Mit der neuen Veranstaltungsreihe GRAETZLRAUSCHEN hat der Verein ECHORAEUME einen soziokulturellen Hybrid erschaffen, der die künstlerischen Möglichkeiten aktueller Streaming- Technologien im öffentlichen Raum untersucht. Ein relationaler Claim: Der virtuelle Raum wird im Realraum erfahrbar gemacht. Anders gesagt: Die Spielorte in unterschiedlichen Grätzln werden via Livestream zugeschaltet und sind so auch gleichzeitig im Internet aufzufinden. Michael Franz Woels hat vor einem Techniktreffen ARNOLD HABERL, ADELE KNALL, JÖRG PIRINGER und BARBARA HUBER in situ am Dornerplatz versammelt, um über ihre Anliegen zu sprechen.
Das neue Festivalformat graetzlrauschen findet an drei verschiedenen Orten, verteilt auf drei Tage und mit drei unterschiedlichen, ortsspezifischen Titeln statt. Daher meine erste Frage, was verbindet ihr mit den Begriffen Wohnzimmer, Agora und Circus?
Arnold Haberl: Der Dornerplatz hat sich während des ersten Lockdowns für mich zu einem öffentlichen Wohnzimmer entwickelt, ich wohne auch hier am Platz. Auch das Team der echoraeume hat sich hier getroffen.
Adele Knall: Wir haben uns oft hier versammelt, Ideen geschmiedet und auch gemeinsame Streamings von Events gemacht.
Arnold Haberl: Auch die Gründungsveranstaltung hat am Dornerplatz stattgefunden, eine ähnliche Entstehungsgeschichte wie beim Sandkasten Syndikat.
Jörg Piringer: Agora wird ja immer ganz klar mit einem Marktgeschehen assoziiert. Auch wenn es nicht alle wahrhaben wollen, dort – wie zum Beispiel am Viktor-Adler-Platz in Favoriten – finden auch politische Versammlungen statt, die uns nicht genehm sind. Und das war wohl auch ein Mitgrund, genau an einem solchen Platz zu veranstalten. Um diesen Markt mit anderen Inhalten zu beleben und dort Künstlerinnen und Künstler zu Wort kommen zu lassen.
Barbara Huber: Das Thema Circus haben wir für den kreisrunden Ilg-Platz in der Leopoldstadt ausgewählt. Der erinnert durch seine Form an eine Zirkusarena. Der Prater ist auch ganz in der Nähe, mit dem Prater-Kasperl. Und auch das Zirkus- und Clownmuseum Wien ist dort am Ilg-Platz.
Die Pandemie hat zu einer – zum Teil erzwungenen – Individualisierung und De-Kollektivierung geführt. Allein schon der Begriff des „Social Distancing“, der ja eher ein „Physical Distancing“ meint, führt so zu einem mehr oder weniger subtilen Nudging, also einer Verhaltensänderung. Sehr wichtig an Initiativen wie den echoraeumen ist ja auch das Gewähren von Kontinuitäten im künstlerischen Schaffen …
Arnold Haberl: Die echoraeume verstehen sich als öffentliche Räume, als breit zugängliche Räume. Beim Gründen der echoraeume ging es uns darum, dass wir als Veranstaltende, die vom Lockdown überrascht wurden, einen Ort gestaltet mussten, an dem wir weiter veranstalten konnten. Es war dann auch sehr schnell klar, dass andere Plattform-Anbieter – die wir tatsächlich am Anfang auch im Auge gehabt hatten – wie TikTok, Facebook oder YouTube sehr freizügig mit unseren Rechten umgehen. Das war der Grund, um das Ganze in die eigenen Hände zu nehmen – und nicht nur symbolisch. Sondern auch ganz praktisch einen eigenen Raum zu kreieren.
Adele Knall: Öffentliche Räume sind zu stark reglementierten Konsumorten geworden. Sitzbänke sind angekettet oder fixiert, der Raum muss exakt so verwendbar bleiben, wie sich das jemand ausgedacht hat. Und wenn doch etwas im öffentlichen Raum stattfindet, so ist das über Anmeldungen oder Genehmigungen stark reglementiert. Es gibt mittlerweile wenig konsumfreie Orte. Daher war es uns wichtig, uns gut zu vernetzen und zu schauen, was vor Ort ist, den Raum größer zu denken. Und Lokale wie zum Beispiel am Dornerplatz das Cafe iin mitzudenken.
