SOUNDS-QUEER-Feminismus bedeutet, Soziales mitzudenken, die Gemeinschaft. Darin sind sich die drei Aktivist*innen des Wiener DIY-Synth-Labor im Interview einig. Bianca Ludewig besuchte das Kollektiv Ende Februar im bislang temporären „Creative Cluster Margareten“, wo es letzten Sommer erstmals einen fixen Raum gefunden hat. Um in das „Creative Cluster“ zu gelangen, muss man anrufen, damit einem die Tür geöffnet wird. Im ersten Stock, gleich neben dem Synth-Lab, hört man Hip-Hop-Sounds. Dort hat TURNTABLISTA, die DJ-Schule für Frauen*, ihren Raum und es wird fleißig geübt. Nach dem Build-your-own-Synth-Workshop von SOUNDS QUEER? kommt die Künstler*in Lisa Kortschak vorbei und lädt zur Finissage im zweiten Stock, wo sie ihre geniale Soundinstallation „Out in the Closet“ zum letzten Mal zeigt. Eine gute Einstimmung auf das Gespräch mit den drei Musiker*innen ZOSIA HOŁUBOWSKA (MALA HERBA), ADELE KNALL (DRITTE HAND, UND DE SCHEENEN HOA, KNALL etc.) und VIOLETA GIL MARTÍNEZ (MATTE/GLOSSY) und einen Abend im „Creative Cluster“.
Zosia, du hast mir vor ein paar Jahren von deiner Idee zu queeren Workshops erzählt – wie hat sich der Plan für Sounds Queer? bisher entwickelt? Wie habt ihr drei euch gefunden?
Zosia Hołubowska: Die Idee von Sounds Queer? begann lange, bevor ich nach Wien kam. Ich habe diese Workshops in Dänemark und auch in Australien gegeben, wo ich vorher gelebt habe, und auch bei einigen Festivals in Polen und in der Ukraine. Die Idee entwickelte sich immer mehr in Richtung Austausch von Wissen und Werkzeugen. Als ich nach Wien zog, konzentrierte ich mich mehr und mehr auf elektronische Musik. Am Anfang gab es nur mich und ein Stipendium [kültür gemma!; Anm.]. Ich träumte schon seit dem Gymnasium davon, einen musikalischen Freiraum zu schaffen, und fünfzehn Jahre später ist es Realität geworden, dass wir tatsächlich ein Zimmer zum Arbeiten haben.
Adele Knall: Ich bin Musikerin, studiere an der Akademie der bildenden Künste und beschäftige mich viel mit Kultur- und Sozialanthropologie. Zosia und ich haben uns an der Akademie kennengelernt, wo wir gemeinsam eine Soundklasse besucht haben. Zosia hat mich dann gefragt, ob wir Sounds Queer? zusammen machen wollen.
Violeta Gil Martínez: Ich bin auch Musiker*in. Und Kulturmanager*in. Ich habe Zosia kennengelernt, weil sie Workshops organisierte und zu dieser Zeit allein war. Ich hatte ihr dann vorgeschlagen, einen Workshop zum Thema „Circuit Bending“ zu geben. Und einige Monate später bat sie mich, Teil des Kollektivs zu werden.
War es schwierig, ein Verein zu werden oder einen Raum zu finden? Wollt ihr etwas zu dem Raum sagen, zu dem Gebäude, in dem wir uns gerade aufhalten?
Zosia Hołubowska: Es war und ist schwierig in der Hinsicht, dass meine Deutschkenntnisse für die Bürokratie nicht ausreichen. Ohne Adele hätten wir es nicht geschafft. Aber ich muss auch erwähnen, dass wir viel Unterstützung haben. Obwohl wir ein sehr junges Projekt sind und auch ein sehr eigenwilliges, ein Nischenprojekt. Wir sind jetzt im „Creative Cluster“, einer alten Schule im 5. Wiener Gemeindebezirk, die sich in dem Experiment befindet, ein Kunstzentrum zu werden, und die über siebzig Künstler*innen, Kunststudios und Kreativfirmen beherbergt. Und unser Raum ist ein DIY-Synth-Labor, so nennen wir es.
Ist das hier eine Zwischennutzung oder ein Raum, den ihr dauerhaft nutzen könnt?
