„Der Chor als Kippfigur zwischen dem Zuschauerkörper und den Akteurinnen und Akteuren […]“ – GÜNTHER AUER und CLAUDIA BOSSE (THEATERCOMBINAT) im mica-Interview

Der Soundkünstler GÜNTHER AUER liebt das Zwielicht, das „Live Spacing“ in echten Räumen, das Verschieben von Wahrnehmungsgrenzen mit den Materialien Raum, Schwingungskörper und Inhalt. Seit über zehn Jahren komponiert er Sound-Settings für CLAUDIA BOSSE, die künstlerische Leiterin des THEATERCOMBINAT und begleitet so die Umsetzungen installativer, begehbarer Raumchoreografien und theatraler Konzepte für ungewöhnliche Orte. Michael Franz Woels traf die beiden vor den Proben zum aktuellen Stück „THYESTES BRÜDER! KAPITAL“, welches nach der Uraufführung in Düsseldorf Anfang Oktober auch in Wien im Kempelenpark, einem der größten Zwischennutzungsareale der Stadt, gezeigt wird.

Zur Einstimmung auf das Gespräch hier noch vorangestellt ein Zitat von CLAUDIA BOSSE:

„Theater ist totale Gegenwart, konkrete Verstörung und waches Miteinander in permanenter Instabilität und Verunsicherung, aber um in dieser entscheidenden Vagheit einen Platz und eine öffentliche Haltung einzunehmen.“

Claudia, du hast 2014 in einem Text über disembodied voice die menschliche Stimme so definiert: „Die Stimme ist die intimste Äußerung des Körpers. Sie ist die Verbindung des inneren Körperraums zum gesellschaftlichen Umraum.“ Kannst du das erläutern?

Claudia Bosse: Die Stimme ist die intimste Äußerung, weil die gesamten muskulären Spannungsverhältnisse des Körpers sich im Stimmbild mit abbilden. Beim Sprechen ist der Körper der Resonanzkörper, von dem aus Laute in einen Außenraum dringen und diesen in Schwingung versetzen. Der Stimmraum interessiert mich extrem: diese Öffnungen, Schließungen und Verbindungen des Körpers – vom Kopf über dieses merkwürdige Ventil des Halses mit der Trennung Luft- und Speiseröhre bis hin zum Torso. Der Knochenaufbau, die verschiedenen Schleimhäute und Muskulaturen, all diese Komponenten bilden einen sehr spezifischen Stimmraum, der die Verfasstheit des Körpers abbildet und diesen auch immer wieder uminformiert.

„Die Atemstruktur ist der Verlauf, die Wirbelsäule, die Achse eines Sprechens […]“

THYESTES BRÜDER! KAPITAL © claudia bosse

Möchtest du mit deinem Sprechpartitur-Konzept des „phonetischen Denkens“ vor allem beim Publikum die emphatische Wahrnehmung von Stimmen sensibilisieren oder damit bei den Darstellerinnen und Darstellern, die du gerne als „Akteurinnen und Akteure“ bezeichnest, psychophysische Prozesse in Gang bringen? Und könntest du den Begriff des „phonetischen Denkens“ näher erläutern?

Claudia Bosse: Die Luft, die ich einsauge und durch die Stimmbänder und die Mundmuskulatur geformt wieder austreten lasse, ist in permanentem Austausch mit dem Außenraum. Wie kann die Stimme im Sinne eines Ausrichtens, eines adressierten Sprechens den Körper der Hörerinnen und Hörer konkret berühren? Wie erzeuge ich Sprache, die nicht nur allgemein veräußert wird, sondern sich als Bewegung durch den Raum auf andere Körper bezieht und insofern auch immer eine Aushandlung darstellt? Ich nenne das „Verortung“, das bewusste körperliche Wahrnehmen am Platz der Sprecherin bzw. des Sprechers, das mit der Sprache die Distanz und zugleich auch den Raum zum Körper mitvermisst und in ein Verhältnis bringt.

In der Auseinandersetzung mit antiken Texten habe ich eine Methode entwickelt, um Stimme und Sprache zu verknüpfen. Diese Texte empfinde ich als extrem konzentrierte Sinnkompositionen, die immer zurück- und vorausweisen und zugleich in der Chronologie eines Satzes konstruiert sind. Es ist nicht nur das zu Bezeichnende wesentlich, sondern auch immer die Klanglichkeit im Bezeichnen, das Verhältnis einer Bezeichnung zu dem klanglichen Aspekt dieses Wortes. Das phonetische Denken ist ein Zugang, der sich an bestimmten Texten geschult hat. Das phonetische Denken ist der Versuch, die Aufeinanderfolge und Kollision von unterschiedlichen Gegenwarten, die in jedem Wort erst einmal hervorgerufen werden müssen, nicht der Hierarchie einer Satzmelodie unterzuordnen, die häufig die Inhalte und die Elemente dieser Komposition verflacht. Die phonetischen Bestandteile, die klanglichen Bestandteile dieser Sinnbildung werden gedacht und aktiviert. Bei Komposita, bei zusammengesetzten Wörtern, setze ich es nicht als eine Wortwurst zusammen, sondern hebe die Bestandteile heraus. Da habe ich verschiedene Zugriffe und könnte stundenlang und sehr detailliert darüber reden.

