„Die deutsche Sprache macht mich angreifbarer” – GIOVANNA FARTACEK (BERGLIND) im mica-Interview

Viele kennen GIOVANNA FARTACEK als Hälfte des erfolgreichen Elektro-Pop-Duos MYNTH. Als BERGLIND hat sie jetzt ihr erstes Solo-Album veröffentlicht. Es heißt „Feste Feiern Fallen” und bewegt sich stilistisch gekonnt zwischen Pop, Elektro und Chanson. Im Interview mit Markus Deisenberger erzählt sie, warum dieses Solo-Projekt notwendig wurde, wie sie Erika Pluhar dazu inspirierte und weshalb man sich auf ihre Musik schon einlassen wollen muss.

Am 29. September erschien bereits “Laut sein” – die erste Single Deines Debütalbums „Feste Feiern Fallen”. Das Album folgt dann am 13.10. Wie ist deine Gefühlslage? Gespannt, in freudiger Erwartung, nervös?

Giovanna Fartacek: Ich freue mich. Aber ich bin schon so fokussiert auf das Album, dass ich die Erscheinungstermine der Singles zwischendurch vergessen habe. Aber „Laut sein” ist eine meiner Lieblingsnummern des Albums.

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Eine so genannte “Fokus-Single”, heißt es im Pressetext so schön. Was versteh man eigentlich darunter?

Giovanna Fartacek: Gute Frage. Im Rahmen der Album-Promo ist das die Single, die gepusht wird. Es geht aber alle Kraft aufs Album. Aber für mich ist es trotzdem ein ganz wichtiger Song, und ich hoffe, dass er Anklang findet.

„Laut sein” ist ein wichtiger Song, sagst du. Ein anderer heißt „Träum lauter”. Was hat es mit dem zentralen Thema der Lautstärke auf sich?

Giovanna Fartacek: Darunter verstehe ich nicht zwingend laut sein. Es geht vielmehr um Aktivismus und meine Form des Aktivismus. Ich habe mich oft und viel damit auseinandergesetzt, das Thema aber noch nie in einen Song gepackt. Der Song ist auch eine kritische Auseinandersetzung mit mir selbst. Er beschäftigt sich damit, was es von mir braucht, um bei gewissen Themen für Veränderungen einstehen zu können. Ob man dafür zwingend laut sein muss und was Aktivismus heißen kann.

Wie kann Aktivismus in Zeiten, in denen man sich per Mausklick über etwas kurz empört, d.h. kurz wo zustimmend draufklickt, und dann ist es damit auch wieder erledigt, denn aussehen?

Giovanna Fartacek: Für mich ist es das Allerwichtigste, sich bei den richtigen Stellen zu informieren und nicht blind irgendwelche Social Media-Sachen zu teilen und davon auszugehen, dadurch etwas zu verändern. Ich glaube nicht, dass sich dadurch irgendetwas ändert.

Ich habe in den letzten Jahren probiert, mir Hintergrundwissen anzueignen, und mir angesehen, wo ich mich anschließen kann, um für Veränderung zu sorgen und mich auch ganz gezielt damit beschäftigt, was ich im Kleinen, in meinem Haushalt etwa, zum Besseren bewegen kann. Nur weil ich etwas nicht gleich teile oder poste, heißt das nicht, dass es mir egal ist. Vielleicht geht es mit ja gerade nicht gut.

Das heißt, es geht auch darum, nicht dem Druck zu erliegen, irgendwo mitzumachen, weil gerade alle Wölfe ins gleiche Horn heulen?

Giovanna Fartacek: Genau. Und sich aber trotzdem mit gewissen Themen auseinanderzusetzen.

Man kennt dich vom erfolgreichen Duo MYNTH, das u.a. mit dem Austrian Music Award ausgezeichnet wurde. Meistens geht es bei jemandem, der sich aus einem Band-Kontext heraus selbständig macht, darum, Ideen zu verwirklichen, die im Korsett der Band keinen Raum haben, weil zu persönlich, weil zu anders. Was davon ist es?

Giovanna Fartacek: Vielleicht beides. Der Grundimpuls war, dass ich auf Deutsch schreiben und ein Solo-Projekt machen wollte.

