„[…] die Hermetik zwischen musikalischen Stilen einzureißen“ – PETER JAKOBER im Gespräch mit Studierenden

Die Sounds von DEPECHE MODE und LAIBACH faszinieren ihn. Ganz anders aber klingen PETER JAKOBERS eigene Kompositionen. Was sie dennoch verbindet und wie er die Hermetik zwischen den Genres einreißen möchte, erklärte er im Gespräch mit Studierenden des INSTITUTS FÜR MUSIKWISSENSCHAFT der UNIVERSITÄT WIEN. 

Wann haben Sie entschieden, den Weg als Komponist einzuschlagen, gab es ein Schlüsselereignis?

Peter Jakober: Ich war immer ein Filmfreak, deshalb wollte ich, als ich jung war, Regisseur werden, dann kam ich drauf, dass ich visuell nicht so gut drauf bin. Also wollte ich Filmmusik machen, und als ich erfahren habe, dass das Kompositionsstudium in Graz angeboten wird und dass dort interessante Lehrerinnen und Lehrer unterrichten, habe ich mich für diesen Weg entschlossen. Mich tatsächlich als Komponisten zu bezeichnen, ist mir sehr lange schwergefallen, das ist erst seit ein paar Jahren so.

Hatten Sie ein zentrales Vorbild als Komponist?

Peter Jakober: Die Mehrheit der Komponistinnen und Komponisten hat einen klassischen Background, das ist bei mir nicht der Fall. Ich bin mit experimentellen, alternativen Gruppen wie den Einstürzenden Neubauten, Depeche Mode und Laibach aufgewachsen. Nach wie vor fasziniert mich, wie Depeche Mode mit Klang umgehen, ihre Sounds sind wahnsinnig gut gearbeitet und spannen sich über das gesamte Klanggeschehen. Das hat mich total beeindruckt. Das Gleiche gilt auch für Laibach und die Einstürzenden Neubauten, auch wenn sie ein ganz anderes Klangverständnis haben. Meine ersten Kompositionen waren tonal, bis ich gemerkt habe, dass mir das überhaupt nicht entspricht, weil das, was ich zu Hause gehört und was ich geschrieben habe, gar nicht zusammengepasst hat. Erst später habe ich in die Neue Musik hineingehört, Klassiker wie Luigi Nono, Steve Reich, Georg Friedrich Haas und Salvatore Sciarrino haben mich sehr beeindruckt.

„Liebst du das, was du tust?“

Wie würden Sie die Rolle von Georg Friedrich Haas als Ihrem Lehrer sehen?

Peter Jakober: Ich habe sehr damit gekämpft, dass ich von diesem alternativen Musikbereich gekommen bin und dann mit diesem Wahnsinn an Theorie angefangen habe. Dann hört man, wie großartig Bach und Mozart sind. Und das sind sie ja auch tatsächlich. Aber irgendwann stellt sich die Frage: „Was tu ich da?“ Ich habe mich ziemlich verloren gefühlt.
Dass Haas dann mein Lehrer wurde, war Zufall. Er hat mir mitgegeben, dass es einzig und allein um eines geht: „Liebst du das, was du tust?“ Das klingt vielleicht platt, aber für mich war es sehr wichtig und eine große Erleichterung. Natürlich hat er mir auch sehr viel Technisches beigebracht, hat sich die Partituren angesehen und mir etwa gesagt: „Dieser Moment ist spannend, weswegen wird er nicht weitergeführt?“ Das ist genau das, was man während des Studiums lernen soll und muss.

„Es entsteht so eine Ausfransung einer Gleichzeitigkeit.“

Sie erwähnen öfter das musikalische Flimmern, das sie mit mikrorhythmischen Patterns und auch mikrotonalen Melodien hervorrufen. Woher kommt Ihre Leidenschaft für das Mikrostrukturelle?

