„DIE MENSCHEN WAREN NACH DER PANDEMIE HUNGRIG AUF LIVE-ERLEBNISSE.“ – ELENA GABBRIELLI und CAROLINE MAYRHOFER (AIRBORNE EXTENDED) im mica-Interview

Das Ensemble AIRBORNE EXTENDED wurde vor zehn Jahren gegründet, um ein bestehendes Repertoire – vor allem das des italienischen Ensemble Alter Ego aus dem Jahr 1992 – zu interpretieren. Die Klangmöglichkeiten der „Doppel-Duo“-Besetzung: Harfe, Cembalo, Flöte und Blockflöte loten nun TINA ŽERDIN, SONJA LEIPOLD, ELENA GABBRIELLI und CAROLINE MAYRHOFER mit ständig neuen Kompositionen, vor allem auch von Komponistinnen, aus. Der Kreis scheint sich zu schließen, da nun auch ein Komponist, der damals für Alter Ego komponierte, ein Werk für AIRBORNE EXTENDED schreiben wird. Michael Franz Woels sprach mit ELENA GABBRIELLI und CAROLINE MAYRHOFER über den Unterschied zwischen aktuell und zeitgenössisch, postpandemische Gegenheiten und programmatische Erwägungen.

Ich würde gerne mit der Frage: „What ist contemporary?“ beginnen. Entdeckt habe ich die Frage auf Ihrem Instagram Account, Elena Gabbrielli …

Elena Gabbrielli: Das ist eine offene Frage. Wir beschäftigen uns mit zeitgenössischer Musik – besser finde ich den Begriff aktuelle Musik. Denn aktuelle Musik ist nicht immer zeitgenössisch und zeitgenössische Musik kann auch unaktuell sein. Als Musikerin versuche ich, diese Aporie zu leben. Und „What is contemporary?“ ist auch eine warnende Hinterfragung, um nicht unreflektiert alles aktuelle Aus-der-Gesellschaft-Kommende einfach zu übernehmen. Als Musiker:innen müssen wir wach sein, auch bei den Stücken und Inhalten, die wir präsentieren.

Caroline Mayrhofer: Es gibt auch eine Schubladisierung, nicht nur in Wien. Plakativ gesprochen: Klassisch orientierte Szenen mischen sich oft wenig mit dem experimentierfreudigeren, eher der Elektronikmusik zugeneigtem Publikum.

Elena Gabbrielli: Es gibt einen großen Markt für klassische Musik, oder zum Beispiel für Barockmusik. Und auch die zeitgenössische Musik drängt auf den Markt …

Caroline Mayrhofer: In einem Konzertprogramm versuchen wir auch oft, verschiedene Musikrichtungen unterzubringen. Beim letzten Konzertprogramm PRIMS#10 „Anamorphosis“ hat Andrew Maxbauer, ein Komponist aus den USA, ein Stück mit Field-Recordings präsentiert. Ich habe eine Silent-Dog-Whistle gespielt, und wir hatten eine Raumumgebung mit offenen Fenstern. Wir haben ganz wenig und leise gespielt, und die Field-Recordings wurden auch leise abgespielt. Die weiteren Stücke des Abends waren aber „konventioneller“ und auf Notenbasis.

„… UNS UNVERMITTELT VOR DEN SPIEGEL DESSEN ZU BRINGEN, WAS WIR WIRKLICH HÖREN, WENN WIR ZUHÖREN.“

Elena Gabbrielli: Andrew Maxbauer hat meiner Meinung nach versucht, sich eine bestimmte Art von amerikanischer Musikkultur im zeitgenössischen klassischen Umfeld zu eigen zu machen – ich denke da an John Cage, Morton Feldman oder Alvin Lucier. Er versucht, uns unvermittelt vor den Spiegel dessen zu bringen, was wir wirklich hören, wenn wir zuhören. Es war ein Experiment im Reaktor und bei unserem letzten Konzert hat das Publikum erstaunlich gut reagiert. Wir möchten uns auch bei den beiden Kuratoren Anna Resch und Sebastian Jobst des Reaktors bedanken, die uns diese Experimente mit völligem Freibrief erlauben.

Caroline Mayrhofer: Oder bei einem unserer letzten Stück waren zwölf Ventilatoren auf der Bühne. Daraus ergab sich auch eine ganz spezielle Klangästhetik, ein notiertes Stück zum Beispiel von Salvatore Sciarrino wirkt natürlich ganz anders. Ich mag diese Mischung.

airborne extended: Caroline Mayrhofer, Tina Žerdin, Elena Gabbrielli und Sonja Leipold
airborne extended: Caroline Mayrhofer, Tina Žerdin, Elena Gabbrielli und Sonja Leipold (c) Ivan Kitanovic

airborne extended besteht, wenn auch mit leicht geänderter Besetzung, nun seit zehn Jahren. Ihr habt auch gemeinsam eine Pandemie überstanden. Wie empfindet ihr die postpandemische Zeit als Musikerinnen nun?

Caroline Mayrhofer: Die Menschen waren nach der Pandemie hungrig auf Live-Hörerlebnisse. Vor der Pandemie waren wir dank NASOM viel unterwegs.