Wir sind eine Schriftkultur und lesen von links nach rechts und haben Buchstaben hintereinander linear auf Papier geordnet. Um in einen Sprechvorgang zu geraten, arbeite ich so, dass ich zunächst die Atemstruktur untersuche, die in gut gebauten metrischen Texten die Interpunktion darstellt. Die Atemstruktur ist der Verlauf, die Wirbelsäule, die Achse eines Sprechens, auf der dann Wörter in Silben zerteilt und diese Silben verräumlicht auf den Weg geschickt werden – über die Luft- und Verbindungsachse zwischen dem Körper, der spricht, und dem Körper, der adressiert wird.

„Für mich ist die poetische Ebene des Raumes ausschlaggebend.”

Günther, welche Bedeutungen haben Stimmen für dich beim Sound-Setting für ortsspezifische Theaterproduktionen? Du arbeitest nun schon seit mittlerweile zehn Jahren mit Claudia Bosse und theatercombinat. Wie näherst du dich bei deinen Kompositionen und Live-Electronics den räumlichen Gegebenheiten, den doch sehr unterschiedlichen Klangräumen? Welche Methoden oder Strategien hast du dabei entwickelt?

Günther Auer: Eigentlich arbeite ich immer mit einem aus Einzelstimmen bestehenden Lautsprecher-Ensemble. Für mich ist es immer höchst interessant, an einen potenziellen Aufführungsort zu gelangen und das erste Mal die Akustik dieses Raumes ganz allein erfahren zu können. Der Optimalfall einer Annäherung ist einfach ein Hineingehen, und ein Dem-Raum-Zuhören: das Wahrnehmen seiner akustischen Ecken und Enden, der akustischen Verwerfungen, der Überschneidungen mit dem Innen und Außen. Eigentlich ein Sich-Hingeben an das, was akustisch in einem Raum passiert und als „Stimmen“ in unterschiedlichen Lagen schon vorhanden ist. Ich bin einfach nur still und höre den Außengeräuschen zu, wie sie nach innen dringen und wie sie den Raum formen. Ich nehme zum Beispiel Wasserleitungen, die dahinglucksen, oder eine entfernte Baustelle wahr, und bekomme so Auskunft über die akustischen Verhältnisse eines Raumes.

Günther Auer (c) Michael Woels

Es gibt auch Spezialistinnen und Spezialisten, die sich mit geschlossenen Augen durch Stadtlandschaften bewegen und sich allein an den Reflexionen der Sounds orientieren können. Aber davon bin ich weit entfernt. Für mich ist die poetische Ebene des Raumes ausschlaggebend. Wie gehe ich um mit dem akustischen Material, das ich mitbringe und in den Raum einbringe? Die totale akustische Zerstörung eines Raumes ist für mich uninteressant. Ein ganzer Industriezweig ist da dahinter, um „Räume zu eliminieren“. Musikproduktionen sind meist so konzipiert, dass sie auf jedem Lautsprecher, an jedem Ort der Welt, vom Badezimmer, Wohnzimmer bis zum Auto immer gleich gut klingen. Der Raum spielt da keine Rolle. Bei mir spielt der Raum aber eine enorme Rolle. Gespräche und Vorarbeiten von Claudia und mir laden uns mit Grundwissen auf. Dann gilt es herauszufinden, welches Material sich zu Auslotungen mit unterschiedlichsten Stimmen anbietet – manchmal finden bis zu 50 Lautsprecher Anwendung, in den seltensten Fällen ist es nur ein Lautsprecher.

Es gibt akustische Vorstellungen von Claudia. Ich versuche dann, die vorhandene Klangarchitektur zu verwenden und eine akustische Basis für unsere weitere Arbeit auf dem Weg zur Kohärenz zu schaffen. Ein wiederkehrendes Thema ist die Dislokation der Stimmen der Akteurinnen und Akteure. Jemand spricht, aber der Ort des Sprechens ist durch analoge Lautsprechertechnologien versetzt. Damit wird der Raum durchmessen. Distanz oder Nähe als ein unmittelbares Trägermaterial für die Verlautbarung in diesem Raum: Das ist erstens das Gesprochene der Akteurinnen und Akteure, zweitens die Bewegung der Akteurinnen und Akteure im Raum und drittens der Sound, der mir dann dazu in den Sinn kommt.

Günther, was waren die größten Herausforderungen bei der Komposition zu dem Singspiel, der musikalischen Versuchsanordnung „POEMS of the DAILY MADNESS“, das ihr 2017 in der Wiener Nordbahn-Halle aufgeführt habt?

