„Der menschliche Aspekt wird immer wichtiger” – PETER HERBERT im mica-Interview

Neunzehn Jahre nach dem legendären Solo-Album “Naked Bass I” hat PETER HERBERT mit „Naked Bass II” (Unit Records) einen würdigen Nachfolger veröffentlicht. Mit dem Markus Deisenberger sprach der Bassist und Komponist über die Erkennbarkeit am eigenen Klang, den Wow-Effekt der A-Saite und die späte Demut Charles Mingus gegenüber.

Ihr Album „Naked Bass I” ist vor ziemlich genau neunzehn Jahren erschienen. Wieso nach so langer Zeit ein Nachfolge-Album „Naked Bass II? Es war offenbar noch nicht alles gesagt…

Peter Herbert: Die Sologeschichten sind ein lebenslanger Work in Progress. Da kann man mal alle zehn, fünfzehn oder auch zwanzig Jahre ein Fazit ziehen. Das ist eine ständige, lebenslange Auseinandersetzung mit dem Instrument. Es wird hoffentlich in zehn Jahren noch einen „Naked Bass III“ geben. Ja, es ist ein Fazit ziehen, was die Klang- und Soundforschung am Soloinstrument angeht.

Im Idealfall führt die Entwicklung einer spezifischen Klangsprache dazu, dass man nach ein paar Takten erkennt: „Ah, das ist der Chet Baker.” Oder eben auch: „Ah, das ist der Peter Herbert!” Was hat sich in Ihrer Klangsprache in diesen neunzehn Jahren entwickelt? Lässt sich das in Worte fassen?

Peter Herbert: Viele Musiker:innen streben nach einem persönlichen Sound, einem Klang, den man unverwechselbar entwickelt. Das ist das beste Qualitätsmerkmal jeder Musiker und jedes Musikers. Wenn man tatsächlich nach zwei Takten sagen kann: „Das ist der Chet Baker.” Oder: „Das kann nur der Wayne Shorter sein.” Eine bessere Auszeichnung gibt es eigentlich nicht. Ich bemühe mich natürlich um meinen Sound, wobei das nicht der einzige Beweggrund ist, sich weiterzuentwickeln. Aber es ist ein schöner Nebeneffekt, wenn sich die Erkennbarkeit am eigenen Klang einstellt.

Wenn ich Ihre Art zu spielen beschreiben müsste, würde ich sagen – ich hoffe, Sie können damit leben – dass es eine unglaublich melodische Improvisation ist.

Peter Herbert: Ja, ich bin ein Melodiker. Das wird mir immer wieder bescheinigt. Ohne schöne Melodien – da bin ich vielleicht old fashioned – gibt es wenig Musik für mich. Und diese Melodik spiegelt sich in der Musik, die ich schreibe, wider. Die ist – egal ob Kammermusik oder Jazz – immer melodiös. Melodien sind ein ganz zentraler Punkt.

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Ist solch ein Solo-Album nicht auch eine schöne Gelegenheit, beide Welten, die des Instrumentalisten und die des zeitgenössischen Komponisten zusammenzuführen?

Peter Herbert: Das Komponieren ist Teil jeder Musikerin und jedes Musikers, denke ich. Auch Musiker:innen, die improvisieren, sind “real time composers”. Der Unterschied zur Komponistin bzw. zum Komponisten ist ja nur, dass ich die Noten zu Papier bringe. Improvisierende Musiker:innen komponieren und konzipieren genauso. Der Unterschied zu den klassischen Komponistinnen und Komponisten ist halt das Handwerk. Eine klassische Komponistin, ein klassischer Komponist kennt alle Instrumente und kann mit den jeweiligen Klangfarben umgehen. Das können improvisierende Musiker:innen nicht. Aber der Prozess des Erfindens ist im Prinzip gleich.

Der Titel „Naked” spielt auf das Alleinsein an. Das Album ist solo und unter Verzicht auf Elektronik eingespielt. Aber er impliziert natürlich auch eine Verletzlichkeit, die dann gegeben ist, wenn man – um es in der Sportlersprache auszudrücken – „dorthin geht, wo es wehtut.” Würden Sie zustimmen?

Peter Herbert: Ja. Ich habe den Titel ganz bewusst gewählt. Meine Verletzlichkeit wird immer extremer. Wir leben ja in der Zeit des Internets und der Vorspiegelung perfekter Lebensmodelle, der perfekten Looks. Da wird einem eine Welt vorgegaukelt, die es so gar nicht geben kann. Der menschliche Aspekt impliziert Verletzlichkeit. Auf dem neuen Naked Bass-Album habe ich auf jegliche Edits, auf Korrekturen verzichtet. Das ist 1:1 so, wie es passiert ist – und da könnte die Kontrabass-Mafia natürlich viele Fehler, Ungenauigkeiten und Unschärfen finden. Aber das nehme ich in Kauf. Mir ist der menschliche Aspekt beim Musikmachen wichtig und er wird mir immer wichtiger.

