"Die Fehler sind das, was du bist!" – Scott McCloud (Girls against Boys, Paramount Styles) im mica-Interview

Im Umfeld von Nirvana, Mudhoney und Soundgarden und der von ihnen losgetretenen Grunge-Welle spielten sich Anfang der 1990er Jahre auch andere Bands ins Licht der Aufmerksamkeit. Scott McClouds Band Girls against Boys war eine davon. In der Punk- und Hardcore-Szene von Washington und New York aufgewachsen, fanden sie sich plötzlich weltweit auf den großen Bühnen wieder.

Heute lebt Scott Mc Cloud in Wien. Als „Paramount Styles“ veröffentlicht er Alben mit wunderbarem Breitwand-Pop. Und die alte Band GvsB hat er neulich auch wieder reaktiviert. Ein Gespräch über Youtube-Klicks, die Band als beweglichen Plattenladen und drei Minuten Extase.

“Ich mochte es nie, zu viele Entscheidungen treffen zu müssen.”

Du arbeitest gerade an einem neuen Paramount Styles-Album?
Scott McCloud: Ja, ich habe auch schon etwas aufgenommen. Vor allem Drums und Bass. Jetzt gerade überlege ich mir die Texte und einen anderen, neuen Sound. Das macht wirklich Spaß und ich genieße es. Letzte Nacht habe ich bis Mitternacht gearbeitet. Deshalb bin ich heute auch total müde. Manchmal bin ich da wie ein kleines Kind, das einfach etwas machen muss und nicht ins Bett gehen will. (lacht) Andererseits denke ich mir, wenn ich so lange an etwas arbeite, schon auch oft: Warum tu ich mir das an? Keiner wird es kaufen… Warum also soll ich das überhaupt machen und kann nicht einfach auf Tour gehen? Weißt Du, einfach diesen Aufnahme-Teil weglassen.

Hat sich das Procedere zu früher geändert?

Scott McCloud: Stark, ja. Die Szene aus der ich komme – New York, Washington D.C – diese alternative Szene mit ihren Record-Companies, da war das noch so: Leute kommen zusammen, performen gemeinsam und fahren in einen Club, um dort ihre Songs spielen. Und die Bands haben das getan, bevor sie Platten aufnahmen. Sie spielten einfach nur. Sie waren Live-Bands. Danach wurde erst im Studio gearbeitet und aufgenommen. Viele der Plattenlabels haben also wirklich erst eine Art Dokumentation der Band geliefert. Heute läuft es meistens genau umgekehrt: Du nimmst Material auf und überlegst dir dann erst, wie du das live spielen kannst.
(lacht) Das ist eine ganz andere Erfahrung, auch für mich. Ich sage auch gar nicht, dass das schlechter ist. Es ist nur anders. Es ist einfach das genaue Gegenteil von früher. Und manchmal vermisse ich den alten Weg schon ein bisschen.

Inwiefern?
Scott McCloud: Es ist einfach eine andere Art, Musik zu betrachten, entweder als Akt des Auftretens und Spielens oder als eine aufgenommene Idee. Beides ist gut. Ich allerdings mag den Aspekt des Auftretens lieber. Man muss sich dafür nämlich erheblich weniger Gedanken machen. Heutzutage kannst du mit den Computern ja auch alles reparieren und ständig verbessern und ausbessern. Wenn du aber anfängst zu verbessern, z.B. die Drums, dann macht es nur Sinn, wenn du alles verbesserst. Also machst du bald alles nur mehr mit dem Computer und viele Stunden später hörst du etwas, das ganz anders ist als das, womit du begonnen hast. Oft verliert man so den Kurs der ursprünglichen Idee hinter einem Track und es wird ganz anders als man es sich erwartet hat. Das mag ich nicht. Ich mochte es nie, zu viele Entscheidungen treffen zu müssen. Ich will Klarheit und Echtheit und nicht „Fehlern“ zuhören, die ausgebessert wurden. Denn diese Fehler sind doch das, was du bist.

Vor kurzem hast Du mit Girls against Boys wieder eine EP eingespielt. Und ihr seid auch gemeinsam auf Tour gewesen. War die Wiedervereinigung Deine Idee?