Günther Auer: Ich würde Sound, auch von der Stimme kommend, so wie der Philosoph Michel Serres beschrieben: Aus dem Fleisch, aus etwas Sprachlosem wird etwas in Klang übersetzt und versetzt. Ein aus dem Fleisch Kommendes, nach außen Gerichtetes wird zu Sprache oder etwas Verständlichem. Bei der Oper „POEMS of the DAILY MADNESS“ war es anders. Ich habe von außen einen Text bekommen, der dann von mir verdaut und als Musik wiedergegeben wurde. Das war am Anfang relativ irritierend, weil ich jedes einzelne Detail eines Wortes, eines Wortgefüges oder Satzes musikalisch verstehen musste. Und die ersten Versuche waren dann auch relativ überraschend. Einerseits entstanden gängige Melodien, aber in einer wirren Rhythmusabfolge wie 5/4-Takt, 4/4-Takt, 3/8-Takt – alle möglichen Verläufe gab es da. Beim Komponieren habe ich ein Naheverhältnis zu Hanns Eisler gespürt. Ich habe mir dann die Stücke von Hanns Eisler, die zusammen mit Berthold Brecht entstanden sind, einmal unter dieser Prämisse angehört und verstanden: Hanns Eisler hat jedes Wort von Brecht so wichtig genommen, weil Brecht etwas anderes einfach nicht zugelassen hätte.

Die zweite Herausforderung war das Setting in der Nordbahn-Halle. Es gab vier Sängerinnen und Sänger, die am Anfang an speziellen Plätzen verortet waren und sich nicht darüber hinaus bewegt haben; dann im zweiten Teil des Stückes freier im Raum bewegten. Gleichzeitig hielt sich das Publikum zwischen den Sängerinnen und Sängern, die begleitet werden mussten, auf. Am Ende habe ich das so gelöst, dass ich mit 20 Lautsprechern am Boden, vier Lautsprechern an den Wänden und vier Lautsprechern an der Decke gearbeitet habe und so versuchte, die unverstärkten Sängerinnen und Sänger zu begleiten. Das war in der Nordbahn-Halle schwer, in der Wiederaufnahme in Bochum im Rahmen des Theaterfestivals Favoriten in der Maschinenhalle Friedlicher Nachbar war die Akustik dann großartig.

„Der Chor als ein elementarer Moment, eine Kippfigur zwischen dem Zuschauerkörper und den vier Akteurinnen und Akteuren”

Claudia Bosse: Ich hatte längere Zeit nicht, fast zehn Jahre nicht mehr, so präzise mit Sprache gearbeitet, Sprache zwar benutzt, aber nicht wie jetzt gerade wieder bei den Proben zu „THYESTES BRÜDER! KAPITAL“. Ich wollte im Grunde so eine Art Fremdwiderstand durch Notation haben, wo ich wiederum im Zugriff auf die Sprache und damit im Zugriff auf die Körper eine Art von Widerständigkeit habe. In den Jahren davor war ich daran gewöhnt, eine Fragestellung und ein theoretisches Ausgangsmaterial zu haben und aus dem Prozess mit den Akteurinnen und Akteuren die „Skulptur des Stückes“ aus verschiedenen Ebenen herauszubilden. Die Sounds kommen später von Günther dazu, es entscheidet sich im Tun.

An der Konstruktion, an der Dramaturgie des Textes zu „POEMS of the DAILY MADNESS“ habe ich länger gebastelt, denn ich war gezwungen, einen Text zu schreiben, in den ich nachträglich nicht mehr eingreifen konnte. Für mich eine schizophrene Situation: Du fabrizierst selbst einen Text, gibst ihn aus den Händen und später soll er dann wieder ein Widerstand für dich werden. Eine interessante Art von Umkehrung. Wie weit ich dann in die notierten Lieder wieder eingreifen konnte, habe ich komischerweise erst bei der Wiederaufnahme begriffen. Ich wollte von Anfang an einen Chor wie in Bochum, aber aufgrund des komplexen Entstehungsprozesses war das in Wien erst nicht möglich. Der Chor als ein elementarer Moment, eine Kippfigur zwischen dem Zuschauerkörper und den vier Akteurinnen und Akteuren, die als Allegorien gewisse politische oder, sagen wir, auch zeitgenössische Phänomene um sich versammelt haben. Für mich fand dann in Bochum die eigentliche Uraufführung statt, in Wien in der Nordbahn-Halle war das eine Annäherung.

Individuelle und kollektive Sprechakte, der wiederkehrende Einsatz eines Chors als politisch-ästhetische Praxis sind in euren Arbeiten mit internationalen, transdisziplinären künstlerischen Teams zentral. Die stark rhythmisch kodifizierte Textstruktur von Tragödien wird unter anderem durch das Prinzip der Rede und Gegenrede mit dem Chor deutlich. In welcher Form wird der Chor bei „THYESTES BRÜDER! KAPITAL“ in Erscheinung treten? Claudia, du unterscheidest ja bei Chören, die du als Aushandlungen eines hybriden Gesamtkörpers verstehst, zwischen Sprechchören, Bewegungschören, medialen Chören, Instant-Chören und Chören von Anwesenden.

