„DIE LEIDENSCHAFT ZUR SACHE AN SICH IST GRÖSSER ALS JEDER WAHNSINN“ – MANIC YOUTH IM MICA-INTERVIEW

Das zweite Studioalbum der Wiener Band MANIC YOUTH trägt den Titel „Funland“ (Sissi Records). Diverse Lockdown-Zustände, Begegnungen mit morschen Menschen und einige fatal-fragile Fallen haben DONGSU SUH, MAX ZAMERNIK, MORITZ RAUTER und LEON TRUSCHNER zu zwölf Tracks irgendwo zwischen Shoegaze, Metal und Indie-Pop inspiriert. Clemens Engert sprach mit Schlagzeuger MORITZ RAUTER über „Genre-Schleuderei“, den subtilen Widerspruch und ein Syndrom namens „Shinitching“.

Ihr beschreibt euer neues Album „Funland“ als „Versuch, die tragische Wucht einer irdischen Existenz zu beschreiben“ – was meint ihr damit genau?

Moritz Rauter: Damit sind das Leben und das gemeinsame Aushalten auf dem Planeten Erde gemeint. Und es ist, bei aller Tragik und bei aller Wucht, dann doch meistens ein schönes gemeinsames Aushalten!

Der Sound am Album ist extrem atmosphärisch und auch noisig, trotzdem hört man eingängige Pop-Melodien heraus. Wie würdet ihr jemandem, der euch nicht kennt, eure Musik beschreiben?

Moritz Rauter:  Unser Produzent Axl Vers hat die Sound-Schubladisierung einmal auf den Punkt gebracht: „Indie Metal“. Milo Bauer von House Of Pain auf FM4 meint wiederum, es sei „Dream Pop“. Viele bezeichnen unsere Musik auch als „Shoegaze“, obwohl wir das selbst eigentlich nie explizit so gesehen haben. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Wir tun uns aber überhaupt schwer mit der „Genre-Schleuderei“. Wir sind alle vier ähnlich aufgewachsen und da hat Grunge genauso eine wichtige Rolle gespielt wie Death Metal. Es macht halt auch Spaß, so unterschiedliche Stile zu spielen – in diesem Sinne kann man es wohl tatsächlich „funland music“ nennen. Während der Entstehung des neuen Albums haben uns so verschiedene Bands wie Guns n‘Roses, Metallica, Blink-182, Nirvana, Foo Fighters, My Ugly Clementine, The Smashing Pumpkins, Weezer, Sparklehorse, Nothing, Deafheaven und die Righteous Pigs beeinflusst.

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Hat sich der Arbeitsprozess für „Funland“ im Vergleich zu eurem Debütalbum unterschieden?

Moritz Rauter: Unser Debütalbum„Frail“war ein kompletter DIY-Prozess – nicht ganz unähnlich wie jetzt bei „Funland“. Angefangen beim gemeinsamen Songwriting, Arrangieren, Texten, Recorden, Mixen über das Designen des Covers, dem Drehen der Videos bis hin zu Promo & PR haben wir damals alles selbst gemacht. Die neue Platte hat unser guter alter Freund Axl gemixt und teilweise mitproduziert, der Rest ist ebenfalls pures DIY. Wir buchen selbst Shows, machen Merchandising und auch das ganze Social Media-Ding. Das macht uns oft komplett wahnsinnig, aber die Leidenschaft zur Sache an sich ist größer als jeder Wahnsinn.

Wie habt ihr als Band in der aktuellen Besetzung zusammengefunden?

Moritz Rauter: Ich kenne Dongsu seit 2004. Wir sind zusammen in Klagenfurt durch die Anarcho-Kneipen und Parks gezogen und haben irgendwie immer schon zusammen Musik gemacht. Mein Bruder Max hat immer schon Bass gespielt und Leon ist wiederum der Bruder von Axl. So hat sich das alles irgendwie als logische Konsequenz ergeben.

„Wir haben ein Faible dafür, Texte so zu formulieren, dass sie sich oft kryptisch oder geheimnisvoll lesen lassen.“

Entstehen eure Songs vorwiegend beim gemeinsamen Jammen oder kommt einer von euch mit einer fertigen Idee in den Proberaum und ihr arbeitet dann damit?

Moritz Rauter: In erster Linie schreibt Dongsu die Songs. Oft gibt es aber noch kein wirkliches Grundgerüst und wir arrangieren und produzieren den jeweiligen Song dann gemeinsam aus. Die Sache mit dem Jammen hat mittlerweile irgendwie aufgehört. Jam-Sessions machen zwar prinzipiell Spaß, aber bei uns enden sie spätestens dann, wenn alle spüren und merken, dass ein gemeinsames musikalisches Verständnis da ist. Wenn wir allerdings ins Studio bzw. in den Proberaum gehen, um eine Platte zu machen oder um Songs zu schreiben, dann sind wir alle in einem gewissen Workflow und haben schon bestimmte Vorstellungen.

Die Texte zu euren Songs wirken sehr geheimnisvoll. Woher kommen die Inspirationen dafür?

Moritz Rauter: Wir haben sicher ein Faible dafür, Texte so zu formulieren, dass sie sich oft kryptisch oder eben geheimnisvoll lesen lassen. Wir mögen den subtilen Widerspruch und lieben den Hang zum Drama. Wir haben auch starke politische und gesellschaftskritische Überzeugungen, die bei genauerer Betrachtung auch deutlich werden. Meist geht es aber um Existenz, Liebe, Verlust und Hoffnung.

Bezieht sich euer Song „Shinitching“ auf ein real existierendes Syndrom oder ist es vorwiegend als Metapher gemeint?

Moritz Rauter: Wir haben bei uns selbst, wirklich ohne Witz, „shinitching“ [Anm.: wörtlich übersetzt „Schienbeinjucken“] diagnostiziert und wünschen es absolut niemanden.

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Wenn ihr euch irgendeinen Film in der Filmgeschichte aussuchen könntet, zu dem ihr den Soundtrack machen dürftet – welcher Film wäre das?

Moritz Rauter: Der Film „Revanche“ von Götz Spielmann kommt quasi gänzlich ohne Soundtrack aus. Deswegen haben wir uns schon einmal gedacht, dass wir für seine Bilder die passenden Sounds hätten und wir wären bereit für ein Remake oder einen zweiten Teil. Und sollte Park Chan-wook seinen Oh Dae-su [Anm.: fiktiver Charakter aus dem südkoreanischen Film „Oldboy“ (2003)] wieder auf eine Reise schicken, dann würden wir dieses Geschehen auch gerne musikalisch begleiten.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Clemens Engert

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