„Die Stücke auf dem Album sind im Grunde Nacherzählungen – Nacherzählungen unserer Empfindungen, Erfahrungen und Erlebnisse“ – Moritz Weiss im mica-Interview

Das neue AlbumWind“ (GLM Music) des Moritz Weiss Klezmer Trios ist inspiriert von den Konzertreisen der letzten Jahre rund um den Globus. Wie der Wind verweben Moritz Weiß (Klarinette), Niki Waltersdorfer (Gitarre) und Maximilian Kreuzer (Kontrabass) ihre Eindrücke mit Klezmer, Jazz und Pop zu 13 neuen Stücken. Special Guest Simon Reithofer an der Gypsy-Gitarre verstärkt die lyrische Tiefe des Albums.Wind“ erzählt musikalisch von Südamerikas Weiten, Westafrikas Hitze, Kairos Düften und der Menschlichkeit des Balkans. Im Interview mit Michael Ternai spricht Moritz Weiß über die Eindrücke, die er und seine Mitmusiker in den vergangenen Jahren gesammelt haben, die neue Rollenverteilung innerhalb des Trios und die Wurzeln seiner großen Liebe zur Klezmermusik.

Mit „Wind“ erscheint dieser Tage das neue Album deines Trios. Lauscht man den Stücken, erscheint es, als hättet ihr, was die stilistische Breite eurer Musik angeht, noch einmal eines draufgelegt. Es geht auf dem Album sehr bunt zu.

Bild des Musikers Moritz Weiß mit Klarinette in der Hand
Moritz Weiß © Reithofer Media

Moritz Weiß: Man kann „Wind“ als eine Art Gesamtschau der letzten drei bis fünf Trio-Jahre betrachten. Konkret fassen wir den Zeitraum von 2020, als unser letztes Album „Klezmer Explosion“ erschienen ist, bis zu dem Zeitpunkt, als wir 2024 mit den Aufnahmen für das neue Album begonnen haben. In dieser Zeit haben wir als Trio viele spannende Erfahrungen gemacht. Wir waren Teil des NASOM-Programms (New Austrian Sound of Music) des Außenministeriums, das uns über die Kulturforen die Möglichkeit gegeben hat, zahlreiche Orte weltweit zu bereisen und in verschiedene Kulturen einzutauchen. Besonders prägend für dieses Album waren vor allem die Reisen außerhalb Europas – etwa in den Senegal, nach Ägypten oder Südamerika. Diese Erlebnisse bedeuteten immer auch einen Schritt hinaus aus unserem gewohnten Umfeld und haben unsere Musik glaub ich nachhaltig geprägt. Die ganzen Erfahrungen, die wir auf unseren Reisen gemacht haben, sind in die Stücke des Albums eingeflossen.

Welcher Art waren diese Erfahrungen? Nur musikalische oder auch andere?

Moritz Weiß: Wir waren auf der halben Welt unterwegs und sind viel rausgegangen, haben uns mit Menschen unterhalten, Eindrücke gesammelt und Inspirationen aufgeschnappt. Und hier und da ist natürlich auch mal eine Melodie hängen geblieben. Eine Reise wirkt ja immer nach – sie endet nicht an dem Tag, an dem man nach Hause zurückkehrt.

Die Stücke auf dem Album sind im Grunde Nacherzählungen – Nacherzählungen unserer Empfindungen, Erfahrungen und Erlebnisse. Teils mit Melodien, die während der Reisen entstanden sind, teils mit solchen, die erst im Nachhinein ihren Weg zu uns gefunden haben. Daher auch der Titel des Albums: Wind. Er hat keinen festen Anfangs- oder Endpunkt, sondern ist ständig in Bewegung. Er zieht durch, nimmt Eindrücke mit, trägt sie weiter, vermischt sich mit Neuem und zieht wieder weiter.

