„Die einzige Limitierung ist unser Geschmack.“ – SCHALLMOOS im mica-Interview

Sich als Band nach einem Stadtteil zu benennen, ist popgeschichtlich gesehen jetzt nicht unbedingt neu, dennoch erstaunt es, wieso es in Salzburg so lange gedauert hat, bis dies mit Schallmoos geschehen ist. Umso besser jetzt jedoch die Umsetzung, klingt das Duo SCHALLMOOS doch auf dem Debüt „Lippenbekenntnisse“ schon auch nach „Schall“ mit „Moos“. Einfacher gesagt: Hier rumpeln und quietschen die Samples in bester Lo-Fi-Tradition, ohne dabei nostalgische Gefühle zu bedienen. Viel eher geht es um die Potentiale des Nicht-ganz-so-Perfekten, die in Kombination mit kongenial zusammengesetzten Lyrics aus Phrasen-Irrsinn und Alltags-Surrealismus ein genuines Popmeisterwerk der subtilen Extraklasse hervorzaubern. Für mica hat sich Didi Neidhart mit den beiden „Schallmoosern“ THOMAS RAUTER und JOUNES WEIDACHER zum Interview getroffen.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, euch nach dem Salzburger Stadtteil Schallmoos zu nennen?

Thomas Rauter: Man ist ja immer auch geprägt vom Ort, an dem man lebt und dieser Ort findet sich dann auch in der Kunst, die man macht. Während die meisten Menschen mit Salzburg wohl Festspiele, die Altstadt, Mozart (inklusive grauenhafter Kugeln), Sound of Music etc. assoziieren, ist für mich Schallmoos nicht nur Wohnsitz, sondern auch das eigentliche künstlerische/kulturelle Zentrum von Salzburg. Hier gibt es das Rockhouse, die Tanzakademie SEAD, das Kleine Theater und auch das Off Theater. Ohne Schallmoos ist nicht viel los in der Stadt. Und logisch funktioniert der Name Schallmoos alleine schon begrifflich für ein Musikprojekt.

Jounes Weidacher: Ich habe mir da, ehrlich gesagt, nicht so viele Gedanken dazu gemacht. Thomas hat den Namen vorgeschlagen und ich fand es sehr passend, weil die Wortkombination einfach cool ist. Der Schall, der einfach gut zu einem Musikprojekt passt, und das Moos, das so eine erdige Verbundenheit in sich birgt, was ich persönlich ganz gerne mag. Wir sind zu Beginn auch mit der Vorstellung, oder mit dem Bild im Kopf, ins Studio gegangen: Wir zwei sind jetzt wieder junge Buben, die gemeinsam ein Baumhaus bauen.

Eure Musik ist geprägt von gewissen 1990s-Techniken zwischen Low-Fi-Ästhetiken (Beck) und Überdrüber-Sampling (Beastie Boys: „Paul’s Boutique“). Geht es da eher um das Spiel mit den (von heute aus gesehenen) damaligen Limitierungen oder bastelt Ihr auch an einem 90s-Revival?

Thomas Rauter: Jounes und ich sind ja soundtechnisch stark geprägt von den Neunzigern. Wahrscheinlich ist es einfach der Sound deiner Jugend, der sich dann in deine musikalische DNA einspeichert. Die entstandene Musik ist ja auch weniger ein Resultat von durchdachten, bewussten Entscheidungen, sondern vielmehr Ausdruck dessen, was in dir selbst drinnen steckt. Da haben wir beide sicher auch einen Hang zur Low-Fi-Ästhetik. Und zum Thema 1990s Revival: Also ich hätte kein Problem damit, wenn man wieder mehr Gitarrenmucke im Radio hören würde.

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Jounes Weidacher: Nicht nur wegen der Gitarrenmucke! Ich finde gerade in den 1990ern war so viel Verschiedenes parallel zueinander möglich. Und das Jahrzehnt war, meiner Meinung nach, ein sehr mutiges, musikalisch gesehen. Dass man sich als Band limitieren muss, dass wollten wir schon bei unserer vorherigen Band nie so richtig wahrhaben – sei es nun von der Instrumentierung oder vom Genre der Songs. Es gibt auch viele die sagen, gerade die Limitierung holt nochmal richtig was raus, aber ich persönlich verehre jene Bands zutiefst, die sich von Album zu Album, oder von mir aus auch von Song zu Song neu erfinden und entdecken. Beck und die Beastie Boys sind da ja eh zwei perfekte Beispiele. Und wir machen es halt auch so. Aber drüber müssen wir nicht nachdenken oder es bewusst beschließen. Die einzige Limitierung ist unser Geschmack.

