Die klassische Vorstellung: Komponist schreibt Werk, bringt es zu Musikverlag, Verlag kümmert sich um alles Weitere. Die meisten Komponistinnen und Komponisten, die das je versuchten, werden rasch festgestellt haben, dass dies nicht ganz die übliche Art und Weise ist, wie sie zu Weltruhm gelangen. Christian Heindl über die Fragestellungen, mit denen sich heutige „Kleinverlage“ auf dem Markt konfrontiert sehen.
Vorweg sei aus mehrjähriger eigener früherer Tätigkeit in einem „Mittel-“ bis „Großverlag“ und Beobachtung der Branche festgehalten, dass sich die Fragen, Probleme und Antworten zwischen diesen und kleineren Unternehmen nicht wirklich wesentlich unterscheiden. Um ein gezieltes Eingehen auf „Kleinverlage“ durchzuführen, wurden von der mica-Redaktion stellvertretend drei ausgewählt: apoll-edition, Ariadne Buch & Musikverlag sowie Musikverlag Alexander Mayer. Den Vertretern dieser Verlage wurde vom Verfasser ein Fragenkatalog vorgelegt. Die Reaktionen zu den einzelnen Themengebieten fielen dabei durchaus unterschiedlich aus.
Zunächst die Fragen, die je nachdem äußerst knapp bis durchaus differenziert beantwortet wurden, wie anschließend gezeigt wird. Die Antworten waren teils erwartbar oder können auch in verschiedenen Sekundärquellen nachgelesen werden, im Sinn einer möglichsten Objektivität und eines Verzichtens auf suggestive Situationen, wurden die Fragen aber in allen Fällen gleich gehalten. Auch wenn aus den Antworten letztlich keine absolute Gültigkeit beansprucht werden kann – dazu hätte man eine eingehende, weit umfassendere Studie vornehmen müssen –, lassen sich doch konkrete Rückschlüsse auf eine allgemeine ebenso wie auf die individuelle Lage ziehen.
FRAGENKATALOG „KLEINVERLAGE“
- Wann und von wem wurde der Verlag gegründet?
- Was war die Motivation zur Gründung?
- Versteht sich Ihr Verlag im klassischen Sinn als Produzent gedruckter Noten oder haben heute Vertrieb und Werbung den höheren Stellenwert?
- Haben im Lauf der Geschichte Ihres Verlags neue Medien (z. B. Internet, Download) die Strukturen bzw. Methodik Ihres Verlags geändert?
- Wie werden von Ihnen selbst die neuen Möglichkeiten genutzt?
5a. Sind die bei Ihnen verlegten Noten auch (oder nur) per Download erhältlich? - Vertreiben Sie Ihre Noten autonom oder über einen größeren Partner?
- Gibt es eine strikte Vorgabe, wer bzw. was verlegt wird?
- Sieht Ihr Katalog eine Spezialisierung vor bzw. sind Sie zu einer Spezialisierung auf bestimmte Komponistinnen und Komponisten bzw. Sparten gezwungen?
- Ist ein „Kleinverlag“ heute gewinnbringend zu führen oder bleibt er für die Verantwortlichen ein Nebengeschäft?
- Hat ein „Kleinverlag“ ausreichend Infrastruktur, um seine Produkte auch aktiv zu bewerben und öffentlich vorzustellen oder ist er darauf angewiesen, dass der Kunde von sich aus aktiv auf ihn zugeht?
- Haben Sie als „Kleinverlag“ die Möglichkeit, mit den von Ihnen verlegten Werken auch außerhalb Österreichs vertreten zu sein?
- Haben Sie die Möglichkeit, auch Mitarbeiter bzw. Angestellte zu beschäftigen?
- Sind Sie auf staatliche Mittel angewiesen und erhalten Sie solche – Stichwort „Verlagsförderung“?
