Dieses Porträt von Katharina Darya Ressl entstand im Zuge der Lehrveranstaltung „Ästhetischer Diskurs, Reflexion, Kritik: Schreiben und Sprechen über Neue Musik“ von Monika Voithofer im Wintersemester 2022/23 am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien und wird als Teil einer Kooperation mit mica – music austria hier im Magazin veröffentlicht. Für diese Aufgabenstellung konnten die Studierenden frei eine aufstrebende Persönlichkeit aus dem Bereich der neuen Musik wählen.
Schnelle Klavierfiguren in den oberen Lagen glitzern wie Sterne in der Schwerelosigkeit. Karussellartig wiederholt, als würden sie sich um die eigene Achse drehen. Dem überlagernd erzeugen Einwürfe in den Streichern und Bläsern das Gefühl unaufhaltsamer Hektik. Kaleidoskopartig schwebt das Klanggefüge umher, zusammengehalten durch vier, je um einen Viertelton tiefer gestimmte Klaviertöne. Diese Gravitationszentren wirken in ihrem Auftritt erst einmal irritierend. Deplatziert verharren sie im Raum, bis sich der Klang wandelt, sich ihnen anpasst und sie in der Unendlichkeit verklingen. Die intrinsische Rastlosigkeit weicht unerwarteter Ruhe, bevor der klangliche Kosmos wie ein Blatt Papier zerrissen wird. Klavierfiguren im Fortissimo und der Einsatz von Kontrabassklarinetten und Kontrafagott schaffen eine dem Werk bislang unbekannte Brachialität. „Das Stück geht an seiner eigenen Bewegung zugrunde.“ Die nunmehr gezupften vier verstimmten Klaviertöne klingen kaum merklich im Hintergrund. Die letzten Fetzen destruktiver Hektik.
In seinem Auftragswerk für das Ensemble Phoenix Basel „…und sie bewegt sich doch“ (2021) verbindet Mathias Johannes Schmidhammer Gerard Griseys „Vortex Temporum“ auf äußerst kreative Art mit Galileo Galileis Beobachtungen zur Kreisbewegung der Jupitermonde. Dabei schafft er, wie so oft, eine eindrucksvolle Klangerzählung, die sich durch einprägsame Momente und Eindrücke auszeichnet, die den Hörenden noch lange in Erinnerung bleiben. „Es ist eine Geschichte und du möchtest erfahren, wie diese Geschichte der Klänge ausgeht.“ Seine Kompositionen spiegeln eine kindliche Begeisterung für das Neue, eine Art erstrebenswerte Naivität wider. Dazu mischen sich verschiedene Einflüsse, die der 1991 in Meran geborene Südtiroler in seinem musikalischen Werdegang aufgesogen hat. Ein Einschlag des französischen Postserialismus, insbesondere auch der Einfluss seines Kompositionslehrers Michael Jarell ist ebenso hörbar wie ein gewisses Bewusstsein für Kompositionstraditionen um die Zweite Wiener Schule.
Er studierte Klavierpädagogik und Komposition an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und schloss beide Studien 2017 mit Auszeichnung ab. Sein Denken über und um Musik wurde dabei von einer Vielzahl von Lehrenden geprägt. Darunter etwa Margrit Schild, seine erste Klavierlehrerin an der städtischen Musikschule Meran, seine Kompositionsprofessoren Michael Jarrell, Johannes Maria Staud, Periklis Liakakis und Axel Seidelmann, sowie seine Musikanalyse-Dozentin Annegret Huber. Als besonderer Mentor muss dabei aber besonders sein Klavierprofessor Harald Ossberger hervorgehoben werden, der Schmidhammer nicht nur musikalisch, sondern in vielerlei Hinsicht auch persönlich geprägt hat. Das Ergebnis, eben ganz das, „was man sich vorstellt, wenn ein Südtiroler vom Land nach Wien kommt, um Komposition zu studieren“, so der Komponist selbst.
