„Die zeitgenössische Musik ist keine pure Nischenkunst mehr“ – WOLFGANG BRETL (NIM AND HEAR) im mica-Interview

Mit NIM AND HEAR gibt es seit ungefähr einem Jahr in Salzburg eine Konzertreihe, die sich ganz der „Neuen Improvisationsmusik“ verschrieben hat. Gestartet als eher kleines Nischenprojekt, gehört NIM AND HEAR mittlerweile zu den Fixpunkten innerhalb einer gerade auch in Salzburg prosperierenden Szene zeitgenössischer Musik, der es vor allem auch um den Blick über den Tellerrand hinaus und um niedrigschwellige Zugänge zu experimentellen Musikformen geht. Didi Neidhart sprach mit Mit-Initiator WOLFGANG BRETL.

Was ist unter „Neuer Improvisationsmusik“ zu verstehen?

Wolfgang Bretl: Unter Improvisieren versteht man das gleichzeitige Erfinden und klangliche Realisieren von Musik. Beim Improvisieren lässt man sich auf den Augenblick ein und achtet sehr genau auf das Spiel der Mitmusikerinnen und Mitmusiker bzw. auf sein eigenes. Musikalische Ideen werden bedient, variiert oder am besten befreit. Besonders in der freien Improvisationsmusik versucht man sich, von Mustern, wie bestimmten Harmoniefolgen, rhythmischen Periodiken, Formabläufen etc., zu lösen Der Klangcharakter der „Neuen Improvisationsmusik“ orientiert sich tendenziell an der mitteleuropäisch geprägten Kunstmusik vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Die Musikerinnen und Musiker bedienen sich eines sehr weitreichenden Materialvorrates, konventioneller bis hin zu zeitgenössischer Spieltechniken und Geräusche und einer subjektiven Behandlung von Instrumenten.

„Mir war und ist es ein Anliegen, dass es in Salzburg auch eine offene Bühne für Musikerinnen und Musiker gibt, deren Schwerpunkt auf freier Improvisation, experimenteller Musik, Free Jazz oder Ähnlichem liegt.“

Wie ist es zur Idee „niM and Hear“ gekommen?

Wolfgang Bretl: In Salzburg gibt es zurzeit zwei Lokale, in denen wöchentlich Jamsessions stattfinden: das Jazzit und die StageBar. Das ist sehr positiv. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Spielen und Improvisieren von und über Jazz-Standards, Fusion, Funkmusik etc. Das heißt, hier wird über fixierte Akkordfolgen und Formen improvisiert.

Mir war und ist es ein Anliegen, dass es in Salzburg auch eine offene Bühne für Musikerinnen und Musiker gibt, deren Schwerpunkt auf freier Improvisation, experimenteller Musik, Free Jazz oder Ähnlichem liegt. Ich habe sehr schnell Leute getroffen, die ähnliche Gedanken hegten und hegen. Wir gründeten den Verein „niM – Verein für neue und improvisierte Musik Salzburg“.

Nun organisieren wir die Projektreihe „niM and Hear“ bereits seit einem Jahr und man kann erkennen, dass es ein großes Interesse von Musikerinnen und Musikern sowie Musikinteressierten gibt, die sich als aktive Musikerinnen und Musiker sowie Hörerinnen und Hörer an den Konzerten und Sessions beteiligen.

nim and hear (c) Archiv

Wie steht es generell um die experimentelle Improvisationsszene in Salzburg?

Wolfgang Bretl: Man hat das Gefühl, dass sich in jüngster Zeit in Salzburg etwas in diesem Bereich tut.

Im Rahmen der Reihe „Performing Sound“, die von der Galerie5020 und Martin Loecker initiiert wurde, präsentieren Künstlerinnen und Künstler ihre Arbeiten aus den Bereichen Musik, Sound und Performance und untersuchen dabei stilistische und klangliche Interferenzen: Improvisation trifft auf Komposition. Kunst auf Akustik. Aktion auf Installation. Die trans-Art-Künstlerin Astrid Rieder veranstaltet in ihrem Atelier im Künstlerhaus Salzburg die Projektreihe „do trans-Art“. Hier gibt es einen transdisziplinären Dialog zwischen Künstlerinnen und Künstlern.

In Kooperation von „INFLUX – Netzwerk für Tanz, Theater und Performance“ und dem Toihaus Theater steht jeden ersten Mittwoch im Monat die Bühne des Toihaus offen für Tänzerinnen und Tänzer, Performerinnen und Performer, Schauspielerinnen und Schauspieler sowie Musikerinnen und Musiker zum gemeinsamen Improvisieren, Arbeiten, Austauschen von Ideen und Ausprobieren.

Welchen Eindruck haben Sie allgemein von der zeitgenössischen Salzburger Musikszene? Mit dem „Zyklus“ des oenm, der Reihe „Sweet Spot“ und den schon erwähnten Initiativen „Performing Sound“ und „trans-art“ gibt es ja durchaus „artverwandte“ Ansätze.

Wolfgang Bretl: Die zeitgenössische Musik ist keine pure Nischenkunst mehr. Es gibt einige Veranstaltungen für zeitgenössische Musik, wie die „Aspekte Salzburg“, „Crossroads – Contemporary Music Festival Salzburg“ oder die eben in der Frage genannten.

Die Zahl derer, die sich für aktuelle, experimentelle Klangkunst interessieren, sie hört und sich mit ihr auseinandersetzt, wächst immer mehr. Diese Entwicklung ist das Ergebnis des Engagements von Komponierenden, Interpretierenden, Veranstaltenden und Vermittelnden. Ein Engagement, das weiterhin eine breite Unterstützung benötigt und zugleich der nachhaltigen materiellen und ideellen Förderung durch die Gesellschaft bedarf.