Scott McCloud: Ja irgendwie schon. Die Jungs sind einfach wie meine Familie. Wir verbrachten zehn wirklich intensive und ernsthafte Jahre miteinander. Wir haben die Welt zusammen bereist. Ich habe lange und hart gearbeitet und habe es wirklich genossen, mit den Jungs zu spielen. Ich mag, was wir produziert haben. Aber nach ein paar Jahren Arbeit wollte ich eine Pause nehmen und mal was anderes machen. Ich bin mir auch bewusst, dass die Jahre begrenzt sind, in denen wir noch gemeinsame Projekte machen können. Wir sind alle schon älter heute, aber wir können es immer noch. 1996 hätte ich mir nie gedacht, dass Girls against Boys 20 Jahre später noch spielen werden. Es hat sich nicht viel verändert, außer vielleicht die Menge des Publikums.

“Wir hatten alles, was man sich als Band nur erträumen konnte.”

Wie viele weniger sind es geworden?

Scott McCloud:
Ach, in Wien hatten wir auch schon mal vor 600 Leuten gespielt. Aber es macht in Wahrheit keinen Unterschied, ob du vor 180 oder 600 Leuten spielst. Ich war eher überrascht, dass die Leute immer noch kommen. Vielleicht liegt es daran, dass es wenige Bands wie unsere gibt. Ich weiß nicht, wie das hier in Wien ist, aber in New York ist die Szene schon zu überschwemmt. Es gibt einfach zu viel.

Ist das nicht frustrierend?
Scott McCloud: Nein, im Gegenteil. Dieses Gefühl, dass es von allem schon zu viel gibt, motiviert mich eher, als dass es mich runterzieht. Besser ein großer Fisch in einem kleinen Becken als ein kleiner Fisch in einem Ozean.

Ist es schwierig alle Bandmitglieder zusammen zu kriegen?

Scott McCloud: Das ist der schwierigste Teil daran. Wenn du 25 bist, kannst du all deine Energie und Zeit investieren. Vor allem in unserem Fall. Wir hatten das Glück, dass wir damals alles in diese Band stecken konnten und damit Erfolg hatten. Wir hatten alles, was man sich als Band nur erträumen konnte. Eine riesige Fangemeinschaft, viel Geld, etc. Das ist uns passiert. Das war schon echt genial. Heute haben wir alle Familie, andere Projekte…

Du bist jetzt 47. Wie fühlt es sich an, in diesem Alter noch harten Rock zu spielen? Ist es anders als früher oder fühlt es sich immer noch gleich an?
Scott McCloud: Ich liebe es, aber ich hatte schon Bedenken. Das erste Konzert nach der Reunion war gleich ein großes Festival. Ich war echt nervös. Und natürlich fragte ich mich insgeheim, ob ich überhaupt noch weiß, wie es geht – ein echt komisches Gefühl.

“Früher hast du eine Platte gekauft, hast sie dir angehört und wusstest nicht, wie die Leute dahinter sind, wie sie aussehen.”

Und?
Scott McCloud: Man verlernt es nicht. Man tut es einfach und fühlt sich wieder so jung wie damals. Wenn ich dann die Videos von früher sehe, denke ich mir natürlich schon:  Wow, seh ich alt aus! (lacht) Manchmal frage ich mich, ob es den Rolling Stones auch so geht. Ich meine, die Jungs sind 70 Jahre alt. Vor 15 Jahren sagten die Leute, dass die Stones aufhören sollten zu spielen. Heute sagt das keiner mehr. Die Vergangenheit ist für alle wichtig. Die Leute sind aufgeregt und freuen sich, wenn die Bands aus ihrer Jugend noch performen. Das ist ein schönes Gefühl, etwas aus seiner Vergangenheit zu haben, dass immer noch existiert, egal wie alt man wird.

Würdest Du denn heute noch auf eine Stones-Konzert gehen?
Scott McCloud: Nein, würde ich definitiv nicht. Ich habe die Stones live gesehen, aber eben auch den Martin Scorsese-Film. Und ich fand den Film lächerlich. Ich habe mich echt gefragt: Was zu Hölle macht ihr da nur? (lacht) Hüpfen herum wie Supermodels. Bizarr. Aber das ist wohl so, wie sie sind und immer waren.