Claudia Bosse: Bei „THESTES BRÜDER! KAPITAL“ versuche ich einerseits, eine Körperlichkeit entlang der Sprechpartitur, die ich gemacht habe, herauszufinden. Dann versuche ich andererseits, die Gedanklichkeit und auch die Sprechbarkeit zu erfassen. Wie öffnen oder regulieren sich die Körper, wo ist das Zentrum, wie ist die Komplizenschaft im Raum – auch als choreografisches Gefüge. Wann richtet sie sich nach innen, wann richtet sie sich an eine bestimmte Person, wann richtet sie sich an ein Äußeres? Meine Hoffnung ist jetzt, dass im Verlauf des Stückes der Chor der Anwesenden, das heißt die Zuschauerinnen und Zuschauer, aus seiner passiven Konsumhaltung eines unkörperlichen Aufnehmens in eine körperliche Bewusstheit kommt. Also dass die Zuschauerinnen und Zuschauer ihren Körper in ein Verhältnis zu den Darstellerinnen und Darstellern, den Akteurinnen und Akteuren, aber auch in ein Verhältnis zu all den anderen Anwesenden bringen. Diese Verschiedenheit von Körpern kann ein Gewahr-Werden körperlicher Gegenwarten produzieren.

Der Tragödien-Text von Seneca verhandelt das Verhältnis von Geschichte und Verantwortlichkeit, indem er ein System aufzeichnet, welches aufgrund eines Übertritts zusammenbricht. Die totale (Klima-)Katastrophe, ein „Environmental Desaster“, wird durch immer wieder reproduzierte Schuld ausgelöst. Zugleich eine Metapher dafür, wie sich die Gegenwart die Zukunft einverleibt und diese verdaut, und zwar in der Weise, wie Thyestes unwissend und gierig seine Kinder verschlingt. Es geht um Macht, es geht um politische Souveränität. In einer zweifelhaften, aber angenommenen geteilten Herrschaft mit seinem Bruder wird Thyestes, der als rechtloser Asylant, als Homo sacer, von einem Souverän, seinem Bruder Atreus, gelockt und letztendlich dazu gebracht, seine Kinder durch einen inszenierten Kannibalismus bei einem Mahl zu verzehren. Ich möchte die Szene, in der die Tötung beschrieben wird, die fein säuberliche, rituelle Zerlegung und Zubereitung als Essen mit dem Chor des Jungen Volkstheaters aufführen.

THYESTES BRÜDER! KAPITAL (c) Elsa Okazaki

So kommt es zu Verschränkungen der verschiedenen Chöre, dem Chor der fünf Akteurinnen und Akteure, dem Chor der Anwesenden als lose Gemeinschaft des Zuschauerkörpers und dem Jugendchor. Ein Chor ist ein Spielraum von abhängigen Verfügungen. Die Handlung der bzw. des Einzelnen ergibt eine Wirkung und eine Konsequenz in der Vereinbarung dieses Gefüges. So begreife ich vielleicht auch generell Theatermachen. Alle Bereiche sind ein zutiefst fragiles, abhängiges Gefüge, die im hohen Bewusstsein des Zusammenspiels ihrer Positionen einen temporär geregelten und möglichen utopischen Raum erproben. Jede Handlung hat eine Konsequenz für alle – in unserer Gesellschaft wird das manchmal vergessen oder es wird einem vergessen gemacht.

„Sie bilden ein politisch-soziales Gefüge ab, das sich über den Atem verbindet.“

Du hast die ursprünglich in Tragödienaufführungen verwendete Gesichts- und Sprachmaske, die Persona, mit einem Sprechrohr einmal als womöglich erste Form des Laut-Sprechers bezeichnet. Verwendest du bei deiner neuen Inszenierung „THYESTES BRÜDER! KAPITAL“, die  auf der römischen Tragödie „Thyestes“ von Seneca basiert, auch Masken?

Claudia Bosse: Das Theater für das Bürgertum des 19. Jahrhunderts war stark durch die Psychoanalyse und die Einführung und Zuspitzung eines auf eine bestimmte Weise empfindsamen Subjektes charakterisiert. Über die Form der Psychologisierung der Darstellerinnen und Darsteller wurden Tragödiendarstellungen auf eine Weise simplifiziert, die ich nicht so interessant finde. Natürlich greift jede Zeit unterschiedlich auf einen Text zu. Daraus entsteht ein Widerspiel, das Zusammentreffen des Textes mit der Gegenwart. Ich finde es wichtig zu verstehen, dass es in der griechischen Tragödie nicht um die Identifikation mit einer Figur ging, sondern dass Darsteller verschiedene Figuren (ein Schauspieler zum Beispiel eine Königin und auch einen Mann mit einem ganz anderen Status) gesprochen haben. Was bedeutet das? Nicht die Einfühlung mit einer Figur war ein Kriterium, sondern die Behandlung der Sprache, die Tonalität und die Ausdrucksform der Sprache haben die Sprechfigur konstituiert. Die Persona verdeckt zur Verstärkung der Stimme das Gesicht oder den Einzelnen, zur besseren Darlegung des Stimmkörpers, der quasi nicht durch den Ausdruck des Gesichtes verstellt wird.

