Die Kraft der musikalischen Idee – SIMONE MOVIO im mica-Interview

Im Rahmen seines Artists in Residence-Programms stellt das BUNDESKANZLERAMT in Kooperation mit KULTURKONTAKT AUSTRIA ausländischen Kulturschaffenden Stipendien zur Verfügung. Im Frühsommer 2017 war der italienische Komponist SIMONE MOVIO zu Gast in Österreich. Marie-Therese Rudolph sprach mit ihm über seine spezielle Beziehung zu Wien und dem hier ansässigen Klangforum Wien, seine bevorzugten Instrumente und kompositorischen Ansätze.

Sie kennen Wien schon lange. Bitte erzählen Sie etwas über Ihre Beziehung zu dieser Stadt.

Simone Movio: Meine ersten Eindrücke von Wien erhielt ich etwa um das Jahr 2004, als ich als Tourist zu Besuch war. Damals war Wien noch ganz anders als heute. Die Freunde, mit denen ich hier war, waren ausgesprochene Rembrandt-Fans. Sie wollten seine Bilder im Kunsthistorischen Museum anschauen. Im Museum lief gerade die Ausstellung „Die flämische Landschaft”, daher waren die Bilder etwas anders als sonst gehängt. Wir gingen also relativ rasch durchs Museum, um die Rembrandts anzusehen. Plötzlich stand ich vor einem Raffael. Und was dann passierte, war wirklich sehr eigenartig. Auf dem Bild Madonna del Prato ist Maria mit zwei kleinen Buben zu sehen. Es löste in mir etwas ganz Besonderes aus, ich fühle mich auf eine besondere Weise beschützt. Jahr für Jahr gehe ich seitdem zu diesem Bild und versuche mir bewusst zu werden, was es in mir verändert hat. Das ist eine starke Bindung zu Wien.

Sie haben bereits des Öfteren mit dem Klangforum Wien zusammengearbeitet. Wie ist dieser Kontakt zustande gekommen?

Simone Movio: Ich begann meine Kompositionsstudien in Udine bei einem sehr guten Professor. Zu einem gewissen Zeitpunkt meinte er, dass ich unbedingt woanders hingehen müsse, auch wenn ich mein Studium noch nicht beendet habe. Er schickte mich also hinaus in die weite Welt. Zuerst besuchte ich Meisterklassen, unter anderem bei Stefano Gervasoni, der mir von Beat Furrer erzählte. Er war zu dieser Zeit in Italien noch nicht sehr bekannt, daher kaufte ich mir eine CD mit seiner Musik und beim ersten Mal Hören war ich richtiggehend schockiert. Ich beschloss 2005, die impuls Akademie in Graz zu besuchen. Dort traf ich Beat dann erstmals persönlich. Wir verstanden uns auf Anhieb und ich begann bei ihm zu studieren. Bei impuls unterrichtete auch das Klangforum aktuelle Instrumental-Spieltechniken. Mir als junger Komponist kamen die Musikerinnen und Musiker damals wie Außerirdische vor, ich war zutiefst beeindruckt. Ich erinnere mich noch gut an die großen schwarzen Instrumentenkoffer mit dem Klangforum-Logo drauf. Ich kam vom Land und mir war das alles fremd. Zwar waren alle Musikerinnen und Musiker sehr nett, aber ich nahm mit Marino Formenti Kontakt auf, weil er Italiener ist … da geht das einfacher …
Ein paar Jahre später komponierte ich ein Stück für ein deutsches Ensemble, aber als es fertig war, stellte sich heraus, dass sie es nicht spielen konnten. Es war zu lang, zu schwer usw. Ich zeigte die Partitur von „ … come spirali …” Beat Furrer und Ulli Fussenegger, er war zu diesem Zeitpunkt der Dramaturg des Ensembles. Sie entschieden, das Werk bei impuls in Graz zur Uraufführung zu bringen. Seitdem sind wir in regelmäßigem Kontakt und das Klangforum hat auch andere Stücke von mir gespielt. Mit Unterstützung der Siemens Stiftung produzierten wir auch eine Aufnahme davon.
Dadurch war ich in den vergangenen Jahren immer wieder in Wien. Ich arbeitete auch viel mit dem Saxophonisten Gerald Preinfalk und der Geigerin Annette Bik, beide sind Mitglieder des Klangforum Wien.

Sie studierten u.a. bei Beat Furrer. Welchen Einfluss hat er auf Sie?

Simone Movio: Beat Furrer war essenziell für mich. Er ist ein wunderbarer Mensch, er hilft und unterstützt, wo er kann. Ich lernte bei ihm, mich darauf zu konzentrieren, was ich wirklich will. Er kann sehr eindeutig und klar sein, ohne einen zu irgendwas zu drängen. Das erreicht er einfach dadurch, dass man miteinander spricht, gar nicht zwingend über Musik, das können ganz andere Themen sein, etwa Bäume.