„Ich wollte ein Projekt machen, bei dem ich alles gestalten kann.”

Bild Berglind
Berglind (c) Paul Vincenth Schütz

Das heißt, du magst deinen Bruder noch?

Giovanna Fartacek: [lacht] Ja, ich mag meinen Bruder mehr denn je, und er ist in die Produktion und in den Mix auch involviert, aber es war ein wichtiger Schritt für mich, einen eigenen Weg zu gehen. Ich wollte ein Projekt machen, bei dem ich alles gestalten kann. Bei MYNTH ist es so, dass wir nach vier Alben ein gewisses Standing erreicht haben. Die Leute nehmen und auf eine gewisse Art und Weise wahr. Klar, man kann immer etwas verändern, aber die Freiheit, die ich mir für Berglind genommen habe, hast du nur, wenn du ein wirklich neues Projekt gründest.

„Berglind ist wie eine Kunstfigur, mit der ich mich mehr traue” hast du einmal gesagt. Inwiefern kannst du dich solo mehr trauen als im bisherigen Kontext?

Giovanna Fartacek: Beim Texten. Deutsch ist viel direkter. Es ist meine Muttersprache. Man kann es weniger ausschmücken und sich weniger dahinter verstecken. Ich habe schwere Themen, die auf Deutsch anders daherkommen. Das war eine große Überwindung für mich, mich das zu trauen. Die Sprache macht mich angreifbarer.

Das erste Mal auf Deutsch zu texten ist das eine. Diese Texte dann auf einer Bühne einem Publikum entgegen zu singen, ist noch einmal etwas anderes. Wie war das, als du die Texte das erste Mal beim Waves Vienna einem größeren Publikum vorgestellt hast?

Giovanna Fartacek: Gut war das. Aber ich war schon sehr aufgeregt, weil mein Bruder zum ersten Mal im Publikum stand und raufschaute. Mich hat das, wenn ich ihn in unzähligen Projekten sah, immer sehr stolz gemacht. Und so viele Leute, die mich nur aus dem MYNTH-Kontext kennen, haben mich da erstmals allein als Berglind gesehen. Das war schon sehr aufregend, aber auch schön, weil ich mich auf der Bühne sehr wohl gefühlt habe und das Feedback sehr gut war. Ich bin sehr frei, wenn ich als Berglind spiele, aber auch aufgeregter als mit MYNTH, weil das, was ich bei den Songs anspreche, sehr persönlich ist. Da steckt sehr viel von mir drin. Das ist sensibel. Und dann gibt es Leute, die während des Konzertes quatschen. Ich mag das schon im Publikum nicht, wenn ich den Eindruck habe, Leute kommen nur zum Quatschen oder schauen sich das Konzert durch das Handy des Vordermannes oder der Vorderfrau an.

Ich habe vor ein paar Wochen Sven Regener von Element of Crime interviewt. Die haben als Band in den 1980ern auf Englisch angefangen und dann sehr erfolgreich auf die deutsche Sprache gewechselt. Das erste Album auf Deutsch schlug gleich voll ein. Nur wenige aber wissen, dass sie schon vorher auf einem an sich durchgehend englischsprachigen Album einen deutschen Song draufhatten. Auf diesen einen Song hab´ ich Regener angesprochen und er meinte, genau das wäre die Initialzündung gewesen. Da hätten sie als Band begriffen, dass es auf Deutsch geht, dass es sich ausgeht. Das habe sie ermutigt. Gab es bei dir auch so einen Punkt, an dem du für dich bemerkt hast: Hoppla, es geht wirklich auf Deutsch?

Giovanna Fartacek: Das war ein Prozess. Ich wusste, dass ich das machen will. Aber der Grat war schmal. Ich wollte keinen Deutschpop machen wie ihn Mathea zum Beispiel macht. Versteh mich nicht falsch, ich finde das gut und das hat auch seine Berechtigung, aber das bin halt nicht ich. Sowohl von der Produktion her als auch von den Texten. Gleichzeitig bin ich aber auch nicht das rotzige Wienerlied. Das hat schon eine Zeit lang gebraucht, bis ich für mich herausgefunden hatte, wie ich meine Stimme auf Deutsch gebrauchen kann. Irgendwann lagen dann die ersten Songs auf dem Tisch, von denen ich dachte: Ja, so kann das gehen.