In der Arbeit „THYESTES BRÜDER! KAPITAL“ wechseln jetzt nicht die Personen die Figuren. Das kann sich zwar noch ändern, aber im Moment ist es so, dass ich fünf Darstellerinnen und Darsteller, fünf Akteurinnen und Akteure, habe, die rein geografisch, aber auch, was ihre Disziplinen Performance, Tanz und Schauspiel betrifft, sehr unterschiedlicher Herkunft sind. Ich habe ganz unterschiedliches Wissen, ich habe ein bestimmtes Altersspektrum. Welches körperliche Material, welche Physis konstituieren die Figur und welche Sprechweise, welcher Umgang mit Sprache? Die Darstellerinnen und Darsteller sind sowohl Teil des Chores als auch Einzelfiguren. Das ist zwar nicht so ein originelles Prinzip, aber ich finde es ganz wesentlich im Sinne eines Überganges. Sie sind nicht ausschließlich Einzelfiguren, sondern geraten in ein total abhängiges Gefüge eines Chores, welches sich durch ein bestimmtes Verhältnis vom Körper der Sprecherin bzw. des Sprechers mit sich und der extremen Abhängigkeit von den anderen auszeichnet. Sie bilden ein politisch-soziales Gefüge ab, das sich über den Atem verbindet.
Dieser Atem-Korpus synchronisiert sich in einer Bewegung, die sich in der Sprache äußert und auch in die Figur übergeht. In dieser Arbeit sind die Körper – ihre Erfahrungen, die eingeschrieben sind in ihre Muskulatur und ihre Haut und ihre Statur – entblößt. Sie stellen sich zunächst als Körper zur Verfügung, bieten diesen an und bearbeiten dann den Übergang von ihrem Körper, dem sie jenseits des Alltagsraums begegnen, zum gemeinsam gebildeten Chorkörper. Es gibt ständige Transformationen, aus dem Chorkörper heraus und in die Sprache der Figur hinein und wieder zurück. Dadurch entstehen verschiedene Bewegungen, die sehr viel mit dem Konzept der Persona zu tun haben, dem Verhältnis von Körper, Handlung und Figur. Verschiedene Körperlichkeiten und verschiedene Sprachlichkeiten können von einem Körper entwickelt und ergriffen werden. Es gibt keine fixe Zuordenbarkeit. Das finde ich auch gesellschaftlich interessant. Die Körper sind räumliche Versammlungen inmitten der Zuschauerinnen und Zuschauer in dem theatralen Geschehen einer Gesamtraum-Choreografie. Es gibt eine gemeinsam geteilte Zeit und einen gemeinsam geteilten Raum.

Probenfoto THYESTES BRÜDER! KAPITAL (c) Claudia Bosse

Günther, an welchen Musikprojekten abseits der Projekte mit Claudia Bosse und dem theatercombinat arbeitest du gerade? Das Thema „Live Spacing“ beschäftigt dich ja schon länger. Spannend fand ich auch Statements auf deiner Website, wie zum Beispiel: „Musik, von jedem verwend- und missbrauchbar“.

Günther Auer: Das Nachdenken über nicht lineare musikalische Abläufe – über Klangobjekte, die im Raum stehen, ohne sich (musikalisch) zu bewegen – beschäftigt mich. Sie durchbrechen diesen Mechanismus der Erwartungshaltung. Denn so ist abendländische Musik seit 2.000 Jahren aufgebaut: Man wartet nur darauf, dass Dissonanzen aufgelöst werden. Bei Beethoven zum Beispiel kann sich das eben oft wahnsinnig in die Länge ziehen. Das Spiel mit diesen Bedürfnissen, ihnen etwas entgegenzusetzen, das hat für mich immer zu tun mit statischen Teilen, die in sich aber unglaublich dynamisch sein können. Ein Beispiel dafür ist das Noise-Projekt Merzbow von Masami Akita mit Noise-Spektren, in denen man sich verlieren kann.

„Live Spacing“ ist für mich wie das Spielen auf einem Instrument – es ist ein Musizieren mit anderen im Moment. Wenn man den Raum nicht nur als Klangkörper sieht, sondern auch als Instrument, dann kann man mit den akustischen Raumeigenschaften gut improvisieren. Ich kann ihn wahrnehmungstechnisch, ohne ein analoges Instrument zu spielen, verkleinern und vergrößern. Ich kann ihn bewegen, ihn in eine absurde Geschwindigkeit versetzen, landen lassen, hochheben etc.  Ein Versuch, der jetzt schon wieder ein halbes Jahr zurückliegt: Jemand spielt auf einem Eurorack-ähnlichen Synthesizer-Instrument, bei dem nur ein Monosound herauskommt. Ich habe dieses Monosignal dann verwendet, um Räume in einer Live-Atmosphäre zu gestalten. Das ist für mich ein nächster Schritt des „Live Spacing“. Das „Live Spacing“ mit anderen in einem Ensemble als Musiker, und nicht nur als Verräumlicher.