2018 erhielt Schmidhammer den Ö1 Talentbörse Kompositionspreis. Der mit 10.000 Euro und einem Kompositionsauftrag dotierte Preis – ein Schlüsselmoment in seiner künstlerischen Laufbahn. „Ich hatte immer wieder Momente in meinem kompositorischen Schaffen, wo ich mir gedacht habe: Soll ich das wirklich weiter machen? Aber zu wissen, dass man das, was ich bis jetzt gemacht habe, für förderungswürdig empfindet, das kann ich mir jetzt grad nicht kleinreden“ – ein mehr als vielversprechender Jungkomponist im Bereich der Neuen Musik, das kann man auch weiterhin nicht kleinreden.
„Mit bestimmten Abfolgen von Klängen Zeit schaffen“, wenn’s sein muss, auch nur mit Handy und Weinglas
Dass die Neugier des jungen Pianisten und Komponisten dabei nicht durch traditionelle Parameter eingeschränkt wird, zeigt sich beispielsweise auch an seinem ersten und bislang einzigen elektronischen Stück „Im Glashaus“ (2020). Gedacht für ein Online-Konzert unter dem Motto „Musik und Wein“, entstand das Werk im ersten harten Lockdown der Covid19-Pandemie. Die veränderten Rahmenbedingungen der Pandemie verlangten auch einen neuen Umgang mit seiner Herangehensweise ans Komponieren an sich. Angeregt durch seinen damaligen Mitbewohner, entwickelte sich eine Idee – ein Stück rein aus den Klängen eines Weinglases. Bewaffnet nur mit einem Handy als Aufnahmegerät, stellte sich Schmidhammer der Frage „Wie klingt es, wenn …?“ aus allen erdenklichen Perspektiven. Ergebnis: Eine musikalische Weinglasstudie
Mit „Im Glashaus“ veranschaulicht Mathias Johannes Schmidhammer seine im Lockdown gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse. Er lädt die Zuhörenden in eine Oase der Ruhe ein, in der sich Druck, Erwartungen und Zeit auflösen. Ein Glashaus, in dem alles möglich scheint und die Außenwelt nur als ferne Erinnerung verschwommen durchblitzt. Ein Schutzraum, der zerbrechlich zwischen dem, was ist, und dem, was sein könnte, steht.
„Mahler auf Drogen“ – im Untertext spielt die Musik
Dass Schmidhammer in seinem musikalischen Output zu jenen Komponisten zählt, die vor neuen Entwicklungen und Herangehensweisen an ihr Handwerk nicht zurückscheuen, sondern diese sogar aktiv aufsuchen, wird spätestens in seinem 2022 erschienenen Werk „in fretta“ klar. Während er in all seinen Werken mit Bildern und Assoziationen arbeitet, wirkt „in fretta“ wie ein eng gewobener Stoff aus ineinander kohärenten Erzählsträngen, Gedanken, Emotionen und Ideen, die sich teilen, zusammenfließen, einander bedingen und aufeinander aufbauen. Die brachiale Rhythmik der Bläser zu Beginn zieht sich durch das Stück und wird teils vom gesamten Ensemble übernommen. Dazu kommt das Spiel mit typischen Floskeln der Neuen Musik. Passagen werden beispielsweise nur in leicht variierter Form wiederholt, nie jedoch gänzlich gleich. Es wird eine bewusste Reizüberflutung bzw. Überforderung angestrebt, indem mit starken Überlagerungen und Tutti-Abschnitten gearbeitet wird. Auch der auf die Fortissimo-Passage folgende Bruch ist ein Klischee der Neuen Musik: das Schaffen von Leere als Kontrast. Durch die Verwendung von Instrumenten wie Flexaton und Vibraslap bekommt das Stück darüber hinaus einen Hauch von Humor, der an Disney-Filme der 1930er-Jahre erinnert. Dabei ist das Stück in gewisser Weise als Selbst-Persiflage zu verstehen; ausdrücken soll es den Zustand, in dem es entstanden ist: Eile. Und genau eine solche vermittelt uns die Musik hier auf jeder Ebene in unterschiedlicher Ausführung.
