Die Künste neu verkabelt – Interview zu Unsafe + Sounds

Das UNSAFE + SOUNDS Festival fordert Offenheit in der Rezeption ein, will vor den Kopf stoßen und zeitgenössische komponierte Musik nicht an ihren domestizierten Orten versauern lassen. Anlässlich der zwölftägigen Festivalausgabe sprach das Leitungsteam SHILLA STRELKA und MATTHIAS KRANEBITTER mit Ruth Ranacher über Rhythmus, der den Körper durchzieht, das Hören und das Sehen, solidarisches Handeln und Lebensrealitäten.

Sie beide fungieren heuer als Artistic Director des jungen Unsafe + Sounds Festival. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit im Duo?

Shilla Strelka: Matthias, der das Festival vor drei Jahren initiiert hat, hat mich letztes Jahr zur Co-Kuratierung des Line-Ups eingeladen. Aus diversen Gründen habe ich dieses Jahr dann alleine die Kuratierung übernommen, während sich Matthias vorwiegend um die Vorbereitung und Umsetzung des Festivals konzentriert. Ich fand es damals wirklich erstaunlich, dass ein zeitgenössischer Komponist auf meine Arbeit aufmerksam geworden ist. Ich selbst kuratiere seit vier Jahren die Konzertreihe Struma + Iodine und bin auch als journalistisch tätig. Für mich ist das Festival also ein Kristallisationspunkt meiner konstanten Beschäftigung mit zeitgenössischen Formen von Musik und der lokalen Szene.

Die Vielfalt der experimentellen, musikalischen Sprachen ernst nehmen

Hier sollte in Bild von Sigtryggur Berg Sigmarsson stehen
Sigtryggur Berg Sigmarsson
(c) Tine Günther

Was war Ihnen beiden bei der Programmierung heuer besonders wichtig?

Shilla Strelka: Herausfordernd war es, mit dem vorhandenen Budget ein Festival tatsächlich zu kuratieren. Sprich, ein Konzept zu finden, das einen neuen thematischen Fokus setzt, in einem zeitgenössischen Diskurs Relevanz für sich beansprucht und dabei gleichzeitig einen Querschnitt der internationalen und lokalen Musiklandschaft liefert. Ich finde es bezeichnend, dass wir gerade mal mit soviel Budget auskommen, wie die Gage eines klassischen Musikers für drei Konzertaufritte beträgt – überspitzt gesagt. Das Festival berührt also auch das Thema der prekären Kulturarbeit und stellt diesem gemeinschaftliches Handeln und kollektive Formen der künstlerischen Produktion gegenüber. Ohne die zahlreichen Kooperationen und den Support der KünstlerInnen wäre uns die Umsetzung dieses Projekt niemals gelungen. Das spricht für sich, ist aber auch ein Zeichen, dass v.a. Musik, die jenseits der marktkonformen, populären bzw. institutionalisierten, akademischen Sprachen existiert, einfach zu wenig Wertschätzung erfährt.

Die ganze Entwicklungsgeschichte der Musik besteht doch darin, Genres und existierende Sprachen zu überschreiten, zu unterwandern und zu durchkreuzen. Ich verstehe nicht, warum immer so betont werden muss, dass das passiert und eigentlich den Kern eines kultur-ästhetischen Diskurses ausmacht und eben deshalb wirklich gefördert gehört. Das ist in der Kunstwelt ja nicht anders. Zudem denken viele Menschen nach wie vor, elektronische Musik wäre ausschließlich Techno und House. Da muss sich noch einiges in der allgemeinen Wahrnehmung ändern.

Ausgangspunkt der Kuratierung war es also ausdrucksstarke, eigensinnige Stimmen zusammenzubringen. Für mich geht es darum, die Vielfalt der experimentellen, musikalischen Sprachen ernst zu nehmen. Diese müssen nicht perfekt ausformuliert sein, sondern dürfen auch einer sehr persönlichen Ausdruckswut folgen, wie es beispielsweise der Eröffnungs-Act Sigtryggur Berg Sigmarsson vorzeigt. Solche Grenzgänge sind in meinen Augen zentral, wenn wir etwas über unser Verständnis von Musik lernen wollen. Wir sollten aufhören in Sparten zu denken. Wir sollten auch aufhören, ExpertInnen sein zu wollen, wenn es um die künstlerische Praxis geht.

