Die „Klangspuren Schwaz“ (06.-29.09.2010) präsentieren einen Schwerpunkt Russland aber auch (Ur)aufführungen österreichischer Komponisten

Der Oboist, Komponist und Dirigent Heinz Holliger ist „Composer in Residence“ der 7. Ensemble Modern Akademie und der bereits 17. Ausgabe des Festivals selbst steht im Zeichen der Neuen Musik Russlands. Die lesenswerte August-Ausgabe der Zeitschrift „spuren“ (von der Website downloadbar) bietet eine Fülle von Artikeln und Interviews, unter anderem mit dem Komponisten Vladimir Tarnopolski, der im Moskauer Konservatorium als Leiter des Zentrums zeitgenössischer Musik wirkt, aber auch mit der Grande Dame der österreichischen Musik, Luna Alcalay und mit Holliger. Das  Festival bietet aber auch wichtige Aufführungen von Musik aus Österreich und Tirol.

Neben Russen und Letten großteils mit Uraufführungen zu hören (hier chronologisch gereiht): Friedrich Cerha, Franz Hautzinger, Manuela Kerer, Georg Friedrich Haas, Olga Neuwirth, Eduard Demetz, Bert Breit, Christof Dienz, Judith Unterpertinger, Peter Jakober, Franz Baur, Luna Alcalay.

Das Eröffnungskonzert am 6.September in der Franziskanerkirche Schwaz präsentiert Windkraft – Kapelle für Neue Musik, Lettischer Radio Chor, Kilviria Quartett, Daniel Gloger Countertenor, Natalia Pschenitschnikova Sopran, Jakob Diehl Sprecher, The Next Step Perkussion, Johannes Kalitzke Dirigent. Die Tiroler Schlagwerksformation The Next Step erarbeitet Jubilatio von Sofia Gubaidulina unter Anleitung von Mark Pekarskij, einem engen Vertrauten und musikalischen Weggefährten der Komponistin. Sergej Newski stellt einen extrem erniedrigten Franziskus in den Mittelpunkt einer von der Franziskanerprovinz Österreich und Südtirol mit in Auftrag gegebenen Komposition Franziskus und von Johannes Kalitzke hört man „Memoria“.

Mit Edison Denissow, Vladimir Tarnopolski und Olga Rayeva gibt es tags darauf in Innsbruck (Aula der SOWI-Fakultät der Universität) im Dreier-Schritt maßgebliche wie unterschiedliche Persönlichkeiten dreier Generationen der Neuen Musikszene Russlands zu hören, weiters Heinz Holliger als Solist (Friedrich Cerhas Quintett für Oboe und Streichquartett 2007 in Uraufführung) und als Komponist (aus „Sieben Stücke für Oboe und Harfe“ und „Turmmusik“). Zur Einstimmung des Komponistengesprächs kann man das Tarnopolski-Interview lesen: „Entscheidungen sind in Russland nicht transparent“. Das Konzert ist auch im ö1-„Zeitton“ am selben Abend zu hören.

Am Samstag, den 11.09. steht wieder Heinz Holliger im Mittelpunkt, auch György Kurtág, Sandor Veress und Anton Webern, im zweiten Konzert hört man mit dem Lettischen Chor Holligers „Die Jahreszeiten“. Der Artikel über Holliger im „Spuren“-Magazin: „… Musiker sollten sich stärker einmischen“. Am Sonntag geht’s auf zur traditionellen Pilzwanderung. Friedrich Cerha führt, denn er ist auch ein profunder Kenner von Pilzen. Eine gemeinsame Wanderung mit Cerha, anschließendem Pilzessen und einem Intermezzo mit dem Tiroler Zithervirtuosen Martin Mallaun: Er spielt Neues von Manuela Kerer, Franz Hautzinger und Georg Friedrich Haas. Am Abend dann das Abschlusskonzert der Ensemble Modern Akademie.

Weiter geht es am Donnerstag 16., 09. mit einem Museumsbesuch in Absam und einem Konzert des Collegium Novum Zürich mit neuen Werken von Schweizer Komponisten – es ist dies eine Kooperation mit dem Lucerne Festival. Am Freitag geht man in Innsbruck ins Kino: Die leidenschaftlich für die Neue Musik Russlands engagierte Sängerin Natalia Pschenitschnikova, seit 1993 in Berlin lebend,  interpretiert ein neues Werk für Stimme solo von Alexandra Filonenko nach Texten von Anja Utler und Polina Andrukovitsch – letztere lebt als Dichterin in einer psychiatrischen Anstalt von Moskau. Für den darauffolgenden, mehrfach ausgezeichneten  Film „Jurjew Den – Yuri’s Day“ Film von Kirill Serebrennikow (Russland 2008) hat Sergej Newski die Filmmusik komponiert. Am Samstag dann in der Aula Innsbruck unter dem Motto RE-CONSTRUCTION das Moscow Contemporary Music Ensemble mit Kompositionen fünf junger russischer Komponisten, die sich auf die sowjetische Avantgarde der 20er und 30er Jahre beziehen, deren Werke damals teils unaufgeführt blieben . Am Sonntag dann eine „Pilgerwanderung“ von Scharnitz bis Telfs in sechs Stationen, bei denen es u. a. Musik von Gubaidulina, Schnittke, Vadim Karassikow und eine Uraufführung von Eduard Demetz im Dom zu St. Jakob, Innsbruck geben wird – von Telfs nach Innsbruck geht’s per Bus. Neben Demetz’ neuem Werk „Schöpfung hört man nicht“ spielt Windkraft -Kapelle für Neue Musik unter der Leitung von Kasper de Roo zum Abschluss Alfred Schnittkes monumentale 4. Sinfonie.

