Rückblick auf die Veranstaltung „Wer gibt den Ton an? Wien und seine Musiker:innen. Förderungen – Vereinbarkeit – Role Models“ am Dienstag, 17. Jänner 2023 im Wiener Rathaus.
Dienstag, Punkt Sechszehnuhr, Wappensaal des Rathauses: An einem Dutzend Tische ist eine raue Menge von FLINTA*-Personen zu sehen, einige sitzen bereits und warten, andere begrüßen sich eifrig. Dazwischen tummeln sich auch ein paar Männer, doch die Unterzahl ist bezeichnend. Im Hintergrund leuchtet die PowerPoint: „Wer gibt den Ton an? – Wien und seine Musiker:innen“. Wenn man die sechseinhalb Stunden dauernde Veranstaltung durchgesessen hat und gegen Zweiundzwanziguhrdreißig das Rathaus wieder verlässt, fragt man sich, warum hier im Titel Männer mitgemeint werden. Schlussendlich wurde das Podium einmal ausschließlich von Frauen* besetzt. Wie kann das immer noch so eine Ausnahme sein? Falls man den neuesten Aussagen eines österreichischen Dirigenten Glauben schenken will, sei die Frage nach der eklatanten Ungleichbehandlung in der Musikbranche ja „eine künstlerische und keine politische Frage“. Sabine Reiter, Geschäftsführerin von mica – music austria, kommentiert Argumente wie diese als diskriminierende Aussagen. Denn, wer glaubt, dass man Notwendigkeiten wie die einer Frauenquote mit Erklärungen über Qualitätssicherung abwehren könnte, hat nicht nur systemische Benachteiligung nicht verstanden, sondern ist obendrauf auch unverhohlen diffamierend gegenüber Frauen*. Genau aus diesem Grund sitzen alle an diesem 17. Jänner bei der von den Grünen Wien unter Ursula Berner organisierten und von Karin Steger moderierten Veranstaltung im Rathaus: Weil zahlreiche Frauen* wütend sind. Und das nicht erst seit dem Neujahreskonzert.
„BIN ICH DEINE FRAUENQUOTE?“
Der in drei Panels aufgeteilte Nachmittag gibt mehr Input als man mitschreiben kann. Doch das Publikum bleibt geduldig und auffallend solidarisch. Die gegenseitige machistische Selbstbeweihräucherung, die man von anderen Panel-Diskussionen kennt, bleibt aus. Sabine Reiter von mica – music austria, Eva-Maria Bauer vom Österreichischen Musikrat, „Königin der Macht“ Myassa Kraitt und BMKÖS-Vertreterin Eva Kohout besprechen den Themenkreis der Förderungen mit ungetrübter Ehrlichkeit. Das Resümee bleibt dennoch ernüchternd. Musikjournalistin Irene Suchy meint es in ihrer einleitenden Keynote: Die Musikbranche hinkt den anderen Kunstsparten in strukturellen Maßnahmen hinterher. Denn wie kann es sein, dass es gerade Frauen* sind, die in diversen historischen Epochen als erste mit den bestehenden Traditionen brechen und trotzdem in den Aufzeichnungen immer wieder verschwinden? Es liegt bestimmt nicht an Willen oder Qualität. Nein, es lässt sich auf Institutionen zurückführen, die Frauen* bis heute durch männliches Lobbying und finanzielle Ungleichbehandlung schlicht immer wieder unsichtbar machen. Dass Fördersysteme hier mit einer Frauenquote und strukturellen Veränderungen „hart“ durchgreifen müssen, scheint unvermeidlich. Die positive Diskriminierung und das Gefühl, nur aufgrund seines Frauseins gebucht zu werden, wie Musikerinnen Jelena Popržan und Tahereh Nourani im anschließenden Talk beschreiben, ist aber auch kein angenehmes Gefühl. Speziell, weil erst dann auffällig wird, was für ein Rattenschwanz an Frauenhass hier mit sich gezogen und welcher „Gender-Data-Gap“ deutlich erkennbar wird, was das Wissen über Musikerinnen* betrifft. Der Appell ist laut, aber deutlich: Es ist jetzt keine Zeit, sich von gesellschaftlichen „-ismen“ ablenken zu lassen – Frauen* müssen mehr und öfter fordern und gefördert werden.