Apropos Menschlichkeit: Würden Sie gemeinsam mit einer KI improvisieren?

Peter Herbert: Als Inspiration: Ja. warum nicht?! Der KI fehlt halt die Empathiefähigkeit. Selbst die beste KI wird das in naher Zukunft nicht zusammenbringen, und das ist doch ein ganz wesentlicher Aspekt im Musikmachen mit einem anderen Menschen.

Gut zuhören zu können?

Peter Herbert: Nein, die KI kann wunderbar zuhören. Mit Empathie meine ich ein allumfassendes Reagieren auf Gehörtes. Da gehören Gefühle dazu, da gehört Intuition dazu. Feinstoffliche Beweggründe, etwas zu machen, die mit einer KI nicht nachzeichenbar sind. Empathie ist eine komplexe Geschichte. Zuhören kann sie wunderbar, aber was sie daraus macht, ist etwas anderes: Ein programmierter Ausschnitt aus einer komplexen Empathiefähigkeit.

Gibt es in der kompositorischen Beschäftigung mit sich selbst, wenn man also ganz auf sich zurückgeworfen ist, ich auch die Gefahr, in Richtung Sackgasse abzudriften?

Peter Herbert: Selbstverständlich gibt es die. Die Aufnahme-Sessions waren mindestens zehn verschiedene mit wahnsinnig viel Musikmaterial. Da waren genug Sackgassen dabei. Aber das, was jetzt auf dem Album ist, habe ich ganz gezielt ausgesucht. Das ist das, wovon ich das Gefühl habe, dass es Standpunkte oder kleine Eckpfeiler sind, die ich vertreten kann.

Bild Peter Herbert
Peter Herbert (c) Wolfgang Gonaus

In den Liner Notes zum Album erzählt Wolfgang Mörth die Geschichte, wie Sie zu Ihrem Instrument kamen, die ich sehr schön und ebenso spektakulär finde.

Peter Herbert: Und sie ist lang, wenn man alle Details erzählt. Aber es ist eine von vielen Geschichten, die sehr vielen Kontrabässen widerfahren ist. Die alten Instrumente, die erschwinglich sind, haben gerne hundert bis zweihundert Jahre auf dem Buckel, und wenn sie nicht ausnahmsweise in den Händen eines Besitzers waren, dann ist das Leben eines solchen Kontrabasses aufregend. Mein Instrument war in einem Verleih und hat die Jahrhundertwende in Wien erlebt, als die kleinen Tanz- und Unterhaltungsorchester keine eigenen Instrumente hatten und sich für Bälle und andere Anlässe die Instrumente ausborgten. Da kann man sich vorstellen, wie viele verschiedenen Hände diesen Kontrabass in der Hand gehabt haben. Wenn er erzählen könnte, wäre das sicher sehr spannend.

Und die Insekten klebten noch auf dem Griffbrett, wenn ich mich richtig erinnere?

Peter Herbert: Ich habe ihn letztlich einem Dixieland-Bassisten in Wien über eine Annonce abgekauft. Der Bass stand ohne Schutzhülle seit Jahren in der Parkgarage im Eck. Er hat damals voller Stolz erzählt, dass er sich einen neuen gekauft hat. Mit dem alten fuhr er ohne Hülle in einem kleinen Puch 500 mit Schiebedach zu seinen Konzerten, und er hat das Instrument aufrecht in das kleine Schinakl reingestellt. Der Bass hat also oben rausgeschaut, und wenn er nach Linz gefahren ist, musste er danach erst die Fliegen vom Griffbrett entfernen, bevor er den Bass spielen konnte.

Man sagt ja oft, dass nicht die Musikerin oder der Musiker das Instrument findet, sondern das Instrument die Musikerin und den Musiker. War das so, dass das Instrument Sie fand?

