Eigentlich hätte 2020 eine feierliche Jubiläumssaison für die JEUNESSE werden sollen, mit einem wie gewohnt sehr bunten Programm und vielen, vielen musikalischen Highlights. Nun wird leider nichts daraus. Die Corona-Krise hat auch den führenden Konzertveranstalter Österreichs nicht verschont. Anstatt mit dem Publikum das 70-jährige Bestehen zu feiern, ist die JEUNESSE nun gezwungen, die Notbremse zu ziehen. Die getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus und die mit diesen verbundenen Einschränkungen im Konzertbetrieb führen die JEUNESSE in eine erhebliche finanzielle Schieflage, die es unmöglich macht, den traditionellen Programmumfang fortzuführen. Die künstlerische Leiterin der JEUNESSE, MADELEINE LANDLINGER, sprach mit Michael Ternai über die Auswirkungen der Coronakrise auf die JEUNESSE, die Notwendigkeit, das Programm hinunterzufahren, und die Hoffnung, dass man gestärkt aus der Krise herauskommt.
Wie geht es Ihnen? Haben Sie den ersten Schock, den die Coronakrise ausgelöst hat, schon verdaut?
Madeleine Landlinger: Es ist schon brutal, in dieser Form Opfer von Corona zu sein. Ich habe vor wenigen Tagen ein Interview mit dem Herrn Hoensbroech von der AUA gelesen und muss sagen, dass – auch wenn es sich bei der Jeunesse und der AUA um zwei Unternehmen verschiedener Größenordnung handelt – sich da schon einige Parallelen ziehen lassen. Man schlittert einfach unverschuldet in eine Megakrise. Und das innerhalb eines unvorstellbar kurzen Zeitraums. Ich bekomme das auch in Gesprächen, die ich führe, mit. Viele sind immer noch fassungslos, dass so etwas passieren kann.
Wir sind momentan in der Phase, in der wir den Zustand im Inneren analysieren, um einen Weg aus dieser Krise zu finden. Nach einer ersten Bewertung der Lage sehen wir leider uns gezwungen, die Notbremse zu ziehen, weil wir ansonsten wirklich liquidieren müssten. Dieser Weg ist natürlich ein Wahnsinn und er ist mit vielen Höhen und Tiefen verbunden. Vor allem auch emotional. Dem Kunstbusiness wird ja nachgesagt, dass es in diesem noch emotionaler zugeht. Ob das jetzt wirklich stimmt, weiß ich nicht, aber es fühlt sich zumindest so an. Es ist aber schön zu sehen, dass alle Stakeholder wirklich helfen wollen. Nur ist es im Moment so, dass die Hilfe, die wir brauchen, einfach noch nicht da ist.
„Wir sind gerade dabei, neue Formen und Strukturen auszuarbeiten, die es uns ermöglichen, so viel wie möglich zu erhalten.“
Sie sind gezwungen, Maßnahmen zu setzen und die Tätigkeiten und Angebote der Jeunesse neu zu organisieren. Wie kann man sich das konkret vorstellen?
Madeleine Landlinger: Wir fahren im Moment eine Durchtauchstrategie. Die kommende Saison wird noch eine von Corona geprägte Saison sein. Aus diesem Grund fokussieren wir uns auf das, was wir aus eigener Kraft stemmen können, und das bedeutet, dass wir unsere eigentlichen Kerngeschäfte – zu diesen zählen unter anderem die Bereiche Kinder und Jugend sowie unsere Geschäftsstellen in den Bundesländern – nicht in gewohnter Form weiterführen können. Wir sind gerade dabei, neue Formen und Strukturen auszuarbeiten, die es uns ermöglichen, so viel wie möglich zu erhalten. Ein erster Schritt ist, dass die Idee des Ehrenamtes gestärkt wird. Die Geschäftsführerstellen sind bei der Jeunesse ja ehrenamtlich besetzt, was bedeutet, dass wir jetzt überlegen müssen, wie wir es anstellen können, dass die Jeunesse trotz aller Widrigkeiten auch kommende Saison, wenn auch in reduzierter Form, österreichweit sichtbar ist.
Mein erstes Gefühl sagt mir, dass es nicht ganz unmöglich ist.
Es geht jetzt darum, auf der einen Seite die Selbstheilungskräfte zu beschwören und auf der anderen ganz deutlich zu sagen, dass wir in einem großen, großen Umfang Hilfe brauchen. Und das nicht nur, weil wir jammern wollen, sondern weil der Erlösentgang, den wir bis zum jetzigen Zeitpunkt schon erlitten haben und auch in der kommenden Saison erleiden werden, ein immens großer ist. Sämtliche Fördertöpfe, die im Moment da sind, haben uns und unsere Strukturen – bis auf die Kurzarbeit – noch nicht erreicht. Da hängen wir im Moment einfach voll durch.
Ich nehme an, dass Sie bezüglich einer Unterstützung bereits in Gesprächen sind. Inwieweit erfahren Sie schon positive Signale?