Zosia Hołubowska: Sounds Queer? wird es geben, solange wir leben, aber das „Creative Cluster“ ist leider nur eine Zwischennutzung. Der erste Vertrag ist für drei Jahre, vielleicht mit einer Verlängerungsoption.
Adele Knall: Und das „Creative Cluster“ ist auch ein Verein für sich selbst. Es handelt sich um ein Experiment, die Stadt weiß noch nicht, was sie mit ihrem Eigentum machen will.
„Uns geht es um Ermächtigung, Selbstausdruck und Vielfalt.“
Warum braucht Wien Sounds Queer?
Adele Knall: Uns geht es um Ermächtigung, Selbstausdruck und Vielfalt. Aber was heißt brauchen – obwohl es wichtig ist, steht es am Ende der Kette der menschlichen Bedürfnisse.
Violeta Gil Martínez: Jede Stadt braucht ein Sounds-Queer-Labor!
Adele Knall: Wien braucht es besonders. Ich habe mich für Sounds interessiert und wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Obwohl ich einige Leute kenne, die in diesem Bereich arbeiten, hatte ich das Gefühl, dass sie nicht so sehr daran interessiert waren, es mir zu sagen. Wie sind Macht und Zugänglichkeit verteilt? Wer weiß, wie man lötet oder wie ein Studio funktioniert? Meistens läuft es in der Musik nicht queer, weiblich oder geschlechternonkonform ab. Es gibt keinen anderen Ort in Wien, der Workshops so anbietet wie wir.
Was ist eure Definition von „queer“ oder queerem Aktivismus?
Zosia Hołubowska: Ich bin durch den Queer-Aktivismus überhaupt erst zu einer Idee von „queer“ gekommen. Ich war in der Rriott-Grrl-Bewegung aktiv, für mich war es nie eine akademische Theorie, sondern eine gelebte Erfahrung. Eine Utopie, die hier und jetzt war. Ich fühlte mich immer sehr gefangen, wenn ich meine geschlechtliche Identität erklären musste, und „queer“ war wie ein Regenschirm, ein sicherer Raum, in dem Grenzen verschwimmen und man suchen kann. Als ich mit queeren Ideen konfrontiert wurde, war es sehr intersektional, also wichtige Aspekte waren Klasse, Rasse , Fremdenfeindlichkeit sowie Fähigkeiten und Einschränkungen. Und es war immer mit Punk und der DIY-Kultur verbunden. Etwas für sich selbst und gleichzeitig für andere zu tun, also Gemeinschaft. Und das ist der Spirit, den wir in diesem Raum am Leben erhalten wollen. Wir denken viel über die Zugänglichkeit in intersektionaler Hinsicht nach. Darüber, wer sie sich finanziell was leisten kann. Und da zwei von uns Migrant*innen sind, denken wir auch über Klasse und Herkunft nach. Leider sind wir hier im ersten Stock ohne Aufzug, eigentlich möchten wir einen barrierefreien Raum. Aber das ist der Raum, den wir uns im Moment leisten können. Unsere Workshops sollen leistbar sein und wir arbeiten daher ohne Bezahlung und bieten sie für 15 Euro an. Aber das ist ein brisantes Thema, einen unabhängigen Kunstraum zu erhalten oder einen Verein zu betreiben, das geschieht oft unter prekären Bedingungen.
Welche Rolle spielt Feminismus bei Sounds Queer? Und was bedeutet Feminismus heute für euch?
Adele Knall: Diese Frage habe ich schon lange nicht mehr gehört. Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, wann mir klar wurde, dass ich Feminist*in bin. Ich bin in dem Glauben aufgewachsen, dass wir alle gleich sind, auch wenn ich nicht so erzogen wurde. Ich hatte Schwierigkeiten zu verstehen, warum manche Dinge für Mädchen anders sind; und damit habe ich immer noch Probleme. Als ich in der Schule war, mochte ich Literatur sehr gerne, aber wie viele weibliche Autoren liest man in der Schule? Kaum eine. Aber so erlebt man die Welt, wenn man aufwächst. Also denkt man: Literatur ist nichts für Frauen. Auch die meisten Wissenschaftler*innen sind männlich. Schon in der Schule wird einem vorgelebt, was „die Frauen“ machen und was „die Männer“.