„Meine Noise-Gigs, die außerhalb jeder kapitalisierten Ebene und dort stattfinden, wo ich gerade Lust darauf habe, machen mir am meisten Spaß.“

Du arbeitest ja unter unterschiedlichen Namen, man findet dich auch als gynthr und als GTT. Wie kam es dazu?

Günther Auer: Ich habe bis in die 2000er-Jahre mit meinem musikalischen Freund Andreas Rodler als Sha. & GTT gearbeitet. Dabei sind einige größere Projekte entstanden, wir haben mit André Heller zusammengearbeitet und auch einen Katalog herausgebracht. Irgendwann wollte ich diese drei Buchstaben loswerden und durch einen Schreibfehler ist ein gynther entstanden. GTT ist tatsächlich Vergangenheit, aber die anderen Namen helfen mir immer ein bisschen bei der Zuordnung, wo ich gerade bin und was ich manifestiere. Das mag jetzt komisch klingen, aber ich bin ja überzeugt, dass wir nicht nur eine Person sind, sondern sehr viele. Gerade auf einer sprachlosen Ebene wie der Musik kann ich sehr unterschiedliche abstrakte Ausrichtungen behaupten und verfolgen, und die gehören dann auch unterschiedlich benannt.

Live weiß ich meistens genauer, was ich mache. Meine Noise-Gigs, die außerhalb jeder kapitalisierten Ebene und dort stattfinden, wo ich gerade Lust darauf habe, machen mir am meisten Spaß. Wenn ich zum Beispiel gerade einen Keller und zehn Lautsprecher zur Verfügung habe, dann gehe ich da hinunter und beginne zu experimentieren – am liebsten nicht öffentlich, denn sobald man an einem Festival teilnimmt wird und dort spielt, transportiert man auch die ganze Ideologie des Festivals mit. Wenn ich auf der Fusion spiele, bin ich anders unterwegs, als wenn ich am Wiener Ring oder auf Ö1 oder auf der Donauinsel spiele. Ideologie und Haltung werden kapitalisiert und verwendet, um damit Geld zu verdienen. Punktum. Auch wenn ich noch so unvoreingenommen bin, es passiert dann immer. Ich brauche diese Settings mittlerweile nicht unbedingt, um spielen zu wollen. Ich verwende oder „missbrauche“ unsere Theaterräume auch immer im Vorfeld für meine Arbeiten, um Experimente durchzuführen und die ganze Nacht lang zu erfahren, was ich zum Beispiel mit 20 Lautsprechern alles anstellen kann. Das sind meine Experimente, die aber auch im Studio passieren können.

2009 hast du, Claudia Bosse, für die choreografische Stadtkomposition „bambiland08“ mit theatercombinat den NESTROY-Preis für die beste Off-Produktion erhalten. Dabei wurde durch zwölf Klangobjekte, gemeinsam entwickelt mit Wolfgang Musil und Simon Häfele, ein synthetisierter Chor mit der Stimme von Anne Bennent in den Stadtraum übertragen. Die Zahl zwölf war dabei der Versuch einer zeitgenössischen Übertragung eines antiken Chores, der meistens aus zwölf Choreuten, also Chorsängern und -tänzern, bestand, die gemeinsam sprachen, sangen und sich in Formationen bewegten. Spielen ähnliche Überlegungen auch bei „THYESTES BRÜDER! KAPITAL“ eine Rolle?

Claudia Bosse: „bambiland08“ war eine zeitgenössische politische Überschreibung eines Textes von Elfriede Jelinek mit der antiken Referenz „Die Perser“ von Aischylos. Es gab eine Vierkanal-Sprechkomposition und jede der vier Stimmen wurde auf drei Lautsprecher übertragen. Zwölf mobile Lautsprecherobjekte und dann wiederum zwölf Körper re-arrangierten diese Lautsprecherobjekte im öffentlichen Raum. Die Körper waren Manipulatoren der schon gefertigten Sprache, die sie im öffentlichen Raum zum Existieren brachten. Anne Bennents Stimme vervielfältigte sich mit sich selbst als synthetischer Chor. Die Choreografie erzeugte eine Verschiebung des Klangraumes: Die Zahl zwölf agiert, auch aufgrund der stückstrukturellen oder sprachlichen Referenz. Das Stück war ein Teil der Serie „tragödienproduzenten 2009“, die im Grunde 2006 mit „die perser“ begonnen hatte, dann 2007 mit „coriolan“ von William Shakespeare und 2008 mit „phèdre“ von Jean Racine fortgeführt wurde und mit „bambiland08“ als zeitgenössischem Zugriff auf die Tragödie abgeschlossen wurde.

Die Perser“ von Aischylos ist die älteste vollständig erhaltene griechische Tragödie. Welche Fragestellungen beim Arbeiten mit einer antiken Textvorlage waren damals für dich von Bedeutung, welche sind nun zentral?