Genau so verhält es sich auch mit unserer Musik – so, wie wir sie als Moritz Weiß Klezmer Trio seit nunmehr fast zehn Jahren machen. Wir folgen keiner bestimmten Tradition; unsere Musik ist vielmehr ein Nachempfinden und Nacherzählen von Bildern, Düften, Impressionen und Melodien – jenseits musikalischer Schubladen. Ganz wie der Wind nehmen wir uns die Freiheit, uns überallhin zu bewegen.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Der Wind als Metapher für eure Musik passt tatsächlich sehr gut. Ihr wart schon immer ein Trio, das sich durch die unterschiedlichsten Musikformen bewegt und den Klezmer für diese geöffnet hat. Das kommt auf dem neuen Album ganz besonders zum Ausdruck.

Moritz Weiß: Ich würde sagen, dass die Stücke eher bestimmten Orten gewidmet sind, als dass sie dort bewusst entstanden sind oder geschrieben wurden. Es ist nicht so, dass man – wie etwa beim ersten Lied der CD, „Koshari – das Essen oder die gesamte Stadt Kairo unmittelbar spüren muss oder eine stilistische Verbindung zu diesem Ort erkennbar sein soll. Vielmehr hat es etwas Abstrakteres, eine metaphorische Ebene, die durch unseren persönlichen Filter geformt wird und so unsere persönliche Verbindung zu den Orten schafft. Das zeigt sich auf dieser CD stilistisch noch stärker. Wir suchen weniger einen festen stilistischen Rahmen, sondern vielmehr den individuellen Ausdruck jeder einzelnen Person – also den meinen Triokollegen Niki Waltersdorfer und Maximilian Kreuzer und meinen eigenen sowie unseres Featuring-Gasts Simon Reithofer. Und ich denke, das zeigt sich auf diesem Album sehr deutlich.

Es geht sogar so weit, dass wir unseren Probenprozess im Vergleich zu unseren anfänglichen Jahren noch einmal leicht verändert haben. Damals habe überwiegend ich die Stücke mitgebracht, die wir dann verarbeitet haben. Jetzt ist es vielmehr in einen gemeinsamen Prozess hineingegangen. Erstmals hatten wir Probentage, an denen wir ganz frei an die Sache herangegangen sind und einfach geschaut haben, was entsteht. Das hatten wir zuvor noch nie gemacht. Das spürt man auf diesem Album. Einerseits präge ich mit meiner Klarinette natürlich stark die Klangfarbe, andererseits sind wir als Trio aber viel mehr als nur ein Klarinettist mit Begleitung – es ist ein gemeinsamer musikalischer Ausdruck. Dieser Zugang ist bei dieser Produktion einmal mehr ins Zentrum unserer kreativen Zusammenarbeit gerückt.

Auf eurem letzten Album waren doch auch einige Gastmusiker:innen zu hören. Auf Wind wurde euer Trio hingegen nur um einen Musiker erweitert, nämlich den Gitarristen Simon Reithofer. Was hat er in die Musik eingebracht?

Bild des Moritz Weiß Klezmer Trios mit dem Musiker Simon Reithofer
Moritz Weiß Klezmer Trio & Simon Reithofer © Reithofer Media

Moritz Weiß: Wir wollten mit dem Album ganz bewusst kein großes Feature-Projekt aufziehen, sondern ursprünglich tatsächlich nur als Trio auftreten. Mit der Zeit entwickelten wir jedoch das Bedürfnis, unseren Sound ein wenig zu erweitern und eine zusätzliche Klangfarbe einzubringen – ohne dabei aber den Grundsound des Ensembles zu verändern. Deshalb haben wir einen zweiten Gitarristen ins Trio geholt, anstatt etwa ein Akkordeon, eine Geige oder eine Trompete einzusetzen, da die Klangfarben dieser Instrumente zu weit von unserer Grundidee entfernt sind. Mit Simon Reithofer haben wir jemanden an Bord geholt, mit dem wir seit Jahren befreundet sind und mit dem es auch auf menschlicher Ebene einfach sehr gut passt. Und auch auf der musikalischen Ebene harmonieren wir sehr. Simon bringt eine sehr lyrische feine Klangfarbe mit ein, die von seinem charakteristischen Sound der Gypsy-Gitarre geprägt ist.

Wie empfandest du diesen geänderten Zugang? Fiel es dir schwer, deine Rolle im Trio neu zu definieren? Oder ist das für dich ein natürlicher Prozess?