Fausto Romitelli in der Arena

Das Black Page Orchestra ist seit Anbeginn Teil des Unsafe + Sounds. Was ist das Besondere an diesem Klangkörper?

Matthias Kranebitter: Mit dem Ensemble sind wir in Bereiche vorgedrungen, in denen die sogenannte „zeitgenössische komponierte Musik“ noch niemals stattfand. Fausto Romitelli in der Arena ist sicher ein Novum. Dabei geht es eben nicht darum etwas einfach in ein neues Umfeld zu implantieren, sondern mir ist immer wichtig, wie das Ganze dann auch zum Leben erweckt werden kann. Ich glaube das haben wir in der Vergangenheit schon ein paar Mal ganz gut gezeigt. Das Besondere ist also, dass unsere Programmgestaltung und ästhetische Ausrichtung in anderen Kontexten sehr gut funktioniert. Bei der Gründung des Black Page Orchestra war es mir ein großes Anliegen die sogenannte Neue Musik nicht nur als ein kleines exotisches Anhängsel der klassischen Musik und ihrer Institutionen zu sehen, sie in gewisser Weise nicht an diesen Orten domestiziert versauern zu lassen.

Hier sollte ein Bild von Opcion stehen, fotografiert von M. Gradwohl
Opcion (c) M. Gradwohl

Kaum ein Förderantrag eines Kunstprojektes oder das Programm etablierter Musikfestivals kommt ohne die Definition „an der Schnittstelle“ aus. Bei Unsafe +Sounds scheint genau dieses „an den Schnittstellen von…“ ganz natürlich zu funktionieren. Woran liegt das?

Shilla Strelka: Das liegt einerseits daran, dass Matthias und ich einfach aus unterschiedlichen Feldern kommen, ganz verkürzt gesagt aus Hoch- und Gegenkultur. Andererseits ging es in unserer Kommunikation und Kuratierung immer schon darum, Parallelen und Schnittmengen auszumachen. Auch Ausstellung und Screening sind zentraler Bestandteil des Festivals, das Menschen und Disziplinen zusammendenken und nicht auseinanderdividieren möchte.

Mir persönlich geht es in der Kuratierung ganz zentral um das Offenlegen von lebendigen Verhältnissen. Ich denke die größte Gemeinsamkeit zwischen all diesen KünstlerInnen besteht darin, dass sie auf der Suche nach Freiräumen, Möglichkeitsräumen, neuen Sprachen und Formulierungen sind. Der Fokus liegt heuer deshalb auf AkteurInnen, die sowohl im Sektor der Bildenden Kunst, als auch in der Musik tätig sind. Für viele musikschaffende KünstlerInnen wird die musikalische Laufbahn als ein Ausweg aus den strengen Mechanismen und des Konkurrenzdenkens innerhalb der Kunstinstitutionen und des Kunstmarkts gesehen, gleichzeitig setzt sogenannte populäre Musik einfach an sich schon mehr auf Communities und Szenen. Das halte ich für einen interessanten Ausgangspunkt. Dadurch, dass viele von ihnen zudem mit Laptops arbeiten, werden die Künste sowieso wieder neu verkabelt. Bildbearbeitung und Soundbearbeitung waren noch nie so gleichgeschaltet. Es werden dieselben Tastenkürzel verwendet, es wird mit Layers gearbeitet, nachkorrigiert, markiert, verschoben. Digitale Sprachen bestehen ja alle aus 0 und 1 und sind eben auch sehr ähnlich gebaut.

Schnittstellen zwischen den Lebensrealitäten Bildender KünstlerInnen und von MusikerInnen

Die zweite gewichtige Schnittstelle, die im Kontext eines Festivals viel zu selten thematisiert wird, sind konkrete ökonomische Verhältnisse und Lebenssituationen, Produktions- bzw. prekäre Arbeitsverhältnisse. Wenn es um Lebensrealitäten geht, gibt es kaum Unterschiede zwischen Bildenden KünstlerInnen und MusikerInnen. In mancher Hinsicht, ist die Situation für junge KünstlerInnen noch schwieriger, weil du hier für die Teilnahme an Ausstellungen meistens auch nichts bekommst, v.a. wenn du es um Projekte in Offspaces geht. In der Musik gibt es zumindest symbolische Gagen. Das ist demokratischer organisiert. Also da gibt es ein Verständnis und Bewusstsein dafür. Alle die kommen, zahlen einen Beitrag. Natürlich sind hier auch die Künste ökonomisch ganz anders organisiert. Aber hier ein generelles, gemeinschaftliches Moment zwischen Kulturschaffenden – weil das sind alle gleichermaßen – zu katalysieren, fände ich politisch wichtig.

