Nur oberflächlich betrachtet, erscheint die Wiener Band 5/8ERL IN EHR’N als würden sie nur den Glanz vergangener Tage hochleben lassen. Aber ganz sicher nicht einfach im Wissen darüber, dass jede Modewelle irgendwann wieder ihren Aufschwung erleben wird. Und auch erst recht nicht, weil sie möglicherweise den Anschluss an so manchen neuen Hype gar nicht mitbekommen hätten. Nein, diese Band besingt Werte, die vielen gerade in den letzten Jahren wieder aktueller und notweniger als je zuvor erscheinen. Eine Allegorie der Vernunft, oder als einen Leuchtturm für Irrende unserer komplexen und schnelllebigen Zeit könnte man sie bezeichnen. Denn die vielseitige und wandlungsfähige Band nimmt zu zahlreichen politischen wie gesellschaftlichen Reibungspunkten Stellung, und vermag diese seit 2006 in zeitlos schöne Lieder zu verpacken – ohne dabei dem Aktivismus zu verfallen. Bei aller Vielseitigkeit ist die Liebe für die, und das Beherrschen der Jazzmusik ein gemeinsamer Nenner ihrer musikalischen Zusammenarbeit. Und so war es nur eine Frage der Zeit, die kammermusikalische Bandbesetzung um einen großen orchestralen Klangkörper zu erweitern. „Live in der Wachau” (Viennese Soulfood Records // VÖ 31.03.23) ist das aktuelle Album der sechsfachen Amadeus Award Gewinner. Die Sänger Max Geier und Bobby ‘Slivo’ Slivovsky trafen Dominik Beyer im Café Weidinger, um im Mica Interview über Jazz und Möglichkeiten der Entschleunigung zu sprechen.
Dürfen Vorarlberger Musiker überhaupt “Wiener Soul” interpretieren?
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Wir diskutieren intern sehr viel darüber. (herzhaft ironisches Lachen)
Die Frage war dazu gedacht das Eis zu brechen, und ist natürlich in keiner Weise ernst zunehmen.
Wer Big Band hört, denkt erstmal an Swing. Der Name eurer Tour „Im Auge des Schmetterlings“ lässt anderes verheißen. Was macht das Jazzorchester Vorarlberg aus, im Vergleich zu einer Swing Big Band?
Max Geier: Die könnten sicher auch richtig Swing spielen, wenn sie wollten. Wir haben nur nicht so viele Swingsongs im Repertoire.
Was kann man mit einem Jazzorchester ausdrücken, was im kleinen Ensemble nicht möglich ist? Oder was war der Grund für eure Zusammenarbeit?
Max Geier: So ein orchestraler Sound ist ja nochmal vielseitiger und intensiver als der einer Band. Also kann man sagen, dass wir uns selber damit belohnt haben. Wir kennen uns auch schon sehr lange. Kollaborationen mit einzelnen unter uns hat es bereits schon gegeben. Und weil viele von den Musiker:innen auch in Wien leben und arbeiten, lag es daher auch auf der Hand.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Ich seh‘ das genauso. Man kann den Groove mal ganz anders spielen mit Schlagzeug. Wir haben in unserer Bandbesetzung ja keines. Und auch ruhige Lieder können von der großen Besetzung ganz anders getragen werden. Das ist schon eine neue Erfahrung. Und wir können uns dahinter auch ein bisschen verstecken.
Max Geier: Und tanzen! Das ist schon toll. Sonst sind wir ja immer im Sessel.
Gab es eine inhaltliche Wandlung, die ihr im Laufe der Jahre gemacht hat?
Max Geier: Ich würde sagen, wir sind ständig im Wandel. Wir setzen uns keine Ziele. Ich finde, ein Lied zu schreiben, ist eh schon ein tolles Ziel.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Mit jedem Album ist das zum Teil eine neue Band. Man wird älter. Manche Sachen würde man nie wieder machen.
Max Geier: Unsere Gitarristin Michaela Liebermann hat mal einen sehr weisen Spruch gesagt. „Nachher ist immer alles anders wie vorher“. Und ich finde, das passt irgendwie. Die Zeit schreitet voran.