„Unser Ziel war es nie eine aalglatte Platte zu produzieren, sondern ein Album mit Attitüde.“

Bei den Samples fällt sowohl eine gewisse Rauheit (scheinbar etwas unrunde Loops), aber auch eine Art forscher Frechheit („billig“ klingende Ziehharmonika- und Querflöten-Samples bzw. cheesy Synthesizer-Sounds) auf. Wie bewusst sucht Ihr solche Samples aus bzw. welche Funktionen sollen sie (als Sounds) erfüllen?

Thomas Rauter: Also die Ziehharmonika hat der Jounes brav selbst eingespielt!

Jounes Weidacher: Und es war auch eine billige Harmonika, aber mehr hat es halt nicht gebraucht. Die Querflöte in „Abhängigkeit“ finde ich ja, ehrlich gesagt, ziemlich geil. Wäre mir jetzt nicht aufgefallen, dass die „billig“ klingt, aber gut – da sind wir halt wieder beim Thema Geschmack.

Thomas Rauter: Unser Ziel war es nie eine aalglatte Platte zu produzieren, sondern ein Album mit Attitüde. Da gehören für uns halt die Ecken und Kanten, die Rauheit, die holpernden Loops und hier und da der cheezy Faktor eindeutig dazu. Vieles von der Musik heutzutage ist ehrlich gesagt auch zu gefällig und beliebig.

Jounes Weidacher: Wie Thomas schon sagte, aalglatt wollten wir es nicht, das war von Anfang an klar. Die Brücke zwischen einer sauberen Produktion auf spielerisch hohem Niveau und interessanten „Easter Eggs“ einerseits und roughen Loops und Samples andererseits zu schlagen, das war die Herausforderung.

Bild Schallmoos
Schallmoos (c) Schallmoos

Ihr macht zwar offensichtlich keinen HipHop, aber ohne HipHop würdet Ihr wohl auch anders klingen. Wie wichtig ist für euch HipHop? Bzw. was ist daran wichtig für Euch?

Thomas Rauter: HipHop ist sehr stilprägend für uns, auch wenn wir gesanglich weit weg vom Rappen sind. Da wir ja ein Duo ohne Schlagzeuger sind, stolpert man beim Beatsbasteln ja zwangsläufig über dieses Genre. Gerade während Corona habe ich auch wieder viel Beastie Boys, A Tribe Called Quest, etc. gehört und das merkt man dem Album sicher auch an. Das hat dann nicht nur bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen, sondern auch bei meinem Sohnemann. Als der vom Kindergarten mit einem Freundebuch nach Hause gekommen ist, hat er auf die Frage „Was willst du werden, wenn du groß bist“ geantwortet: „Ein Beastie Boy!“ Ich wäre fast geplatzt vor Vaterstolz.

Um jetzt nochmals auf Samples und deren Auswahl zu kommen: Was braucht es, damit ein Sound von früher für Euch (wieder) funktioniert?

Thomas Rauter: Da ist eigentlich viel Trial And Error dabei. Es gab dann auch ganz schön viel Material von Samples für die einzelnen Nummern. Von Beats über Atmos, einzelnen Klangfetzen und Fragmente, etc. Im Studio haben wir die Samples dann destilliert und sie zweckdienlich für die Nummern in Form gegossen. Da gab es dann durchaus auch einige Diskussionen, was wegkommt und was unbedingt rein muss, schlussendlich haben wir uns aber immer einigen können.

„Wir beide sind ja was Gear betrifft auch ziemliche Nerds.“

Fast alle Songs gab es ja schon länger in Homestudio-Versionen. Für euer Debüt habt ihr Euch jedoch für ein Studio und einen externen Producer entscheiden. Wieso und wie war das dann?