APOLL-EDITION ALS SAXOPHON-SPEZIALIST
Die apoll-edition, 1991 von Thomas Schön gegründet und heute von Sabine Zwick geleitet, entstand aus beider Tätigkeit als reproduzierende Musikerin bzw. Musiker, nicht zuletzt im Wiener Saxophonquartett. Sabine Zwick zur Motivation den Verlag zu gründen: „Als Musiker hatten wir viel mit schlecht lesbaren Manuskripten zu tun. Das war uns zu mühsam, somit befassten wir uns mit Notensatz am Computer. Die Folge daraus war, dass die Werke (vorerst hauptsächlich Saxophonquartette) dann auch von uns verlegt wurden.“ – Aus dieser Situation ergibt sich auch der Stellenwert der Notenproduktion, den Zwick deutlich höher als den Notenvertrieb ansetzt. Aus dem gerade von größeren Verlagen anfangs beklagten Auftreten neuer Medien – zunächst dem vielfachen „Gratis“-Kopieren von Chornoten bis zum Download aus dem Internet – konnte ein gattungsspezialisiertes Unternehmen wie apoll primär Nutzen ziehen. Sabine Zwick: „Das Internet hat vieles erleichtert in Bezug auf den Austausch von Manuskripten und Korrekturen. Es sind kaum mehr Postwege nötig.“
Auch im kommerziellen Bereich des Notenverkaufs ist apoll frühzeitig auf die neuen Möglichkeiten eingegangen. Sabine Zwick: „Noten werden teilweise auch günstiger als pdf-Dateien verkauft. Die Möglichkeit der Präsentation des Verlages über eine Homepage ist angenehm, wird aber noch zu wenig genutzt.“ – apoll hat auf diese Weise auch die Möglichkeit, Noten sowohl in gedruckter Form, als auch per Download zu verkaufen; ein Service, das heute durchaus noch nicht allgemein verbreitet ist, aber international zunehmend angeboten wird. Was vor dem Internet-Zeitalter fast unmöglich gewesen wäre: Auch kleinere Verlage sind unter Einsatz von entsprechendem Know-how in der Lage, ihre Produkte global autonom anzubieten und nicht unbedingt auf größere Vertriebspartner angewiesen.
Nicht zuletzt die begrenzten Kapazitäten und die dadurch erforderliche Ökonomie prägen das Angebot eines kleineren Verlags, der deshalb meist eine Spezialisierung auf einen ausgewählten Bereich vornimmt. Bei apoll waren dies wie erwähnt zunächst vor allem Saxophonquartette (etwa drei Dutzend enthält der Katalog zurzeit, Originalkompositionen ebenso wie Arrangements älterer Werke). Dazu kommen schwerpunktmäßig Komponistinnen und Komponisten, „die auch in einem persönlichen Naheverhältnis stehen. Daraus ergab sich bis jetzt, dass großteils Werke für kleine bis mittlere Ensembles verlegt werden.“ (Zwick). Zu den Hauptkomponisten bei apoll zählen etwa Mark Engebretson, Sigi Finkel, Roland Freisitzer, Thomas Heinisch, Dieter Kaufmann, Julia Purgina, Thomas Herwig Schuler, Alexander Wagendristel und Wolfram Wagner.
Keine Illusionen lässt Sabine Zwick in Hinblick auf die kommerziellen Erträge offen, die es erfordern neben der eigenen Tätigkeit als Musikerin auch andere Bereiche einzubeziehen: „Das Verlagsgeschäft an sich ist nicht gewinnbringend. Die Arbeit als Notensetzer für andere Verlage hilft da weit mehr.“
Die generell knappen Mittel erlauben es apoll in der Konsequenz nicht, Mitarbeiter geschweige denn Angestellte zu beschäftigen.