Claudia Bosse: Die Grundlage ist ganz anders aufgebaut. Bei „Die Perser besteht mehr als die Hälfte des Textes aus Chor-Versen, der Chor ist mehr oder weniger der Protagonist. Die Tragödie ist ja auch nicht nach einer Person benannt, sondern heißt „Die Perser. Es ging für mich bei ganz stark um den Prozess, wie man diesen Chor als Bürgerchor in eine Stadt verpflanzen kann – um ein Nachdenken über Demokratie. „Die Perser“ ist eigentlich das erste europäische Dokument des „Othering“, und zwar in Form eines Theatertextes. Die Griechen spielen die Perser und führen das in Athen auf. Eine interessante Konstruktion. Sie spielten das in den Ruinen acht Jahre nach den Kriegen mit den Persern. Im Text wird der Feind im Grunde rekonstruiert, eingenommen und dann wieder bezwungen.

Die Tragödie „Thyestes“ beruht auf einem griechischen Mythos, der ältere Text von Euripides ist verschwunden. Seneca als Stoiker und Erzieher des römischen Kaisers Nero greift diesen Mythos auf und macht daraus eine Art Verschränkung zwischen den politischen Verhältnissen im 1. Jahrhundert nach Christus – ich glaube, der Text ist so um 60 n. Chr. entstanden – und der ultimativen Rache in einem interfamiliären System. Zugleich ist dieser Text die Vorgeschichte der „Orestie“ von Aischylos. Weil die Nachkommen von Atreus, der diesen kannibalistischen Akt inszeniert, das Geschlecht der Atriden sind, spinnt sich dieser Orestie-Mythos weiter. Ich finde es sehr interessant, wo dieser Mythos historisch angesiedelt ist.

Probenfoto THYESTES BRÜDER! KAPITAL (c) Claudia Bosse

Kannibalismus ist häufig auch ein Moment einer kolonialen Figur. Mich interessiert die Nähe der Luftröhre zur Speiseröhre. Mich interessiert sozusagen, wie nahe das Einsaugen von Luft, die dann die Sprache produziert, zur Speiseröhre ist, die die eigenen Kinder verschlingt, um sie zu verdauen und dann wieder auszustoßen. Diese unglaublich körperliche Nähe und Nachbarschaft, diesen Moment, wie dieser kannibalistische Akt wiederum mit dem Vorgang der Sprache als solcher und der Materialität der Sprache als solcher im Körper zu tun haben kann, das möchte ich untersuchen. In der Zwischenzeit habe ich viel mit musikalischen und aus der bildenden Kunst kommenden Zugriffen zu Sprache operiert. Ich bin sehr neugierig, wie ich mich nach zehn Jahren wieder so einer Dramaturgie und einem Verlauf verpflichten kann. Ich habe auch eingegriffen und sehr viele Textteile herausgenommen und als andere Sprache, als konsumistisches Paradox, einen Text von Karl Marx eingepflockt.

Ihr wart vor Kurzem für drei Wochen in Indonesien. Welche musikalischen Erlebnisse und Eindrücke sind euch am stärksten in Erinnerung geblieben?

Günther Auer: Gamelan-Musik über einen halben Tag lang zu genießen ist ein großartiges Erlebnis, dass ich allen wünschen würde. Auf einem Welt-Tanz-Fest in Surakarta hatte fast jede Gruppe ihr eigenes Gamelan-Orchester dabei. Was ich von dieser Art von Musik damals während meines Studiums erfahren habe, kam mir sehr wild vor. Nun empfand ich es als geordnet und ruhig, eine unheimliche Strudelwirkung, die einen immer weiter hineinzieht, wenn man zuhört, wie sich diese verschiedenen Klangfarben mischen. Jeder Tänzer hat in Indonesien auch eine Gamelan-Ausbildung. Das habe ich nicht gewusst. Du siehst schon Kinder im Alter von drei Jahren, die Tanzchoreografien aufführen können. Ich vermute, dass dort schon im Kindesalter auf Schlaginstrumenten und Mallets herumgetrommelt wird.

„Gerade Kunst ist mit ihren komischen Abwendungen […] in der Lage, etwas neu zu betrachten […]“

Aufgrund der langen Beschäftigung mit Tragödien als Ur-Konstitutionselement der beginnenden Demokratie im antiken Athen habt ihr dann gemeinsam begonnen, Demokratieverständnisse global zu hinter- und erfragen. Daraus entwickelte sich eine transnationale Interviewsammlung. Das Langzeitprojekt „some democratic fictions“ existiert bereits seit 2011. Was sind eure neuesten Erkenntnisse?

Günther Auer: Diese Erkenntnisse und dieses Erkennen laufen permanent ab. Es berühren einen persönliche Geschichten. Reisen ist immer ein Infragestellen eigener Vorstellungen vom Leben und von den demokratischen Verhältnissen in der gesellschaftlichen Blase, in der man sich bewegt.

Claudia Bosse: Und auch der politischen Eingriffsmöglichkeiten. 

