Vor Kurzem erschien von Peter Tschmuck ein Gastbeitrag in „Die ZEIT ONLINE“ mit dem Titel „Warum Sony wieder Vinyl presst“. Peter Tschmuck setzt sich darin mit den ökonomischen Hintergründen des gegenwärtigen Vinyl-Booms auseinander, weist aber auch auf die Kapazitätsengpässe in der Produktion hin und erläutert die Strategien, wie diese überwunden werden können. Dieser Essay, der in leicht veränderter Form zuerst bei ZEIT ONLINE, erschienen ist, kann nun auch hier nachgelesen werden.
Die Renaissance von Vinyl
Ende Juni dieses Jahres hat die Ankündigung von Sony Music Entertainment für Aussehen gesorgt, dass im Südwesten von Tokio die Herstellung von Schallplatten im Frühjahr 2018 wieder aufgenommen wird, nachdem 1989 die letzten Vinyl-Scheiben vom japanischen Elektronikriesen gepresst wurden. Das war ein Jahr, nachdem Sony mit der Akquisition von Columbia Records in den phonografischen Markt eingestiegen war, um damit der gemeinsam mit Philips entwickelten Compact Disc (CD) einen Wachstumsschub am Markt zu verpassen. Es ist also eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet der Pionier der CD in der Phase ihres sanften Ablebens in die Vorgänger-Technologie investiert, um neue Wachstumspotenziale zu erschließen.
Sony hat aber nicht aus Nostalgie, sondern aus rein ökonomischen Überlegungen heraus, die Schallplatten-Herstellung wieder aufgenommen. So ist der globale Vinylmarkt nach Angaben der International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) in den letzten Jahren stark gewachsen. 2016 wurde mit Schallplattenverkäufen weltweit ein Großhandelsumsatz von US $563,6 Mio. erzielt, was einem Zuwachs von 23,5% zum Vorjahr entspricht. Vinyl hat somit 12,2% zum gesamten globalen Musikmarktwachstum beigetragen. Allein in den USA wurde im Vorjahr mit 17,2 Mio. abgesetzten Vinyl-Scheiben ein Umsatz von US $269,2 Mio. erzielt, was einem Marktanteil im physischen Segment von 28% entspricht. Aber auch in Deutschland ist der Vinyl-Markt am Wachsen. Von 2008, als in Deutschland 500.000 Stk. LPs im Wert von EUR 9 Mio. verkauft wurden, hat sich der Umsatz bis 2016 auf EUR 70 Mio. fast verachtfacht. Dennoch bleibt das CD-Album in Deutschland mit einem Gesamtumsatz von EUR 860 Mio. das ökonomisch relevanteste physische Musikformat. Somit wird hierzulande immer noch mehr Geld mit Tonträgern (inkl. Musikvideos) verdient (EUR 990 Mio.) als mit digitalen Musikformaten (EUR 604 Mio.), auch wenn die Einnahmen aus dem Musikstreaming rasant auf EUR 385 Mio. im Jahr 2016 gestiegen sind. Im Vergleich dazu ist die Schallplatte ein reines Nischenprodukt mit einem Marktanteil von 4,4%.
Abbildung: Die Entwicklung des Vinyl-, CD- und digitalen Musikmarktes in Deutschland, 2003-2016 (in Mio. EUR)
Die Nische ist aber groß genug, um ökonomisch relevant zu sein. Es sind aber vor allem die Produktionsengpässe, die den Labels das Leben schwer machen. In Deutschland gibt es nur wenige Plattenpresswerke, wie z.B. die B.R. Productions & Packaging GmbH in Görlitz, die Produktionskapazitäten zur Verfügung stellen können. So weichen vor allem die Major-Labels ins Ausland aus, um dort noch vorhandene Kapazitäten zu nutzen. Universal & Co. kaufen dabei Presskapazitäten im großen Stil auf, was wiederum die Indie-Labels benachteiligt, die mit ihren geringeren Auftragsvolumina ohnehin schon wirtschaftlich weniger relevant sind als die Majors. Wer heutzutage weniger als 500 Stk. Vinyl-Pressungen in Auftrag geben möchte, wird bestenfalls milde belächelt. Die GZ Media im tschechischen Loděnice bei Prag, die nach eigenen Angaben das weltweit größte Plattenwerk betreibt, stellt mit rund 1.400 Mitarbeitern im Dreischicht-Betrieb täglich 65.000 Stück Vinyl-Schallplatten her. Neben den alten Pressen, die noch aus den 1960er und 1970er Jahren stammen, wurden in den letzten Jahren neue vollautomatische Pressen konstruiert, weil für die alten Geräte schlicht die Ersatzteile fehlen. Dennoch kommt man mit der Erfüllung der Bestellungen nicht nach. Während ein Label vor einigen Jahren ein paar Wochen auf die Auslieferung der schwarzen Scheiben warten musste, sind daraus mittlerweile mehrere Monate Wartezeit geworden – ein untragbarer Zustand für ein hitgetriebenes Business, das kurz nach dem Release-Termin einer neuen Aufnahme Einnahmen generieren muss.
