„Die Sache mit dem Kehlkopf ist ein Mythos“ – die Vokalistin AGNES HVIZDALEK im mica-Porträt

AGNES HVIDALEK, in Wien aufgewachsen, ist vor neun Jahren erstmals nach Oslo zum All Ears-Festival gereist und im September 2008 in die norwegische Metropole übersiedelt. Das Festival, das damals von MAJA RATKJE, LASSE MARHAUG und PAAL NILSSEN-LOVE kuratiert wurde, war der Auslöser für diesen Schritt. Hvizdalek: „Fast alle meiner späteren Freunde und Freundinnen hab ich gleich am ersten All Ears-Tag kennengelernt.“

Die damals 21-Jährige beginnt, Norwegisch zu üben, um an der dortigen Volkshochschule eine Klasse für Jazz und Improvisierte Musik zu belegen. Gleichzeitig hat sie sich für ein Stipendium beworben, es aber nicht für die gewünschte, sondern für eine andere Schule, deren Musikklasse „MP3“ hieß, bewilligt bekommen. Dorthin will sie aber, trotz gesicherter Finanzierung für ein ganzes Jahr, nicht. Also wird sie „ein paar Monate lang depressiv“ und leistet stattdessen den Europäischen Freiwilligendienst in einem Jugendkulturzentrum in Oslo.

Im gleichen Jahr startet Hvizdalek, nachdem sie öffentliche Gelder dafür aufgetrieben hat, das Projekt ÖNskekvist (auf Deutsch: Wünschelrute), eine bilaterale Improvisationsplattform für musikalische Freidenkerinnen aus Österreich und Norwegen, und zwar aus unterschiedlichen Szene-Herkünften. Partner aus der  Alpenrepublik ist dabei snim, das Spontane Netzwerk für Improvisierte Musik, später entstand daraus gemeinsam mit jungen Musikschaffenden aus Tschechien das 30-köpfige Improvsationsorchester ÖNCZskekvist.

Solo in Oslo

Als Nachwehen aus dieser Osloer Frühzeit nennt sie erste Soloversuche, als Setting dafür wählt sie Frühstückskonzerte, die sie zuerst in Oslo verwirklicht und einige Jahre später in der Wiener Kulturdrogerie im 18. Bezirk. Solo und Oslo: ein Anagramm, das wie so beabsichtigt klingt. Das sei ihr bewusst, sagt Hvizdalek, und sie habe es auch schon mehrmals als solches benutzt.

Agnes Hvizdalek (c) Lisi Charwat

Ist ein Solokonzert etwas Spezielles, Herausforderndes? Überhaupt nicht,  sagt sie, „das ist ganz normal. Die Sache mit dem Kehlkopf ist ein Mythos“, der dringend ent­mys­ti­fi­zie­rt gehöre. Man könne zwar nicht hineinschauen wie in andere Instrumente, kann sich die Technik aber sehr wohl aneignen. Impulse für diesen Schritt lieferte ihr die dreijährige Teilnahme am Improvisationsschwerpunkt an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, vor allem die Arbeit in den Ensembles mit Franz Hautzinger, ohne jemals zu fehlen, wie sie sagt, und mit Gunter Schneider

In ihren Solo-Arbeiten gehe es Hvizdalek vorwiegend um Sounds. Es gehe um kleine faszinierende Momente innerhalb von vielem, „dass man besser weglassen sollte“. Also stellt sie den Fokus auf „Details, die mich flashen. Und wenn die Leute merken, dass es mich fasziniert, dann bewegt es sie auch, das ist ansteckend.“ Ihre erste Soloplatte „Index“ (Nakama Records) hat Hvizdalek in einem ehemaligen Fabriksgebäude in São Paulo/Brasilien aufgenommen. „Die Aufnahmen waren etwas kurios“, meint Hvizdalek, weil neben ihrer Stimme immer auch der Lärm der Stadt inklusive darüberfliegenden Hubschraubern zu hören sei. Das empfinde sie aber nicht als störend.

Zweimal beim Kaleidophon

Beim Ulrichsberger Kaleidophon (28. bis 30. April) wird Agnes Hvizdalek gleich zweimal hintereinander in Erscheinung treten: einmal im Duo Denoise mit Klaus Filip, der Hvizdaleks Stimme mit gepflegten Sinustönen unterfüttern wird. „Das haben wir schon voll oft ausprobiert“, erzählt sie, zuletzt im Rahmen eines zehnstündigen Schlafkonzerts in Oslo. In dieser Konstellation gehe es um „Musik, die davon profitiert, Zeit zu haben“. Sie empfinde die Zusammenarbeit mit Filip als äußerst konzentriert und leger zugleich. „Es ist eine sehr angenehme Musik!“ Ein ganz anderes Schnittmuster kennzeichnet Nakama, die neue (Jazz-)Band des Kontrabassisten Christian Meaas Svendsen. Er betreibt auch das Nakama-Label und ist gegenwärtig auch Teil des All Ears-Festivalteams. Das Konzept hinter dem Ensemble, das als Quartett gestartet hat, gestaltet Svendsen so, dass ab heuer jedes Jahr eine Person dazukommt, das war eben jetzt Agnes Hvizdalek.

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Von ihrer Zeit am Impro-Schwerpunkt an der Musikuni Wien kennt sie einen anderen Bassisten, den von Elektro Guzzi bekannten Jakob Schneidewind. Mit ihm zusammen bestreitet sie das Duo Demi Broxa, das unlängst mit einer bemerkenswerten CD und ebensolchen Konzerten auffällig wurde.  „Eigentlich wollten wir eine Popband machen“, sagt Hvizdalek, „dann hat er eine Popband gemacht, und ich bin so herumgegurkt.“ Darum habe sich das Duo doch in eine andere Richtung entwickelt. „Ich schätze den Jakob extrem, weil er so offen ist. Wir haben viele Aufnahmen gemacht, viel gespielt und viel geredet.“ Demi Broxa habe insgesamt eine gute Entwicklung genommen. „Ich mag das, und es geht immer weiter.“ Als bisheriges Duo-Highlight betrachtet Hvizdalek den Auftritt auf dem Wiener Popfest in der Karlskirche „vor Leuten, die nie freiwillig in ein Konzert experimenteller Musik gingen. Das war eine saugute Idee!“

In absehbarer Zukunft gastiert sie, mittlerweile wieder vermehrt in Wien tätige, mit einem Workshop und einer Performance beim Impro-Schwerpunkt an der Wiener Musikuniversität, hält einen Kurs im Zentrum für Musikvermittlung (ZMV), wird auf dem Label des Vereins Freifeld bzw. dessen Tochterinitiative Fraufeld gefeatured und ihren Kulturmanagement-Master abschließen. „Ich will ja Kulturministerin werden!“, sagt Agnes Hvizdalek schlicht und ergreifend.

Alois Sonnleitner

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