Madeleine Landlinger: Wir sind in unheimlich guten Gesprächen. Das will ich schon betonen. Und man bringt uns auch unheimlich viel Wertschätzung entgegen. Alle kämpfen um eine Lösung. Aber dennoch ist es so, dass man – wenn man nicht weiß, wie viel man bekommt und wann das der Fall sein wird – an den Punkt kommt, an dem man sagen muss, dass man nicht mehr kann und es beim besten Willen nicht mehr weitergeht. Wir haben uns im Rahmen der vereinsrechtlichen Bedingungen finanziell mittlerweile schon weit rausgelehnt. Und es muss ja wirtschaftlich nachvollziehbar bleiben, wie weit man in negative Zahlen geht. Daher jetzt der Entschluss, diesen Weg zu gehen.
Inwieweit kämpfen Sie mit dem Umstand, dass man es immer noch weiß, wie es im Herbst weitergeht? Unter welchen Rahmenbedingungen man veranstalten kann.
Madeleine Landlinger: Um ehrlich zu sein, muss ich sagen, dass ich bei der Frage, wie es überhaupt gehen kann, auf Optimismus schalte und hoffe, dass wir im September wieder ohne Maske und ohne Ein-Meter-Abstand da sein werden. Man muss einfach hoffen, dass sich die Situation in Österreich positiv weiterentwickeln wird. Es macht auch wenig Sinn, sich jetzt mit allen Risikofaktoren auseinanderzusetzen und sie als einzige Grundlage für die Entscheidungen herzunehmen. Tut man das, kann man gleich zusperren. Solange es hier noch keine Richtlinien gibt, sehen wir uns noch nicht veranlasst, in Richtung Worst-Case-Szenario zu denken. Wir warten jetzt einmal ab und bleiben optimistisch. Wenn tatsächlich eine zweite Welle kommt, setzen wir uns noch einmal hin und schauen, was wir mit unseren Partnern, den Veranstalterinnen und Veranstaltern sowie den Künstlerinnen und Künstlern, tun können.
„Es gibt keine Vorlagen für so eine Krise.“
Ich nehme einmal an, dass es Sie besonders schmerzt, dass Sie das Angebot für Kinder und Jugendliche hinunterschrauben mussten.
Madeleine Landlinger: Absolut. Und ich kann auch sagen, dass dieser Bereich der erste sein wird, den wir wieder aktivieren werden, wenn es wieder möglich ist. Vielleicht meldet sich ja noch ein Sponsor. Vielleicht gibt es einen Schub bei den Aboverkäufen, mit dem wir nicht gerechnet haben. Man weiß es nicht. Ich bin jetzt wieder bei den vorher schon erwähnten Faktoren, die man aktuell vorsichtig einschätzen muss. Es gibt keine Vorlagen für so eine Krise. Wenn sich da jetzt irgendetwas total positiv entwickeln würde, dann würde es sofort in die Kinderkonzerte fließen. Wir konnten selber nicht glauben, dass wir keine Version finden konnten, diesen Bereich zu erhalten. Das ist einfach ein unheimlicher Verlust.
Hat es vielleicht auch schon vor der Krise Überlegungen gegeben, also ganz unabhängig von den Ereignissen der vergangenen Monate – Überlegungen gegeben, Änderungen an der Struktur der Jeunesse vorzunehmen?
Madeleine Landlinger: Ich bin ja selber erst seit vielleicht hundert Tagen da. Ich habe genau mit dem Beginn der Krise meine Tätigkeit aufgenommen. Und nein, solche Pläne hat es nicht gegeben. Die Krise ist vollkommen unvorhergesehen eingetreten, was uns dazu gezwungen hat, in ein Change-Management überzugehen. Die einzige Frage, die sich nun stellt, ist: Was kann man tun, um auch in die nächsten Saisonen kraftvoll hineingehen zu können? Wir verfahren jetzt step by step. Sie wissen selber, dass die Saisonpräsentationen immer im Februar stattfinden. Und wenn es normal läuft, wird das auch bei der nächsten Präsentation der Fall sein. Das heißt, dass die gesamte kreative Phase zu diesem Thema im Herbst stattfindet. Und wenn dann die nächste Krise kommt, was dann?
Es verschiebt sich im Moment einfach alles. Man kann einfach nur versuchen, in dieser schwierigen Zeit kraftvoll zu bleiben und mutig zu sein. Dieser Mut ist es auch, der mich in dieser schwierigen Zeit befeuert.
Natürlich wünscht man sich, dass man, wenn man irgendwann einmal zurückblickt, sagen kann, dass es eigentlich nur eine Saison war, die man durchtauchen musste, und dass man aus dieser Situation kraftvoll hervorgegangen ist. Die Krise wird uns auf jeden Fall verändern, und das in einer Kürze und in einer Intensität, die sonst nicht möglich gewesen wären.