Was ist Ihr eigener Ansatz als Unterrichtender?

Simone Movio: Ich verfolge als Lehrender einen anderen Ansatz: Mir geht es darum, die Kraft der musikalischen Idee bewusst zu machen. Was ist das überhaupt und wie kann sie entstehen? Alles entwickelt sich daraus, das ist wie bei einem Samen, in dem schon alles drinnen steckt und angelegt ist.

Sie haben einige Werke für Saxofon geschrieben. Was fasziniert Sie an diesem Instrument?

Simone Movio: Das erste Stück, das ich für Saxophon komponierte, war das vorhin erwähnte für das deutsche Ensemble. Früher mochte ich dieses Instrument eigentlich gar nicht besonders, da es für mich vor allem mit der populären Tanzmusik in Italien und mit Jazz konnotiert war. Aber als ich mich näher damit beschäftigte und mir Saxofonisten die Möglichkeiten und die klangliche Bandbreite des Instruments aufzeigten, entwickelte ich viele Ideen dazu. Und dann wollten alle Musikerinnen und Musiker ihr eigenes Stück, daher gibt es so viele von mir.

Das zweite Instrument, das sich häufig in Ihrem Werkkatalog wiederfindet, ist das Klavier.

Simone Movio: Ich bin eine Art Pianomaniac und wäre sehr gerne Pianist geworden! Es ist so schwer, die Kontrolle über dieses wunderbare Instrument zu behalten. Die Klangfarben, Dynamiken usw. inspirieren mich, auch wenn es ein chromatisches Instrument ist, was sich aber glücklicherweise beeinflussen lässt. Ich hab noch kein Solostück dafür geschrieben und fürchte mich ein wenig davor … aber eines Tages wird es soweit sein.

Sie sind Gitarrist?

Simone Movio: Als solchen würde ich mich nicht bezeichnen, aber ich spiele dieses Instrument. Die Gitarre war mein erstes Instrument, weil mein älterer Bruder das lernte. Aber wir spielten nie gemeinsam. Anfangs hatte ich eine sehr spielerische Herangehensweise und beschloss später, es ernsthaft zu studieren.

Sie studierten auch am IRCAM in Paris. Was bedeuten die künstlerischen Möglichkeiten, die die Einbindung von Computer und elektronischen Klängen eröffnen für Sie?

Simone Movio: Ich ging ans IRCAM, weil ich zu dieser Zeit nicht genau wusste, was ich tun sollte. Da ich von dieser ganzen Materie überhaupt keine Ahnung hatte, lernte ich dort sehr viel. Ich hatte dort sehr wichtige Begegnungen, mir wurde aber auch klar, was ich nicht will – Elektronik und Computer! Diese Dinge sind sehr weit weg von meinem künstlerischen Empfinden. Mir wurde über die Jahre klar, dass ich Klänge, die aus Lautsprechern kommen, nicht als solche fühle, sondern als eine Imitation von Klang, einen synthetischen Klang, auch wenn sie aus natürlichen entstanden sind. So wie eine Fotografie nie ein wirklicher Ort sein kann.

Woher bekommen Sie die Inspiration für Ihre Werke?

Simone Movio: Aus unterschiedlichen Quellen, oft aus dem, was ich lese, aus Büchern – eine große Errungenschaft der Menschheit! Die Verfügbarkeit und der Zugang zu Texten und Information haben sich in den letzten Jahrzehnten massiv verändert. In meiner Jugend war es sehr schwierig, an Bücher und Partituren zu kommen.

Sie haben mehrere Zyklen komponiert, die jeweils um eine Idee, eine Inspiration kreisen.

Simone Movio: „Zahir” habe ich beendet. Da gibt es zwar eine Nummer 5, aber die zweite und vierte Komposition fehlen. Die „Incanti” entstehen laufend, zuletzt die Nummer 16 und nun habe ich mit einer neuen Reihe begonnen: „Logos“.
Die Qualität von Dur und Moll ist – neben vielen anderen Aspekten – verloren gegangen. Für mich zählt „Zahir” zu Moll und „Incanti” zu Dur.
„Zahir” ist von einer Borges-Novelle inspiriert und reflektiert auf die arabische Kultur. Es geht um Obsessionen auf Objekte, sie nehmen dich völlig ein und am Ende bist Du ein Sklave dieser Objekte. Deine Zeit wird davon aufgefressen, Du bestimmst das nicht mehr selbst. Das ist ein unglaublich aktuelles Thema.
„Incanti” beziehen sich auf den Zustand, den man beim Musikhören haben soll, also offen zu sein. Für mich muss ein Stück auch von Innen erforscht werden, das nach Außen hin ist nur das Medium, das hat auch mit Kontemplation zu tun.
In der neuen Reihe „Logos“ habe ich gerade das dritte beendet. Das erste war eine Kammeroper, das zweite ein Kammermusikstück und das dritte für großes Ensemble, das Klangforum. „Logos“ ist ein sehr umfassendes Thema. In den ersten 14 Versen von Johannes geht es um das Wort, Logos. Es geht mir auch um die menschliche Vokalität, damit meine ich nicht Sprache. Mir geht es um eine andere Qualität. Wenn man seinen Gefühlszustand beschreiben oder ausdrücken möchte, denkt man immer an Vokale, nie an Konsonanten. Wenn man sich auf äußerliche Dinge bezieht, dann braucht man Konsonanten. Diese Überlegungen fließen in die Logos-Kompositionen ein.