Moritz Weiß: Ich glaube, dass sich Konstellationen von Menschen ständig verändern. Nichts bleibt über 10, 20 oder 30 Jahre vollkommen unverändert. Wir befinden uns immer im Austausch – untereinander, mit unserer Umwelt, mit unseren Erfahrungen und allem, was wir tun. Da stellt sich die Frage: Wie gehen wir mit all diesen verschiedenen Erzählsträngen um? Wie verknüpfen wir sie? Für mich persönlich war es natürlich spannend, vor knapp 10 Jahren das Trio zu gründen, um meine Leidenschaft für das Klarinettenspiel im Ensemble voll auszuleben. Aber irgendwann wird jede Geschichte ein wenig eintönig, wenn sie immer gleich erzählt wird und die Entwicklung kommt dann ganz automatisch, wenn man sich darauf einlässt.

Das Schöne an dieser Dreierkonstellation mit Niki und Max ist, dass genau das möglich ist: Zwischen uns gibt es eine musikalische Gesprächsbasis. Wir haben gemeinsam einen bestimmten Klang entwickelt, der sowohl auf tiefer zwischenmenschlicher Ebene als auch auf hoher melodischer und rhythmischer Ebene funktioniert. Ich würde jedoch nicht sagen, dass ich mich in dieser Konstellation neu erfunden habe, sondern vielmehr, dass es ein natürlicher Prozess ist, der all diese Entwicklungen und Erfahrungen umfasst. Ich denke, es ist auch gar nicht wirklich steuerbar, wohin etwas geht, oftmals ist es gescheiter, man gibt sich dem einfach hin, arbeitet und lebt diese Sachen, wie sie gegeben sind.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Wie viel entsteht einfach aus dem Gefühl heraus, wie sehr lasst ihr euch in eurem Tun treiben, oder geht ihr beim Schreiben der Stücke eher analytisch an die Sache heran?

Moritz Weiß: Es war für mich zu Beginn als jemand, der aus der Klassik kommt, tatsächlich nicht ganz so leicht wie für Max und Niki, die mehr aus dem Jazz und der improvisierten Musik kommen, in eine freiere Art des Musizierens und kreativen Arbeitens einzutauchen.

Das Schöne aber auch anstrengende an der Kunst ist, dass einen oftmals nichts anderes übrigbleibt, als sich seinen eigenen Weg zu suchen, und der ist und bleibt aber dann wirklich der eigene. Was wir als Trio tun, lässt sich nur bedingt rationalisieren, weil sich gerade in der Musik viel auf anderen Ebenen abspielt. Was meine Position als Bandleader dieser Konstellation betrifft, ist es natürlich eine andere Sache, wenn man ins Organisatorische und Wirtschaftliche schaut. Da kommt man mit reiner Intuition nicht so sehr weiter. Was die Musik betrifft, fand auf diesem Album jedoch definitiv mehr intuitives Werkeln statt, bis die Stücke für das Recording fertig waren. Aber auch das ist nur ein punktueller Einblick. Die Konzerte der letzten Jahre haben uns gezeigt, dass sich jedes Stück mit jedem Konzert wieder ein klein wenig verändert.

Ich wusste eigentlich gar nicht, dass du ursprünglich aus der Klassik kommst. Wie bist du zum Klezmer gekommen?

Moritz Weiß: Genau, ich habe in Wien an der Musikuniversität IGP Klarinette Klassik studiert, hatte aber schon seit meiner Kindheit viel mit World Music aus verschiedensten Gegenden zu tun. Der Grund dafür war, dass ich mit Eltern aufgewachsen bin, die als Hobby-Musiker:innen sehr stark in der World Music-Szene unterwegs waren und auf vielen Festivals umhergeschwirrt sind. Ich besuchte auch den ganz normalen Musikschulunterricht und bin musikalisch ganz klassisch oststeirisch sozialisiert worden, zwischen Blasmusik und Musizieren in der Kirche.