Gehen Sie davon aus, dass nach der Krise der gewohnte Betrieb wieder aufgenommen werden kann?
Madeleine Landlinger: In Bezug auf das Angebot von Konzerten schon. Auch die partnerschaftlichen Veranstaltungen würden weitergehen. Dagegen wäre ein sich selbstverwaltendes und mit höherer Verantwortung ausgestattetes Österreich-Netzwerk schon ein Unterschied zu jetzt. Ich würde sagen, dass wir erst in der dritten Saison nach Corona beurteilen werden können, ob wir es tatsächlich geschafft und die Maßnahmen gegriffen haben.
„Wir merken jetzt auch, wie wirtschaftlich wir eigentlich sind.“
Wie groß war das Verständnis für die Maßnahmen aufseiten der Musikschaffenden? Die Jeunesse ist ja quasi einer deren größten Arbeitgeber.
Madeleine Landlinger: Das ist natürlich hart. Wir erleben beides. Zum einen erleben wir eine unheimliche Solidarität, ein unheimliches Entgegenkommen. Das geht so weit, dass mich Solistinnen und Solisten, die bei uns groß geworden sind, anrufen und mir anbieten, auch gratis zu spielen, wenn es notwendig ist. Auf der anderen Seite gibt es auch die, die irritiert sind und meinen, die Jeunesse sei doch so groß und so wichtig, und die nicht verstehen, warum es auch uns so hart getroffen hat. Wichtig ist jetzt, dass wir die Leute aufklären, dass wir mit ihnen ins Gespräch kommen, um ihnen darzulegen, dass es sich im Moment um eine wirklich außergewöhnliche Situation handelt.
Wir merken jetzt auch, wie wirtschaftlich wir eigentlich sind. Das ist etwas, was vorher bestimmt nicht so nach vorne gekehrt wurde. Ich hatte aus meiner Sicht immer den Eindruck, dass hier flotte Kulturbetriebe am Werken sind, die eine hohe Eigenfinanzierung haben und eine große innovative Kraft an den Tag legen. Jetzt ist es aber so, dass es genau diejenigen, die einen hohen Eigenfinanzierungsanteil haben, im Nachteil sind. Und da ist die Reaktion der öffentlichen Hand schon eine spannende. Man muss die innovativen Formate, die es immer aus eigener Kraft geschafft haben, jetzt auch unterstützen.
Sie haben vorher schon erwähnt, dass Sie Ihr Amt erst vor wenigen Wochen angetreten haben. Ich nehme einmal an, dass Sie sich den Start doch etwas anders vorgestellt haben? Was, glauben Sie, werden Sie persönlich aus dieser Situation mitnehmen? Eine größere Krisenfestigkeit?
Madeleine Landlinger: Ich denke schon. Die Situation und die mit ihr verbundenen Herausforderungen sind schon sehr ungewöhnlich. Man ist in unzählige Gespräche und Verhandlungen eingebunden, man ist am ständigen Ausarbeiten von Strategien für die Zukunft, und das in einem für mich völlig neuen Umfeld. Ich kannte vorher ja niemanden, weil ich bis jetzt ja nicht in Wien verankert war. Das ist bestimmt eine Lebenserfahrung, die man dann auch mitnimmt.
Das Programm ist nun ja deutlich reduziert. Was darf sich das Publikum dennoch erwarten? Welche Schwerpunkte werden Sie setzen?
Madeleine Landlinger: Wir haben jetzt tatsächlich jenen Programmteil erhalten, der mengenmäßig den größten Teil des Jeunesse-Publikums erreicht. Das heißt, die Abonnements – das werden jetzt vierzehn an der Zahl ein sein – wird es weiterhin geben. Das Klavier-Abo zum Beispiel wird bleiben, ebenso die Klassik- und Romantik-Abos wie auch die Abos für die Wiener Philharmoniker und Symphoniker. Der Grund dafür ist, dass der Kundenstamm, den die Jeunesse über Jahrzehnte aufgebaut hat, eben aus diesen Abos kommt. Damit versuchen wir, die Jeunesse-Tradition aufrechtzuerhalten.
Wir haben unter anderem eine österreichische Erstaufführung von dem Pianisten Bryce Dessner im Programm. Darauf freue ich mich ganz besonders, weil ich bei meinem alten Job an Bryce Dessner noch einen Kompositionsauftrag vergeben habe. Ebenfalls mit von der Partie sein wird der junge, aufstrebende Geiger Emmanuel Tjeknavorian, ein Jeunesse-Kind der ersten Stunde. Wir haben die international viel beachtete niederländische Geigerin Simone Lamsma dabei, die Sopranistin Martina Fender im „L’Orfeo“ und, und, und. Was bleiben wird, ist eine Kombination aus jungen Solistinnen und Solisten auf Topbühnen und Arrivierten, die eine lange Verbindung zur Jeunesse haben. Diesen Kern wird das Programm auch in seiner abgespeckten Version widerspiegeln.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Michael Ternai
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