Thomas Rauter: Tatsächlich gab es für circa die Hälfte der Nummern schon Vorgängerversionen. Der ganze Sound ist aber nur im Rechner entstanden. Zum damaligen Zeitpunkt hatten wir gar kein Outboard-Equipment und ich hatte immer das Gefühl, die Musik muss mal aus dem Rechner raus. Durch Zufall bin ich dann auf ein Interview von Jay (https://studiohundert.com) gestoßen. Der hat da meiner Meinung nach coole Antworten gegeben und sein Studioequipment ist auch Weltklasse. Unser Demo dürfte ihn auch gleich überzeugt haben und so kam es dann rasch zur Zusammenarbeit.

Jounes Weidacher: Wir beide sind ja was Gear betrifft auch ziemliche Nerds und es war klar, wenn wir das wirklich auf Platte rausbringen, dann müssen da Live-Instrumente (Gitarre/Bass/Keys/Vocals) über richtig schönes Equipment aufgenommen werden.

Thomas Rauter: Und dann ist Jay ja nicht nur Tontechniker, sondern bringt sich als Produzent aktiv in den kreativen Prozess ein. Diese externen Ohren waren dann auch oft Gold wert.

Jounes Weidacher: Und vor allem, weil einige der Songs schon so lange auf unseren Rechnern hin- und hergesponnen wurden, war es gut dieses extra Paar Ohren und den Blick von außen zu haben, damit wir uns nicht zu sehr an den Demos festklammern, sondern auch zulassen, dass die Songs sich woandershin entwickeln dürfen.

Thomas Rauter: Im Laufe unserer Zusammenarbeit ist dieses Vertrauen einfach immer mehr gewachsen und so blieb auch der Ball ständig in der Luft. Zudem weiß Jay sehr gut, wie man eine extrem angenehme Arbeitsatmosphäre schafft.

„Wir wollen viel mehr zum Nachdenken anregen und gleichzeitig ein Ventil für unsere Gedanken zum Status Quo haben.“

Was sofort bei Euch auffällt, ist ein relaxter Grundton gekoppelt mit einer Art chilligem Protest gegen die Verhältnisse. Also angefressen, sogar auch ein bissl zornig, aber nicht hasserfüllt. Würdet Ihr Euch als positiv denkende politische Band bezeichnen?

Thomas Rauter: Ich glaube, die Beschreibung als positiv denkende politische Band trifft uns sehr gut. Wir gehen halt mit offenen Augen durch die Welt und klar sieht man dann einige Missstände, die wir in den Texten verarbeiten und ansprechen. Hass hat dabei aber auf gar keinen Fall Platz. Gegen wen wäre der Hass hier auch gerichtet? Immerhin sprechen wir in den Songtexten meist ja gesamtgesellschaftliche Phänomene an, vom Klimawandel über Populismus etc.

Jounes Weidacher: Wir sind ja auch Teil dieser Gesellschaft, dann müsste sich dieser Hass konsequenterweise auch gegen uns selbst richten. Nein, wir wollen viel mehr zum Nachdenken anregen und gleichzeitig ein Ventil für unsere Gedanken zum Status Quo haben.

Eure Texte scheinen ja nicht einfach so schnell auf irgendwelchen Bierdeckeln oder Fast Food-Servietten entstanden zu sein. Da gibt es viel Wortwitz, Wortverdrehungen und allgemein ein Spiel mit Worten, Dialekten und Sprachambivalenzen. Wie lange arbeitet Ihr an Euren Texten.

Bild Schallmoos
Bild (c) Schallmoos

Thomas Rauter: Also in den Songtexten steckt schon ordentlich viel Arbeit. Liebe Grüße an dieser Stelle an Florian Lehne und die Kärntner Band Halbschlaf für ihre Beiträge und Inspirationen zu drei Songtexten.

Jounes Weidacher: Vielleicht liegt es auch am Umstand, dass wir auf Deutsch singen, dass man sich mehr bemüht. In der Muttersprache klingst du ja sonst so schnell, so platt. Unser Werk soll ja auch nicht Fahrstuhlhintergrundmusik sein, sondern die Zuhörerin und den Zuhörer sowohl musikalisch als auch textlich packen. Und da gibt es auf dem Album so einige Details und Feinheiten zu entdecken.

