„Die stille Assimilation ist zu einfach“ – MERMAID & SEAFRUIT im mica-Interview

Das polnisch-österreichische Duo MARKUS STEINKELLNER und MAGDALENA CHOWANIEC aka MERMAID & SEAFRUIT veröffentlichte nach zweijährigem Bestehen im Juli 2017 sein Debütalbum „XXXXXXX“. Seit 2015 stellen die beiden unter Beweis, dass performative und musikalische Grenzen obsolet geworden sind, die Emotion den Sumpf der Großstadt überwunden hat und Donald Trump zumindest dem künstlerischen Ausdruck dienen kann. Wie es MERMAID & SEAFRUIT gelungen ist, ihre Performance mit einer Symbiose aus Hardstyle, Noise und Rap zu vertonen und Kraft aus dem allseits grassierenden Kulturpessimismus zu schöpfen, erläuterten die beiden Musiker im Gespräch mit Julia Philomena.

„XXXXXXX“ ist geprägt von inhaltlicher und musikalischer Vielfalt. Nach welchen Kriterien wurde das Album zusammengestellt?

Markus Steinkellner: Unser Motiv war, eine Bestandaufnahme des bisherigen Mermaid-&-Seafruit-Outputs zu machen. Wir haben letztes Jahr beschlossen, ein Album zu veröffentlichen und gedauert hat es – wie so oft in der Musik – dann etwas länger als gedacht.

Magdalena Chowaniec: Auf dem Album ist fast alles zu finden, was wir gemeinsam gemacht haben, daher ist es so unterschiedlich und weird geworden.

Sie kommen beide aus unterschiedlichen Bereichen. Markus Steinkellner, Sie sind als Gitarrist, Sänger und Produzent bekannt, sowohl durch Ihr Soloprojekt Idklang als auch durch Ihr Engagement bei der Grazer Formation Jakuzi’s Attempt. Sie, Magdalena Chowaniec, sind in Wien häufig im Rahmen des Festivals ImPulsTanz und als Teil der Anti-Fascist Ballet School bei den Wiener Festwochen zu sehen. Wie haben Sie einen künstlerischen Zugang zueinander gefunden? 

Magdalena Chowaniec: Ich bin in erster Linie Tänzerin und keine Musikerin. Vor Mermaid & Seafruit habe ich zwar in einer Punk-Band gespielt, mit der ich mich sehr stark identifizieren konnte, aber der rein technische Zugang zur Musik ist mir fremd. Punk ist eine Kommunikation, die ich verstehe, und ein Milieu, das ich kenne.

Markus und ich haben 2015 begonnen, zu jammen, und versucht, herauszufinden, was zwischen uns möglich ist, was wir beide können und was musikalisch passieren kann, ohne die eigenen Grundsätze zu verlieren. Es hat lange Zeit gebraucht, die eigene Position in unserem gemeinsamen Projekt zu finden, in unseren stundenlangen Jamsessions Strukturen zu entwickeln, die schlussendlich eine Finalisierung der Tracks ermöglicht haben.

Wurden für das Album neue Herangehensweisen gefunden?

Markus Steinkellner: Im Kontext der Albumentstehung haben wir einiges neu arrangiert und umgedacht. Wir haben lange an den unterschiedlichen Tracks geschliffen und auch an Details gearbeitet – so genau, wie wir bisher für eine Live-Show sicher nicht arbeiten mussten.

Magdalena Chowaniec: Im Punk-Bereich hat für mich eine Albumaufnahme „3 Tage und tschüss“ bedeutet. Bei uns war das definitiv anders und nicht einfach, weil wir beide oft im Ausland sind. Das Album ist, wie generell unsere Musik, sehr fragmentarisch entstanden, hat dafür aber Präzision zugelassen.

„Durch das Performative bahne ich mir meinen Weg zur Musik.”

Hat der Albumprozess hinsichtlich der Live-Gigs etwas verändert?

Magdalena Chowaniec: Die meisten unserer Tracks spielen wir live schon ewig. Als Performerin steht für mich der Live-Aspekt immer im Vordergrund, und der hat für mich schon lange sehr gut funktioniert. Die Schwierigkeit war also weniger, den Aufnahmeprozess mit all seinen Feinfühligkeiten auf die Bühne zu übersetzen, sondern mehr den Live-Aspekt für das Album.