Bereits am Dienstag, 21.09. gibt es in Absam ein 30-minütiges Filmfeature des 2004 verstorbenen Tiroler Komponisten Bert Breit und dann das Ensemble „Quadratsch“ mit einer Uraufführung von Christof Dienz. Aus der Programmeinführung: „Der österreichische Komponist, Journalist, Zeichner und Filmemacher Bert Breit besuchte in seinem Filmfeature Kuisa geah aus dem Jahre 1996 Schafzüchter, Kuh- und Ziegenhirten auf mehreren Tiroler Almen und die Volkskundlerin Prof. Gerlinde Haid. Die lautmalerischen, bedeutungslosen Silbenwiederholungen sind zum Teil sehr individuell gehalten, der Form nach aber immer beginnend mit der Kopfstimme, die dann in die Bruststimme wechselt – sozusagen die Tiere herbeilockt und ihnen dann das in den Stall gehen signalisiert. Vielleicht ist es sogar eine Art orfeische Tiersprache, die von den Tieren verstanden wird, wer weiß?  Die Rufe ziehen sie jedenfalls magisch an, und für den Hirten ist es eine große Arbeitserleichterung. Vielleicht sind diese unverständlichen Silben aber auch eine Frühform unserer Sprache – es wäre ein interessantes sprach- und musikwissenschaftliches Forschungsgebiet.

Der Tiroler Komponist Christof Dienz lebt und wirkt seit langer Zeit in Wien; das Interesse für seine Herkunft hat er dabei nicht verloren. Bekannt für seine ungewöhnlichen Klangmuster lässt Dienz bei diesem neuen Werk die Musiker Steine aneinander reiben, auf Holz klopfen, in Spänen wühlen, am Eis kratzen – alles fein verwoben mit Klängen akustischer Instrumente. Mit Quadrat:sch treten Christof Dienz, Barbara Romen, Gunter Schneider und Alexandra Dienz in einer typisch alpenländischen Stubenmusikbesetzung mit Hackbrett, Zither, Gitarre und Kontrabass auf und bereichern die Klangwelt der traditionellen Instrumente mit ihren facettenreichen neuen Kompositionen. Der Name Quadrat:sch bezieht sich auf den Ort Quadratsch im Tiroler Oberland in der Nähe von Landeck – eine Form von urtirolerischer Lautmalerei. Anlässlich der Uraufführung  der „Stubenmusik für Hackbrett, Zither, Harfe, Gitarre, Kontrabass und Perkussion“ im Rahmen der KLANGSPUREN wird das Ensemble mit dem Perkussionisten Herbert Pirker und der Harfenistin Zeena Parkins erweitert.“

Am 22.09. gibt es im ORF Tirol Lesung, Gespräch und Konzert mit dem russischen Dichter und Bestseller-Autor Vladimir Sorokin und der Komponistin Olga Rayeva und neuer Klaviermusik. Am Donnerstag dann in Schwaz zwei weitere Uraufführungen: Streichquartette von Judith Unterpertinger zone3#2.5 (mit Live-Elektronik) und das 1. Streichquartett  von Peter Jakober. Im Leo-Kino Innsbruck am Freitag ein Stummfilm aus der Sowjetunion von 1924 (Aelita – Die Reise zum Mars) mit neu komponierter Musik vom jungen russischen Komponisten Dmitri Kourliandski.

Das Orchester der Akademie St. Blasius „zählt zu Tirols engagiertester Formation in Sachen Neuer Musik; „ohne ästhetische Scheuklappen betätigt es sich immer wieder auch als Entdecker wenig oder kaum gespielter Positionen unserer Gegenwart. Luna Alcalay hat mit ihren Applications für 16 Streicher ein hoch virtuoses Werk geschrieben, das eine Herausforderung für jedes Ensemble darstellt. Franz Baur wiederum betont, dass neben dem Handwerk vor allem die Unmittelbarkeit starker emotionaler Erfahrungen das Hauptanliegen eines Komponisten sein muss.“ Im Konservatoriumssaal in Innsbruck hört man das Orchester mit diesem Werk Alcays, von Franz Baur in Uraufführung das Auftragswerk der Stadt Innsbruck, das Konzert für Zither und Streicher mit Martin Mallaun als Solisten. Am Sonntag, dem 26. September 2010 wird im Rahmen der Klangspuren 2010 eine Matinée in einem Tunnelabschnitt der Unterinntaltrasse der ÖBB stattfinden: Der Saxofonist, Klanginstallateur und Komponist Christoph Reiserer (D) schreibt die Musik, die Schriftstellerin Barbara Hundegger (A) den Text. Am selben Sonntag findet in den Swaroski Kristallwelten in Wattens  das Abschlusskonzert der Musizier- und Komponierwerkstatt für Kinder und Jugendliche KLANGSPUREN LAUTSTARK 2010 statt. Das Abschlusskonzert des Festivals schließlich bietet in Schwaz am Abend das Münchener Kammerorchester und Kompositionen von Nikolaus Brass, Galina Ustwolskaja und Alfred Schnittke sowie „Unheimat“ von Georg Friedrich Haas.
(hr unter Verwendung der „Klangspuren“-Texte auf der Website).

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