Über meinen Musikschullehrer in der Musikschule Ilz habe ich erstmals ein Klezmer-Stück gespielt. Es war zwar ein ganz einfaches Stück aus einer Klarinettenschule, aber irgendwie hat es mich gefangen. Eine andere Musiklehrerin hat mir dann einmal von Giora Feidman erzählt, woraufhin ich einiges über ihn recherchiert habe. So hat sich dieser Prozess langsam verselbstständigt. Ich war da etwa 13 oder 14 Jahre alt. Seitdem fasziniert mich dieses Thema sehr, und je mehr ich mich damit beschäftige, desto mehr beeindruckt mich die Komplexität dieses Themas im Feld sozialer, religiöser, (trans-) kultureller Strukturen. Ich finde es immer wieder spannend, auf neue Dinge zu stoßen.

Seit einiger Zeit mache ich nun auch einen Master in Ethnomusikologie und beschäftige mich aus einer ganz anderen Perspektive mit dem Umgang mit traditioneller Musik. Ich setze mich also intensiv mit diesem Thema auseinander und reflektiere, welchen Bezug ich persönlich dazu habe. Dementsprechend ist die Klezmermusik für mich neben meiner klassischen Ausbildung mittlerweile das Hauptthema, dem ich mich jetzt schon viele Jahre leidenschaftlich widme.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Was ebenfalls ganz neu bei diesem Album ist, dass es zu fast allen Stücken auch ein Musikvideo gibt. das kennt man zwar aus dem Pop, in der Worldmusic ist so etwas jedoch selten. Wie seid ihr auf diese Idee gekommen?

Moritz Weiß: An und für sich ist die Idee, ein Video zu machen, ja nichts Ungewöhnliches. Und wie du sagst, im Pop ist es gang und gäbe. Besonders Niki, der Teil der Funk-Pop-Band Candlelight Ficus ist, hat in der Videoproduktion bereits viel Erfahrung gesammelt. Ich denke, in der heutigen Zeit und der damit verbundenen Schnelllebigkeit – man denke nur an Social Media – sind visuelle Inhalte wie Videos und Bilder in der Promotion genauso wichtig wie die Musik selbst. Es ist entscheidend, auf vielen Kanälen präsent zu sein.

Die Videoreihe an sich sowie die Veröffentlichung unserer Singles waren ein Vorschlag unseres Labels GLM Music, das seit ca. zwei Jahren von den Musikern von Quadro Nuevo geführt wird. Wir haben in den letzten Jahren mehrfach mit ihnen gespielt und uns angefreundet. 2023 haben wir dann vereinbart, dass sie unser Album herausbringen. Das Label ist sehr erfahren und setzt stark auf die Veröffentlichung von Singles, wobei der Fokus auf den gesamten Streamingbereich gelegt wird. Ihre spannende Idee: Durch gezielte Single-Releases und Streaming-Aktivitäten lässt sich die Aufmerksamkeit für ein kommendes Album gezielt über einen längeren Zeitraum steigern.

Wenn ich ein Album herausbringe, steckt so viel Arbeit dahinter – der gesamte künstlerische Prozess und Konzeption, das Artwork, die Fotos und Texte. Es wäre einfach schade, wenn die ganze Aufmerksamkeit für ein Album nur auf die Zeit rund um den Release beschränkt bliebe. Ich finde die Grundidee spannend, das Album in einzelne Teile zu zerlegen und über ein Dreivierteljahr hinweg immer wieder auf unsere neue Musik aufmerksam zu machen. Natürlich bedeutet es zusätzlichen Aufwand, Singles zu veröffentlichen und sich für jede etwas Besonderes zu überlegen, aber es ist einfach notwendig.

Herzlichen Dank für das Interview.

Michael Ternai

++++

Das Album ist als CD & Vinyl über den Webshop des Moritz Weiß Klezmer Trios erhältlich: www.mwktrio.com/shop

++++

Moritz Weiss Klezmer Trio live
27.03. Altes Kino, Leibnitz (AT)
30.03. Schloss Goldegg, Goldegg (AT)
03.04. Dom im Berg, Graz (AT)
04.04. Konzerthaus, Wien (AT)
07.05. Museum St. Peter an der Sperr, Wiener Neustadt (AT)
08.07. Renaissance Arkadenhof, Linz (AT)
11.09. Haus der regionen, Krems (AT)

++++

Links:
Moritz Weiss Klezmer Trio
Moritz Weiss Klezmer Trio (Facebook)
Moritz Weiss Klezmer Trio (mica-Datenbank)
GLM Music