Markus Steinkellner: Sehr stark sind aber Magdalenas Texte. Die wirken auch beim klassischen Rezipieren zu Hause. Live bekommt das Wort natürlich einen anderen Stellenwert, einen anderen Rahmen. Vor allem das Stück „Ghostchannel” ist nicht nur ein Fenster zu einer Situation, sondern eine ganze Geschichte, die wir in elf Minuten erzählen. Die kann man auf dem Album gut mitverfolgen, aber hautnah erleben vielleicht nur live.

Magdalena Chowaniec: In „Ghostchannel” geht es um die Betrachtung verschiedener Frauenrollen und den Mut, so zu sein, wie man will. Diese Erzählung hat sich eigentlich nur durch Improvisation ergeben und ist deswegen vor Ort am interessantesten. Durch das Performative bahne ich mir meinen Weg zur Musik. Anders kann ich es wahrscheinlich auch nicht. Ich muss immer etwas verkörpern, etwas erzählen, was ich werden kann.

Markus Steinkellner: Magdalena schreibt ihre eigenen Performances und die sind teilweise autobiografisch gefärbt. Sie sind sehr persönlich, intensiv und abhängig vom jeweiligen Moment. Diesen Aspekt einzufangen und in einem Track zu verarbeiten war nicht einfach.

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Der erste Track, „Open letter“, ist an Donald Trump adressiert und eröffnet das Album mit aggressivem Hardstyle. Ist die Nummer aus einer Notwendigkeit entstanden oder ebenfalls aus der Improvisation?

Magdalena Chowaniec: In diesem Fall war zuerst der Text da. Beziehungsweise war es eine Textvorlage. „Open letter“ ist eine Petition aus dem Netz, die auf der amerikanischen Onlineplattform Avaaz zu finden ist. Der einleitende Satz dieser Petition, „Dear Mr. Trump, this is not what greatness looks like“, war für uns vokaler Leitfaden.

Beim Track „Mesmerized by Uncertainty“ haben wir das so ähnlich gemacht, da haben wir nämlich Textpassagen aus der Rede von Martin Luther King verwendet. Die Nummer haben wir ursprünglich für meine Performance „What’s In The Artist’s Head“ beim Festival ImPulsTanz entwickelt und für Mermaid & Seafruit als Track übernommen.

„Empty Body“ beschreibt dagegen weniger konkrete politische Ereignisse, sondern mehr zeitgenössische Empfindungen: „Don’t you have the feeling that something is wrong in the city?“ Geht es dabei um Ironie oder ernst gemeinten Kulturpessimismus?

Magdalena Chowaniec: „Empty Body“ war unser zweiter Song, der 2015 in einer unserer Jamsessions entstanden ist. Ich war damals sehr enttäuscht von einem Hype, der nicht das echte, sondern nur das oberflächliche Hippe gesucht hat. Ich habe das Gefühl einer großen Leere verspürt, einer Langeweile und eines Stumpfsinns, der sich wie ein großer Umhang über die ganze westliche Gesellschaft gelegt hat. „Empty Body“ ist aber nicht nur eine Anklage, sondern auch eine Antwort. Die bequeme Akzeptanz war für uns nie eine Option. Mit kleinen Schritten und von innen heraus kann man gut ankämpfen gegen etwas Großes, Äußeres. Jeden Tag kann man Kleinigkeiten verändern und ich glaube, dass gerade in der Kunst diese optimistisch orientierte Einstellung abhandengekommen ist. In der Kunst glaubt man nicht mehr so stark wie früher an eine Entwicklung. Man suhlt sich lieber im Elend und arbeitet sich am eigenen Kummer ab. Aber bei uns ist der Kummer ein Antrieb.

Markus Steinkellner: Man muss Texte wie „Empty Body“ aber gar nicht unbedingt nur im Kontext von Kunst und Kultur verstehen. Für mich funktionieren sie ganz unabhängig. „Something is wrong here, I can smell it“ ist eine Aussage, die jede und jeder für sich interpretieren und reflektieren kann. „There is nothing to feel“ kann man auf sehr persönliche, aber eben auch auf allgemeine Problematiken projizieren. Ich denke, dass wir auf jeden Fall einige Auslegungsmöglichkeiten anbieten.

Inhaltlich ist also einiges offen, die musikalische Positionierung dagegen ist sehr klar. Aus welcher Intention heraus hat Mermaid & Seafruit – neben Noise, Rap und Grime – zum sehr ambivalent gefärbten Subgenre „Hardstyle“ gegriffen?