Du warst sicher auch ein Fan vieler Bands, bist ihnen durch gute und schlechte Zeiten gefolgt. Hat sich in Sachen Fan-Support etwas geändert?
Scott McCloud: Das ist eine gute Frage. Bei befreundeten Bands gehe ich oft im Informationsfluss unter. Durch Internet und Social Media-Kanäle gibt es so viel Information, dass es schwierig wird, einer Band zu wirklich folgen. Das heißt, eigentlich könnte man einer bestimmten Band durch die viele Information ganz nahe sein, man ist es aber gar nicht. Jeden Tag gibt es Postings und Nachrichten ohne Ende, du weißt aber nie, ob eine Fanseite wirklich von der Band betrieben wird oder vielleicht einfach irgendjemand anderes dahinter steckt.
Natürlich nutzen wir als Band auch soziale Medien. Ich benutze sie täglich. Was dadurch aber ein bisschen verloren geht, ist das Geheimnisvolle. Früher hast du eine Platte gekauft, hast sie dir angehört und wusstest nicht, wie die Leute dahinter sind, wie sie aussehen. Sind sie alt oder jung? Was treiben die so? Wie sind die so? Heute wollen alle alles über sich preisgeben und alle alles wissen lassen. Das ist manchmal überwältigend. Aber in der Realität musst du da einfach mitmachen. Du kannst dich dem nicht entziehen. Ich weiß nicht, inwiefern das für eine Band wie Girls against Boys ausschlaggebend ist, aber es ist sicher gut, ein paar hundert Follower zu haben. Einfach, weil man nicht mehr soviel Promo-Arbeit machen muss. Du musst keine Anzeigen schalten. Die Leute wissen auch so durch Twitter und Facebook, wann du wo auftrittst und wieviel die Karten kosten. Sie müssen nicht mehr in Zeitungen danach suchen. Andererseits kommt in der ganzen social media-Welt die Musik zu kurz. Du weißt alles über die Personen der Band, aber hast keine Ahnung, wie deren Musik klingt (lacht) Das ist lächerlich, weil es mehr um Popularität als um Musik geht. Aber wer Musik macht, braucht Publikum und muss damit leben.

Ist es denn schwierig an Publikum zu kommen?

Scott McCloud:
Ja, schon. Ein befreundeter Musiker sagte neulich in einem Interview, Musik sollte frei sein im Sinne von gratis. Ich antwortete ihm: Ja, ich gebe dir recht, aber du lebst in der Vergangenheit! Ich kann dir eines sagen: Musik zu machen kostet Geld! Du brauchst ein Studio, Mikrofone, Technik. Alles kostet Geld. Wenn jetzt keiner mehr für Musik bezahlt, wie soll das alles finanziert werden?

“Das Label kriegt 50%. Für was eigentlich?”

Funktionieren die Labels, was die Finanzierung betrifft, noch so wie früher?

Scott McCloud: Ich würde sagen, es läuft nicht mehr so wie früher. Die Kultur des in Clubs Spielens wurde durch die Art, wie Leute heute Musik sehen, beschädigt. Das hat sich verändert. Früher funktionierten die Labels so: Sie warfen eine Hand voll Musik raus und schauten, was kleben bleibt. Der Rest geschah fast von selbst. Vielleicht sollten die Labels das heute wieder so machen. Ich weiß, dass es viele Labels mit Bands gibt, die genau nichts verkaufen. Die haben immer nur ein oder zwei große Namen, die viel verkaufen. Aber um eine Szene am Leben zu erhalten, braucht es permanent neue Talente. Keine Band besteht für immer. Nachwuchs muss immer am Start sein. Früher war es so: Wenn du einmal bei einem Label warst, hattest du sofort Publikum, weil das Label an sich schon Publikum hatte. So hast du vom ersten Tag an, dem du dem Label angehörtest, Platten verkauft.
Es gab auch schon Indie-Labels die wirklich gut verkauft haben, vor allem wenn die einmal ein Stammpublikum hatten. Die Labels brauchen das Geld um die Bands zu sponsoren und Musik auf den Markt zu bringen. Die müssen gut mit dem Geld umgehen. So und so viel für Marketing, so und so viel für Gigs, usw. Die müssen immer so viel verkaufen, dass alle ihr Geld kriegen und die Kosten gedeckt sind. Wenn du heute nichts verkaufst ist das eine „Loose-Loose-Situation“. Labels brauchen Bands die touren können, um so die Platten zu verkaufen. Manchmal denkst du dir dann als Künstler: Das Label kriegt 50%. Für was eigentlich? Ich mach doch die ganze Arbeit. Das ist mit einer der Gründe, warum das ganze System bald kollabieren wird. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es echt hilfreich ist, wenn du für ein Label arbeitest, das viele Bands hat, die so ticken wie du. Dann bist du Teil einer Gemeinschaft aus einem ähnlichen Genre. Und die Leute denken sich: Ich mag diese Band. Mal hören welche Bands das Label noch hat. Ahh…ich mag auch die anderen Bands. Auch so verkaufst du Platten. Über Facebook wird dir das nicht so schnell passieren.