Ihr seid ja für eueren kammermusikalischen Approach bekannt. Bleibt in Zukunft die elektronische Instrumentierung wie beim „Yeah Yeah Yeah“ Album?
Max Geier: Das kann man noch nicht sagen. Da möchten wir uns im Voraus nicht festlegen. Schauen wir mal, was für Ideen kommen.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Kommt darauf an, was das Lied braucht. So eine Änderung im Sound bereichert die Vorstellungskraft. Man komponiert anders, wenn man mehr Möglichkeiten hat. Das Jazzorchester Vorarlberg kann ich in Zukunft beim Schreiben gleich mitdenken. Das erweitert das eigene Spektrum.
Max Geier: Wir sind wandelbar. Spannend, wo wir in fünf Jahren sein werden.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Cloudrap wird’s es vermutlich keiner werden.
Habt ihr bewusst weniger politische Texte auf das „Yeah Yeah Yeah“ Album gepackt, weil ihr eventuell das Gefühl hattet, der Alltag ist ohnehin schon sehr politisch aufgeladen?
Max Geier: Ich stell mal die These auf, das mit dem Song „this is a political message“ der politischste Song überhaupt von uns auf diesem Album ist. Politischer geht’s gar nicht.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Wir sind ja eh im „Yeah Yeah Yeah“ Zeitalter.
Was meinst du damit?
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Naja, dieses Schlagzeilendenken. Es liest ja keiner mehr den Artikel. Viele reden über Schlagzeilen, haben sich aber gar nicht mit dem Thema auseinandergesetzt. Vieles ist so aus dem Kontext gerissen, worüber dann aber gestritten wird.
Max Geier: Man kann sich das, glaub ich, gar nicht aussuchen. Also die Entscheidung, nicht politisch zu sein. Das ist meiner Meinung nach ein Trugschluss. Musik machen ist eine Form der Kommunikation, und die ist immer politisch.
Man kann dabei aber schon auch den Finger in die Wunde legen oder versuchen, dem ein wenig zu entgehen. Radikal wart ihr in euren Aussagen jetzt noch nie.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Stimmt. Eher zwischen den Zeilen. Aber das ist schon interessant, wenn man nach fast zwanzig Jahren reflektiert, zu welcher politischen Seite man tendiert.
Das war vor wenigen Jahren schon noch anders. Natürlich gibt es auch heute nicht viele Gründe, nicht politisch zu sein. Aber man hat auch Bedenken, die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben.
Max Geier: Das stimmt voll. Und deswegen sind ja Themen wie Entschleunigung, Vereinzelung und verloren gegangene Solidarität immer präsent bei uns. So gesehen sind wir immer noch sehr politisch.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: In „Die Sonne über Europa“ kommen auch Spitzen. Zum Beispiel gegen Red Bull. Zugegeben, nicht ganz so offensiv. Die Watschn musst da ohoin wolln. Sonst kriagst es gor ned.
Das letzte Album ist leider ein wenig untergegangen.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: 19. April 2020…
Max Geier: Pünktlich zum Lockdown. Yeah!
„eine Veröffentlichung ist ja nicht immer eine strategische Angelegenheit, sondern auch eine inhaltliche.“
Ihr wart sozusagen schon auch Opfer.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: So schlimm habe ich das gar nicht empfunden. Aber anstrengend ist es schon, alles online zu promoten.
Max Geier: Normal feiert man einen Release.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Wir haben uns nicht mal getroffen…
Max Geier: Eine Veröffentlichung ist ja nicht immer eine strategische Angelegenheit, sondern auch eine inhaltliche. Daher war es schon richtig, dass wir es rausgebracht haben.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Wir haben auch am geplanten Datum nichts mehr geändert. Man muss ein Album ja auch abschließen. Das bringt ja nichts sonst.
Ihr hattet für das jetzige Big Band Album „Live in der Wachau“ eine Auswahl aus sechs Alben zu treffen. War die Entscheidung schwer?