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Kommt zuerst der deutsche Text, den du dann musikalisch umsetzt?

Giovanna Fartacek: Nein. Text und Musik gehen bei Mir Hand in Hand. Wenn ich mit einem fertigen Text an die Gesangslinie gehe, dann fühle ich mich zu eingeschränkt. Ich nehme mir auch nie ein Thema vor, das entsteht mit den ersten Akkorden. Da schreibe ich mir Wortfetzen auf. So ist es dann auch im Ergebnis. Das sind Bruchstücke aus Sätzen, die gemeinsam Sinn machen.

Lass uns über die Klangfarbe deiner Stimme reden. Die ist deutlich tiefer als bei MYNTH oder kommt mir das nur so vor?

Giovanna Fartacek: Nein, da liegst du schon richtig. Ich singe viel tiefer.

Warum?

Giovanna Fartacek: Ich habe viel ausprobiert. Ich wollte, dass es markanter ist, und ich singe einfach gerne tief. Ich habe ein gutes Spektrum, fühle mich im Tiefen aber einfach wohl. Da haben wir viel herumgespielt. Jetzt klebt die Stimme weit vorne. Da war ich am Anfang nicht so überzeugt davon, weil ich sie zu laut fand.

Wäre mir ehrlich gesagt nicht aufgefallen.

Giovanna Fartacek: Für mich war es sehr ungewohnt. Das ist dann noch mal direkter, wenn es auf Deutsch ist und lauter als sonst. Da geht es sehr ums sich trauen.

Mich hat die Stimmlage sehr an Rhye erinnert, der für einen Mann extrem hoch singt.

Giovanna Fartacek: Ja. Kenne ich. Wir haben die Stimme auch ein bisschen verfälscht.

Du wolltest also keine Platte machen, die nach Deutschpop klingt. Wie sollte es klingen? In welche Richtung sollte es gehen? Ich höre Chanson, Elektro-Pop.

Giovanna Fartacek: Ich glaube es ist tatsächlich eine Mischung aus dem von dir Genannten. Inspiriert wurde ich von Erika Pluhar.

Bild Berglind
Berglind (c) Paul Vincenth Schütz

Tatsächlich?

Giovanna Fartacek: Ja, meine Mutter gab mir eine alte Vinylschallplatte von ihr. André Heller schrieb die Texte und sie trug diese Texte im Sprechgesang vor. Das hat mich fasziniert. Man hört, dass sie Schauspielerin ist. Sie kann einfach sprechen. Wie sie die Texte rüber brachte, das hat etwas gemacht mit mir. Es ist einfach schwer auf Deutsch zu schreiben. Die Platte hat mir geholfen. Ich hab es dann halt einfach gemacht.

Wieso ist es schwerer? Es sollte doch eigentlich leichter sein als in einer Fremdsprache zu schreiben.

Giovanna Fartacek: Man ist angreifbarer. Auf Englisch kann man sich besser verstecken, Dinge umschreiben und abstrakter bleiben ohne richtig auf den Punkt zu kommen.

Wie kamst du zu diesem Namen “Berglind”? Steckt da Absicht dahinter?

Giovanna Fartacek: Inwiefern?

„Anfangs hatte ich Angst, dass man das mit Schlager assoziieren könnte, aber mir gefällt der alpine Charakter des Namens.”

Insofern, als die Berglinde ein schnellwachsender, herzförmiger Baum ist.

Giovanna Fartacek: [lacht] Nein, eigentlich nicht, aber Danke dafür. Das schenkt mir eine zusätzliche Geschichte. Berglinde habe ich als isländischen Mädchennamen aufgeschnappt. Anfangs hatte ich Angst, dass man das mit Schlager assoziieren könnte, aber mir gefällt der alpine Charakter des Namens.

Hattest Du während des Entstehungsprozesses Angst, an Genre des Schlagers anzustreifen?

Giovanna Fartacek: Nicht zwingend Schager, sondern auch wenn es zu poppig oder zu flach in der Produktion wird, denkt man sich gerade am Anfang, wenn man sich noch findet: Puh, geht sich das noch aus?

