LUKAS LAUERMANN löst sich auf. Zumindest das Cello des 37-jährigen Komponisten steht unter Sublimationsverdacht. Auf „Interploitation“, das am 18. November 2022 auf dem Wiener Label COL LEGNO erscheint, gibt LAUERMANN die Bassgeige aus der Hand. Warum LAUERMANN trotzdem mehr schleppen muss und Klicks auf Spotify nicht alles sind, erklärt er im Gespräch mit Christoph Benkeser.
„Stille ist ein Zustand, dem man sich nur annähern kann“, hast du bei unserem letzten Gespräch vor zwei Jahren gesagt. Hört man sich dein neues Album an, wirkt der Satz anders nach.
Lukas Lauermann: Gültig ist der Satz noch immer – auch für „Interploitation“. Für meine Verhältnisse ist das Album aber laut geworden, auch weil sich der Entstehungsprozess im Vergleich zum vorherigen komplett verändert hat. Ich hab ausschließlich mit bestehenden Aufnahmen des Cellos gearbeitet – eine logische Entwicklung für mich, denn: Ich wollte nur mit den elektronischen Effektpedalen spielen und damit weiterführen, was am letzten Album durch das Prozessieren von Klavierstücken begann. Das Cello war da schon nur noch Brücke, um in die Elektronik zu gelangen.
Du hast es angekündigt: Dein Cello wird sich auflösen. Jetzt ist es passiert.
Lukas Lauermann: Auf dem letzten Album hat es teilweise nur als Resonanzraum gewirkt. Jetzt habe ich es im Entstehungsprozess gar nicht angegriffen, sondern Samples benutzt. Gewonnen habe ich sie ganz bewusst aus Aufnahmen, die für den Dokumentarfilm „Alpenland“ von Robert Schabus entstanden sind.
Wieso?
Lukas Lauermann: Ein Aspekt des Films sind Eingriffe der Menschen in die Natur. Die Entscheidung, in meine dazu aufgenommenen Fragmente einzugreifen und sie zu verändern und zu sehen, was dabei entstehen kann, war für mich daher inhaltlich schlüssig. In der Arbeit am Album habe ich dafür in gewisser Weise nach einer Entsprechung gesucht. Das war ein Experimentieren mit dem Sound. Ich bin keinem konkreten Ziel gefolgt, hab mich von den überwiegend statischen Aufnahmen und dem Erforschen der technischen Möglichkeiten leiten lassen.
Apropos Statik. Du hast nicht nur das Cello aufgelöst, sondern für das Album auch die Dynamik in deinem Spiel.
Lukas Lauermann: Es gibt eben kein Spiel mit dem Instrument mehr, nur mit dem Material. Auf „Interploitation“ hört man klar definierte Stücke, die in sich abgeschlossen sind. Bei vorherigen Veröffentlichungen hab ich immer versucht, Netzwerke zu bauen und Brücken zu schlagen. Das ist dieses Mal ganz anders. Oft hab ich meinen Aufnahmen nur einzelne Töne entnommen, sie digital bearbeitet und durch verschiedene Effekte geschleift. Selbst für das Stück, auf dem man das Cello noch erkennen kann, habe ich nichts neu eingespielt, sondern Spuren der Filmaufnahmen zerlegt und anders zusammengesetzt.
Im Titel „Interploitation“ prallen verschiedene Wörter aufeinander: Es geht um die Überlagerung, das Eindringen und Ausbeuten.
Lukas Lauermann: Man kann es auch drastischer formulieren: Musikalisch es das Ausschlachten von etwas, das es schon gibt. Der Albumtitel und auch die Titel der einzelnen Tracks spiegeln meine Herangehensweise. Ich greife in Wörter ein, zerstückle sie und setze sie anders zusammen. Sie umreißen aber auch die Fragestellung auf dem Album. „Exploitation“, die Ausbeutung an sich, gibt es die, wenn wir an die Umwelt denken? Jede Ausbeutung geht mit einem Schaden an uns einher, weil wir nicht nur auf der Erde leben, sondern auch von ihr. Durch das Voranstellen des „Inter“ anstelle von „Ex“ habe ich deshalb versucht, einen Twist in den Gedanken einzubauen. Schließlich bedeutet künstlerisches Gestalten immer auch: eingreifen in den Bestand. Unser Tun geht mit einem Nehmen einher. Die Frage ist: Wie können wir nehmen, ohne zu schaden? Oder wie viel? Und wann wird Interference zur Exploitation, wo ist sie Intervention?