Max Geier: Da sind die Arrangeur:innen nach Ideen gegangen. Manche Songs eignen sich besser als andere.
Wer waren die Arrangeur:innen?
Max Geier: Miki Liebermann, Clemens Wenger, Hanibal Scheutz, Martin Eberle und Phil Yaeger.
„Im Internet gibt es ja meistens nur zwei Meinungen.”
Steht der Song „Cafe Laternderl“ als Symbol für ein Tschocherl, oder ist das auch euer Stammbeisl?
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Beides.
Max Geier: Leider hat‘s im Moment nicht mehr so oft geöffnet, nachdem da ein klassischer Konzertpianist darüber eingezogen ist und die Polizei ruft, wenn am Abend nach 23 Uhr noch jemand sitzt.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Aber das ist ein lustiger Ort. Ich fühl mich dort immer wie ein Teenager. Erinnert mich an die Hütten im Mostviertel. Karaoke Night und so…
Max Geier: er hat auch die Menschenrechtscharta auf die Wand geklebt. Weil im Moment ja auch viel über Safespaces geredet wird. Das ist einer. Ein Ort, der vielen während der Pandemie gefehlt hat. Dort ist man nicht einsam.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Dort waren nämlich auch die Parteien dieser Krise versammelt.
Meinst du die geimpften und die ungeimpften?
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Eher die, die dran glauben oder die nicht dran glauben. Das hat sich alles schon auch sehr hochstilisiert.
Die Stones und die Beatles Fans?
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Genau. Die waren auch beide drin.
Max Geier: Ich glaube aber daran, dass ein Ort wie das Cafe Laternderl dazu beiträgt, dass eine Welt nicht so gespalten ist.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Denn dort lernt jeder, dass es mehr als zwei Meinungen gibt. Im Internet gibt es ja meistens nur zwei Meinungen. Echte Menschen erleichtern die Annäherung aneinander. Insofern sie in einem Raum sind. Man begegnet sich auf einer anderen Ebene. Was manche nach Mitternacht im Internet schreiben. So redet man im Wirtshaus nicht so leichtfertig.
Da kann man nicht einfach offline gehen.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Man muss am anderen nämlich wieder vorbei gehen…Was war die Frage gleich wieder?
Stones oder Beatles?
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Die Antwort wird eh aufgeklärt im Song.
Wie man sich vorstellen kann, verzettelt sich das Gespräch bei dieser heiklen Fragestellung, und macht die Transkription unmöglich. Nach Erkenntnissen darüber, dass die Rolling Stones scheinbar doch Major Akkorde spielen können und schöne Sänger hinter dem Bühnenvorhang oft gedoppelt werden, beruhigt sich das Gespräch erst wieder beim Thema wirtschaftliche Rentabilität von Big Band Projekten.
Max Geier: Millionär:innen werden wir nicht, wenn wir mit Big Band auf Tour gehen.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Das ist etwas, das man sich im fortgeschrittenen Alter leistet. Das ist wirklich was Schönes. Sowas macht man nicht, wenn man jung ist. Da muss man sich erstmal vernetzen und etablieren.
Eure Musik strahlt vom Sound her wie inhaltlich Entschleunigung aus. Wie tragen die 5/8erl in Ehr’n bewusst zur Entschleunigung ihres Alltags bei?
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: N ganzen Katalog. [lacht]
Die „Siasse Tschik“ habt ihr ja bereits besungen. Ich sehe da ein Seniorenhandy liegen, Max.
Max Geier: Wenn man mit einer Band auf der Bühne steht, kommuniziert man ja immer eine Idealvorstellung. Wir haben auch nervöse Stimmungen zwischendurch. Nervöse Mägen zum Beispiel. Wir sind nicht immer so entspannt.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Ich hör viel südamerikanische Musik. Das ist meine Form von Solarium von Jänner bis März.
Max Geier: Ich bin ein leidenschaftlicher Fußgänger. Unsere Gitarristin Miki Liebermann auch.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Reisen und Wandern befreit die Seele. Das ist bekannt. Geh ma eine rauchen?