Deshalb hat auch schon die Suche nach neuen technologischen Lösungen begonnen. Es werden dabei nicht nur neue Schallplattenpressen konstruiert, sondern auch innovative Wege eingeschlagen. Der im österreichischen Tulln ansässige Digitalmusikvertrieb Rebeat entwickelt in einem Joint-Venture mit Joanneum Research in Graz die HD Vinyl-Schallplatte mithilfe modernster Lasertechnologie. Ausgerechnet die Digitaltechnologie könnte der analogen Schallplatte zu weiterem Marktwachstum verhelfen, das derzeit durch begrenzte Produktionskapazitäten gehemmt wird.
Was wie ein Anachronismus im digitalen Zeitalter aussieht, ist ganz im Gegenteil Ergebnis der digitalen Revolution in der Musikindustrie. Jede technologische Veränderung erzeugt nicht nur die Nachfrage nach dem Neuen, sondern gleichzeitig befördert sie auch die Rückbesinnung auf das Altbewährte. Der Wandel vom haptischen Erlebnis mit einem Tonträger zum immer verfügbaren Zugriff auf einen Ozean von Musik über Download- und Streamingservices, hat gerade bei Musik-Aficionados den Wunsch nach authentischem, analogem Musikgenuss wachsen lassen. Fakt ist nun einmal, dass bereits auf der CD nicht mehr das gesamte Klangspektrum abgebildet ist und dass so gut wie alle digitalen Formate auf Datenkompression bei Weglassung sehr hoher und sehr niedriger Frequenzen beruhen. Zu bedenken ist dabei aber, dass heutzutage so gut wie alle Musikproduktionen digital hergestellt und über Vinyl ins Analoge übertragen werden. Ein feiner Unterschied zum rein analogen Zeitalter, der den meisten Vinylfans wohl nicht bewusst ist. Es mag also bei der Hinwendung zu Vinyl zwar auch Nostalgie bei älteren Semestern mitspielen, aber auch Jugendliche, die die Schallplatte lediglich aus dem Museum kannten, greifen gern wieder zum „schwarzen Gold“.
Jedenfalls fällt auf, dass in Ländern, die die Transformation zu einem reinen vom Musikstreaming getriebenen Markt abgeschlossen haben, die Umsatzzuwächse im Vinyl-Segment in den letzten Jahren besonders stark ausgefallen sind. In Schweden, wo Musikstreaming laut nationaler IFPI einen Marktanteil von 84,3% hat, ist der Vinyl-Markt 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 38,7% gewachsen und stellt bereits das drittgrößte Marktsegment hinter der CD (Marktanteil: 9,4%) aber noch vor dem Musikdownload (Marktanteil: 1,6%) dar. Auch in Norwegen erreichte Musikstreaming im ersten Halbjahr 2016 einen Marktanteil von 83% bei einem gleichzeitigen Umsatzanstieg der Vinyl-Verkäufe von 43%, die nunmehr im Tonträgermarkt einen Anteil von einem Drittel ausmachen. Es fällt bei der Analyse der internationalen Marktdaten insgesamt auf, dass es eine hohe Korrelation zwischen steigenden Streamingumsätzen und Zuwächsen im Vinyl-Segment bei gleichzeitigen Verkaufsrückgängen bei CDs gibt. Die digitale Revolution hat also nicht nur zum Siegeszug des zugangsbasierten Musikvertriebsmodells geführt, sondern gleichzeitig auch ihre Antithese in Form des Vinyl-Booms hervorgebracht. Allerdings ist dieser Boom von einer kleinen Schicht Musikintensivnutzer getragen, die einen Mehrwert in der Schallplatte sehen. Das heißt, auch wenn die angebotsseitigen Restriktionen wie Knappheit am Vinylrohstoff und begrenzte Produktionskapazitäten überwunden werden können, könnte ein Geschmackswandel auf der Nachfrageseite durchaus dazu führen, dass der Vinyl-Boom zu einem Ende kommt und dann vielleicht wieder die CD eine Renaissance erlebt. Aber das ist reine Spekulation.
Peter Tschmuck
Peter Tschmuck ist Professor am Institut für Kulturmanagement und Gender Studies der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst.
Quellenangaben:
Die Zahlen zum internationalen phonografischen Markt wurden aus dem Global Music Report 2017 der IFPI entnommen. Die Zahlen für den phonografischen Markt in Deutschland stammen aus dem “Jahrbuch des Bundesverbandes der Musikindustrie für 2016”. Die schwedischen Musikmarktzahlen können über die Homepage der IFPI Schweden und jene für Norwegen über die IFPI Norge eingesehen werden. Die Produktionszahlen der GZ Media sind auf der Firmen-Webpage verfügbar.