwas gemütlicher anzugehen.

Gary Danner: Na ja, wir mussten unser Frankfurter Tempo schon runterfahren. Manche Vorgangs- und Kommunikationsweisen, die in Frankfurt selbstverständlich sind, gelten hier als inakzeptabel. Und es stimmt schon, man geht es hier langsamer an, was ja nicht immer schlecht ist.

Elisa Rose: Mit dem Tempo eher etwas runterzufahren war tatsächlich die anfängliche Ambition, als wir wieder nach Wien kamen. Wir wollten diese unglaublich vielen Haltestellen unseres künstlerischen audiovisuellen und digitalen Lebens mal gemütlich in Wien verdauen und Revue passieren lassen. Dem war jedoch nicht so. Ich denke, das „gemütliche Angehen“ liegt uns einfach nicht. Wenn wir nicht an einem neuen Projekt dran sind, werden wir zu kribbelig und verlieren den Track, die Spur. Das Gemütliche bleibt bei STR wohl eine romantische Hoffnung.

„Von digital zu analog und back again“

Nach dem Band „20 Digital Years plus 1988–2010“ erscheint mit „NEXT Digital Quarter Century“ ein Katalog mit aktuellen Arbeiten seit 2011. Wie sehr hat sich dabei der Fokus der Arbeit von Station Rose verändert?

Elisa Rose: Zum Katalog selbst möchte ich sagen, dass es befreiend war, mal wieder eine Printpublikation zu machen, die nicht automatisch unsere gesamte Digital-Native-Historie inkludieren musste. Ich habe die Gestaltung ganz allein entwickelt und umgesetzt. Das hat mich irgendwie an unsere frühen CD-ROM-Programmierungen erinnert. Ich habe diesmal gänzlich auf Designerinnen und Designer verzichtet. Dass nun grade Self-Publishing von Künstlerkatalogen angesagt ist, ist dabei ein angenehmer Nebenaspekt. Obwohl ich nicht so in Printproduktionen, sondern eher bei RGB, Screens und Projektionen zu Hause bin, habe ich Blut geleckt. Self-Publishing ist 2015 wirklich spannend. Ich glaube, da wird sich in nächster Zeit viel tun. Das letzte Buch kam beim Verlag für Moderne Kunst raus, das jetzige bei GUNAFA books. Übrigens habe ich weder Photoshop noch InDesign verwendet. Der Fokus der STR-Arbeit hat sich nicht wirklich verändert, er ist nach wie vor digital und audiovisuell. Ein schöner Stopp war dabei unsere TV-Sendung für ORF III letztes Jahr. Was seit einigen Jahren aber immer mehr dazukommt, ist die Rematerialisierung von „digital zu analog und back again“. Alle Medien gehen zusammen, wichtig dabei ist aber der Transfer. Der Wechsel von Daten im Fluss und deren Verfestigung ist wichtig. „PIXEL HOME“ ist dazu ein aktuelles Beispiel.

Sie haben schon in den 1990ern Begriffe wie „Digital Bohème“ geprägt und das auch als Digital Natives in Ihre künstlerische Praxis umgesetzt. Können Sie mit dem Begriff überhaupt noch etwas anfangen?

Gary Danner: Unser Begriff „Digital Bohème“ entstammt dem damals romantischen Umgang mit dem Neuland des Cyberspace. Mir bedeutet der Begriff heute jedoch eher wenig. Ähnlich ergeht es mir bei „Digital Natives“. Dieser Begriff wird heutzutage sehr ungenau verwendet. Aber es gibt ihn ja auch schon seit 1991.

Elisa Rose: Unsere Digital-Bohème-Phase Mitte der 1990er war sehr experimentell. Wir waren zu der Zeit schon fünf Jahre im Netz und haben viele Selbst-Experimente unternommen, was wirklich aufregend war. Das war Jahre bzw. Jahrzehnte, bevor der Begriff „Digital Bohème“ bei der Masse ankam. Ich überlege übrigens gerade, dazu ein STR-Selfies-Buch von 1993 bis jetzt herauszubringen. Mit dem Begriff „Digital Natives“ kann ich jedoch auch heute noch etwas anfangen. Es ist doch eine sehr privilegierte Situation, als Digital Natives eine neue Welt gestaltet zu haben. Vom Punk-Movement über Electronic/Techno zu den Digital Natives sehe ich auch als besondere STR-Route, die zudem auch drei Jugendbewegungen miteinschloss. Gerade jetzt, wo Gender und Frauenquote immer wieder im Raum stehen, habe ich das Glück, als Frau diese Zeiten bis heute aktiv gestaltet zu haben, und das fühlt sich sehr gut an. Also: „Digital Natives forever!“ Das werden wir immer bleiben. Wenn wir schon ins Exil gehen mussten, war das auserwählte „neue Land“ wohl die richtige Wahl. Wir hätten ja auch auf was Falsches setzen können, wie Grunge mit Silicon Graphics.