Woran arbeiten Sie jetzt gerade?

Simone Movio: Ich arbeite an einem Zyklus für Stimme und Kammerensemble. Bevor ich nach Wien kam, war ich ein Jahr lang Stipendiat der Villa Concordia in Bamberg. Wir waren sechs italienische und sechs deutsche Kulturschaffende: jeweils zwei Komponisten, zwei Autoren und zwei Bildende Künstler. Ich freundete mich mit einem bemerkenswerten italienischen Schriftsteller an, Andrea Bajani. Er schreibt unter anderem Romane und Gedichte. Wir präsentierten unsere Arbeiten öffentlich und intern, bei so einer Gelegenheit in kleiner Runde las er aus seinem neuen Gedichtband vor. Daraufhin entstand ein gemeinsames Projekt mit dem italienischen mdi Ensemble und Beat Furrer als Dirigent.

Wenn Sie auf Ihren dreimonatigen Aufenthalt in Wien zurückblicken, welches Resümee ziehen Sie?

Simone Movio: Das ist ganz einfach – ich habe jeden Tag von früh bis spät gearbeitet. Wobei: ganz stimmt das nicht, in der ersten Woche habe ich ein paar Museen besucht und bin viel spazieren gegangen. Leider habe ich die Stadt viel zu wenig genossen. Immerhin war ich oft in Konzerten und hatte tolle Erlebnisse, z.B. ein Konzert mit Mariss Jansons und den Wiener Philharmonikern im Musikverein, bei dem sie „Tod und Verklärung” von Richard Strauss interpretierten. In der Staatsoper habe ich „Parsifal” gesehen, die Musik wurde hervorragend gespielt, aber die Regie von Alvis Hermanis konnte mich nicht überzeugen. Die Wagner-Rollen sind für mich Archetypen, die auf eine spezielle Weise agieren. In dieser Inszenierung wurde das zu stark reduziert, das funktioniert für mich dann einfach nicht mehr. Aber ich habe dann einfach die Augen zugemacht …

Vielen Dank für das Gespräch.

Marie-Therese Rudolph

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Simone Movio

Prägend für die musikalische Ausbildung des 1978 geborenen Italieners Simone Movio war sein Studium bei Beat Furrer an der Grazer Universität für Musik und darstellende Kunst (KUG) 2005/2006 sowie die Arbeit mit Furrer beim Rostocker Sommercampus 2009 und bei impuls 2005, 2007 und 2009. Simone Movio belegte den IRCAM Cursus 1 in Komposition und Computermusik 2010/2011, das Klangwege-Seminar von Pierluigi Billone an der KUG in Graz und den Meisterkurs von Stefano Gervasoni an der Mailänder TEMA-Akademie.
Movio ist unter anderem Gewinner des Kompositionswettbewerbs Towards the Next 100 Years (Streichquartett) am Wiener Konzerthaus 2012, des Grazer internationalen Kompositionswettbewerbs Franz Schubert und die Musik der Moderne 2011, des Antwerpener IVME International Composition Contest 2011 und des Luganer Gianni Bergamo Classical Music Award 2007.
Er wurde ferner beim 9. ISCM Forum de la Jeune Création Musicale 2011 (Clamart, Frankreich) und bei impuls 2009 (Wien/Graz) als Komponist nominiert.
Werke von Movio wurden unter anderem im Wiener Konzerthaus, im Espace de Projection am Pariser IRCAM, am Moskauer Tschaikowski Konservatorium, in der Grazer Helmut List Halle, bei den Zürcher Tagen für neue Musik 2007 und bei den Hamburger Klangwerktagen 2007 aufgeführt (u. a. durch Beat Furrer, Enno Poppe, Klangforum Wien, Szymanowski Quartet, ensemble recherche, SIGMA PROJECT).
Simone Movio erhielt den Komponisten Förderpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung 2014. Seine erste Porträt-CD Tuniche mit dem Klangforum Wien und dem SIGMA Projekt erschien bei col legno.

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Simone Movio (YouTube)
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