Peter Jakober: Das hat mit dem Reiz von Schwebungen zu tun. Ein elektronisch erzeugter, reiner C-Dur-Dreiklang ist von den Frequenzen her wunderbar, klingt aber im Gegensatz zu einem am Klavier gespielten C-Dur-Akkord langweilig. Ausgehend von der Auseinandersetzung mit kleinsten Abweichungen in Bezug auf die Tonhöhe habe ich mich gefragt, was passiert, wenn ein ganzes Orchester einen Tutti-Schlag spielt. Ein Tutti-Schlag ist mathematisch nie exakt, sondern immer ein bisschen ausgefranst, weil der Einschwingvorgang der diversen Instrumente unterschiedlich ist. Wenn tatsächlich alle exakt gleich wären, würde das wohl ziemlich langweilig klingen. Deswegen kam ich auf die Idee, diese Abweichung vom exakt Gleichzeitigen in meiner Musik zu emanzipieren. Ich spiele den Musikerinnen und Musikern, die meine Kompositionen aufführen, oft Klicks zu und lasse sie so unterschiedliche Tempi spielen, etwa die 9. Unterteilung eines 14:15-Rasters gleichzeitig mit der 8. Unterteilung eines 33:34-Rasters. Das wäre dann mathematisch korrekt, aber keine Spielerin und kein Spieler könnte das spielen. Also muss ich in der Notation runden, sodass es menschlich spielbar wird. Es entsteht so eine Ausfransung einer Gleichzeitigkeit.

Sie haben gerade über die kleinsten Verhältnisse in Ihrem Werk gesprochen. Wie sieht bei Ihnen der kreative Prozess aus und legen Sie dabei auch Wert auf die große Form?

Peter Jakober: In dem Moment, in dem ich schreibe, denke ich gleichzeitig auch weiter. Wenn eines meiner Stücke aufgeführt wird, gibt es oft einen Moment, bei dem ich mir denke, dass er noch mehr hergeben würde. Daraus entsteht dann eine neue Idee. Bei einem Stück für zwei E-Gitarren etwa habe ich den Effekt, bei dem die Aktion der einen Musikerin bzw. des einen Musikers den Volume-Ausgang des anderen Musikers für einen kurzen Moment auf null reduziert, nur kurz eingesetzt. Daraufhin habe ich diesen Effekt bei einem erst kürzlich beim Festival Ultima in Oslo uraufgeführten Stück noch wesentlich mehr verschachtelt. Ich fange also eine Komposition mit diesem Gedanken an und in diesem Stück tritt bestimmt wieder ein Moment ein, bei dem ich mich frage, wie lange ich das noch ausbauen könnte. Auf einmal entsteht wieder eine neue Idee, die in diesem Stück auch vorkommen kann oder in einem der nächsten Stück eingesetzt wird.

Hat das auch mit Ihrem Interesse am performativen Element in der Livemusik zu tun?

Peter Jakober: Wenn man auf einer Bühne die Musikerinnen und Musiker wahrnimmt, ist das natürlich immer auch ein performativer Akt. Was mich an der Arbeit mit Liveelektronik oder an diesem Kompositionsprinzip interessiert, ist das Scheitern des Menschen am mathematischen System – das bringt Menschlichkeit hinein. Streichquartette sind prädestiniert dafür, immer zusammenzuhören. Wenn ich den Musikerinnen und Musikern Kopfhörer aufsetze und sie auch noch weit auseinander setze, nehme ich ihnen die Möglichkeit, gut aufeinander hören zu können. So steht durch die Klicks auf der einen Seite das Maschinelle, das den Menschen stört oder keiner Menschlichkeit mehr Platz lässt, auf der anderen Seite kommt aber doch wieder das Menschliche durch – das ist für mich faszinierend.

Ihre Instrumentalmusik funktioniert als absolute Musik. Bei dem Spannungsfeld zwischen Mensch und Maschine frage ich mich aber: Steckt ein gewisses Maß an Gesellschaftskritik dahinter?

