Seit nun zehn Jahren sorgt die Konzert- und Clubreihe Struma+Iodine dafür, dass auch in der Stadt Wien Hörgewohnheiten kontinuierlich verschoben werden. Und dass die Gewissheit, was auf der Tanzfläche erwartet werden darf, regelmäßig verworfen werden muss. Was begann, um Auftritte im Freundeskreis zu organisieren, entwickelte sich zu einer festen Institution in der freien Szene und kann heute als kritische Infrastruktur derselben gelten. Hinter der Struktur steht die Kuratorin, Autorin und Künstlerin Shilla Strelka. Simon Popp hat mit ihr über ihre Arbeit gesprochen.
In wenigen Tagen feiern wir den Geburtstag von Struma+Iodine. Eine der progressivsten Konzert- und Partyreihen der Stadt wird zehn Jahre alt. Was hat dich dazu bewegt, Struma+Iodine ins Leben zu rufen?
Shilla Strelka: Ich wollte befreundeten Musiker:innen aus dem In- und Ausland ermöglichen, aufzutreten. Damals gab es für diese Art von Musik keine unabhängigen Veranstalter:innen. Ich bin einem starken DIY-Ethos gefolgt. Ich wollte etwas zurückgeben, aus der Rolle der passiven Musik-Konsumentin heraustreten.
„Es sind Klänge, (die) transformatives Potential in sich tragen.”
Wie würdest du den Klang beschreiben, den du kuratierst?
Shilla Strelka: Zeitgenössische, avancierte Elektronik im weitmöglichsten Sinn und progressive Clubkultur. Mein Fokus liegt auf experimentellen Zugängen und radikaler elektronischer Musik. Ich suche nach intensiven Sounds. Nicht nur im Sinne eines physisch Affiziert-werdens, also Sounds, die deine Wahrnehmung verstören und sinnliche Tabuzonen durchbrechen, dissidente, subversive Sounds. Ich meine damit auch emotionale Intensitäten – Euphorie, Nostalgie, Melancholie, Wut, usw. und die Frage, wie diese sich in zeitgenössische Sounds übersetzen. Da steckt sehr viel Jetzt-Zeit drinnen, in diesen Positionen. Mich interessieren aber auch Phänomene wie Immersion, das totale Eingesponnen-sein in Klang und Trance-Zustände. Mich faszinieren Klänge, die unsere Wahrnehmung auf eine Art verändern, die Sinne neu konfigurieren, weil sie transformatives Potential in sich tragen. Da können Sounds in die Wirklichkeit einbrechen.
Einige unserer Leserinnen und Leser werden das Wien des Jahres 2013 wohl gar nicht kennen. Kannst du die Stimmung der Stadt, vor allem die Lage für elektronische, experimentelle Musik skizzieren?
Shilla Strelka: Damals gab es in Wien v.a. viel Indie-Rock oder Formate wie den Gameboymusicclub. Es war also am Anfang schwer für mich, eine Szene zu finden. Im Umfeld von klingt.org ist viel passiert, aber die Acts waren eher im Impro-Kontext situiert, viel elektroakustische Musik. Und es gab die VELAK-Abende, die von der ELAK veranstaltet wurden. Für experimentelle elektronische (Club-)Musik, die sich abseits des Akademischen, im Underground, in den subkulturellen Nischen bewegt, gab es keine Plattform damals. In den 1990ern gab es Phonotaktik, damit wird meine Arbeit manchmal verglichen. Das war aber auch schon vorbei, als ich begonnen hab. Ich war auch zu jung, um da gewesen zu sein. Natürlich, es gab das Rhiz und das Fluc. Herbie Molin und Peter Nachtnebel haben mir damals den Space gegeben, Dinge auszuprobieren und weniger Miete von mir verlangt, weil sie das gut fanden, was ich mache. Ohne den beiden wäre vieles anders gelaufen. Außerdem gab es Offspaces. Ich habe anfangs in Orten wie dem Ve.Sch veranstaltet, später dann im Moë, wo der Community-Gedanke im Vordergrund stand.