Peter Herbert: Wir haben einander gefunden, würde ich sagen. Der Kontrabass war damals in einem miserablen Zustand. Er war eigentlich unspielbar. Die Decke war an zwei Stellen verschoben und nur mit Holzkitt zusammengeklebt. Dann klebten Abziehbilder von diversen Bierfesten drauf. Ein unmöglicher Zustand, aber ich habe als ersten Ton die leere A-Seite gespielt. Die hat mich aus irgendeinem Grund total berührt. Ich habe gedacht: „Wow!” Alle anderen Saiten waren stumpf und es gab bei mir keine Resonanz. Aber die A-Seite, die hatte irgendwas. Ich habe mir am selben Tag auch noch einen anderen neuen, klassischen Kontrabass angeschaut, der ein Vermögen kostete. Der war natürlich unglaublich gut, und ich musste mich zwischen den beiden entscheiden. Am Ende des Abends bin ich wieder in die Tiefgarage und hab die tolle A-Seite mitgenommen.

Wie kriegt man den wieder hin? Ich nehme an, da muss ein wirklicher Fachmann ran, oder?

Peter Herbert: Ich habe damals in Graz studiert und bin am nächsten Tag voller Stolz mit meiner Neuerwerbung zum lokalen Geigenbauer in Graz gegangen und hab´ ihm den Bass gezeigt. Der hast ihn angeschaut und sofort gesagt: „Sofort verbrennen!” Der wollte sich das nicht antun. Dann habe ich ihn gebeten, dass er mir zumindest einen neuen Steg macht, damit ich spielen kann. Es war aber klar, dass er gut restauriert gehört. Über Umwege bin ich zu einem Amateur-Kontrabass-Bauer in Vorarlberg gekommen, ein Wiener Gastwirt, den es in die Nähe von Bregenz verschlagen hat. Mir wurde zugetragen, dass er Kontrabässe restauriert und als Amateur nicht allzu teuer ist, weil er das aus Passion macht. Der hat gemeint, er könne das schon machen und ich solle ihn in einem Jahr wieder anrufen. Ich war entsetzt. Ein Jahr? Ich brauchte ihn ja sofort. „Können Sie das nicht gleich machen?” „Nein”, beschied er mir. Nach einem Jahr habe ich angerufen, da meinte er: „Ja, ich bin dran, brauche aber noch einmal ein halbes Jahr.” Ich war verzweifelt, aber was sollte ich machen? Nach insgesamt eineinhalb Jahren hat er sich dann gemeldet. Der Bass sei fertig. Ich bin sofort nach Vorarlberg gefahren. Am Wochenende war sein Gasthaus zu, und er hat die Küchenplatten mit weißen Leintüchern abgedeckt. Das war seine Werkstatt. Ich kam also in diese Küche, in der mehrere Bässe herumlagen. Vorne ganz prominent ein dunkler. Ich habe meinen Bass nicht mehr wiedererkannt und gefragt: „Wo ist er?” Dann war es dieser wunderschöne dunkle, der da ganz vorne auf den Herdplatten thronte. Er hat ihn komplett zerlegt und wieder komplett zusammengebaut, mit einer speziellen Technik, Balsarholz-Streifen innen und mit Bienenkitt-Harz, mit alten, verschollenen Techniken also, die nicht unumstritten sind. Aber er hat ihn wieder hingekriegt. Diesen Bass spiele ich immer noch. Bei Bassisten gibt es ja zwei Typen: Die Sammler und die loyalen Ein-Kontrabass-Menschen. Ich gehöre zur letzteren Kategorie. Die Sammler kaufen und verkaufen ständig und haben in der Wohnung immer sechs, sieben Bässe herumstehen. Von denen kann man aber eh immer nur einen spielen. Und wenn sie dann aufhören zu spielen, wissen sie nicht, wohin damit. Ich habe zwei, aber dieser eine ist mein Herz-Kontrabass.

Eine schöne Geschichte. Mit welchem Bass haben Sie in der Zwischenzeit, als der Bass repariert wurde, gespielt?

Peter Herbert: In der Zwischenzeit hatte ich einen Leihbass von den Musikfreunden in Bregenz. Der war ganz passabel. Den hatte ich als permanente Leihgabe. Geübt habe ich an der Hochschule mit den dortigen Bässen, die sehr gut waren.

Bild Peter Herbert
Peter Herbert (c) Wolfgang Gonaus

In der Anbahnung dieses Interviews haben Sie mich wissen lassen, dass Sie kommende Woche in Paris sind. Was machen Sie dort?

Peter Herbert: Ich habe in Paris fünf Jahre lang gelebt, nachdem ich aus New York zurückkam, und habe dort immer noch eine kleine Wohnung mit einem Kontrabass. Paris ist so etwas wie meine Schreibstube geworden. Mahler hatte sein Komponierhäuschen, ich habe diese Wohnung mit Blick über die Dächer von Paris. Dorthin ziehe ich mich immer zum Schreiben zurück. Ich habe Mitte Oktober ein großes Projekt im Porgy& Bess (onQ ensemble directed by Tobias Vedovelli, ursprünglich geplant für den 15.Oktober, mittlerweile aber verschoben, neuer Termin tba). Paris ist ein konzentrierter, wunderbarer Ort für mich, und die Faszination, die diese Stadt auf mich ausübt, ist ungebrochen.