Peter Jakober: Ich erlebe es schon so. Als bei der „Molekularorgel“ 35 Blechblasinstrumente mit 35 Menschen zu einem Instrument verschmolzen – wie bei Van Lieshout, der auch immer den Menschen als Teil einer Maschine inszeniert –, war ich selbst erstaunt. Natürlich, wenn in meinen Kompositionen das Maschinelle den Menschen stört, dann schwingt schon Gesellschaftskritik mit, aber mir geht es nicht darum, dass das die anderen Menschen verstehen. Wenn es so gesehen wird, freut es mich.

„Es ist ein potenziertes Sich-selbst-Wahrnehmen.“

Sie haben einmal erwähnt, dass Sie sich beim Komponieren oft einen idealen Zuhörer vorstellen. Wie würde der für Sie aussehen?

Peter Jakober: Peter Kubelka, ein Avantgardefilmemacher, hat in einem Vortrag einmal vom idealen Zuseher gesprochen, den ich für mich zum idealen Zuhörer abgewandelt habe. Es ist nichts anderes als das überkritische Selbst, das alles von sich selbst schon einmal gehört hat. Das ist natürlich auch ein sehr strenger Kampf, den man mit sich selbst führt, weil es die ganze Zeit sagt: „Aber das hast du schon einmal so gemacht.“ Es ist ein potenziertes Sich-selbst-Wahrnehmen.

In der Neuen Musik hat man manchmal den Eindruck, dass von Komponistinnen und Komponisten verlangt wird, dass sie sich immer wieder aufs Neue selbst erfinden. Teilweise scheint es sogar verpönt zu sein, sich selbst zu wiederholen. Empfinden Sie das als Druck?

Peter Jakober: Ich empfinde das Komponieren aus seiner Geschichte heraus sehr mit Druck behaftet, oft wird es gleich mit Mozart assoziiert – schon diese Erwartungshaltung des Genialen ist furchtbar. Ich versuche, das mit einer gewissen Lockerheit zu sehen. Da komme ich zurück zu dem Punkt: Wenn es wirklich das ist, was man liebt, dann wiederholt man sich, das ist in Ordnung. Das macht man bei der Liebe auch. Anders könnte es für mich nicht gehen.

Ein anderer Punkt, der auch mit der Thematik, etwas Neues finden zu müssen, einhergeht, ist die Frage nach dem Instrumentarium. Sie setzen teilweise ganz konventionelle Besetzungen ein, Sie bauen aber auch Ihre eigenen Instrumente. Hat das mit der Intention zu tun, neue Klänge zu schaffen?

Peter Jakober: In der Performance „Dingen“ mussten zwei Performer, die gar nicht Noten lesen konnten, unser neu gebautes Instrument bedienen. Ich habe, noch bevor das Instrument fertig war, Patterns dafür entworfen. Gemeinsam mit dem Choreografen Paul Wenninger habe ich durchdacht, was für dieses Saiteninstrument spannend sein könnte. Auf der einen Seite war uns aber auch wichtig, dass man nie ganz genau versteht, worum es in der Performance eigentlich geht. Deswegen habe ich sie auch sehr gerne, weil sie nicht behauptet, dass der Komponist ein neues Instrument erfindet, sondern dass die Performer in roten Arbeitsanzügen das Instrument in einer wissenschaftlichen Situation testen. So persifliere ich mich selbst ein bisschen.
Eigentlich sind beide Instrumente – sowohl die Molekularorgel wie auch das Instrument für „Dingen“ – nicht aus der Intention entstanden, einen neuen Klang zu schaffen. Bei der Molekularorgel ging um das Skulpturale, das ein Instrument auch hergeben kann, und bei „Dingen“ war zuerst gar nicht der Klang im Zentrum, sondern die Frage, was man Performatives mit einem Instrument anfangen könnte, wenn es nicht von Musikerinnen und Musikern gespielt werden würde.