Jörg Piringer: Wir versuchen öffentliche Räume mit halböffentlichen Räumen, wie sie Veranstaltungsorte darstellen, zu verknüpfen. Diese Entwicklung der Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes, die Adele beschreibt, schreitet schon seit Jahren voran. In den letzten Jahren ist es sehr evident geworden, weil sich vieles in den öffentlichen Raum verlagert hat. Potenzielle Konfliktzonen sind offensichtlicher geworden – Stichwort: Donaukanal. Aber Menschen wollten sich eben trotzdem treffen, ohne sich Infektionsgefahren auszusetzen.
Die Idee, dass die Umgebung, die kulturelle Infrastruktur, eingebunden wird, sehe ich in den von euch so genannten Satelliten vor Ort repräsentiert. Das zeugt unter anderem auch von eurem Verantwortungsbewusstsein einer künstlerischen Szene gegenüber.
Barbara Huber: Das war die Herausforderung und die Motivation für uns, um in öffentliche Räume zu gehen. Die Idee, die echoraeume, die während der Pandemie entstanden sind, in den Realraum umzusetzen, ist irgendwie auf der Hand gelegen, weil das Internet ja auch ein begrenzter öffentlicher Raum ist. Auf einem öffentlichen Platz hat man ganz andere Reaktionen. Es kann eine Direktheit hergestellt werden – auch mit Menschen, die die Veranstaltung zufällig entdecken.
Jörg Piringer: Allgemein zu echoraeume: Die Gründung kommt mir jetzt im Nachhinein sehr natürlich vor. Wir haben uns nach einem Online-Konzert getroffen und beschlossen, diese Idee noch zu vergrößern. Wir warten einfach generell nicht darauf, bis uns jemand Strukturen schafft. Wir haben die Strukturen bisher öfter in Form von verschiedenen Festivals, Organisationen, Konzertreihen, Performance-Events und so weiter einfach selber geschaffen. Insofern war es für uns natürlich, dass wir nicht darauf warten, dass „der Staat“ kommt und ein Streaming-Service aufzieht. Wir hätten das vermutlich auch gar nicht wollen. So Initiativen wie den Kultursommer Wien fanden wir eh erstaunlich, damit hätten wir eigentlich gar nicht gerechnet.
Arnold Haberl: Ein Warten darauf, dass das jemand für uns erledigt, ist, glaube ich, nicht zielführend. Selbst wenn es jemand anderer für uns machen würde, würde ja nicht das rauskommen, was wir brauchen. Initiativen wie der Kultursommer Wien haben gewisse Teilaspekte abgedeckt, es zeigt auch, dass die Künstlerinnen und Künstler bzw. Musikerinnen und Musiker der Stadt nicht egal sind. Aber trotzdem war es ein Substitut für das, was konzerttechnisch wirklich für Künstlerinnen und Künstler wie uns passieren sollte.
„Dieses Selbermachen und Selberschaffen ist einfach ein natürliches Moment in unserem Umfeld.“
Adele Knall: Die beiden Initiativen sind auch gar nicht vergleichbar. Der Kultursommer Wien ist ja mittlerweile eine Firma und fungiert ganz anders. Ich habe jetzt ein bisschen über Räume und Umräume nachgedacht. Dieses Selbermachen und Selberschaffen ist einfach ein natürliches Momentum in unserem Umfeld, in dem wir uns bewegen und in dem wir arbeiten. Ich möchte uns aber nicht von Fördergeldern oder Förderinnen und Förderern freisprechen. Subventionen braucht es einfach. Trotzdem müssen wir uns Fragen stellen: Wie gehen wir mit Strukturen um? Was finden wir vor? Was können wir anders machen? Was können wir anpassen? Was fehlt uns?