Wo verortest Du Deine Musik?
Scott McCloud: Ich will einfach keine Musik produzieren, um damit 1.000.000 YouTube Klicks zu lukrieren. Ich will keinen Gangnam-Style machen. Ich meine, das war lustig, aber ich will alternative Musik machen. Ich will etwas Eigenständiges und Außergewöhnliches machen für außergewöhnliche, eigenständige Leute. Aber wenn du kein Geld bekommst, um das zu tun, dann kannst du es auch nicht machen. Dieses ganze Getue um möglichst viele Klicks und Views auf YouTube und so weiter ist meiner Meinung nach das genaue Gegenteil zu der alternativen Szene, die einfach etwas anderes machen will.
Die Leute glauben dass Bands ihr Geld mit Liveauftritten verdienen und das Eintrittsgeld kassieren. Aber Alternative-Bands machen de facto kein Geld. Es ist heutzutage schwieriger denn je. Eine Band zusammenzustellen, auf Tour zu gehen und kleine Gigs ergattern, das ist die Realität.

Woran liegt das?
Scott McCloud: Jeder gibt gerne 2.000 Euro für einen neuen Computer aus, aber nicht ein paar Euros für eine Platte. Und keiner beschwert sich, dass eine Firma wie Apple nichts zahlt. Dabei ist es so einfach: Wenn die für ihre Inhalte zahlen würden, würde es wieder selbstständigere Musik geben. Es wäre wieder alles in Balance.

Wie sieht der Arbeitsprozess bei Paramount Styles und GvsB aus? Arbeitest Du heute anders als früher?
Scott McCloud: Bei Paramount Styles schon. Aber ich wollte es auch so. Immerhin gibt es uns schon lange und ich wollte etwas runterkommen. Nicht mehr so aggressive Musik machen. Ich bin also ins Studio eines Freundes gegangen und habe Songs aufgenommen. Bei GvsB läuft es normalerweise so ab, dass einige von uns rumsitzen und was spielen und ich baue dann darauf auf. Aber da gibt es keine Regel oder Formel. Wichtig ist aber das Live-Element. Das versuche ich uns zu bewahren. Ich möchte keine künstlichen, vom Computer eingespielten Drums. Wir nehmen immer mit einem Live-Drummer auf. Das musst du einfach tun, sonst klingt es einfach komisch. So läuft das. Dann kommt irgendwann das Label und schaltet sich ein. Leute kaufen nach wie vor Albums und CDs bei den Shows. Nicht immer nur im Plattenladen. Eine Band ist also ein beweglicher Plattenladen. Auf andere Arten verkaufst du kaum noch Platten. Ich denke, die Leute kaufen sich das Album vor Ort als eine Art Erinnerung. Als eine Momentaufnahme einer Show, die ihnen einfach gefallen hat. Sie wollen die Band unterstützen und zuhause nochmal dieses Gefühl bekommen. Ich mache das schon so lange, dass ich mich manchmal frage, wie andere das tun. Ich würde auch gern mal Leute interviewen (lacht). Und sie einfach fragen: Wie zum Teufel macht ihr das? Wie verkauft ihr eure Platten? Wie nehmt ihr auf?

Zu wie viel Prozent kannst Du von der Musik leben?
Scott McCloud: Ich würde sagen, zu 40%. Das ist von Jahr zu Jahr unterschiedlich. Auch das ist ein Grund, weshalb Girl Against Boys wieder passiert. Ich kann damit Geld machen und ich brauche Geld. Immerhin bin ich ein Label. Ich brauche Geld, um meine ganzen anderen Projekte zu finanzieren. Je mehr Geld ich mache, desto mehr Musik kann ich machen. Theoretisch. Das war zumindest immer die Idee dahinter. Wenn ich stecken bleiben würde in einer Arbeit und nur diese machen könnte, z.B. Gitarre unterrichten, dann wäre das zwar vielleicht gut für den Lebensunterhalt, aber es würde mir nie und nimmer reichen. Ich sehe meine Arbeit als Künstler als Investition.

