„Okay“ (Problembär Records) ist das vierte Album von NEUSCHNEE und wurde am 31. Jänner 2018 im Wiener WUK präsentiert. Das Album bietet gewohnt ruhige, klassische Arrangements und zudem Elektronisch-Skurriles. „Okay“ ist kein Konzeptalbum, sondern eine Bestandsaufnahme der künstlerischen Bandbreite. In den Songtexten werden persönliche Geschichten erzählt oder gesellschaftspolitisch relevante Statements verlautbart. Etwa: „Es ist nie zu spät für ein bisschen mehr Solidarität.“ Mit Julia Philomena sprach HANS WAGNER über den Mut zur Vielfalt und zum Schwachsein, über den rückwärtsgewandten Zeitgeist und das Würstel als Metapher für Perversion.
Mit „Okay“ ist das vierte Album von Neuschnee erschienen. Welche Veränderungen und Entwicklungen lassen sich festmachen?
Hans Wagner: Verglichen mit dem vorigen Album „Schneckenkönig“ ist das neue konzeptuell weniger durchdacht. Die Stücke sind organisch gewachsen. Als klar war, dass ich auch sprachlich mit deutschen und englischen Stücken variieren möchte, empfand ich den Titel, der in vielen Sprachen verwendet wird und dasselbe bedeutet, sehr passend. Die anderen Alben haben viel mehr ein spezielles Thema behandelt, das sich schon im Titel offenbart hat. „Okay“ geht zum ersten Mal in keine eindeutige Richtung.
Vergangenen Juli ist „Umami“ erschienen. Mit Pippa Galli als Sängerin und viel Elektronik. War es das Ziel, eine neue Fanbase zu erreichen?
Hans Wagner: Ich bin mir nicht sicher, wer genau unsere Fanbase ist und was unsere Fans mögen bzw. wo die Grenzen sind. Meinem Eindruck nach ist die Fanbase sehr bunt gemischt. Manche hat „Umami“ sicher verstört. Die Stärke der Band liegt im Ohr der Hörerinnen und Hörer. Die einen schätzen eher die ruhigen, die anderen die skurrileren Songs. Für mich persönlich ist das Elektronisch-Skurrile auch sehr wichtig. Es macht einfach Spaß. „Umami“ hat den Ernst ausgelassen, es geht einfach um Groove und Geschlechtsverkehr.
Gibt es auf dem Album eine zentrale Nummer für Sie?
Hans Wagner: „It’s okay to feel lost“ ist mir sehr wichtig. Der Ansatz, Schwäche zu zeigen, fehlt mir oft in der Musik. Dabei kennen sich viele nicht aus. Alle sind verloren. Manchmal. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es aber nach jedem Tief wieder bergauf geht, dass die schlechten Phasen die schönen dann noch schöner machen. Öffentlich ist man gerne nur der Mensch, der funktioniert, oder der Mensch, der leiden muss, fast als Show. Real ist ja eher die Mischung davon.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.
„Der Zeitgeist macht Buh“ sticht auf dem Album sicher als die poppigste Nummer heraus. Welchen Input gab es da?
Hans Wagner: Das Lied ist das jüngste am Album. Am Anfang steht meistens eine Klangidee, weil ich sehr klangorientiert bin. In dem Fall wollte ich mit Synthesizern arbeiten. Bei „Der Zeitgeist macht Buh“ geht es zum einen darum, sich musikalisch einen Spaß zu erlauben – also mit zeitgeistigen Klängen zu arbeiten –, und auf der anderen Seite darum. inhaltlich etwas zu verhandeln. Dadurch sind die Botschaften verspielter, nicht so bedeutungsschwanger. Außerdem finde ich moderne, hedonistische Musik mit einer Scheiß-drauf-Haltung zwar ganz lustig. Ich kann mich für die Musikentwicklungen, die neuen Sounds auch sehr begeistern, aber nach einer Zeit geht mir die Inszenierung auf die Nerven.