„ES IST EIN POLITISCHER AKT, SICH SELBST TREU ZU BLEIBEN.“
Nach einem Überblick mit informatigen Zahlen im ersten Panel, wird es im nächsten Beitragskapitel persönlich: Musikerinnen Violetta Parisini und Teresa Rotschopf, Sonja Leipold von der IGNM (Internationale Gesellschaft für Neue Musik), Sängerin Basma Jabr und Filmproduzentin Sandra Bohle reden über Vereinbarkeit. Der Tenor ist eindeutig: Man kann als aufstrebende Künstlerin so feministisch und rebellisch sein, wie man will – „Erst mit einem Kind, erfahren wir, was es auch heißt, Frau zu sein“, so Parisini. Die fünf Frauen, die sich bei diesem Panel auch als Mütter, aber genauso als Musikerinnen auf die Bühne stellen, besprechen Fragen, die sich Männer schichtweg nicht stellen müssen. Selbst in den aufgeklärtesten heterosexuellen Beziehungen ist es nämlich immer noch die Frau, die ihre Wichtigkeit durch das Reduzieren oder Aufgeben ihres Berufs untergräbt und gleichzeitig „am Abstellgleis der Überforderung vereinsamt“, wie Teresa Rotschopf es treffend formuliert. Ja, der Spagat zwischen unbezahlter Care-Arbeit und einer Karriere-Unterminierung wird immer noch zu einem überproportionalen Teil von Frauen gemacht. Und Sandra Bohle, die seit über zehn Jahren die Frauenplattform FC Gloria leitet, berichtet aus der Filmbranche, wie stark der Gegenwind ist, wenn man plötzlich zu fordern beginnt. Gleichzeitig gibt sie gerade im Kontext der noch stärker männlich dominierten Filmsparte doch auch Hoffnung: Seit einem Jahr gibt es eine Quote im Filmfördersystem und das allein durch die gute Vernetzung von Frauen und deren gemeinsamer Vehemenz.
„ICH VERHANDLE SEHR GERNE“
Genau wie Bohles Arbeit als Wegweiser für die Musikbranche als Ganzes dienen kann, so fragt man sich im dritten Panel, wo denn überhaupt die Rolemodels geblieben sind und wie man sich denn ermächtigen kann, wenn man kein Vorbild hat? Dabei macht Dirigentin Verena Giesinger hier gleich einen crescendo-Einstieg in die Diskussion: „Ich bin Dirigentin und ich muss das jetzt nicht so machen wie Männer in den letzten dreitausend Jahren“. Das kürzlich geäußerte Argument des Vorstandes eines namhaften Orchesters, dass sie eine Dirigentin haben würden, wenn die Zeit kommt, kontert Giesinger hier also allein durch ihr schieres Dasein. Sängerin und Performerin Scharmien Zandi greift sogleich das Wort auf: „Autoritätsprobleme sind sehr wichtig für Künstlerinnen“. Immerhin bringen sie einen dazu, in Kampfhaltung zu gehen, wenn eben niemand da ist, der:die einem bequem den Weg ebnet: „Ich verhandle sehr gerne“, so Zandi. Anders scheint es auch oft nicht möglich zu sein. Denn es stimmt: Rolemodels sind rar, doch es ist jetzt an der Zeit sie zu schaffen. Um so dankbarer ist man über den Beitrag von Musiker* Pete Prison IV, der* in seinen Anfängen schlichtweg kein Vorbild in der österreichischen Musikbranche fand: „Es sind viel zu wenige asiatische oder PoC-Künstler:innen auf den österreichischen Bühnen“, weswegen Pete nun auch durch den Verein Perille seit Herbst 2020 an der Sichtbarmachung und Förderung der asiatischen Diaspora in Österreich arbeitet.
„I’M IN LOVE WITH MY FUTURE“
Es ist selten, dass ein Abend, der so lange dauert, bis zuletzt den Raum füllt. Doch man hat den Eindruck, die Rufe nach einer Wiederholung derartiger Treffen werden mit späterer Stunde sukzessive lauter. Wieder einmal wird ersichtlich, inwiefern Vernetzung die größte Chance für Frauen ist, um tatsächlich strukturell etwas zu verändern: Das Kollektiv muss gegen das Einzelkämpfer:innentum erneut seine Geschütze auffahren. Und wenn dann zum Abschluss Lena Fankhauser und Hannah Amann noch ihre Streichinstrumente zu Techno-Beats verführen, Jelena Popržan ihre Bratsche zerlegt und einen der Schmusechor unter Verena Giesinger gleichzeitig mit einem Billie-Eilish-Cover die Tränen in die Augen treibt, dann hat dieses Kollektiv schon einen gewaltigen Schritt in die richtige Richtung gemacht.
Ania Gleich
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