Fühlst Du Dich in Wien einer bestimmten Szene zugehörig?
Scott McCloud: Nicht wirklich und das finde ich sehr bedauerlich.

“Wir hatten das Gefühl, etwas Außergewöhnliches zu schaffen.”

Warum?
Scott McCloud: Ich würde sehr gerne mehr Wiener Bands hören. Und dabei geht es gar nicht so darum, ob ich deren Musik mag oder nicht, sondern darum, sich mit der Musik möglichst vieler anderer auseinander zu setzen. Das formt die Vorstellung von Musik. Wenn du dich total isolierst und dir keine Shows mehr ansiehst, dann lebst du in einer Blase. Obwohl das auch interessant sein kann, weil du dann Dinge machen kannst, die sonst keiner machen würde. Das ist ein Risiko. Es erdet dich immer, wenn du dir Shows ansiehst. Das ist wichtig.

Gab es Zeiten, in denen du in New York lebtest, mehr Verbundenheit zu eier bestimmten Szene?

Scott McCloud: Nicht wirklich. Aber ich bin dort auf sehr viele Konzerte gegangen. Wir waren immer auf der Suche nach Proberäumen. Das ist das was du tust, egal wo du bist. Dir die Konzerte anzuhören, dort wo du bist, gibt dir das Grundgerüst.

Gab es in Deiner musikalischen Laufbahn einen Zeitpunkt, als Du dachtest: Jetzt wird es eine Karriere?
Scott McCloud: Das ist schwer zu sagen. Am Anfang war alles genial. Wir hatten gutes Material und waren sehr leidenschaftlich bei der Sache. Wir alle hatten beschissene Jobs und wollten einfach nur überleben. Da war das natürlich toll, und unsere Träume wurden wahr. Wir hatten das Gefühl, etwas Außergewöhnliches zu schaffen und zu erreichen mit der Band. Aber wie das eben so ist: Erfolg hat auch Fallen. Du erreichst alles, was du dir vorgenommen hast und deine Träume sind plötzlich Realität. Das kehrt oft alles ins Negative. Man konzentriert sich nicht mehr auf das Wesentliche, weil man seine Ziele erreicht hat und sich keine neuen mehr setzen kann oder keine neuen Ziele mehr kennt.
Gleichzeitig hat man permanent das Gefühl, dass man das, was man erreicht hat, nicht mehr verlieren möchte, und das setzt einen dann wahnsinnig unter Druck, weil du dir denkst: Ich darf das nicht verbocken. Ich muss erfolgreich bleiben. Das baut Ängste auf. Ist der Song so gut wie der letzte? Ist das Album gut genug? Man verliert diese Einstellung, dass etwas gut ist, weil man es gut macht. Und so wird da, was dir immer Spaß und Freude gemacht hat, zu echt harter Arbeit. Es fühlt sich an wie ein ganz normaler Job wenn du probst und aufnimmst. (lacht) Ist es ja auch!

Ist das der Grund, weshalb Deine Rock-Karriere damals ein wenig aprupt endete?