Gibt es einen Rat, den Sie jemandem geben würden, der sich zum ersten Mal mit Neuer Musik auseinandersetzt?

Peter Jakober: Wenn man bestimmte Musik extrem gerne hört, kann man ja einmal die Neue Musik daraufhin überprüfen, ob nicht genau dieser Aspekt auch vorhanden ist. Ich bin mir sicher, dass gute Neue Musik das hat.

„Diese Hermetik ist für mich ab und zu zum Verzweifeln.“

Welche Herausforderungen stellen sich Ihnen für die Zukunft?

Peter Jakober: Ich finde es sehr schade, dass es in jeglichen musikalischen Bereichen eine extreme Hermetik gibt. Es gibt auch in der populären Musik unzählige Richtungen, die sich teilweise untereinander nicht mögen. Diejenigen, die Einstürzende Neubauten hören, mögen Depeche Mode nicht. Das ist eine furchtbare Entwicklung. Während des Studiums habe ich in Graz ein Festival im Forum Stadtpark gemacht, wo zum Beispiel die Krautrock-Band Faust gespielt hat, anschließend war wieder ein Neue-Musik-Stück. Das hat wunderbar funktioniert, Ö1 hat mitgeschnitten, das war immer voll, aber die Leute im Haus wollten dann im Keller einen Club eröffnen, und dann haben sie mir das Geld abgedreht.
Ich glaube, dass die Hermetik und die Abgrenzung auch durch ein Fördersystem verstärkt werden, bei dem sich jeder vom anderen abgrenzt; dann kommt auch noch der Konkurrenzkampf dazu. Das kann tödlich für die Entwicklung sein.
Auch wirtschaftliche Faktoren spielen eine große Rolle: Bei Ausstellungseröffnungen in Köln habe ich oft erlebt, dass ein DJ eingeladen wird, weil der einen fetten Sound macht und fast nichts kostet. Wenn man dann den Vorschlag macht, eine Geigerin einzuladen, hört man: „Aber die spielt ja nur 20 Minuten und ist dann vielleicht auch noch teurer als ein DJ.“ Diese Hermetik ist für mich ab und zu zum Verzweifeln. Deshalb ist es eines meiner Hauptanliegen, ein ähnliches Festival in Wien zu starten und damit die Hermetik zwischen musikalischen Stilen einzureißen.

Doris Weberberger

Termine:
Mittwoch, 14. Oktober 2015, 19.30 Uhr Konzilsgedächtniskirche Lainz
Lainzer Straße 136, 1130 Wien-Hietzing
PETRA BUCHEGGER “MONDAS”
Präsentation. Es spricht Gustav Schörghofer SJ
CAROLINE MAYRHOFER Blockflöten
Werke von Peter Jakober (UA), Giorgio Tedde, Fausto Romitelli, Emanuele Casale

Wien Modern – Klangforum Wien
Peter Jakober: ‘Substantie’ fuer Ensemble (UA)
Freitag, 13. November 2015
Konzerthaus Wien

Wien Modern – Phace Ensemble
Peter Jakober: “ins andere uebertragen” für Ensemble
20. November 2015
Konzerthaus Wien

Huddersfield Contermporary Music Festival – Klangforum Wien
Peter Jakober: “Substantie” für Ensemble (UA)
Freitag, 20. November 2015
Huddersfield Town Hall

Wien Modern – Ensemble Kontrapunkte
Peter Jakober: “nach Aussen” für Violine und Liveelektronik
Sonntag, 22. November 2015
Brahms Saal / Wiener Musikverein

Haydn Chamber Ensemble/Haydnfestspiele Eisenstadt
Peter Jakober: neues Klaviertrio (UA)
Samstag, 28. November 2015
Eisenstadt, Haydn Chamber Ensemble

Foto Peter Jakober (c) Franz Reiterer

http://www.peterjakober.com/