Ist die deutsche bzw. deutschsprachige Angst vor der textlichen Banalität nicht oft überzogen? Häufig sind englische texte hochgelobter Textdichter, wenn man sie ins Deutsche überträgt, banal. Warum muss es auf Deutsch bedeutungsvoller sein als auf Englisch?

Giovanna Fartacek: Gute Frage. Ich glaube, es hat immer etwas damit zu tun, wie man selber ist, ob man es schafft etwas zu erzählen und ein Stück von sich selber zu geben. Aber es ist völlig legitim, wenn man zum Schluss gelangt, dass Musik Unterhaltung ist und dass es deshalb keinen hohen Anspruch braucht, sondern sich die Leute einfach amüsieren sollen anstatt über das Leben und den Tod nachzudenken. Fair enough.

Das Album sei, steht im Pressetext, inspiriert von deinen Träumen, dem bereits Gelebten und der kompromisslosen Härte, die das Leben mit sich bringen kann”. Das klingt ein wenig vom Leben gebeutelt, so als stehe da jemand am Scheideweg. Ist “Feste Feiern Fallen” ein Krisen-Album?

Giovanna Fartacek: Nein. Ich sehe es als ein Lebensabschnittsalbum. Ich bin jetzt 32 Jahre alt, und ich merke, wie viel sich da im Freundes- und Bekanntenkreis ereignet. Familien werden gegründet. Andere Paare trennen sich nach sehr langen Beziehungen. Es passiert so viel, und gleichzeitig hat man den Druck der Gesellschaft, wird ständig gefragt, was man denn nun mit seinem Leben noch vorhabe.

Stresst dich das?

Giovanna Fartacek: Mich stresst, dass es mich nicht stresst. Ich bin doch privilegiert, dass ich mir darüber – über die großen und die kleinen Fragen und alles, was rundherum passiert – überhaupt Gedanken machen kann. Andere haben größere Sorgen, müssen derzeit einen richtig harten Existenzkampf führen.

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Wobei Musikerin zu sein per se Existenzkampf ist, oder?

Giovanna Fartacek: Ja. Drum mache ich auch noch viele Sachen nebenbei. Ich arbeite zwanzig Stunden im Veranstaltungsmanagement an der MDW, bin bei Assim im Booking tätig, und ab nächstem Jahr bin ich bei Waves im Booking.

Und daneben hast du zwei Musikprojekte laufen?

Giovanna Fartacek: Drei. Bei Bonjour bin ich jetzt auch mit von der Partie. Ich mache immer viel. Ich brauche das, dass ich Musikerin bin, aber auch nicht als Musikerin arbeite. Nur als Musikerin zu arbeiten würde mich zerfressen.

Ist es denn nicht das Ziel, irgendwann mal nur von der Musik leben zu können?

Giovanna Fartacek: Das war mal das Ziel, aber es wird immer schwieriger, von einem Projekt allein leben zu können. Wenn du keinen Hype hast und das durch die Decke geht, ist es schwierig. Mein Ziel war es, alles, was ich mache, unter dem Schirm der Kunst und Kultur zu haben. Das habe ich geschafft. Ich habe mal BWL studiert und im Gesundheitswesen gearbeitet. Da lagen die Welten zu weit auseinander So zerreißen will ich mich nicht mehr. Seit zwei Jahren habe ich es geschafft, nur noch im Kunst- und Kultursektor zu arbeiten. Ich fühle mich angekommen.

Was wird mit Berglind passieren?

Giovanna Fartacek:
Ich glaube nicht, dass es durch die Decke gehen wird.

Warum nicht?

Giovanna Fartacek: Wenn man sich anschaut, welche Musik derzeit funktioniert, dann sind das seit Covid eher Sachen, die leicht sind.  Die Menschen wollen sich nicht zusätzlich mit schweren Themen befassen. Aber das ist meine Musik. Ein wenig schwer. Man muss sich schon auf sie einlassen wollen. Für melancholische Musik ist es nicht die Zeit. Das heißt aber nicht, dass die Zeit nicht wieder kommen kann.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

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Berglind live
12.10.2023 Loft, Wien

14.10.2023 Rockhouse, Salzburg

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Links:
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