Elena Gabbrielli: Oft spielt man auch vor einem sehr spezialisierten Publikum, vor allem bestehend aus Musiker:innen und Komponist:innen. Aber ich freue mich auch sehr, wenn einfach neugierige Menschen, die unsere Musik noch nicht gekannt haben, uns danach dann ganz frei erzählen, dass es zwar etwas ungewohnt war, sie aber mit neuen Gedanken nach Hause gehen. Auch wir Musikerinnen waren wieder hungrig auf ein Podium, auf diese Live-Erfahrungen.

Caroline Mayrhofer: Und wenn wir durch NASOM verreisen, dann sind wir immer auch auf der Suche nach jungen Komponist:innen in den jeweiligen Ländern. Bei den Konzertreihen in Wien können wir dann viele dieser Stücke von auswärtigen Komponist:innen präsentieren. Denn ganz etablierte Komponist:innen sind oft über Jahre hinweg mit großen Projekten ausgebucht, wie zum Beispiel mit Opern oder Orchesterwerken. Und durch unsere recht speziellen Instrumente braucht es einen gemeinsamen Prozess zur Entwicklung von Stücken. Denn zum Beispiel die erweiterte Spieltechnik von unserer Cembalistin Sonja [Leipold, Anm.] hat sonst nur eine holländische Cembalo-Spielerin drauf. Sie hat spezielle Praktiken entwickelt und sucht nach Wegen, diese zu verwirklichen. Und das gilt auch für Tina Žerdin.

Elena Gabbrielli: Uns ist dieses Coaching mit den Komponist:innen sehr wichtig. Auch das Crossroads Festival in Salzburg war eine schöne Erfahrung. Vier Komponist:innen wurden ausgewählt und haben über Monate hinweg mit uns gearbeitet. Es ist besonders, aber auch etwas anti-ökonomisch, wenn wir zum Beispiel Komponist:innen dafür bezahlen, dass sie nach Wien reisen und mit jeder von uns intensiv arbeiten. Aber wir wollen uns diese Zeit nehmen.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

„DURCH DIE SPEZIELLEN TECHNIKEN SIND AUCH NICHT ALLE LEIHINSTRUMENTE BESPIELBAR.“

Der Name Ihres Ensembles airborne extended kann also auch dahingehend interpretiert werden, dass jede von Ihnen das Instrument „extended“, also sehr experimentell und oder prepariert, bespielt. Und wie gestaltet sich eigentlich das Reisen mit so großen und selten Instrumenten wie der Harfe oder dem Cembalo?

Caroline Mayrhofer: Ja, wir hatten schon viele lustige Erlebnisse. Tina fährt gerne mit dem Auto und nimmt dann ihr Instrument mit. Aber sobald wir fliegen müssen, greifen Sonja und Tina auf Cembalo- und Harfen-Netzwerke vor Ort zurück. Und wir haben so auch eine Harfe in Tunesien gefunden. Oder in der Türkei ein Cembalo – ohne Füße – aus dem Wohnzimmer von irgendjemandem. Durch die speziellen Techniken sind auch nicht alle Leihinstrumente bespielbar. Und wir stimmen auch unsere Programme dahingehend ab. Es gibt viele Parameter zu bedenken, wenn wir reisen.

Wir haben schon kurz das Thema Konzertformate angesprochen, wie etwa die Konzertreihe PRISM im Reaktor. Gibt es da weitere Ideen bezüglich unterschiedlicher Konzertformate?

Caroline Mayrhofer: Ich habe in Holland studiert und da gibt es zu Konzerten ein Regiekonzept. Dafür wird hier meist wenig Energie aufgewendet. Es ist ja auch nicht immer notwendig, aber trotzdem gut, darüber nachzudenken. Ursprünglich haben wir versucht, Konzerte in unterschiedlichsten Bezirken an ungewöhnlichen Orten zu veranstalten. In der Salmgasse gibt es zum Beispiel einen eher unbekannten unterirdischen Saal, einmal haben wir auch im Keller der Galerie Stock gespielt. Schwierig war dann natürlich die Feuchtigkeit für die Instrumente und das Hinuntermanövrieren der Saiteninstrumente. Die unterschiedlichen und unbekannten Orte scheinen dann doch eine Hürde für die Generierung von Zuseher:innen zu sein. Wir hätten noch einige Orte, die wir spannend finden – aber um den Preis, dass dann weniger Leute kommen. Der Reaktor ist einfach schon bekannt für Aufführungen Neuer Musik.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Michael Franz Woels

Termine:
Montag, 24 Juli 2023, 19:00 Uhr
György-Ligeti Saal, Mumuth, Graz
Werke von Hannes Kerschbaumer, Manuela Kerer, Ole Hübner, Manuel Zwerger, Alexander Kaiser und Bernhard Lang

Win tickets: Wir verlosen 3×1 Freikarten für das Konzert von airborne extended am 24. Juli 2023. Bei Interesse senden Sie bitte bis zum 21.07.2023 eine E-Mail an office@musicaustria.at – Betreff: „airborne extended”. Weitere Infos und die Gewinnspielbedingungen finden sich unter Angebote & Verlosungen.

Link:
airborne extended
airborne extended (Musikdatenbank)
impuls Festival