LÜCKE IM „MUSIKLAND“: THEMA MUSIKVERLAGSFÖRDERUNG
Was im Buchbetrieb glücklicherweise gegeben ist, existiert im so sehr von seinem Ruf als „Musikland“ profitierenden Österreich für Musikverlage nicht: eine klassische „Verlagsförderung“, welche ihre der Innovation und Musikverbreitung dienende Tätigkeit durch staatliche Unterstützung absichern würde. Eine der wenigen Möglichkeiten, die zurzeit offen stehen, ist das Ansuchen gemäß dem Materialkostenzuschuss für Komponistinnen/Komponisten und Musikverlage beim Bundesministerium für Kunst und Kultur, allenfalls auch die ebendort zu beantragende Verbreitungsförderung für Tonträger und Publikationen. Eine weitere Möglichkeit stellt etwa der SKE-Fonds der austro mechana dar. In keinem Fall darf man aber annehmen, dass Förderungen bei diesen oder anderen Institutionen (im Fall in den österreichischen Bundesländern verwurzelter Komponistinnen und Komponisten bzw. Verlagen etwa der jeweiligen Landesregierung) selbstverständlich erfolgen und mühelos zu erhalten sind. Einem teils sehr aufwendigen bürokratischen Verfahren beim Ansuchen steht eine hohe Ablehnungsquote gegenüber. Auch die apoll-edition verweist darauf, bislang mit solchen Anträgen auf taube Ohren gestoßen zu sein.
DER MUSIKVERLAG ALS AGENT UND WERBETROMMEL
Essentiell bei jeder Beschäftigung mit dem Thema Musikverlag ist das gewandelte Rollenbild. War früher jeder Verlag zuallererst Notenproduzent, so hat sich dieses gerade durch die neuen Medien und individuellen technischen Möglichkeiten stark verändert. Da Komponistinnen und Komponisten (vor allem, aber nicht nur der jüngeren bis mittleren Generation) heute in der Regel ihre Noten einschließlich Stimmenmaterials selbst setzen, wird der Musikverlag weit stärker als Agent, als eine Art Manager der schöpferisch Tätigen in die Pflicht genommen. Eine Pflicht, die nur zum Teil erfüllt wird. Einst majestätische Flaggschiffe unter den großen Verlagen haben durch finanzieller Not gehorchende, aber kurzsichtige, da die Spirale weiter nach unten drehende Personalreduktionen heute vielfach gar nicht mehr die Möglichkeit der Werbung entsprechenden Raum zu geben. Sieht sich der „Kleinverlag“ von Anfang an vor diese Problematik gestellt, so hat sie sich für ihn zumindest nicht wesentlich verschlechtert. Hierin sind sich alle drei der Befragten uneingeschränkt einig. Offen bekennt etwa Sabine Zwick: „Werbung ist so ziemlich das schwierigste. Insbesondere im Ausland kommen Werke hauptsächlich nur durch die eigenen Aktivitäten der Komponisten zur Aufführung.“
ANTRIEBSTECHNIK FÜR MUSIK: ARIADNE VERLAG
1973 wurde der Ariadne Verlag von Roman Haubenstock-Ramati zunächst als Möglichkeit zum Druck musikalischer Graphik gegründet, 1978 übernahm ihn Viktor Liberda, Bruder des Komponisten Bruno Liberda. Dieser – durch seine Firma für Antriebstechnik in keiner Weise kommerziell vom Verlagsgeschäft abhängig – stellte das Angebot bald auf eine breitere Basis. Durch seine Mitbegründung und finanzielle Stützung des Klangforum Wien (1985) ergaben sich weitere Synergien und Wechselwirkungen zwischen Verlag und Aufführungen. Der Ariadne-Verlag geht in allen wesentlichen Fragen hinsichtlich der Produktion, der Bewerbung und des Vertriebs von Noten mit den Antworten der apoll-edition konform. Viktor Liberda zur Frage, wie man die Möglichkeiten der neuen Medien bei Ariadne nutzen wolle: „[…] demnächst über einen Online-Shop, ab Herbst 2017 werden Noten auch als Download erhältlich sein“. Den Vorgaben des Verlags folgend, findet sich auch hier eine schwerpunktmäßige Auswahl an Komponisten bzw. Werken primär einer ab den 1990er-Jahren in Erscheinung tretenden jüngeren Avantgarde. Zu nennen sind etwa Clemens Gadenstätter, Georg Friedrich Haas, Roman Haubenstock-Ramati, Mayako Kubo, Bruno Liberda, Georg Nussbaumer, Nicolaus Richter de Vroe, Boguslaw Schaeffer und Wolfram Schurig.