Scott McCloud: Ja auf gewisse Art schon. Es wurde zu Routine und es war schwer, noch genug Leidenschaft aufzubringen. Für mich war das der Grund. Damals war das so: Ich habe mir das Spielen mehr oder weniger selbst beigebracht. Ich spielte ununterbrochen Gitarre, ohne so richtig zu wissen, was ich da tat. Im Nachhinein betrachtet, wäre es vielleicht sinnvoll gewesen, mehr über Musik zu lernen. Mehr darüber zu lernen, wie die Musik und das Musikbusiness funktioniert. Aber das war einfach nicht in unserer DNA. Wir hatten diesen Punk-Rock-Background. Da scherst du dich nicht ums Business. Wir wollten auch nichts an unserem Stil zu Spielen ändern und so gingen uns irgendwann die Ideen aus. Die Idee, uns neu zu erfinden, kam uns nicht und so machten wir merh Schritte zurück als nach vorne. Es fühlte sich also so an, als wären wir damals vom sinkenden Schiff gesprungen, bevor es komplett untergegangen wäre.
Und jetzt, viele Jahre später, sitz ich hier in Wien um zu unterrichten, weil ich das für meinen Lebensunterhalt machen muss. Jetzt lerne ich über Musik. Plötzlich bin ich wieder sehr interessiert an der Musik. Ich nehme mir jetzt einfach die Zeit, um über Musik zu lernen. Das hätten wir früher nie getan. Keiner von uns. Ich bin auch hierher gekommen, weil ich von New York einfach schon gelangweilt war. Ich wollte an einem Ort leben, an dem alles mehr „easy-going“ ist. Und ich habe erkannt, dass das größte Interesse an meiner Musik immer von Europa ausging. Es war also auch ein praktischer Grund herzukommen. In den Staaten ist es schwierig geworden zu spielen. Es gibt nur wenige Städte, in denen du auftreten kannst, wenn du keine populäre Musik machst. In Europa, finde ich, sind die Szene und die Infrastruktur für diese Art von Musik einfach größer und ausgeprägter. Es gibt mehr Alternative-Festivals, mehr Möglichkeiten, auch mit kleinem Budget musikalisch kreativ zu sein.

“Für mich ist es nicht traurig, dass ich nicht so singen kann wie einer von „American Idol“.”

Hat sich Deine musikalische Vision geändert oder ist sie noch dieselbe wie vor 20 Jahren?

Scott McCloud: Sie hat sich verändert und ich hadere ein bisschen damit. Ich finde es hart, etwas zu produzieren, das populärer Musik ähnelt. Es wird zunehmend schwieriger, etwas Außergewöhnliches zu machen, weil es einfach schwer ist eine geeignete Plattform dafür zu finden. Ich versuche immer wieder, zurück zu meinen Wurzeln zu kommen und nicht zu sehr ins Popige abzudriften.
Dabei muss man aber gleichzeitig darauf achten Songs zu machen, die für den Zuhörer einfach zu hören sind. Gleichzeitig möchte ich aber das Eigenständige bewahren. Ich muss mich immer wieder neu positionieren. Ich bin einfach kein Popsänger, aber ich muss Musik machen die gefragt ist. Ich weiß so viel über Muisk, dass ich unter Umständen einen Hit schreiben könnte. Aber ich habe nicht die Stimme dazu.

Was meinst Du damit? Die Technik? Oder die Einzigartigkeit der Stimme?
Scott McCloud: In der Szene aus der ich komme, kam es nicht darauf an jeden Ton genau zu treffen. Es war nicht wie bei „American Idol“. Alle aus dieser Zeit konnten singen, aber waren sicher keine Perfektionisten. Ich auch nicht. Es ging mehr um deinen Stil und deine Texte. Am Anfang von Girls Against Boys war die Resonanz auf meine Stimme total positiv. Alle fanden meine Stimme und meinen Stil cool. Aber genau diese meine Stimme wurde dann zum größten Problem. Aber all das hat uns als Band geformt und unseren Weg gezeichnet. Für mich ist es nicht traurig, dass ich nicht so singen kann wie einer von „American Idol“. Die können zwar perfekt singen, aber klingen dabei wie alle anderen. Es war nie unser Ziel, Hit-Singles zu produzieren, sondern Alben. Wir wollten den „Körper“ der Musik machen. Diese Art von neuen Künstlern aber will einen Hit produzieren. Nur einen Song, um Erfolg zu haben. Viele dieser Künstler machen so groß Karriere, aber wer hört sich schon ein ganzes Album von denen an? Niemand, denn die Songs klingen alle gleich. Siehe Bruno Mars, David Guetta. Trotzdem: Selbst die absolute Elite der Popmusik, die absoluten Stars, haben es schwer, dauerhaft erfolgreich zu sein. Das liegt an der kurzen Aufmerksamkeitsspanne der Fans heutzutage. Die Leute hören sich keine ganzen Alben mehr an. Hitmaschinen wie David Guetta müssen permanent Hits nachlegen, damit ja kein Moment der Langeweile aufkommt. Die Tracks sind von Anfang bis Ende mitreißend und es gibt keine „langweiligen“ Passagen in diesen Songs. Der Zuhörer muss die ganze Zeit während des Tracks aufgeregt und gefesselt sein. Das ist der Grund, warum diese Songs auf You Tube so viele Klicks haben. Weil 13jährige vor den Bildschirmen sitzen und immer wieder auf „Repeat“ drücken, um sich diese drei Minuten Extase zu geben.