Gerne
Das Gespräch wird im Innenhof des absolut vor Entschleunigung triefenden Café Weidinger fortgesetzt.
Entschleunigt die Entbehrung eines Smartphones?
Max Geier: Ich kann das schwer beurteilen, ob ich jetzt langsamer bin als jemand anderes. Ich habe noch nie eines besessen. Ich finde es schon sehr angenehm, wenn‘s nicht permanent läutet. Schön möglich, dass ich dadurch weniger gestresst bin.
Spülmaschine oder Abwasch per Hand?
Max Geier: Meine ist grad kaputt.
Das ist jetzt deine Gelegenheit, sie nicht mehr zu reparieren.
Max Geier: Ist jetzt eh schon zwei Monate kaputt. Seitdem wasch ich per Hand. Das ist auf jeden Fall auch entschleunigend. Ich lass sie erst reparieren, wenn es mich nervt.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Ich sitz zum Beispiel immer mit meinem Handy vorm Geschirrspüler und schau im Internet wie man Fehlermeldungen löscht.
Wieder am Tisch angekommen
Gibt es eine Support Band auf der kommenden Tour?
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Nein. Haben wir nicht. Wir sind schon so viele.
Wenn es einen Support gäbe, welche junge Band wär mit euch unterwegs?
Max Geier: Ich bin grad ein großer Fan von Bipolar Feminin. Die Leni ist großartig. So eine gute Band auch. Schapka find ich auch toll. Es gibt unheimlich viele gute Acts aus Österreich. Fällt dir noch wer ein?
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Die Sängerin von Spitting Ibex. Der Name fällt mir nicht ein. Die singt auch live so stark.
Ich frag mich dann immer, ob wir früher auch soviel Energie hatten.
Max Geier: Vielleicht sind wir schon zu entschleunigt. Wir gehen schon rückwärts.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Tanja Peinsipp heißt die Sängerin. Ich hab‘s grad auf meinem Smartphone gegoogelt.
Der Vorverkauf scheint gut zu laufen. Im Porgy gibt es schon einen zweiten Termin!
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Ich freu mich schon sehr auf unser Heimspiel mit dem Jazzorchester.
Erleidet die Musikkultur eurer Meinung nach also kein ähnliches Schicksal wie die Kirche. Das hat man sich früher ja auch nicht vorstellen können, dass jeder so seinem individuellen Glauben nachgehen wird. Sei es Therapie, Yoga oder was auch immer. Auf einmal waren die Kirchen leer. Abgesehen von Touristen.
Wieso hängt sich also in Zukunft nicht jeder – anstatt der Halskette mit Kreuzanhänger – sein Smartphone um den Hals und produziert vom Sofa aus seine eigene Musik am Smartphone. Ganz nach individuellen Bedürfnissen. Dabei könnte man auch gleichzeitig noch Homeoffice machen und sich einen Kinofilm anschauen nebenbei.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Hm. Ich war letztens im Kino. Und da war es echt leer. Viele haben wirklich investiert zu Hause. Da ist sicher was dran. Aber Konzerte kommen fix zurück. Keine Übertragung kann ein Fußballmatch im Stadion ersetzen. Egal wie groß der Bildschirm ist und wie gut der Sound. Mit Livemusik ist das ähnlich.
Max Geier: Ich hatte auch das Gefühl, dass die Spieler bei den Geisterspielen anders kicken.
Bobby ‘Slivo’ Slivovsky: Mit dem Unterschied, dass sie dabei trotzdem noch ganz gut verdienen. Bei Geisterkonzerten würden wir ein großes Minus machen.
Vielen Dank für das Gespräch
Dominik Beyer
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5/8erl in Ehr’n live:
02.04. Tanzcafe Arlberg, LECH
27.04. Schauspielhaus, LINZ
28.04. Arge, SALZBURG
29.04. Bühne im Hof, ST. PÖLTEN
11.05. Treibhaus, INNSBRUCK
12.05. Spielboden, DORNBIRN
14.05. Porgy & Bess, WIEN
15.05. Porgy & Bess, WIEN
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