Hier sollte ine Bild von BJ Nilsen (c) Jiyeon Kim stehen
BJ Nilsen
(c) Jiyeon Kim

Was ermöglicht die „lose Zusammenkunft“?

Shilla Strelka: Im Prinzip sind alle Festivals eine lose Zusammenkunft interessierter Menschen. Musik hat immer ein gemeinschaftsstiftendes Moment. Die Idee von Gemeinschaft hat für mich nichts mit einer abgeschlossenen Figur zu tun und basiert nicht auf Exklusion oder Fragen von Identität. Ich glaube viel eher, dass das unmittelbare, geteilte Erleben ein ganz eigentliches, proto-demokratisches Moment in sich trägt und vieles bewirken kann, in mancher Hinsicht vielleicht mehr als dezidiert politische Akte zu setzen. Festivals eignen sich natürlich gut, weil hier Menschen aus unterschiedlichen Kontexten durcheinander und – im besten Fall- in Kommunikation geraten können. Jedes gute Festival hat in meinen Augen etwas von einer Verschwörung. Das ist zwar ein flüchtiger Moment, aber es kann etwas lostreten. Es kann Ordnungen vielleicht ein bisschen verschieben, die Dinge neu zueinander in Beziehung setzen. Kuratieren selbst heißt ja nichts anderes. Wichtig ist, dass eine Bewegung stattfindet, dass hier etwas passiert, das irritiert, abweicht. Dadurch eröffnen sich neue Perspektiven. Wir fordern mit dem Festival eine Offenheit in der Rezeption ein und fordern das Publikum heraus, sich auf das unmittelbare Erlebnis einzulassen.

Auf welche Programmpunkte sollte ein eher durch klassische und zeitgenössische Musik geprägter Konzertbesucher keinesfalls verzichten? Auf welche Hörerlebnisse können sich BesucherInnen freuen, die sich eher der Clubkultur zuordnen würden?

Shilla Strelka: Ehrlich gesagt möchte ich in solchen Lagern gar nicht denken. Für mich ist das Festival als Gesamtes zu verstehen. Ich möchte ganz generell zu einem offenen Wahrnehmen einladen. Kritische Ansätze finden sich ja sowohl in der klassischen Musik als auch in der Clubmusik. In meinen Augen ist es wirklich ein gravierender Fehler, Musik jenseits von Komposition nicht als Kunstform zu sehen oder als Populärkultur abzutun, bloß weil hier nichts notiert wird oder andere Aspekte im Vordergrund stehen. Nimmst du diese MusikerInnen aber in ihren ästhetische Aussagen ernst, ohne ständig zu rastern, zu be- und verurteilen, ist das in meinen Augen ein ganz anderes Hinhören und auch Grenzziehungen erscheinen aus dieser Perspektive heraus nicht mehr so notwendig. Ich setze eine gewisse Wertefreiheit und Aufmerksamkeit voraus. Ich gehe ja auch nicht durch eine thematisch kuratierte Ausstellung und sehe mir dann nur figurative Gemälde an, sondern bringe die Bereitschaft oder Lust mit, Neues zu sehen. Dass diese Gleichschaltung in der Musik nicht funktioniert, liegt ja auch daran, dass hier so viel über Geschmack und Szene-Denken läuft, und Grabenkämpfe zwischen akademischer und nicht-akademischer Musik Vorrang haben.

Auch Club-Acts können komplett ausfransen

Aber elektronische ProduzentInnen, die aus der sogenannten Gegen- oder Subkultur kommen stellen sich ähnliche Fragen wie klassische KomponistInnen. Auch hier geht es um genaues Hinhören, Struktur, Rhythmus, Klangfarbe, Frequenzen, neue Sprachen aus Instrumenten zu filtern und mit Erwartungshaltungen zu brechen. Nur haben sich Genres ausgeformt, die kollektiv bzw. dann auch generisch wurden und diesen analytischen Produktionsprozess vergessen lassen. Aber auch Club-Acts können eben komplett ausfransen, dekonstruieren, sich mit diskurs-relevanten Fragen auseinandersetzen. Sie müssen sich nicht notwendigerweise anpassen, weder den Anforderungen der Musikindustrie, noch dem Diktat von BPM und Klangerzeugern. Diese Statements interessieren uns.

