Der Schlagzeuger Wolfgang Reisinger ist gestorben. Kollegen, Freunde und Wegbegleiter beschreiben den Verlust als „unglaublich und unfassbar.“

„Ein großartiger Mensch und Musiker hat uns verlassen“, lautete der einhellige Tenor, als die Jazz-Szene vom unerwarteten Tod Wolfgang Reisingers erfuhr.

Reisinger war einer, zu dem nicht nur seine, sondern auch nachfolgende Musikergenerationen aufsahen, weil er es aus dem kleinen Österreich aufs internationale Parkett geschafft hatte. Ob in der heimischen, der französischen oder der US-amerikanischen Jazz-Szene: Überall galt er als technisch beschlagener, stilbewusster und klangversierter Ausnahmekönner und war deshalb so bewundert wie hoch angesehen.

Reisinger, der seine erste musikalische Ausbildung schon als Fünfjähriger bei den Wiener Sängerknaben erhielt, beschrieb seinen Weg zum Schlagzeug einmal als „allmählich“. Damit meinte er, dass er zunächst Klavier am Konservatorium studiert hatte, bevor er das Schlagzeug für sich entdeckte. Zwar habe er immer schon neben dem Klavier auch den Klavierdeckel gespielt, erzählte er einmal scherzhaft, doch die Drum-Sticks nahm er erst in die Hand, als er kurzfristig für den Schlagzeuger einer Band, in der er damals spielte, einsprang und auf Anhieb merkte, dass ihm das, was am Klavier immer mit mühsamem Üben verbunden war, hier plötzlich ganz leicht von der Hand ging.

Das Klavier prägte ihn weiterhin, die neue erworbene Leichtigkeit aber sollte man seinem Spiel ein Leben lang anhören: Ob beim Vienna Art Orchestra, dem er als Percussionist bis 1989 angehörte. Oder als Mitglied der Gruppe Part of Art, die er 1981 gründete und in der auch Jazz-Saxofonist Wolfgang Puschnig (neben Herbert Joos und Uli Scherer), seinerseits Mitbegründer des Vienna Art Orchestra, tätig war und deren Musik unter Jazz-Liebhabern heute noch als sehr besonders gilt. Weitere Gruppen, in denen er spielte, waren Air Mail (mit Harry Pepl) und Wolfgang Mitterers Pat Brothers (mit Puschnig und Linda Sharrock).

1996 bildete Reisinger zusammen mit dem französischen Kontrabassisten Jean-Paul Céléa und dem US-Saxofonisten Dave Liebman das Trio Céléa Liebman Reisinger, dessen erstes Album „World View“ den französischen Kritikerpreis Choc de la Musique erhielt, das zweite Album („Missing a Page“) den Diapason d’or.

1999 folgte die Gründung der Gruppe Spirits, die in wechselnder Besetzung etwa mit Karl RitterPeter HerbertAndy ManndorffKlaus DickbauerJohn Schröder und Franz Hautzinger auftrat. 2000 wurde er (neben Jean Paul Céléa) Mitglied des neuen Trios von Joachim Kühn.

Dave Liebman hat einmal gemeint, Resinger sei im Grunde ein Komponist, der zufällig Schlagzeuger geworden ist. Diese Beschreibung mochte er nicht nur, sie ist auch äußerst zutreffend für seinen ganz speziellen Zugang. „Ich habe immer auf die ganze Musik gehört, nie die Rhythmuspatterns isoliert“, beschrieb er es selbst einmal in einem Interview mit der Presse kurz vor seinem Auftritt im Porgy & Bess mit Dave Liebman und Jean-Paul Céléa im Jahr 2016.

Besonders war auch Reisingers Vielseitigkeit: Neben seiner Tätigkeit als Jazzmusiker war er auch stets auf dem Gebiet der klassischen und der Improvisationsmusik aktiv. Weniger bekannt, dafür nicht weniger interessant waren seine Ausflüge in popmusikalische Gefilde, etwa im Programm „Zum Himmel hoch“ mit Ludwig Hirsch.

2009 wurde Reisinger mit dem Hans Koller Preis zum „Musiker des Jahres“ gekürt und als „Schlagwerker, der die Möglichkeiten seines Instrumentariums nicht nur in Hinblick auf rhythmisches Spiel, Dynamik und dichte Texturen, großen Klangfarbenreichtum und orchestrale Fülle ausschöpft, sondern auch ständig an ihrer Erweiterung arbeitet“ gelobt.

Als seinen „All-time-Hero“ bezeichnete er des öfteren Jack DeJohnette. Szenekenner beschreiben Reisinger jedoch als einen Schlagzeuger, der nicht nur den Spielstil DeJohnettes verinnerlicht hatte, sondern, wie es Michael Rüsenberg auf jazzcity.de so schön formulierte, die Errungenschaften des zeitgenössischen Jazzschlagzeugs „europäisch ausformulierte“. Dafür wurde er nicht nur in Europa, sondern auch in den USA gefeiert.

„Im Jazz ist das Risiko essenziell“, sagte Reisinger einmal. Riskiert hat er ein Leben lang und dabei fast immer gewonnen. Nun ist er im Alter von 66 Jahren an den Folgen der Ruptur eines Aortenaneurysmas in einem Wiener Spital verstorben. 

Die Trauer um den Menschen und Musiker Wolfgang Reisinger ist groß, nicht zuletzt deshalb, weil es „kaum einen zweiten Österreicher mit einem derart internationalen jazzgeschichtlichen Hintergrund mehr gibt“, wie es ein Freund und Wegbegleiter treffend formulierte.

Markus Deisenberger

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