Günther Auer: Die meiste Zeit des Jahres außerhalb seines Heimatlandes zu verbringen gibt Einblicke in die Einschränkungen und Grenzen der eigenen Realität – wie auch in die Grenzen anderer. Denn man stößt überall auf Grenzen. „some democratic fictions“ ist eine Idee von Claudia, die sie 2011 auf Long Island hatte, als wir dort die Abläufe in Ägypten auf CNN gesehen haben. Sie hat gesagt: „Da müssen wir hin, um das verstehen.“ Denn das war nicht zu verstehen. Es gab komischerweise diese riesige Jubelfeier in Amerika, aber was CNN gezeigt hat, waren durch eine ideologische Brille aufgeladene Bilder.

Claudia Bosse: Wir waren diesen April wieder in Ägypten, hatten dort die Aufführung „dialogue on difference“ und haben die aktuelle politische Depression mitbekommen. Man fragt sich dann stark, welchen Zweck diese Aufstände in der Umsetzung eines noch viel unterdrückenderen Systems hatten. Die Straße ist ein Ort der Versammlung und ein Ort der politischen Spielräume. In welchem Zusammenhang steht er mit Kräften, die Dinge geschehen lassen, um darauf zugreifen zu können? Welche Formen von konkreter, aber auch indirekter struktureller Gewalt schränken jeglichen freien Ausdruck ein und kontrollieren in der Kunst das politische Denken? Das müsste man jetzt sehr lange erörtern.

Wir waren in Indonesien, um konkret die Aufführung von „the last IDEAL PARADISE“, die Anfang nächsten Jahres im Februar stattfinden soll, vor Ort vorzubereiten. Fragestellungen der Serie „the last IDEAL PARADISE“ möchten wir an konkrete Fragestellungen in Indonesien anbinden. Ich schätze diese unglaublich luxuriöse Möglichkeit, über eine Einladung des Goethe-Instituts die Konstruktion von Geschichte aus bestimmten Perspektiven betrachten zu dürfen. Wir untersuchen künstlerische Strategien und Haltungen in diesem jungen Staat, den es seit 1945 gibt. Bei der Beschäftigung mit dem Zusammenhang von informellen und formellen Strategien bemerkt man, dass das Grundbegreifen von Gesellschaft ein unglaublich chorisches Verständnis von Gemeinschaft ist. Es ist berückend, weil unsere Art der Selbstoptimierung, die nicht einem gemeinschaftlichen Körper dient, da radikal infrage gestellt wird. Es gibt ein Selbstverständnis, eine Form von Akzeptanz, die in diesem Land unglaublich viele kulturelle Praktiken parallel existieren lassen. Religionsfreiheit und die Parallelität von unterschiedlichen religiösen Praktiken werden in der Pancasila, den Grundsätzen der nationalen Ideologie und Verfassung von Indonesien, großgeschrieben, auch wenn es einen hohen Anteil islamischer Religionen gibt. Aber vielleicht unterliege ich im Moment auch einer furchtbaren Idealisierung. Wie kann man mit gesellschaftlichen Handlungen umgehen und diese begreifen, wenn sie durch eine ganz andere Ethik geprägt sind? Künstlerinnen und Künstler zum Beispiel fügen sich in sogenannten Kollektiven zusammen, weil es keine staatlichen Kunstförderungen gibt wie hier in Österreich. Sie arbeiten sehr unterschiedlich. Trotzdem gibt es meist eine künstlerische Leiterin oder einen künstlerischen Leiter. Was diese Kollektive auszeichnet, ist der Versuch, zueinander Resonanzräume zu bilden, in denen ihre Praxis überhaupt erst existieren kann.

Ganz viele Kriterien unseres Selbstverständnisses werden infrage stellt und deshalb kann ich mich Günther nur anschließen: Ich finde Abhängigkeiten jeglicher Art im Rahmen eines Arbeitsaufenthaltes im Ausland sehr nützlich. Dadurch bekommt man Einblicke in den gesellschaftlichen und politischen Körper, auch über die ästhetischen Praxen in der Kunst, in die Arbeit generell oder die Stadtgesellschaft. Natürlich immer nur in Ausschnitten. Das ist so wertvoll, weil man einen relativierenden Blick auf stagnierende, sehr marktorientierte und verbürokratisierte Kunstpraktiken bekommt. Man muss wieder Unmögliches denken dürfen, man muss sich Räume schaffen können, um das täglich zu trainieren und zu üben. Man muss sich mit Kompetenz und Empowering dazu ermutigen, damit nicht jede und jeder Angst hat, Ideen zu äußern, die jemand anderer wegnehmen und kapitalisieren könnte. Das kann eine furchtbar vergiftete Atmosphäre erzeugen. Gerade Kunst ist mit ihren komischen Abwendungen, die sie manchmal temporär macht, in der Lage, etwas neu zu betrachten und mit dem Denken von Möglichem zu experimentieren.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Michael Franz Woels

 

Links:
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theatercombinat (Facebook)
Günther Auer (Website)

Termine:
THYESTES BRÜDER! KAPITAL
anatomie einer rache
eine Inszenierung von Claudia Bosse

11., 13., 14. September 2019
FFT Düsseldorf
Botschaft am Worringer Platz
Worringer Platz 4
40215 Düsseldorf

2.–17. Oktober 2019
Kasino im Kempelenpark
Eingang gegenüber Kempelengasse 6
1100 Wien