Ein Beispiel zu einer Anmeldung für Bildrecht-Tantiemen. Ich bekam einen Anruf, dass Streamings nicht gezählt werden, weil die Veranstaltung an einem realen Ort stattgefunden haben muss. Woraufhin ich meinte: „Aber sie wissen schon, das war schlicht nicht möglich.“ Was ich damit sagen will: Auch solche Strukturen müssen anpassungsfähig bleiben. Die Grenzen zeigen sich eh sehr schnell auf, wenn man das anders aufarbeiten würde.
Kommen wir zu den beiden Unter-Formaten Hybridrauschen und Artificial Museum. Könnt ihr die kurz erklären?
Jörg Piringer: Ich beginne einmal mit Hybridrauschen: Anfangs haben wir für andere veranstaltet, dann haben wir aber auch begonnen, alle zwei Monate eine Art Teamveranstaltung zu machen. Im Rahmen dieser Veranstaltung ist ein Format entstanden, das wir Online-Rauschen genannt haben. Es ging darum, zu improvisieren, aber auch darum, über die Struktur dieses Streamingformats nachzudenken und zu experimentieren. Es hat mich an die Netzkunst-Aktionen der 1990er-Jahre erinnert. Der Versuch, mit dem Medium an sich zu arbeiten. Wir haben Feedback-Experimente durchgeführt, verteilt improvisiert oder wir sind durch Gebäudekomplexe gegangen, während wir gestreamt haben. Das Hybridrauschen ist eine Umsetzung verteilt auf verschiedene Initiativen, hier zum Beispiel rund um den Dornerplatz.
Adele Knall: Das Online-Rauschen war das Ausloten dessen, was dieser virtuelle Raum für Möglichkeiten bietet. Wir haben zum Beispiel auch Latency-Konzerte gegeben, also auch mit vermeintlich Fehlerhaftem gearbeitet. Mit Momenten, die diesen Raum quasi auch definieren, haben wir versucht, anders zu arbeiten. Das Hybridrauschen macht den virtuellen Raum – der jetzt auch in den realen Raum transferiert wird –, den wir versucht haben zu entdecken und anzueignen, damit noch etwas größer.
Arnold Haberl: Das Artificial Museum ist ein Projekt, das virtuellen Kontext im Realraum verankert. Wir machen unsere Live-Veranstaltungen in Kooperation mit dem SystemKollektiv, einer Künstler*innengruppe, die das Artificial Museum seit Jahren betreibt.
Für jeden der drei Spielorte haben wir eine Künstlerin, einen Künstler eingeladen, eine – nennen wir es jetzt einmal Skulptur – für den Ort zu machen. Hier am Dornerplatz vertreten ist Jopa Jotakin mit einer textbasierten Skulptur, die er auch im Rahmen einer Live-Performance zeigen wird. Neben dem Hybridrauschen wird es auch das Artificial Museum auf allen drei Plätzen, dem Dornerplatz, dem Viktor-Adler-Platz und dem Ilgplatz, geben.
Wie seht ihr eigentlich dieses Verhältnis von virtuellem und realem Raum? Wie hat sich die Wahrnehmung dieser Welten für euch geändert oder intensiviert, haben sich Grenzen verschoben oder aufgelöst? Ihr versucht ja mit graetzlrauschen auch, vor allem die Verbindungen und Überschneidungen sichtbar und erlebbar zu machen.
Barbara Huber: Ich glaube, diese beiden Welten sind mittlerweile nicht mehr trennbar. Diese ganzen Social Networks wie Twitter oder Facebook haben ja große Auswirkungen auf den Realraum – im Positiven wie im Negativen. Die negativen Aspekte sind im Moment in den täglichen Schlagzeilen präsenter. In den 1990er-Jahren war „das Netz“ der Raum, wo alles möglich schien. Man konnte sich ausprobieren, und kann das ja immer noch. Auch wenn die Diskussionen sehr stark von sogenannten Social-Media-Debatten überlagert und dominiert sind.