Was zeichnet den Zeitgeist der Gesellschaft Ihrer Meinung nach aus?
Hans Wagner: Der Zeitgeist ist rückwärtsgewandt. Er arbeitet gegen das, was die letzten Jahre in die Wege geleitet wurde, gegen Progressivität und gegen die Idee einer solidarischen Gemeinschaft. Ich habe das Gefühl, dass wir uns weltweit wieder im Nationalismus einkasteln. Krisen werden offensichtlicher und die Provokation auf politischer Ebene basiert auf einer bewusst unreflektierten Sprache. Alle sind gereizt. Das erinnert mich an Teenager: besoffen in der Bar sitzen und sich irgendwann die Schädel einschlagen. Das ist alles andere als groß gedacht.
„Die Metapher der Wurst mit Blattgold zeigt, dass kulturelle Identität auch absurd und ausgrenzend sein kann.“
Im Musikvideo von „Der Zeitgeist macht Buh“ sind auffallend viele Würstel zu sehen.
Hans Wagner: Die Würstel-Bilder sind eine Anspielung auf die gesellschaftliche Tradition, gepaart mit Perversion. In der Kombination mit dem Blattgold. Das Würstel ist urig, das Blattgold dekadent. Die Kombination macht das Ganze nicht unbedingt besser [lacht]. Die Metapher der Wurst mit Blattgold zeigt, dass kulturelle Identität auch absurd und ausgrenzend sein kann. Die Ausstattungsideen sind übrigens nicht von mir, sondern von der Künstlerin nita, wir haben das Video gemeinsam mit simp gedreht.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.
Wie sieht die Übersetzung der elektronischen Nummern bei einer Live-Performance aus?
Hans Wagner: Das ist dann eine Mischform aus Playback und Livemusik. Ich habe mir ein Gerät gekauft, mit dem ich die Stimmeffekte auf der Bühne in Echtzeit produzieren und selbst steuern kann.
Abgesehen von diesem digitalen Bandmitglied – wie gut funktioniert die große sechsköpfige Formation?
Hans Wagner: Seitdem wir einen Booker haben, läuft es sehr gut. Der Schurli von „easylistening“ kümmert sich gut um uns. Aber natürlich bleibt eine große Band immer eine große Herausforderung.
Wie wird es weitergehen?
Hans Wagner: Mit politischem Hardcore-Pop [lacht]. Aber in Zusammenhang mit einem Soloprojekt. Neuschnee ist organisch gewachsen. Wir verbinden die Welten, die wir lieben, erzählen sehr persönliche Geschichten. Der Reiz eines Soloprojekts ist, genau das Gegenteil zu versuchen. Arty-farty und ökonomisch. Im Sinne von wenig Aufwand. Eine kleine Band, die herumfahren und in kurzer Zeit viel machen kann. Wichtig ist mir vor allem, dass man nicht erkennt, dass der Sound von mir kommt. Ganz sicher bin ich mir noch nicht, aber das Projekt soll einen Einzelkämpfer, aber auch eine Identifikationsfigur darstellen, die mit Maske funktioniert. Das Projekt ist auf einem globalen, sehr theatralischen Level gedacht. Aber meinen Anspruch, Text und Musik auf Augenhöhe zu betrachten und die Stimmigkeit einzelner Songs vor die Stimmigkeit eines Gesamtkonzepts zu stellen, werde ich mir nicht nur für Neuschnee beibehalten. Jetzt freue ich mich vor allem auf das kommende Jahr mit der Band und hoffe, dass wir auch viel in Deutschland spielen und die unterschiedlichen Kontexte einander befruchten werden.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Julia Philomena
Neuschnee live
09.03. Jazzit, Salzburg
05.04. Cinema Paradiso, St. Pölten
26.04. Orpheum, Graz
12.06. Radiokulturhaus, Wien
07.07. Vanishing Garden, Linz
Links:
Neuschnee
Neuschnee (Facebook)