Nach welchen Kriterien wählen Sie die jeweiligen Gäste aus?

Wolfgang Bretl: Zu jeder Veranstaltung – in der Regel findet „niM and Hear“ an jedem letzten Mittwoch im Monat statt – wird eine Musiker oder ein Musiker eingeladen, die oder der den Konzert-Opener mit lokalen Musikerinnen und Musikern spielt und die darauffolgende Session leitet.

Wichtig ist, dass der bzw. ein Schwerpunkt der Gastmusikerinnen und -musiker im Bereich der improvisierten bzw. experimentellen Musik, des Free Jazz oder Ähnlichem liegt. Wir versuchen, abwechselnd regionale und überregionale Gäste einzuladen.

nim and hear (c) Archiv

Wie gestaltet sich dann so ein Abend?

Wolfgang Bretl: Der Abend beginnt mit dem Konzert-Opener, der circa 30 Minuten dauert. Nach einer kurzen Pause werden nacheinander Formationen gebildet, die dann jeweils ein Set von circa zehn bis 20 Minuten spielen. Der Abend dauert in der Regel von 20:30 bis 23:30 Uhr.

„Zuhören, wahrnehmen, achtsam sein, sich selbst öffnen und beweglich bleiben sind Merkmale, die für Improvisierende unvermeidlich sind.“

Stichwort „offene Bühne“: Können wirklich alle, die wollen, mitmachen oder gibt es doch gewisse Kriterien?

Wolfgang Bretl: Zuhören, wahrnehmen, achtsam sein, sich selbst öffnen und beweglich bleiben sind Merkmale, die für Improvisierende unvermeidlich sind. Und: Eine grundlegende Beherrschung des Instruments ist Voraussetzung.

Die Abende finden im Veranstaltungsraum des Salzburger Lokals Shakespeare statt. Wieso haben Sie gerade diese Location ausgewählt?

Wolfgang Bretl: Der Veranstaltungsraum des Shakespeare hat die optimale Größe für unser Projekt. Die Lage – zwischen Jazzit und Mozarteum und in Bahnhofsnähe – schien uns ideal. Außerdem können wir uns die Kosten für die Miete leisten. Eine unserer Überlegung war auch, im Jazzit anzufragen. Die Bühne im Lokal direkt neben der Bar ist für unser Vorhaben jedoch nicht optimal, da wir einen Raum benötigen, in dem keine Nebengeräusche auftreten. Und der Saal wäre zu groß und würde unser Budget überschreiten.

Zu den Motivationen für „niM and Hear“ gehört es ja auch, ein erweitertes Netzwerk experimenteller und improvisierter Musik entstehen zu lassen und einen Austausch zwischen regionalen und interregionalen MusikerInnen zu fördern. Wie schaut hier die Bilanz nach einem Jahr aus?

Wolfgang Bretl: Einige Salzburger Musikerinnen und Musiker, die in der improvisierten und experimentellen Musik tätig sind, haben wir bereits als Gastmusikerinnen und Gastmusiker bzw. Session-Musikerinnen und -Musiker gewinnen können, unter anderem Gerhard Laber, Klaus Kircher, Robert Kainar und Fritz Moßhammer.

Ein besonderer Abend war auch, als sich die amerikanische Saxofonistin Amy Denio, die gerade mit den Tiptons Sax Quartet & Drums auf Europatournee war, an der Session beteiligte. Sehr interessant war die Zusammenarbeit mit Susanna Gartmayr, Robert Pockfuß und Christoph Kurzmann aus Wien und Gigi Gratt aus Ottensheim. Man bekommt so auch einen guten Einblick in die Spielweisen österreichischer Improvisationskünstlerinnen und -künstler.

nim and hear (c) Archiv

Wie finanzieren Sie sich? Erhalten Sie Subventionen?

Wolfgang Bretl: Die ersten sechs Veranstaltungen haben wir aus der eigenen Tasche bezahlt und durch einen privaten Sponsor finanziert.

Seit Anfang 2019 bekommen wir Fördergelder der Stadt Salzburg, die für die erste Hälfte des Jahres reichen. Wobei die Fördergelder nur die Gage der Gastmusikerinnen und -musiker, die Raummieten und AKM-Gebühren abdecken.

Wir hoffen, dass die Veranstaltungen der zweiten Hälfte des Jahres vom Land Salzburg gefördert werden. Das Ansuchen um Fördergelder haben wir bereits Anfang des Jahres gestellt.

Organisation, PR, Transport etc. werden von uns, den Mitgliedern des Vereins, ehrenamtlich geleistet.

Was ist für 2019 noch geplant?

Wolfgang Bretl: Für Juni haben wir Tanja Feichtmair eingeladen. In Zukunft planen wir auch an den Nachmittagen vor den Eröffnungskonzerten kurze Workshops, die von den Gastmusikerinnen und -musikern geleitet werden. In diesen Workshops sollen Ideen und Improvisationskonzepte der jeweiligen Gastmusikerin bzw. des jeweiligen Gastmusikers probiert werden. Diese können dann im Eröffnungskonzert präsentiert werden.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Didi Neidhart

 

Nächster Termin:
Mi, 26. Juni 2019, 20:30 Uhr – Tanja Feichtmair, Shakespeare, Hubert-Sattler-Gasse 3, 5020 Salzburg

Link:
niM and Hear (Facebook)