Matthias Kranebitter, als Komponist sind Sie an Ausdruck „im Sinne einer hyperaktiven, schizophrenen Mediengesellschaft und Trashkultur“ interessiert. Wo spiegelt sich dieses Interesse im diesjährigen Programm nieder?

Matthias Kranebitter: Musikästhetische Ansätze, die sehr stark mit genau der Dichte, Informationsflut und Überforderung arbeiten, die wir aus unserem Alltag kennen, finden sich bei vielen der eingeladenen KünstlerInnen wieder. Für mich ist dieser Ansatz als Komponist deshalb wesentlich, weil er ein nahes Verhältnis meiner Musik mit dem gesellschaftlichen Umfeld in der sie geschaffen wird impliziert. Genau das war auch einer der Ausgangspunkte des Unsafe + Sounds Festivals. Und selbstverständlich gilt ja dann auch das genaue Gegenteil, wie beispielsweise Claire Tolans Performance „SHUSH-to-come“, die in einem dialektischen Sinne genau diese Fragen von der Kehrseite betrachtet.

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Claire Tolan
(c) Claire Tolan

Das begleitende Ausstellungsprogramm „… und der Körper, eine einzige Vibration“ evoziert Gedanken an Raum und Bewegung. Auf welche polyphonen Allianzen zwischen Bildender Kunst und Musik dürfen BesucherInnen hoffen?

Shilla Strelka: In der Ausstellung geht es ganz grundsätzlich um die Idee von Rhythmus, also Rhythmus als ontologische Kategorie. Sie beinhaltet Gemälde, Fotos, Collagen, Installationen und Videos, die dieses Thema auf verschiedene Art aufgreifen. Die Ausstellung möchte anhand dieser Kategorie auch die Wesensverwandtschaft zwischen den Künsten etwas greifbarer machen. Sie fragt danach, inwiefern sich mediale Ausdrucksformen voneinander unterscheiden, aber auch welche in welchem Verhältnis visuelle und akustische Fragestellungen stehen.

Der Schlüssel ist der menschliche Körper.

Hier sollte Philipp Hanichs Bild aus der Ausstellung „… und der Körper, eine einzige Vibration“ stehen
“Ohne Titel” von Philipp Hanich, der auch auf der Ausstellung „… und der Körper, eine einzige Vibration“ vertreten ist
(c) Philipp Hanich

Der Schlüssel dazu ist natürlich der menschliche Körper. Wir nehmen Dinge als rhythmisch wahr, weil hier eine direkte körperliche Übersetzung des Wahrgenommenen im Körper stattfindet. Hören und Sehen sind aneinander grenzende, verschränkte Sinne. Das muss nicht mit Synästhesie gleichgesetzt werden, sondern kann auch offener gedacht werden. Auch Musik kann haptisch sein oder fiktional, synthetisch, hypnotisch … Die meisten TeilnehmerInnen der Ausstellung sind auch selbst als MusikerInnen aktiv.

Im Programm steht auch der Stummfilm „Der Fuhrmann des Todes von 1921 (Regie: Victor Sjöström). Was darf sich das Publikum von den MusikerInnen im Live Score erwarten?

Shilla Strelka: Auch hier stand die Überlegung, wie Sehen und Hören sich gegenseitig bedingen, im Vordergrund. Bewegt-Bild ist natürlich spannend, weil es wie Musik ein Zeitmedium ist und hier sehr ähnliche Mechanismen und Methoden angewandt werden, um Rhythmus zu erzeugen. Johann Lurf hat ein Experimentalfilmprogramm kuratiert, in dem es im weitesten Sinn um visuelle Musik dreht. Da geht es dann auch um synästhetische Verhältnisse. Umgekehrt geht es bei der komponierten Stummfilmvertonung von Cornelius Berkowitz um eine direkte musikalische Übersetzung von Stimmungen, Situationen und Bildern.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

Unsafe + Sounds Festival
19.09.-29.09. 2016

 

Hörtipp: 13.09.2016, 21:00-22:00: UNSAFE + SOUNDS zu Gast bei female:pressure auf Radio ORANGE 94.0

 

Programm: https://unsafeandsounds.com

Interview: Ruth Ranacher