„[…] wenn man anfängt zu recherchieren, merkt man, dass es viele Frauen und non-binary Pionier*innen in der elektronischen Musik gibt.“
Zosia Hołubowska: Und das ist bei elektronischer Musik genauso, aber wenn man anfängt zu recherchieren, merkt man, dass es so viele Frauen und non-binary Pionier*innen in der elektronischen Musik gibt. Und das ist überall so; und dann merkt man, dass das ein Narrativ bildet. Also, wie Archive gemacht werden und wer diese Geschichten schreibt. Und es scheint kein Zufall zu sein, dass einige dieser Geschichten ausgelassen werden. Ich kann sagen, dass Feminismus mein Leben gerettet hat. Und ich habe aus erster Hand Erfahrungen mit Gewalt gemacht, die damit einhergeht, dass ich eine Frau bin. Ich las „The Vagina Monologues” von Eve Ensler, als ich fünfzehn Jahre alt war. Die Möglichkeit, ohne diese Scham über meinen bzw. einen Körper zu sprechen, war eine lebensverändernde Erfahrung. Es gibt kein „queer“ ohne Feminismus und umgekehrt.
Gibt es so etwas wie einen feministischen oder queeren Zugang zur Musik?
Violeta Gil Martínez: Für uns geht es mehr um den Ansatz des Musikmachens. Klang ist fließend und kann vieles sein. Wenn man Musik auf eine queere Art und Weise macht, sucht man nicht nach einem bestimmten Klang oder Genre. Für mich ist es eine freiere Herangehensweise an das Musikmachen, ohne Schablonen oder Zwänge.
Zosia Hołubowska: Mein Verständnis von queeren Klängen ist direkt mit queerem Aktivismus verbunden, es geht also um gemeinschaftliches oder kollektives Komponieren. Und es geht auch darum, queer zu dekolonisieren, einen Raum für Verwundbarkeit und Fehler zu schaffen. Frauen und nichtbinäre Menschen haben nie einen Platz zum Lernen, man muss immer perfekt sein, sonst wird man sofort kritisiert. Diesen notwendigen Raum bietet Sounds Queer?.
„Es geht um Privilegien, um Macht und Zugänglichkeit.“
Sounds Queer? wendet sich ja nicht nur an Frauen*, sondern lädt „women, femmes, queers, non-binary, trans, gender-nonconforming and gender-non-normative nerds“ ein. Also wendet ihr euch wie andere gendersensible Festivals und Projekte auch an Cis-männliche Musik-Nerds oder männliche Feminist*innen?
Adele Knall: Es geht um Privilegien, um Macht und Zugänglichkeit. Es geht darum, die eigene Position zu reflektieren. Diejenigen, die bereits Zugang haben, bitten wir also höflichst zurückzutreten. Aber es ist sehr wichtig, dass dieser Raum grundsätzlich für alle zugänglich bleibt, um selbst herauszufinden, warum das wichtig ist.
Violeta Gil Martínez: Viele der Männer*, die zu den Workshops kommen, haben das bereits im Sinn.
„Wir haben keine Liste der erlaubten Identitäten […]“
Zosia Hołubowska: Wir haben keine Liste der erlaubten Identitäten, denn das ist es, was queere Philosophie eigentlich ablehnt. Wir wollten uns eigentlich nicht auf eine solche „Türpolitik“ oder auch „Identitätspolitik“ einlassen. Ich denke, allein der Name Sounds Queer? zieht keine Leute an, die gegen Feminismus sind. Einige wenige waren nicht so reflektiert, haben viel Raum innerhalb des Workshops eingenommen, aber wir hatten nie jemanden, der respektlos war. Wir versuchen, die Art und Weise, wie Wissen verbreitet wird, infrage zu stellen. Diese Meister*-Schüler*-Situation, etwas als falsch oder richtig bewerten … Manche Menschen müssen erst selbst das Gefühl erleben, wie es ist, in der Minderheit zu sein.
Adele Knall: Es gab einen Teilnehmer, der am Anfang etwas unsicher war, er war der einzige Mann im Workshop. Danach kam er zu mir und sagte: „Adele, zuerst habe ich es nicht verstanden, aber jetzt verstehe ich, warum es super wichtig ist, was ihr macht“.