Du hast einen akademischen Hintergrund und sowohl Philosophie, Theater-, Film- und Medienwissenschaften als auch Kunst studiert. Wie kommt man von dort zum Kuratieren und Organisieren von Konzerten und Technopartys?
Shilla Strelka: Ich habe mich immer schon mit Musik beschäftigt. Ich verbringe fast keine Minute, ohne Musik zu hören. Mein ganzes Leben schon. Eigentlich hatte ich vor, meinen Ph.D. über Noise und das Politische zu schreiben und bei Diederich Diederichsen an der Akademie zu Sounds zu forschen. Wahrnehmungsexperimente, formale Experimente haben mich schon immer interessiert – egal ob im Film, in der Literatur oder in der Musik. Avantgarden haben mich angezogen, alle Strömungen und Positionen, in denen Kunst einen direkten Einfluss auf das Leben, die Gesellschaft nehmen möchte. Die Poetik von Artaud, Brecht, Godard hat mich stark geprägt.
Über den Umweg der Praxis bist du mittlerweile wieder an die Universität gelangt! Du unterrichtest an der FH Salzburg und im kommenden Semester auch an Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Was genau erwartet die Musikstudent:innen?
Shilla Strelka: Mir ist es wichtig, dass die Studierenden lernen, genau hinzuhören, dass sie auf die spezifischen Materialitäten von Klang achten und auf die unterschiedlichen Weisen von Klang berührt zu werden. Ich möchte den akustischen Sinn aus seiner unterprivilegierten Position befreien und ihn in den Fokus der Wahrnehmung stellen. Wir werden auf die Suche nach Sonic Fictions gehen und uns die unterschiedlichen Konzepte, die hinter bestimmten Sounds stehen, genauer ansehen. Der soziale Kontext spielt eine wichtige Rolle und die Genealogie bestimmter Genres.
„(W)ie sich dasPolitische und Ästhetik zusammendenken lassen.”
Gibt es Themen oder Motive aus deiner wissenschaftlichen Praxis, die in deiner Tätigkeit als Kuratorin und Veranstalterin reflektiert werden?
Shilla Strelka: Die zentrale Frage, die ich mir stelle, ist wie sich dasPolitische und Ästhetik zusammendenken lassen. Wann gelingt es der Kunst, ins Leben einzufallen, die Wahrnehmung und die Wirklichkeit zu verändern und einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft zu haben? Ich habe in meiner Studienzeit viel Kritische Theorie und die französischen Philosophen gelesen und mich mit dem Verhältnis von Form und Inhalt auseinandergesetzt. Auch als Musik-Kuratorin beschäftigen mich diese Themen. Bloß dass der Inhalt sich akustisch übermittelt, abstrakt bleibt, in der Schwebe.
Auch als Künstlerin stellst du dich diesen Fragen, legst unter dem Namen Inou Ki Endo immer wieder selbst auf. Wie schaffst du es, neben deinen vielen Aufgaben – du organisiert nicht nur Struma+Iodine, sondern kuratierst auch beim Elevate in Graz sowie das Festival Unsafe+Sounds UND bist als Autorin tätig – zu einer eigenen künstlerischen Praxis zu kommen?
Shilla Strelka: Ja, ich komme leider immer weniger dazu. Phasenweise klappt es. Da setze ich mich dann spätnachts hin und bereite Sets vor. Was ich neben den Club-Sets wirklich gerne mache, sind Stummfilm-Vertonungen. Das Zusammendenken von konkreten Bildern und abstrakten Klängen ist extrem spannend.
Auch wenn er selbst eher zurückhaltend war, den Vordergrund gemieden hat: Viele in der globalen Szene werden, hören sie von Wien, an Editions Mego denken. Und an den Gründer des Labels, Peter Rehberg, der 2021 plötzlich verstarb. Ist Wien und ist die Welt der elektronischen Musik seither verändert?