Steve Kilbey von The Church hat mir gegenüber einmal gemeint, wenn jemand zu seiner Musik einschlafen könnte, sei das ein großes Kompliement.
Scott McCloud: (lacht) Lustig. Erst gestern habe ich an einem Song gearbeitet, der mich ein bisschen an The Church erinnert hat. Das hat mich überrascht, weil ich über diese Band schon lange nicht mehr nachgedacht habe, aber anscheinend sind sie in meinem Hirn. Und es ist ja nicht schlecht, so zu klingen wie The Church. Das muss also ein guter Song werden!
(lacht) Letztlich geht es immer darum, sich zu überlegen, wie man die Leute dazu kriegt deine Musik zu mögen, obwohl sie seltsam und nicht populär ist. Es geht nicht immer ums Songwriting. Ich finde ja, The Church hatten viel bessere Texte und Songs als die Stones. Trotzdem waren die viel populärer. Oder liegt es an den Outfits? Soll ich vielleicht mal Makeup verwenden?

“Ich finde ja, The Church hatten viel bessere Texte und Songs als die Stones.”

Du hast auch schon mit Courtney Love gespielt haben. War das eine gelungene Kombination?
Scott McCloud: Das war äußerst seltsam. Girls Against Boys hatten nie diesen Bekanntheitsgrad erreicht. Für eine Weile waren wir aber trotzdem eine ziemlich angesagte Band. Courtney war im Gegensatz zu uns ein wirklich populärer Rockstar. Und sie wollte wissen, warum wir zu dem Zeitpunkt so erfolgreich waren und so gehyped wurden. Also habe ich sie getroffen.
Ich habe sie als eine Person kennengelernt, für die nur das Rampenlicht und ihr eigener Vorteil zählten. Es gab wirklich viele Leute, die sie nicht mochten, weil sie immer so verrückte Sachen machte und sagte. Sie hat mich trotzdem irgendwie fasziniert und ich mochte ihre Stimme sehr. Ich habe dann also auf einem ihrer Alben Gitarre gespielt. Das Album hieß „Americas Sweetheart“ und es war eines ihrer ersten Soloalben. Entweder das erste oder das zweite. Ich weiß es nicht ganz genau. Verkauft hat es sich letztlich nicht besonders. Ich hörte mir damals das Demo-Zeug an und ich mochte es sehr. Ich fand es echt ziemlich gut. Sehr grungig, rockig. Es ist so lange her. Ich müsste es mir wieder mal anhören. Das war schon eine komische Geschichte damals.

Eine deiner absoluten Lieblings-Bands war und ist aber Fugazi.
Scott McCloud: Ja. Die konnten eine Show machen. Das war spektakulär, ganz nach meinem Geschmack. Bei Fugazi frage ich mich immer, warum die aufgehört haben. Vielleicht waren die Fans einfach gelangweilt. Vielleicht waren ihnen die Ideen ausgenagne wie uns damals. Als Fugazi angefangen haben Punkrock zu spielen, waren ihre Shows noch sehr große Events mit Kämpfen und viel Verrücktem. Ich habe mir auf YouTube Shows angesehen, die kurz vom Karriereende stammen, das ziemlich zeitgleich mit dem von GvsB war. Es war einfach nicht mehr dasselbe. Sie hatten den Biss verloren und es fehlte etwas. Das Publikum war zwar noch da, aber es gab nicht mehr diese verrückte Spannung wie früher. Die Leute standen nur da und es gab keine Rangeleien mehr. Schade. Ihre Musik war gemacht, um zu provozieren. Sie war sehr seltsam und ungemein interessant zugleich.

Und wofür stehen GvsB heute?

Scott McCloud: „Für den Fehler“, für den unkorrigierten Fehler. Klarheit und Echtheit.

Vielen Dank für das Gespräch.
Interview und Bilder: Markus Deisenberger

 

Die Diskussions- und Vortragsreihe mica focus wird unterstützt durch die Abteilung für Wissenschafts- und Forschungsförderung der MA7 Wien.

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