„Es ist auch eine Frage nach den sozialen Räumen.“
Arnold Haberl: Ich komme noch einmal zum Festivalthema zurück: graetzlrauschen mit seinen drei Veranstaltungstagen ist eine Untersuchung, wie sich dieses Verhältnis verändert hat. Insofern möchte ich dazu noch gar nicht abschließend urteilen. Wir haben versucht, Konstellationen zu finden, die diese Fragen untersuchen: das Hybridrauschen, das Artificial Museum, aber beim Wiener Beschwerdechor geht es zum Beispiel auch um eine inhaltlich-semantische, und nicht unbedingt rein technologische Auseinandersetzung mit dem Thema. Oder auch bei der Performance von Anat Steinberg, die sie am Viktor-Adler-Platz machen wird, wo es um Essen und die Repräsentation von Essen gehen wird. Das ganze Festival ist relativ aufwendig programmiert, weil alle Produktionen speziell dafür konzipiert oder stark adaptiert sind.
Adele Knall: Wir haben jetzt immer von realem und virtuellem Raum gesprochen. Wobei wir vermutlich eher den physischen Raum gemeint haben. Und es ist auch eine Frage nach den sozialen Räumen. Wir haben uns Plätze und Kooperationen ausgesucht, die sowohl soziale, politische als auch wirtschaftliche Räume darstellen. Diese Verstrickungen finden sich in den – wie wir sie vorher unterschieden haben – realen als auch in den virtuellen Räumen.
Arnold Haberl: Ich möchte noch einmal kurz zur Frage der Satelliten zurückkommen, die wir vorher nur gestreift haben. Es geht uns sehr stark um Selbstorganisation. Im Grunde sind alle Satelliten wie zum Beispiel das Sandkasten Syndikat selbstorganisierte Räume. Das Sandkasten Syndikat ist ein Arbeitsraum mit einem Kulturraum, der Setzkasten ist ein Kulturraum mit einem Arbeitsraum, das Einbaumöbel ist ein klassischer sozialer Raum. Selbst der Geigenbauer am Ilgplatz versteht den wirtschaftlichen Raum seines Geigenbau-Ateliers als sozialen Kommunikationsraum. Das Makerspace Happylab Wien ist zwischen Creative Culture und Creative Industry und Selbstorganistion und sozialem Raum angesiedelt. Alle Initiativen sind bottom-up. Und das ist auch unser Selbstverständnis. Wir glauben, dass bottom-up der einzige Weg ist, um Sachen entstehen zu lassen, die wir selber brauchen.
Vielen Dank für dieses Treffen im witterungsbeeinflussten Raum!
Michael Franz Woels
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Termine:
Graetzlrauschen 1 – „WOHNZIMMER“
11. Juni 2022, 16:00 – 22:00 Uhr | Dornerplatz (1170 Hernals)
Beteiligte Künstler*innen: Artificial Museum, Beschwerdechor, Stefan Foidl, Angelika Frühwirth, Oliver Hangl,
Chris Janka, Jopa Jotakin, Ulla Rauter, Saleh Rozati, Hui Ye u.a.
Satelliten: Einbaumöbel, Sandkasten Syndikat, Setzkasten, Cafe Iin u.a.
Graetzlrauschen 2 – „AGORA“
9. Juli 2022, 16:00 – 22:00 Uhr | Viktor Adler Platz (1100 Favoriten)
Beteiligte Künstler*innen: Artificial Museum, Anglica Castello, Elisabeth Falkinger, Adele Knall, Norbert Math,
Clara Abi Nader, Maximilian Prag, Lissie Rettenwander, Christine Schörkhuber, Olha Senynets, Anat Stainberg u.a.
Satelliten: Fortuna Kino, Parkbetreuung, Puxlet, Stand 129 u.a.
Graetzlrauschen 3 – „CIRCUS“
17. September 2022, 16:00 – 22:00 Uhr | Ilgplatz (1020 Leopoldstadt)
Beteiligte Künstlerinnen: Artificial Museum, Mz Baltazar’s Laboratory, Adina Camhy, Lale Rodgarkia-Dara, Sophia
Goidinger-Koch, Sabine Maier, Udo Noll, Hanne Römer .aufzeichnensysteme, Paul Skrepek, Conny Zenk u.a.
Satelliten: Circus Museum, Geigenbau Rainer& Stietencron, Makerspace Happylab, Prater u.a.
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Link:
Graetzlrauschen