„DER MOMENT ÜBERSTRAHLT DIE VERGANGENHEIT” – BERNHARD SCHIMPELSBERGER IM MICA-INTERVIEW

Nur ein paar Verlorene sitzen an diesem späten Vormittag im Café Rüdigerhof. Einer blättert in der Kronen Zeitung, ein anderer nippt am ersten Bier, Regen prasselt gegen die Scheiben, während an einem Ecktisch heißer Tee aus einer Kanne dampft. BERNHARD SCHIMPELSBERGER lässt den Beutel abtropfen. „Magst du auch einen Roibuschtee?”, fragt der Drummer-Percussionist und grinst. SCHIMPELSBERGER ist ein Meister der indischen Rhythmik. Er verbrachte Jahre unter den Fittichen seines Gurus – als einer der wenigen Drummer, die das nordindische Tabla aufs Schlagzeug übertrugen. Nach einigen Jahren in einem Ashram in London – er wollte „indischer sein als die Inder“ – lebt BERNHARD SCHIMPELSBERGER in Wien. Hier entwickelt er neue Besen und stellt sich die Frage, ob das eigene Tun noch relevant ist.

Bernhard Schimpelsberger: Das ist aber ein altes Aufnahmegerät!

Ja, steinzeitlich!

Bernhard Schimpelsberger: Ich mag es, wenn Tools im kreativen Prozess eine Bedeutung bekommen. Manche werden Wegbegleiter, man verwendet sie über Jahre und gibt ihnen Bedeutung.

Ist das bei deinen Percussions-Tools auch so?

Bernhard Schimpelsberger: Percussion kann alles sein – es geht um die Übersetzung des inneren Rhythmus. Jedes Instrument hat eine eigene Klangfarbe, Dynamik und Persönlichkeit. Damit geht eine eigene Geschichte einher, die aus dem kreativen Prozess hervorgeht.

Eine, die nur du haben kannst?

Bernhard Schimpelsberger: Ja, es geht immer um die individuelle Möglichkeit des Unmöglichen. Man fängt an zu komponieren. 30 Minuten später hat man etwas. Vielleicht spielt man es einmal und legt es wieder weg. Oder es wird daraus ein Stück, das einen ein Leben lang begleitet. Die Sache ist: Man weiß es zu Beginn des kreativen Prozesses nie! Es geht viel mehr um die Hoffnung, etwas zu finden, das eigentlich unmöglich ist – mithilfe von Tools und Werkzeugen.

Dass man etwas gefunden hat, kann man immer erst wissen, wenn man etwas gefunden hat, meinst du?

Bernhard Schimpelsberger: Der Weg ist das Ziel. Je länger ich Musik mache, desto weniger geht es mir um das Resultat. Ich will Erfahrungen sammeln – auf dem Weg des Ausprobierens, Lernens und Scheiterns. Weißt du, ich spiele wenige Konzerte, in denen alles perfekt ist und man das Gefühl hat, dass alles zusammenfindet, aber: Gerade das ist das Schöne! Der Moment lässt sich nicht reproduzieren. Sobald er vorbei ist, bleibt er vorbei. Versucht man ihn zu wiederholen, reagiert man nur auf die Vergangenheit. Das führt zu Enttäuschungen, weil sich die Situation nicht nachstellen lässt. Nur der Moment überstrahlt die Vergangenheit.

Wie hast du früher darüber gedacht?

Bernhard Schimpelsberger: Mit 15 begann ich mich mit indischer Musik auseinanderzusetzen. Drei Jahre später bin ich meinem Guru nach Indien gefolgt. Mit ihm ging es immer ums Lernen, nie um das Resultat. Das war ein gemeinsamer Weg abseits des Mainstreams. Einer, den neben mir nur eine Handvoll andere Drummer gegangen sind. Deshalb war ich im musikalischen Schaffen als Drummer lange alleine und musste mir Gedanken darüber machen, wie ich dieses Wissen anwenden könnte.

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Bevor wir über dieses Wissen sprechen – möchtest du über deine Zeit in Indien erzählen?

Bernhard Schimpelsberger: Ich hab es immer als großes Privileg empfunden, dort so früh in meinem Leben Zeit zu verbringen und unter meinem Guru Pandit Suresh Talwalkar zu lernen. Es war von Anfang an ein Experiment für uns beide. Heute kann ich sagen: Unsere Leben haben sich gleichermaßen verändert.

Die Guru-Schüler-Beziehung basiert vor allem auf Disziplin, oder?

Bernhard Schimpelsberger: Schon, aber: Wenn der Schüler die Disziplin aufbringt, liegt der Ball beim Meister. Der Schüler muss den Meister also inspirieren, ihn zu unterrichten. Je sensibler der Schüler ist, je mehr er hört und je erfolgreicher er das Ego killt, desto mehr Inspiration kann der Meister finden.

Das heißt: Du hast dein Ego gekillt?

Bernhard Schimpelsberger: Für westliche Menschen ist das krass, ja.