Und Sie haben immer noch eine enge Beziehung zu Vorarlberg, oder?

Peter Herbert: Ich habe viele Vorarlberger Freunde, die mich schon ein Leben lang begleiten. Meine Konzerte sind gute Anlässe, um dahin zurückzukehren.

Sie haben im Berklee College in Boston studiert. Was war das für eine Zeit?

Peter Herbert: Das war eine super Zeit. Überhaupt war meine progressive Vergrößerung – ich bin von Vorarlberg nach Graz, von Graz nach Wien, von Wien nach Boston und dann von Boston nach New York – eine gelungene. Berklee war insofern sehr gut, weil ich mich da in einer Generation sehr guter Studenten wiederfand. Abgesehen von Wolfgang Muthspiel waren auch noch Alex Deutsch und Gernot Wolfgang da. Wir waren das österreichische Quartett und haben auch im selben Gebäude gewohnt. In meiner Studentengeneration waren außerdem mittlerweile berühmte Leute wie Jim Black oder Chris Speed, Dave Dzubinski und Sam Newsome, Donny McCaslin und Billy Kilson – das waren um die zwanzig Cracks, die alle Vollgas gegeben haben, und ich war in diese Clique gut integriert und habe mit denen viel gejammt und gespielt. Insofern war das eine sehr befruchtende Zeit. Bald darauf habe ich mit dem türkischen Pianisten Aydin Esen zu spielen begonnen. Berklee war für mich, obwohl eine fragwürdige Institution, eine coole Sache.

Wieso fragwürdig?

Peter Herbert: Das ist eine musikalische Hühnerfarm für Rich Kids. Von den 4.000 Student:innen dort studieren vielleicht 200 ernsthaft. Der Rest sind Rich Kids, deren Eltern den ganzen Betrieb finanzieren. Fachlich ist es gut, aber man muss es sich abholen, und das tun nur die wenigsten. Ich war in der glücklichen Situation, in dieser tollen Community mitmachen zu dürfen. Für mich war es deshalb großartig. Aber eben nicht wegen Berklee, sondern wegen der Musiker:innen, der Szene und dem Spielen.

Eine Nummer auf dem Album ist Charles Mingus gewidmet. Inwiefern ist er wichtig für Sie?

Der war für mich als junger Musiker gar nicht wichtig, weil er mir nicht virtuos genug war. Da gab es andere wie Eddie Gomez, Miroslav Vitouš oder Gary Peacock, die alle Weltmeister im virtuosen Solieren waren. Mingus habe ich damals nicht als bassistisch kompetent wahrgenommen. Dass er musikalisch, politisch und überhaupt als Typ eine Institution ist, habe ich als junger Student übersehen. Um das zu erkennen, habe ich länger gebraucht. Jetzt weiß ich, wie wichtig er auch im historischen Kontext, in der Entwicklung der ganzen Musik war. Jetzt kann ich in aller Demut meinen Hut ziehen und mich vor ihm verbeugen. 

Eine intensive und lange musikalische Beziehung pflegen Sie auch mit Karl Ratzer.

Peter Herbert: Ja, so lange aber ist das noch nicht. Wir spielen seit etwa zwölf Jahren miteinander. Ich war ja die längste Zeit in den USA und nicht in der österreichischen Szene. Und er war genau zehn Jahre vor mir in New York. Dort sind wir uns auch nicht über den Weg gelaufen, hatten in den aktuellen Live-Szenen also keine Berührungspunkte. Aber nachdem ich nach Wien zurückgekommen war, hat es nicht lange gedauert, bis wir uns über den Weg gelaufen sind. Ich kann mich noch an den ersten Gig erinnern, den ich mit ihm gespielt habe. Uli Soyka hat eine Band mit Andy Middleton, Uli Rennert, Karl Ratzer und mir zusammengestellt. Ich habe mich sehr auf ihn gefreut. Als wir zu spielen angefangen haben und ich beim ersten Tune während eines Gitarrensolo eine re-harmonisierte Basslinie spiele, dreht er sich um zu mir und fragt: „Heast Peda, wo woarst’n du de gonzn Joahr?” Seitdem spielen wir gemeinsam.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

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Unit Records