Diese Mischung als abgehangenem Funk gepaart mit einer nicht immer klar unterscheidbaren Stimmungslange zwischen Melancholie und Freakyness hat mich dann schon auch an gewisse Aspekte bei Falco erinnert, jedoch gänzlich anders als z.B. bei Bilderbuch oder Bibiza. Würdet Ihr sagen, dass Falco eher als Art Textbauplan für Euch funktioniert? Oder gar nicht?

Thomas Rauter: Also auch wenn ich den Zorn von Restösterreich jetzt auf uns ziehe – Falco hat bei unseren Überlegungen gar keine Rolle gespielt. Der war mir als Figur auch immer zu gekünstelt und abgehoben, einfach nicht mein Ding. Die einzige Assoziation, die ich mit Falco habe, ist ein Interview bei der NDR-Talk-Show. Zu seinem Sarkasmus und Zynismus gefragt, hat Falco geantwortet: Das ist halt unsere Art zwischen Größenwahn und Depression. Treffender hätte Erwin Ringel die österreichische Seele auch nicht beschreiben können.

„Also in den Songtexten steckt schon ordentlich viel Arbeit.“

Da bei Euch sowohl die Musik wie auch die Lyrics gleichsam aus Samples, Phrasen und allem, was man sonst so aufschnappen kann, zusammengesetzt sind, stellt sich dennoch immer wieder die Frage, wie es gelingt den Spagat zwischen ernsthafter Ironie und parodistischem Zynismus aufrecht zu halten. Wie geht Ihr da vor?

Thomas Rauter: Zugegeben, das ist oft eine Gratwanderung. Man hinterfragt sich da auch selbst und kann dann nur hoffen, dass man den guten Ton getroffen hat. Wie das Ganze dann letzten Endes beim Zuhörer ankommt, hat man ja ohnehin nicht in der Hand.

Jounes Weidacher: Für den Einen hat man die Grenze überschritten, für andere geht man nicht weit genug. Geschmack ist halt höchst individuell. Am Ende des Tages, muss es für uns passen und wenn sich da draußen noch ein paar finden, denen es auch gefällt, freuen wir uns halt mega.

„Vom Medium her hat Vinyl auch den Vorteil, dass hier ein bewusstes Musikhören stattfindet.“

 Wie kam es zur Idee als Debüt eine Vinylscheibe zu veröffentlichen?

Thomas Rauter: Wir beide sind leidenschaftliche Plattensammler. Wir haben uns einfach gedacht, wenn wir ein Album produzieren, dann lass uns unbedingt Vinyl machen. Das haptische Erlebnis ist halt auch was anderes. Vom Medium her hat Vinyl auch den Vorteil, dass hier ein bewusstes Musikhören stattfindet. Für das Auflegen von Schallplatten nimmst du dir die Zeit. Das ist schon was anderes, als wenn im Hintergrund der Streaming Algorithmus läuft.

Jounes Weidacher: Und das find ich auch einen Mitgrund. Ich nutze zum Musikhören unterwegs, ob im Zug, Auto, mit dem Skateboard, oder wenn ich in der Arbeit bin, immer mein Smartphone und einen Streamingdienst. Ich glaube, das ist mittlerweile einfach die Art wie die meisten Menschen Musik konsumieren. Aber wenn mir etwas sehr gefällt, dann kauf ich es mir auf Platte. Wenn man sich die Plattenverkäufe der letzten 5 bis 10 Jahre so ansieht, merkt man, dass ich wohl nicht der Einzige bin, der das so handhabt. Daher war für uns klar, wir releasen Vinyl und digital.

Ihr seid bisher ein Duo und wollt nun aber auch einige Live-Konzerte spielen. Was sind da die Herausforderungen? Wird es Euch mit Band geben, oder seid Ihr da noch am Experimentieren?

Thomas Rauter: Live wird es uns auf alle Fälle zu sehen geben. Wir wollen auch versuchen, das zu zweit auf die Bühne zu bringen.

Jounes Weidacher: Was heißt, wir sind schon wieder beim HipHop. Es wird wohl einiges gesampelt werden müssen. Doch wir sind drauf und dran, das so hinzubekommen, dass es für die Gäste dann auch sehenswert wird.

Thomas Rauter: Terminlich war das zwischen Familie und Beruf aber heuer recht schwer unterzubringen. Im Spätsommer/Herbst 2023 kommt dann die Platte raus, da zählen dann auch keine Ausreden mehr.

Danke für das Interview.

Didi Neidhart

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