Weil wir hier in einer Gesellschaft aufwachsen, in der es eher darum geht, das Ego auszubauen, als es abzulegen?

Bernhard Schimpelsberger: Immer mehr! Überleg dir, wie schwierig es in Europa geworden ist, in unconditional relationships zu leben. Gerade mit Social Media, gerade für junge Menschen – wer liebt heute noch bedingungslos, wenn alles verfügbar ist? Es gibt keine Limitierung. Was man hat, verliert deshalb an Wert.

Es könnte immer noch besser kommen. Daraus entsteht kein Vertrauen

Bernhard Schimpelsberger: Sondern ein Zwang, alles und jederzeit zu teilen. Mit meinem Guru bin ich jeden Morgen spazieren gegangen. In dieser Zeit konnte viel passieren – oder nichts! Es ging einzig um den Moment, dass etwas passieren konnte. Es waren Momente frei von Störung. Wenn heute junge Schüler nach Indien gehen, präsentieren sie sich permanent selbst. Als älterer Musiker frage ich mich: Wo ist der Moment?

Der Moment, in dem nichts stattfinden muss und gerade deswegen etwas stattfinden kann?

Bernhard Schimpelsberger: Ja, man erzwingt den Moment nicht, sondern nähert sich ihm an. Das lässt sich auch in die indische Philosophie übersetzen. Sie hat mich auf mehreren Ebenen beeinflusst, zum Beispiel in der musikalisch-rhythmischen, die eine systematische und wissenschaftliche Auseinandersetzung voraussetzt. Man muss sich über eine lange Dauer mit ihr beschäftigen. Nicht nur, um die mathematischen Formeln zu verstehen, sondern auch, dass sie in einen übergeht. Das reicht so weit, dass ich mitten in der Nacht  und halbschlafend neue Kalkulationen auf mein Handy sprechen kann – und sie gehen sich aus! Das zeigt mir: Die Sprache ist in mich übergegangen.

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Du verkörperst sie.

Bernhard Schimpelsberger: Das braucht aber Zeit. Als junger Musiker macht man alles mit voller Energie und Naivität. Je mehr Erfahrungen man sammelt, desto gerichteter lässt sich diese Energie einsetzen. Das führt mich zu einem anderen Aspekt der indischen Philosophie: der persönlichen. Ich steh mittlerweile an einem Punkt im Leben, an dem ich mich frage: Was mach ich mit meinen Erfahrungen? Ich war in Indien und Großbritannien, jetzt lebe ich in Wien. Hier kann man aber nicht so spielen wie in London.

Wieso?

Bernhard Schimpelsberger: Weil die musikalische Sprache innerhalb einer bestehenden Szene in London verstanden wird, die es in Wien nicht gibt. Wenn ich in Konnakol, die indische Rhythmussprache, in Wien anwende, mag das den Leuten zwar gefallen – von der Exotik kann ich mich aber künstlerisch nicht befriedigen. Als Musiker braucht man einen Spiegel, der den Ausdruck versteht, ihn aber gleichzeitig beurteilt.

„ICH FÜHLE MICH ALS EUROPÄER. DAS SOLL IN MEINER MUSIK ERKENNBAR WERDEN.”

Dabei verbindest du deine lebenslange Auseinandersetzung in indischer Rhythmik mit westlichen Formen der Musik – ermöglicht das für Leute keinen Anknüpfungspunkt?

Bernhard Schimpelsberger: Na ja, ich will mich keinen Genres bedienen, sondern das Wissen der Kulturen verinnerlichen. Darin suche ich nach einer eigenen Stimme. Eine, die die Sensibilität – zum Beispiel der rhythmischen Komplexität Indiens – mit der demokratischen Kultur des Jazz und dem aufgeklärten europäischen Denken verbindet. Ich mag in Indien gelebt haben, war in Kuba, Brasilien und Südafrika. Aber ich fühle mich als Europäer. Das soll in meiner Musik erkennbar werden.

Wie wird das erkennbar?

Bernhard Schimpelsberger: Ich stecke in einer großen Neudefinition, die man nur versteht, wenn man meine Geschichte kennt. Nach meiner Zeit in Indien, als ich indischer sein wollte als die Inder, hab ich einige Jahre in London verbracht. Dort war ich innerhalb der indischen Szene aktiv, hab mit tollen Musikern wie Anoushka Shankar und Akram Khan gespielt und mir ein Standing erarbeitet.

Es ging dir um die Anerkennung, als Europäer indisch zu sein?

Bernhard Schimpelsberger: Natürlich ging es um Anerkennung, der kreative Prozess war aber wichtig. Ich hatte neben meinen indischen Projekten auch solche im Rock, Jazz oder Flamenco. Zu sagen, dass man etwas besser als ein Inder kann, ist langfristig trotzdem nicht genug. Deshalb präsentiere ich mich in meinem Image als Künstler nicht als indischer Künstler. Es geht viel mehr um meine Perspektive, durch die ich ein eigenes Musikverständnis, eine eigene Sprache entwickeln kann. In diesem Prozess frage ich mich: Welche Musik möchte ich spielen? Wie möchte ich Musik machen?