Der aktuelle Tonträger „NEXT“ erscheint ja „nur“ als Onlinerelease. Ist das eine bewusste Entscheidung oder wieso gibt es davon keinen physikalischen Tonträger?

Gary Danner: Ein Onlinerelease hat den Vorteil, dass er immateriell ist, im wahrsten Sinn des Wortes: Das geht schnell, die Tracks auf dieser EP sind teilweise keine paar Wochen alt. Man verzichtet auf die Fetische des industriellen Zeitalters, wie den Geruch des Vinyls oder das rituelle Zerschneiden der Einschweißfolie der CD, zugunsten der Echtzeit am eigenen Label. Wir sind aber auch nur Menschen, drum wird’s im Sommer/Herbst auch eine Single geben.

Elisa Rose: Der Onlinerelease ist doch Zukunft und Gegenwart, das Köchel-Verzeichnis des 21. Jahrhunderts. Der „NEXT“-Release kommt auf unserem audiovisuellen GUNAFA-Label heraus, auf dem wir seit 1992 Vinyls, CDs, CD-ROMs, Kataloge etc. veröffentlicht haben. Ich habe schon ein schlechtes Gewissen gehabt, dass es die letzten Jahre so vernachlässigt wurde. Wir haben da nur bei anderen Verlagen und Labels veröffentlicht. Nun ist die Pause vorbei und wir bleiben mit GUNAFA dran. Neben der Single wird es die STR-Cairo-Musikaufnahmen, eine Compilation von Die Nervösen Vögel (The-Vogue-Nachfolgeband aus den 1980ern), das Selfie-Buch und noch einiges mehr geben.

„Reizvolle moderne Popmusik“

Sie bezeichnen Ihre Musik auf „NEXT“ mit dem Begriff „Krautstep“. Was ist darunter zu verstehen?

Gary Danner: Den Begriff „Krautstep“ haben wir im Zuge einer Kooperation mit AtomTM bei „Interstellar Overdrive – A Tribute To Syd Barrett“, die 2009 beim japanischen Label Third Ear veröffentlicht wurde, erfunden. Vor allem, um die britische Musikzeitschrift Wire mit unserem Pressetext zu provozieren, was auch prompt geklappt hat, wie man in ihrem Review lesen konnte. Aber der Begriff hat musikhistorisch ja auch Berechtigung. Während sich die englische Bassszene auf Dub als historisches Fundament des Dubstep beruft, sehe ich das bei meiner Bassmusik aus dem Krautrock kommend. Bands wie Neu! und Can haben es vorgedacht: die Betonung der zum minimalen Bass synchronen Kickdrum mit eher perkussiven, stark mit psychedelischen Effekten angereicherten Zugaben der restlichen Instrumente. Und Kraut, nicht nur à la Kraftwerk, war für mich, als ich 1972 anfing, Musik zu machen, reizvolle moderne Popmusik: unverständlich monoton und schwebend zugleich.
Ich hatte in Frankfurt Ende der 1990er eine Phase, in der ich bewusst mit Sounds und Samples arbeitete, die ich auswählte, weil ich sie nicht mochte. Das war interessant, weil man sich beim Komponieren an die Struktur halten musste, und die war oft unbewusst an Kraut angelehnt, damit sie funktionierte. Thank you, Kraut!

Musikalisch gibt es dabei ja einen wilden Mix aus Psychedelic, Acid, Techno, Punk und Minimal. Wie geht das alles zusammen, ohne zu einem gefälligen Mischmasch zu werden?

Gary Danner: Die Gefahr bestand eher darin, zu einem unkontrollierten Mischmasch auszuarten. Die fünf genannten Genres sind einfach meine musikalischen Erfahrungen der letzten 35 Jahre, wobei sich Punk und Psychedelic bei allen sechs Tracks der EP bemerkbar machen. Bei „JWinter“ ist der Einfluss von Punk eindeutig im Vordergrund, das Stück entstand live auf dem iPad mit nur zwei Apps. „The Dark Web“ ist schon opulenter, dabei wurden Mellotron, Bass und zwei Gitarren live eingespielt, da soll Procol Harum durchblitzen.
Ich schaffe im Schnitt circa 30 Minuten Musik im Monat, 60 Prozent davon bleiben Skizze und werden nicht veröffentlicht. Der Rest ergibt automatisch, über die Monate gesehen, einen Stilmix.
Eigentlich fehlt bei Ihrer Genreauflistung Beat als Genre, was für mich eine Grundmatrix darstellt.