Ist es Ariadne möglich, „in geringem Umfang“ (Liberda) auch Mitarbeiter zu beschäftigen, so steht auch hier am Schluss hinsichtlich einer Förderung durch die öffentliche Hand eine klare Aussage – Viktor Liberda: „Wir wären froh, bekommen aber nichts, weil Verlagsförderung nur für Literatur existiert.“
RUHEND GESTELLT: ALEXANDER MAYER MUSIKVERLAG
Einen Sonderfall in dieser Darstellung nimmt der Alexander Mayer Musikverlag ein. Erst im Zuge der Recherchen stellte sich heraus, dass dieser seit 2010 gewerberechtlich ruhend gestellt ist. Es verwundert angesichts der generellen Lage nicht wirklich, dass dies in einer breiteren Musiköffentlichkeit keine Thematisierung erfuhr. Dennoch war Alexander Mayer, der den Verlag 1994 gründete, zur Teilnahme an diesem Bericht bereit: „Ich kann die Fragen allerdings ausschließlich für eine Zeit beantworten, die nun doch schon länger zurück liegt. Seit 2010 betreue ich ausschließlich einige ‚kleinere‘ Arbeiten.“ – Auch für Mayer lag die Motivation zur Verlagsgründung wie bei apoll und Ariadne im „Interesse an (zeitgenössischer) Musik und Interesse an Notensatz“ (Mayer). Mayer verstand sich „im klassischen Sinn“ als Produzent gedruckter Noten. Die Veränderungen durch die aktuellen Möglichkeiten konnte er durchaus für sein Unternehmen nutzen – Alexander Mayer: „Ja, etwa durch eine Homepage und die Programmierung einiger Tools für komplexere Notensatzarbeiten“.
Trotz Ruhendstellung sind die verlegten Produkte nun nicht etwa für die Um- und Nachwelt verloren, sondern weiterhin verfügbar: „Die Noten sind nicht als Download erhältlich, aber – fast – alles ist auch als pdf zu beziehen.“ (Mayer)
Anders als etwa die apoll-edition ist der Alexander Mayer Musikverlag themenspezifisch mit einzelnen Partnern (Händler, Großhändler) verbunden; ein Generalvertrieb existiert nicht. Hinsichtlich seines Katalogs zeigte sich Mayer offen für die Inverlagnahme von Komponistinnen und Komponisten verschiedenster Ästhetik. Alexander Mayer: „[…] allerdings schließt sich das eine oder andere gegenseitig in der wirtschaftlichen Praxis aus.“ – Komponistinnen und Komponisten aus Mayers Katalog sind etwa Christoph Cech, Wolfgang Danzmayr, Katharina Klement, Volkmar Klien, Guido Mancusi, Pier Damiano Peretti, Herwig Reiter, Sha (Andreas Rodler), Wolfgang Sauseng, Astrid Spitznagel, Alexander Stankovski, Wolfgang Suppan und Reinhard Süss. Dazu kommen noch ein breites Spektrum aus dem Bereich Barock und Klassik sowie Arrangements älterer Meister.
Obwohl Mayer sein Verlag stets ein wichtiges Anliegen war, traf er letztlich die Entscheidung zur Ruhendstellung aus persönlichen Gründen, auch die äußeren Bedingungen trugen aber das ihre dazu bei. – Alexander Mayer: „Der Entschluss war weitgehend davon getragen, dass sich zu diesem Zeitpunkt nach über 15 Jahren auch andere berufliche Perspektiven geboten haben. Es war reizvoll, diese auszuprobieren und nach einer Zeit dann auch ‚umzusteigen‘. Die Änderung des Urheberrechtsgesetzes – z. B. mit der freien Vervielfältigung für Schulen und ausbildende Institute – hat die ökonomische Situation auch nicht gerade einfacher gemacht.“ – Und einmal mehr die nüchterne Aussage bezüglich der Anerkennung durch die öffentlichen Institutionen – Alexander Mayer: „Es gab einige Projektförderungen, allerdings nie ‚Verlagsförderung‘.“
Christian Heindl
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