Shilla Strelka: Ich kann das schwer entkoppelt von meiner persönlichen Beziehung zu Peter sagen. Er fehlt mir sehr. Natürlich ist das ein Verlust, der eine Leerstelle hinterlässt. Peter lässt sich nicht ersetzen. Auch weil er eine Vision hatte. Er hätte das vielleicht nicht so genannt, aber sein musikalisches Gespür, seine Intuition und sein Wissen sind nicht ersetzbar. Und er als Mensch auch nicht. Er war radikal und kompromisslos und ein Provokateur, unbestechlich und loyal.
Kannst du in Worte fassen, welche Wirkung, welchen Einfluss Peter Rehberg als Labelhead hatte, als Entdecker von Künstler:innen?
Shilla Strelka: Mego wird seine Legacy nie verlieren. Das Label gilt zu Recht als eines der international einflussreichsten im experimentellen Sektor. Peter hat täglich zahlreiche Anfragen bekommen. Er war ein rastloser Geist, hat ständig Neues entdeckt, viele Platten gekauft. Er hatte immer ein offenes Ohr und ist neugierig geblieben. Wenn du dir den Roster anschaust, dann wird dir klar, welchen Impact und welche Weitsicht er hatte.
Was verbindet dich selbst mit Mego?
Shilla Strelka: Ich habe viel von Peter gelernt, sowohl beruflich als auch menschlich. Er hat immer von der Mego-Family gesprochen. Dieser Gemeinschafts-Gedanke verband uns stark, aber natürlich auch die Ästhetik. Das Interesse am Radikalen und Experimentellen, Neuartigen, das war uns gemeinsam. Deswegen haben wir uns auch so gut verstanden. Wir fanden ähnliche Sounds und Ansätze gut.
“Ich möchte etwas Nachhaltiges für die Szene schaffen.”
Auch Struma+Iodine entwickelt sich in den letzten Jahren von einer Party- und Konzertreihe immer weiter in Richtung einer Community, zumindest ist das mein Eindruck. Etwa sichtbar an dem Archiv von Artists und Events auf der (sehr gut gestalteten!) neuen Webseite. Dort gibt es auch eine aktive Interview-Sektion, die die Gesichter hinter den Aliassen zeigt. Beobachte ich das überhaupt richtig? Und was darf man noch erwarten von Struma+Iodine, die zu ihrem zehnten Geburtstag bereits eine der wichtigsten Institutionen für elektronische Musik in Wien ist?
Shilla Strelka: Danke, das ist schmeichelhaft, aber auch witzig, wenn deine Reihe zu ihrem 10-Jahres-Jubiläum Institution genannt wird. Als DIY-Promoterin hätte mich das ziemlich vor den Kopf gestoßen (lacht). Da war ich immer auf der Flucht, wollte bewusst nicht vereinnahmt werden und kein Brand sein. Aber ja, der Community-Gedanke war von Anfang an der Hauptgrund, warum ich drangeblieben bin. Es gibt nichts Schöneres, als von Gleichgesinnten umgeben zu sein und es macht mich glücklich, wenn sich das auch kommuniziert. Im Magazinteil kommt die lokale Elektronik-Szene zu Wort. Ich finde es wichtig, zu kommunizieren wer, aber auch was sich hinter den Sounds verbirgt, welche Ideen, Kontexte und Stimmungen. Außerdem folgt die Website einem Archivgedanken, eine Art Nachschlagewerk zu schaffen, in dem die freie Szene Wiens abgebildet wird. Auch die Podcast-Reihe folgt diesem Gedanken. Aber am Ende geht es um das Etablieren einer lebendigen Plattform. Ich möchte etwas Nachhaltiges für die Szene schaffen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Simon Popp
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Nächster Termin: 24. Februar 2023 – 10 Jahres Jubiläum mit Jung An Tagen, In My Talons, Gischt, Karo Preuschl, Alpha Tracks, Elvin Brandhi uvm.
dasWerk, Wien
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