„in fretta“ ist allerdings keinesfalls eine Momentaufnahme, sondern spiegelt vielmehr einen neuen Schritt im Entwicklungsprozess des Komponisten wider. Eine neue Herangehensweise an den kompositorischen Prozess, durch den das musikalische Material über den Notentext hinaus inhaltlich verdichtet wird: Untertextierung. Eigentlich aus dem Schauspiel stammend, bezeichnet der Untertext all das, was nach dem Punkt passiert. Was gefühlt und gedacht, aber nicht gesprochen oder gespielt wird. Seit August 2021 lässt Schmidhammer diese Technik in sein musikalisches Schaffen einfließen. Das führt vor allem zu einer Art „Genauigkeit im Wollen“, denn durch die vertiefte Auseinandersetzung mit dem außermusikalischen Inhalt des Stückes bekommt die musikalische Struktur gleichfalls mehr Bedeutung. „Bei jeder Probe können mich die Musikerinnen und Musiker zu jeder Stelle fragen und ich kann zum Beispiel sagen: Das ist Mahler auf Drogen. Es ist einfach schön zu wissen, es klingt wirklich das, was ich schreiben wollte.“
„Um Gottes Willen, was ist das?“ oder, warum das WIE gerade für Neue Musik so wichtig ist
Auch wenn es ursprünglich gar nicht geplant war, hat sich das Unterrichten im Laufe seines Klavierstudiums bereits zu einer Leidenschaft entwickelt. Besonderer Fokus spielt dabei auch die Vermittlung von Neuer Musik an jüngere Schüler:innen. Neue Musik „ist etwas, von dem ein Großteil der Bevölkerung wirklich nichts mitbekommt. Und das ist absolut ein Kampf gegen Windmühlen. Aber wenn man in eine Schulklasse kommt und die Schülerinnen und Schüler über das Selber-Tun draufkommen, welche Klänge Musik sein können, wie man das alles hören kann, wie man das alles erfahren kann, dann hat man, wenn’s gut gelaufen ist, zehn Schüler:innen, die, wenn sie aus irgendeinem Grund zufällig um Elf Uhr am Abend im Radio ZeitTon einschalten, nicht zuerst sagen: ,Um Gottes Willen, was ist das?!‘, sondern ihre erste Reaktion ist: ,JA! Sowas haben wir ja damals in der Schule gemacht!‘“ So unterrichtet er nicht nur Klavier an den Musikschulen in Neusiedl und Frauenkirchen, sondern hält seit 2015 im Rahmen der TastenSpielwoche auch einen Sommer-Kompositionsworkshop in Brixen. Kinder im Alter von acht bis zehn Jahre bekommen hier die Gelegenheit, musikalische Grenzen auszutesten und ihren kreativen Output auf die Bühne zu bringen. „Ich finde es für die Schüler:innen selbst auch etwas sehr Bereicherndes zu sagen: ‚Ich habe etwas erfunden, ich habe etwas produziert, das wird jetzt aufgeführt und ich erlebe mich als selbst wirksam.‘ Das ist nicht die Deutsch-Schularbeit, die rot durchgestrichen zurückkommt. Ich mache etwas und am Ende werde ich dafür belohnt.“ Musikvermittlung als zweite Leidenschaft. Aktuell steht beispielsweise auch ein Kompositionsworkshop in Finnland im Raum, der im Zuge eines Kompositionsauftrags für Kantele, einem finnischen Zitherinstrument, stattfinden soll.
Katharina Darya Ressl
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Termine:
Freitag, 3. März 2023, 19.15 Uhr
Kurhaus Marienkron in Mönchhof (Burgenland)
Mittwoch, 22. März 2023, 19:00 Uhr
Alte Schmiede
Saxophonquartette III: Mobilis Saxophonquartett
Werke von Andrea Portera, Frederik Neyrinck, Georg Friedrich Haas, Wojciech Chałupka, Mathias Johannes Schmidhammer
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Links:
Mathias Johannes Schmidhammer (SoundCloud)
Mathias Johannes Schmidhammer (music austria Datenbank)