„Ein soziales Netz kann nicht neues Sklaventum bedeuten.“

Mit dem von Elisa Rose gesungenen „Dark Web“ gibt es auf „NEXT“ auch ein Statement zur Zukunft des Webs. Wie sehen Sie diese Zukunft konkret?

Gary Danner: Das Web, das sich stark vom Cyberspace entfernt hat, wird das werden, was wir daraus machen. Das Web ist noch kein Keimling, der ein eigenes Bewusstsein hat.

Elisa Rose: Der Titel heißt eigentlich „The Dark Web or Light Forever“. Die Bedrohung durch das postkapitalistische System ist aktuell sehr groß, keine Frage. Feudalismus ist überall! Das heißt, können wir überhaupt noch von Demokratie sprechen? Es ist fürchterlich, dass Facebook und Google fast alles – nicht nur online – besitzen und die User zu Sklavinnen und Sklaven degradiert haben. Von wegen „Social Web“! Das Prekariat in der kreativen Szene ist überall zu spüren. Leider hat Europa alle Macht an die USA abgegeben. Wir waren rechtzeitig da und keiner wollte auf uns hören. Da kommt auch wieder die Gender-Thematik ins Spiel. Uns hat man als Mann-Frau-Team nicht zugehört. In Deutschland brauchte man einen oder, besser, zwei Männer zur Erklärung von Begriffen, und Österreich war zu sehr im eigenen Film verstrickt. Jetzt gibt es dennoch eine zweite Chance, auch für Europa, denke ich. Eine Kulturnation wie Österreich, die im Ausland nur darüber, also über Kultur, wahrgenommen wird, sollte so schnell wie möglich ein Grundeinkommen einführen. Ein soziales Netz kann nicht neues Sklaventum bedeuten. STR trägt nach wie vor audiovisuelle Inhalte bei. Wir sind Künstlerin beziehungsweise Künstler und Musikerin beziehungsweise Musiker – und keine Politikerin beziehungsweise kein Politiker. Wir denken unter anderem gerade daran, wieder mit Webcasting zu starten.

Ist die Begriffsverschiebung von „Cyberspace“ (als per se offener, utopischer Raum) hin zu „Netz“ (als eher durch Überwachung und Kontrolle definierter Raum) nicht auch symptomatisch für eher dystopische Entwicklungen?

Gary Danner: Das Netz ist nur ein Teil von Cyberspace und Teilaspekte von Cyberspace werden im Netz schon auch realisiert. Leider hat „das Netz“ eine Entwicklung genommen, die wir schon Anfang der 1990er-Jahre befürchtet haben.

Elisa Rose: Ich weiß nicht, ob antiutopische Entwicklungen hier der Punkt sind. Es geht ja wohl momentan weniger um Utopien, sondern – und das ist doch positiv – um die Gegenwart. Jetzt sind Veränderungen notwendig. Wenn sich die monetäre Lage für die Menschen nicht umgehend sozialer gestaltet, endet das in einer Katastrophe. Das wäre schrecklich.

Die im Katalog präsentierten Arbeiten drehen sich ja nicht nur um digitale Themen. Es geht auch viel um Stoffe, also Mode, um Natur und Recycling. Wie verträgt sich das mit dem Image als Digital Natives?

Elisa Rose: Mit der Rematerialisierung arbeiten wir schon länger. Die hat bereits mit der „LogInCabin“ im MAK in Wien 2008 seine 3,3-Tonnen-Version erfahren. Das war zu Beginn der Wirtschaftskrise, die wir intensiv in Frankfurt miterlebt haben. Ein desolates System, das durchdreht, ist suboptimal und hat keinen coolen Output. Ich habe am Ende unserer Frankfurt-Phase 2010/11 viele Aufnahmen mit auf der Straße stehenden, zigarettenrauchenden, gepiercten Bankern in Downtown Frankfurt gemacht. Die werde ich demnächst auch noch verwenden.
Die Stoffe sind Fabrics und ein spannendes Gegenstück zum Datenfluss. Quasi ein Innehalten. Das habe ich mir damals als Karl-Lagerfeld-Studentin gewünscht: nicht eine Rolle Stoff mit einem Pattern, sondern einen Meter Stoff mit zig Patterns. Das geht heute. Natur und Recycling sind auch schon lange ein STR-Thema. Ein „reduced lifestyle“, wie im „PIXEL HOME“ getestet, funktioniert. Da war alles mit dabei: Live-Performances mit iPads, mit Holz, PA, Beamern und Sandsäcken. Wir sind mittendrin in den aktuellen Self-Experimenten, im Transfer zwischen digital und analog und lassen die Leute daran teilhaben!

Danke für das Interview.

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