Wie beantwortest du diese Fragen?

Bernhard Schimpelsberger: Die Idee der indischen Musik ist: Man setzt sich hin und spielt. Das ist selten laut, weil Instrumente aufeinander abgestimmt sind und ihre Philosophie verlieren, würden sie verstärkt werden. Ich habe zuletzt Besen entwickelt, mit denen ich neue Sounds schaffen kann. Außerdem arbeite ich  an Framedrums, die sehr leise sind. Das ermöglicht mir zum Beispiel, akustisch mit Streichquartetten oder indischen Instrumenten zusammenzuspielen.

Du passt dein Setup dem Gegenüber an.

Bernhard Schimpelsberger: Es ist ein ständiger Prozess. Mit meinem Onkel habe ich jahrelang Klemmen und Halterungen geschweißt – ich habe Lösungen gefunden, wie ich mein Setup auf Standardständer montieren kann. War ich früher mit 70 Kilo unterwegs, hab ich das Gewicht über die Jahre fast halbiert. Das ist eine Realität, die ich geschaffen hab.

Wie meinst du das?

Bernhard Schimpelsberger: Ich frage mich immer auch: In welcher Realität möchte ich leben? Das kann mein Setup betreffen, die Art der Musik oder die Entscheidung, mit welchen Musiker:innen ich arbeiten will. Wichtig bleibt aber immer: das Hören! Wenn man zuhört, hört man mehr, bekommt aber auch Input über das, was passieren kann. Deshalb passe ich meine eigene Sprache immer so an, dass sich mein Gegenüber so fühlt, als wäre es zu Hause.

Das hört sich demütig an du kommst der anderen Person im Hören entgegen.

Bernhard Schimpelsberger: Ich signalisiere, dass ich etwas geben will. Gleichzeitig könnte man es als Egoismus interpretieren. Man geht in einen Moment, ohne ein Störfaktor zu sein, um etwas zu erleben. Ich geb dir ein Beispiel: Ich hab in Havanna an Rumba-Zeremonien teilgenommen, in denen ich versucht habe, mich in allem anzupassen: wie man steht, wie man sich im Raum verhält und die Musik wahrnimmt. Eben um die Moment nicht zu stören, aber: um ihn zu erleben!

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Das bringt uns zurück zum Verdrängen des eigenen Egos.

Bernhard Schimpelsberger: Ich kann mich an eine Situation vor über 20 Jahren in Varanasi erinnern. Ich war dort mit meinem Guru, es war bereits vier Uhr früh, wir haben gespielt und das Licht fiel aus. Trotzdem hörten wir nicht auf. Es ging weiter. Es ging um die Musik!

„MAN MUSS SICH PERMANENT DIE FRAGE STELLEN, OB DAS EIGENE TUN NOCH RELEVANT IST.”

Da schwingt viel Dankbarkeit und Respekt mit. Der einzige Zugang, mit dem man sich Kulturtechniken annähern sollte, oder?

Bernhard Schimpelsberger: Musik ist die tiefste Sprache. Man kann mit Leuten zwei Monaten auf Tour sein, ohne die Nummern auszutauschen. Andere spielen eine Note – sie muss nicht einmal perfekt sein – man wird berührt und fühlt sich verbunden. Man mag in unterschiedlichen Lebensrealitäten aufwachsen und andere finanzielle Hintergründe haben, aber: Musikalisch kann man sich gegenseitig erleben. Wann geht das sonst in einer Welt, in der die sozialen Distanzen groß sind und größer werden?

Du brichst die Hierarchien auf zumindest für einen Moment.

Bernhard Schimpelsberger: Ja, wenn ich es schaffe, mich einzufügen und nicht mit eigenen Werten zu stören, ist das eine Darbietung von Respekt. Gleichzeitig handelt es sich nicht nur um ein Nehmen. Man gibt auch dem Gegenüber die Chance, seine eigene Kultur durch den Spiegel des Anderen zu erleben.

Man gibt und nimmt. Die Balance muss stimmen.

Bernhard Schimpelsberger: Trotzdem bleibt die Gefahr der cultural appropriation.

Hast du Erfahrung damit?

Bernhard Schimpelsberger: Mich hat man bisher nicht angefeindet, nein. Sollte es vorkommen, würde ich es aber annehmen, weil ich weiß, dass ich mit einer starken Neugier in neue Situationen gehe, um etwas zu erleben. Ich eigne mir Sprachen an, die mir fremd sind und ganz weit weg ist von dem, was man erlebt, wenn man in der oberösterreichischen Provinz aufwächst. Man muss sich in diesem Prozess gewissen Fragen stellen: Macht man es richtig? Ist es okay? Vielleicht ist das der große Bogen in meinem musikalischen Schaffen: sich permanent der Frage zu stellen, ob das eigene Tun noch relevant ist.

Danke für deine Zeit!

Christoph Benkeser

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