Magdalena Chowaniec: In Polen war ich gemeinsam mit Markus auf einer Hardstyle-Party, wo sich das Klischee von weißen Hooligans leider auf unangenehme Weise bestätigt hat. Die Musikrichtung wird oft und auch nicht unbegründet mit rechten Kreisen in Verbindung gebracht, aber ich fände es falsch, deswegen auf ihren Gebrauch zu verzichten. Dasselbe Problem gibt es ja beim Punk, der stark von seinem Kontext abhängt. Musik ist eben nur eine Fassade. Man muss sich mit ihr auseinandersetzen, um Inhalt, Rahmen etc. verstehen zu können.

Markus Steinkellner: Für eine tiefere Auseinandersetzung sind heute viele zu faul, obwohl ihr Urteil immer schneller und bösartiger ausfällt. Ich fürchte, dass auch die linken Kreise intoleranter und oberflächlicher geworden sind.

Magdalena Chowaniec: Sie haben eine genaue Vorstellung, von der keinen Millimeter abgewichen werden darf. Insofern ist natürlich unser Einsatz vieler Musikrichtungen auch ein provokantes Statement. Die stille Assimilation ist zu einfach.

„Das polnische Publikum möchte keinen Eintritt zahlen. Wenn ein Konzert so viel kostet wie ein Bier, dann wollen die Leute lieber ein Bier.”

Magdalena, Sie kommen aus Polen und leben seit Jahren in Österreich. Womit wurden Sie in Ihrer Heimat musikalisch sozialisiert und welche Unterschiede können Sie zwischen den beiden Ländern feststellen?

Cover „XXXXXXX”

Magdalena Chowaniec: Der Grund, warum ich selbst so an der Punk-Musik hänge, basiert darauf, dass in den 1980er-Jahren in Polen eine riesige Punk-Szene entstanden ist, die in jeder Hinsicht versucht hat, gegen das System zu wirken und konservative Strukturen zu brechen. Damit die Menschen nicht auf der Straße rebellieren, sind viele vom Staat genehmigte Festivals entstanden, zum Beispiel Jarocin. Dort sind die Leute damals schon total ausgezuckt, obwohl es ein striktes Alkohol- und Drogenverbot gab.

Das Traurige in Polen ist, dass es – im Vergleich zu Österreich – keine stabile Musik-Community gibt. Wenn du in Polen in einer Band spielst, dann gibt es keine Möglichkeit, regelmäßig aufzutreten. Das polnische Publikum möchte keinen Eintritt zahlen. Wenn ein Konzert so viel kostet wie ein Bier, dann wollen die Leute lieber ein Bier. Auch wenn es Musik abseits des Mainstreams überall und immer schwer hat, gibt es in Österreich eine große Bereitschaft, junge, ambitionierte Künstlerinnen und Künstler zu fördern und zu unterstützen. Progressivität stößt hier zumindest auf ein bisschen Anklang. Im Juni 2016 haben wir zum Beispiel in Salzburg für das Interlab gespielt, ein Festival für transdisziplinäre Kunst und Musik. Das war sehr gut gemacht und auch eine sehr schöne Live-Erfahrung. In Polen dagegen ist eine kleine Tournee oder auch nur ein einzelner Auftritt relativ schwierig zu organisieren.

Markus Steinkellner: Das Unsound-Festival ist möglicherweise eine gute Plattform, um im Land die Aufmerksamkeit für regionale Acts und Musik zu schärfen. Und es tut sich ja schon einiges Spannendes, wie zum Beispiel das Kollektiv Intruder Alert, das neben einer guten Präsenz im Internet und einer weltweiten Vernetzung auch versucht, vor Ort etwas zu machen und Partys zu veranstalten.

Wenn es abseits eines Unsound oder anderer Großveranstaltungen zu einem Auftritt in Polen kommt, stößt man dann auf Interesse seitens des Publikums?

Magdalena Chowaniec: Insgesamt habe ich nur dreimal in Polen gespielt, nur einmal war es richtig gut. Das war in einem besetzen Haus direkt am Hauptplatz von Poznań. Diesen Ort gibt es mittlerweile nicht mehr.

Die Regierung geht seit zwei Jahren in eine sehr rechtskatholische Richtung, die schon an eine leichte Diktatur erinnert. Die 2000er waren gute Jahre für Polen, jetzt ist es wieder schlimmer geworden. Alternative und kritische Kunst werden momentan sehr wenig bis gar nicht gefördert.

Und was wünscht sich Mermaid & Seafruit?

Magdalena Chowaniec: Auch in Österreich: mehr Mut und Aufmerksamkeit [lacht]!

Herzlichen Dank für das Gespräch

Julia Philomena

Links:
Mermaid & Seafruit (Facebook)