Zosia Hołubowska: Ich will mich nicht als gegen etwas definieren. Wir sind nicht in der Opposition zu etwas. Ich möchte eine völlig neue Dimension aufbauen, in der die gängigen Regeln infrage gestellt werden. Wir verstecken nicht, wer wir sind. In Polen muss man viel manövrieren und kann die Dinge nicht so benennen, wie sie sind. Für mich ist es eher ein Problem, dass ich aus einer armen Familie in Osteuropa stamme und nicht, dass ich als Frau gelesen werde. In Österreich wird niemand etwas gegen mich sagen, weil ich queer bin. Aber immer, wenn ich nach Polen gehe, ist es besser für mich, nichts darüber zu sagen. Es ist unvorstellbar, was dort vor sich geht. Ein Drittel des Landes wurde zur LGBTQ-freien Zone erklärt. Das ist ein Grund, warum ich hier bin.
Wie stemmt ihr Sounds Queer? Sucht ihr um Förderungen an?
Adele Knall: Wir haben wenig private Zeit. Bisher hatten wir eine Projektfinanzierung für unser Festival Sounds Queer?, das wir im Januar 2019 gemacht hatten, und eine einjährige Finanzierung durch die MA 7 der Stadt Wien, mit der wir diesen Raum öffnen konnten. Das fliegende Labor zuvor war anstrengend, weil wir immer an neuen Orten waren und man ständig darüber nachdenken musste, wie dort die Infrastruktur ist und was man für einen Workshop mitbringen muss.
Zosia Hołubowska: Die Workshops haben wir anfangs nur mit unserem privaten Equipment realisiert, das wir auch als Musiker*innen nutzen. Im Moment arbeiten wir an der Finanzierung der Workshops, und werden daher für unsere Arbeit nicht bezahlt. Die 15 Euro Workshop-Gebühr sind für die Miete. Es fließt weiterhin sehr viel Zeit in Aufbau und Organisation von Sounds Queer?.
Adele Knall: Wir brauchen finanzielle Mittel, denn es fehlt an Tischen, Stühlen, Lötkolben oder Kabeln. Aber Finanzierungsanträge brauchen Zeit.
Zwei Wochen später, nach Ausbruch der Corona-Krise, eine Folgefrage: Wie ist Sounds Queer? von der aktuellen Corona-Situation betroffen? Oder wie sind die Folgen für euch als Künstler*innen?
Zosia Hołubowska: Wir mussten alle Veranstaltungen bei Sounds Queer? absagen. Die Spenden aus diesen Veranstaltungen benötigen wir für die Studiomiete. Wir sind dabei, Mittel zu beantragen, aber im Moment sind wir nicht sicher, wie wir weitermachen sollen. Als Künstler*in habe ich mein gesamtes Einkommen der nächsten zwei Monate verloren. Alle meine Konzerte, Workshops und Residenzen sind bis Ende April abgesagt worden. Ich habe nicht nur Honorare verloren, sondern auch die Arbeit, die ich in die Organisation all dieser Auftritte gesteckt habe. Als Freiberufler*in habe ich keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Ich habe Unterstützung beim COVID-19-Fonds beantragt, was ziemlich schwierig war, weil ich nicht gut Deutsch spreche. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt Anspruch auf Hilfe habe. Die Situation ist dramatisch und sehr beängstigend, weil es so viele kämpferische, unabhängige Künstler*innen wie mich gibt, die von der Hand in den Mund leben und auf kleine Orte des Underground angewiesen sind, die selbst in großen Schwierigkeiten stecken. Ich versuche, Merchandise, digitale Veröffentlichungen und Auftragsarbeiten zu organisieren, aber im Moment kann ich noch nicht einmal das Ausmaß dieser Krise vollständig abschätzen.
Danke für das Gespräch!
Bianca Ludewig
Liebe Leser*innen, spenden Sie bitte Lötkolben, Kabel oder funktionstüchtiges Audio-Equipment (Synthesizer, Controller, Mixer, Audiointerfaces usw.) an Sounds Queer?, Viktor-Christ-Gasse 10, 1050 Wien.
Links:
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