Welches Bedürfnis steht hinter der Entscheidung, das Cello aufzulösen?
Lukas Lauermann: Ich sehe im nächsten Schritt die Verschmelzung beider Ansätze – das „echte“ Spiel am Cello und die Bearbeitung seiner Auflösung. Also der traditionellen und noch immer tief verankerten Vorstellung seiner Klanglichkeit. Aktuell konzentriere ich mich auf die elektronische Seite, hab mich mit den Gerätschaften auseinandergesetzt und ihre Bedienung gelernt. Ansonsten lässt sich der Sound nicht kontrollieren. Mittlerweile merke ich: Es ergeben sich neue Möglichkeiten und Fähigkeiten, die ich verbinden will. Das Cello bleibt also nicht liegen.
Obwohl das vermutlich besser für deinen Rücken wäre!
Lukas Lauermann: Ha! Ich sitze beim Cellospielen so aufrecht wie sonst nie! Darauf wurde in meiner Ausbildung auch von Anfang an geschaut. Zum Problem könnte vielmehr die Schlepperei werden – nicht aber wegen des Cellos, sondern aufgrund der ganzen elektronischen Geräte. Ich hab mein Setup schließlich nicht gerade verkleinert.
„Ich kann und will das derzeitige Geschehen auch nicht mit schönen Cello-Melodien fassen.”
Dadurch brichst du zumindest auf dem Album mit der Erwartungshaltung. Aus der Harmonie des Vorgängers ist eine Deep-Listening-Erfahrung geworden.
Lukas Lauermann: Weil ich mit Neo-Klassik nicht mehr viel anfangen kann. Diese Soundästhetik wiederholt sich aktuell zu stark, wirkt für mich schon sehr abgedroschen. Ich kann und will das derzeitige Geschehen auch nicht mit schönen Cello-Melodien fassen.
Junge Leute haben auch wegen der Neo-Klassik die Konzerthäuser kennengelernt. Jetzt wo sie da sind, kann man also weitergehen, meinst du?
Lukas Lauermann: Ja, alles andere wäre same, same, but different. Auch wenn ich merke, dass derzeit ein Bedürfnis da ist nach …
Schönem?
Lukas Lauermann: Na ja, nach einer Ablenkung! Die aktuelle Lage ist überfordernd. Wir schalten die Nachrichten ein, hören von Krieg und Krisen. Das ist für viele eine Belastung. Deshalb kann ich verstehen, dass man sich – wenn man schon wohin geht – einen schönen Abend wünscht.
Man will nicht zusätzlich anecken, sondern musikalisch umarmen …
Lukas Lauermann: Während aber doch eine gewisse Tiefe vorgetäuscht wird.
Vielleicht besteht derzeit gar kein Bedürfnis nach Tiefe, sondern nach Momenten einer kurzweiligen Euphorie.
Lukas Lauermann: Die aber überhaupt nicht nachhaltig ist, oder?
Im Gegenteil: Es ist der komplette Verbrauch …
Lukas Lauermann: Der in Selbstbetrug mündet, weil man die Euphorie nie lange halten kann, nicht? Man muss also immer wieder nach euphorischen Momenten suchen, die sich über die Dauer abschwächen – wie bei Drogen, die irgendwann nicht mehr fahren, weil man eine Toleranz entwickelt hat.
Vielleicht ist der Bruch – und welcher könnte bei dir größer sein, als das Cello wegzulegen – das Radikalste, was man dieser Toleranz entgegenhalten kann?
Lukas Lauermann: Für mich ist er das. Ich behaupte aber nicht, dass das Album als solches radikaler ist als alles andere, was jemals gemacht wurde. Sicherlich bei weitem nicht. Es zeigt nur auf, dass es Veränderungen braucht. Ich kann es in und mit der Musik ausprobieren, wie sie sich anfühlen.
Wie fühlen sie sich an?
Lukas Lauermann: Tatsächlich gut! Schließlich kann das Ausprobieren als Teil der Kunst radikaler ausfallen als in anderen Bereichen. Das ist wesentlich. Man muss das Publikum nicht bedienen und aus der Musik kein weiteres Geschäftsmodell machen, das sich nur deswegen am Laufen hält, weil es Bedürfnisse bedient, die es selbst kreiert. Die geringe Auslastung in manchen Theatern und bei Konzerten hängt auch damit zusammen, denke ich. Viele Leute wollen diese reine Vermarktung nicht mehr, sondern …
Die Suche nach einer echten Erfahrung?
Lukas Lauermann: Vielleicht nur eine Hoffnung, an die ich mich klammere, aber ja. Unlängst hab ich eine Werbung für ein Klapphandy gesehen. Im Hintergrund hört man eine Geige, sieht, wie sich die Musikerin vor dem Handy rekelt in der analogen Umgebung des Supersense im alten Dogenhof und bekommt vorgeführt, wie sich diese Totalinszenierung einer vermeintlich echten Welt in der virtuellen präsentiert. Das ist schon schräg.
Und manipulativ.
Lukas Lauermann: Ja, du erstellst ein Reel, bekommst auf dein erstes eine super Reichweite und danach die erste E-Mail: „Möchten Sie Ihre Beiträge bewerben?“ Zahlst du dafür nicht, erreichst du die Klickzahlen nie wieder. Das hat nichts mit der Qualität des Contents zu tun, sondern nur mit der Bereitschaft, diesen Unternehmen Geld zu zahlen. Oder schau dir Spotify und andere Streaminganbieter an. Deren Modell ist darauf ausgelegt, dass nichts heraussticht, weil es keine Irritation geben soll. Playlists inszenieren etwas, das es nicht gibt und auch nicht wünschenswert ist. Deshalb überlege ich mir, wie man aus der Sache gut rauskommt.
Welche Lösungen bietest du an?
Lukas Lauermann: Lösungen können nur gemeinschaftliche Schritte sein. Ich habe maximal einen persönlichen Umgang damit, mit dem ich auch oft hadere. Ich mache da ja nach wie vor mit. Dabei denke ich mir: Für Nischen, die ich bespiele, ist Spotify ohnehin die falsche Plattform. Natürlich: Man freut sich, wenn ein eigenes Stück auf einer Playlist landet und plötzlich 50.000 Leute deine Musik hören. Die Maschine funktioniert aber erst, wenn du Millionen von Klicks sammelst. Und auch dann vor allem für den Konzern und nicht die Künstler:innen. Dass sie es trotzdem schaffen, einem einzureden, dass es unbedingt notwendig sei, auf Spotify zu sein, finde ich interessant und gleichzeitig problematisch.
Du sprichst allerdings als selbstständiger Solomusiker.
Lukas Lauermann: Du meinst, ich müsste mich damit nicht auseinandersetzen, weil mich niemand dazu zwingt, solche Plattformen zu verwenden. Das stimmt. Diese Tools sind halt nicht mehr wegzudenken und irgendwie glaube ich, dass man sie auch gut nutzen kann …
Wie lassen sie sich gut nutzen?
Lukas Lauermann: Es gibt darauf keine Antwort, die sich verallgemeinern lässt. Die Kanäle haben ja auch sehr unterschiedliche Ausrichtungen. Es ermöglicht aber Sichtbarkeit, die viele über traditionelle Medien nie bekommen könnten.
Das suggeriert, dass es ohne Aktivität auf den Socials nicht mehr geht.
Lukas Lauermann: Alle messen Erfolg daran. Das ist das Problem. Ich wüsste nur ganz wenige Gegenbeispiele. Dabei müsste man aufzeigen, dass Klickzahlen für die allermeisten Musiker:innen weder mit Bekanntschaft noch mit der Bereitschaft zum Kauf ihrer Musik einhergehen. 50.000 Leute mögen deine Musik auf Spotify hören. Allein deswegen kommt aber niemand nach Baden zum Konzert.
Deshalb schreiben wir gleich, wann man dich demnächst zu hören bekommt. Danke für das Gespräch!
Christoph Benkeser
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Termine:
02/11/2022 @ Kulturforum Berlin
18/11/2022 @ Cafe Wolf Graz
4/12/2022 @ Sam’s Bar Wien
13/12/2022 @ Konzerthaus Wien – Antje Ràvik-Strubel & Lukas Lauermann
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Links:
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