„Den Leuten taugt einfach die Musik und das ist ein irrsinnig tolles Gefühl“ – SHAKE STEW im mica-Interview

Das 2016 gegründete Solisten-Septett SHAKE STEW erlebt seit seiner Premiere beim JAZZFESTIVAL SAALFELDEN und seit dem Debütalbum „The Golden Fang“ eine ungewöhnlich steile Karriere. International gefeierte Auftritte und Lobeshymnen gehören für das außergewöhnlich besetzte Ensemble mittlerweile zum Alltag. Anlässlich des am 1. November erscheinenden dritten Studiowerks „Gris Gris“ (Traumton Records) traf Alexander Kochman LUKAS KRANZELBINDER (Bandleader, Kontrabass) und NIKI DOLP (Schlagzeug, Percussion) auf ein Gespräch.

Ihr habt ja in den letzten Jahren beachtliche Erfolge feiern können. Was macht euch bzw. euren Erfolg aus?

Lukas Kranzelbinder: Ich sehe das immer noch extrem euphorisch und mit einer extremen Begeisterung. Als ich das Projekt gestartet habe, habe ich natürlich versucht, die Dinge mit allen mir möglichen Mitteln so vorzubereiten, dass es eine gewisse Aufmerksamkeit bekommt.  Dass das dann aber innerhalb so kurzer Zeit so abhebt, habe ich wirklich nicht gedacht bzw. erwartet. Was mich nach wie vor – auch nach diesen Meilensteinen, die wir mittlerweile erlebt haben – am meisten freut, ist, dass der Grundstock all dessen die Musik ist. Den Leuten taugt einfach die Musik, und das ist ein irrsinnig tolles Gefühl. Egal wo wir bis jetzt gespielt haben: Es gab eigentlich immer dieselbe positive Reaktion seitens des Publikums. Wenn diese Energie und diese Emotionen herüberkommen und ankommen, kommt man wirklich auf einen argen Trip.

Niki Dolp: Ich nehme das ähnlich wahr. Am Anfang habe ich mir gedacht – auch weil wir so viele Leute in der Band sind –, dass das ein großes Unterfangen wird. Nur habe ich mir gleichzeitig auch gedacht: „Wenn es irgendeiner schafft, das alles so super zu organisieren, dann Lukas.“ Ich habe das Gefühl, dass wir gerade alle in einem irrsinnigen Flow sind und es im Moment immer weitergeht. Und das ist wunderschön.

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Habt ihr eine Einschätzung, warum eure Musik und eure Auftritte so gut ankommen?

Lukas Kranzelbinder: Das lässt sich mittlerweile ein bisschen nachverfolgen. Was man auf jeden Fall feststellen kann, ist, dass die Musik extrem flexibel ist, also in Bezug aufs Publikum. Die Musik kann sich einerseits in einem total konzertanten, ernsten Kontext sehr gut entfalten und andererseits kann man uns, so wie das bei der Tour jetzt oft der Fall ist, auf einen 00:30-Uhr-Slot in einer Stehpublikum-Halle buchen und wir schieben voll an und funktionieren genauso gut. In der Band gibt es ganz unterschiedliche Charaktere, was das Ganze auch ausmacht. Manche mögen die eine Situation lieber, manche die andere. So passt sich das ganze wahnsinnig gut an die Umgebung an. Es ist auch nicht so, dass man anders spielen muss, sondern es gibt einem einfach die Möglichkeit, andere Aspekte der Band auszuloten. Das ist ein extremer Vorteil. Wenn du die Möglichkeit hast, deine Musik unabhängig vom Raum bzw. Rahmen rüberzubringen, hast du ganz viele Möglichkeiten, mit dem Publikum in Kontakt zu treten. Es ist ganz wichtig für uns, dass das viel beschworene junge Publikum auf unsere Musik abfährt, aber auch ältere Jazzliebhaberinnen und Jazzliebhaber, die ganz viele Querverweise in der Musik finden. Mit der Band ist wirklich alles möglich und ich glaube, dass das auch der Schlüssel ist bzw. der Grund, warum die Band so gut funktioniert.

„Wir planen sehr viele Dinge, aber wenn ich komponiere, entsteht dass immer nur aus dem Gefühl, aus dem Moment heraus.“

Hat sich dieser Umstand einfach ergeben oder war das schon im Hinterkopf, ein möglichst breites Spektrum abzudecken?

Lukas Kranzelbinder: Die gesamte Musik hat sich einfach nur ergeben. Wir planen sehr viele Dinge, aber wenn ich komponiere, entsteht das immer nur aus dem Gefühl, aus dem Moment heraus. Dass es so gut funktioniert, ist gewissermaßen auch Glück.

Niki Dolp: Ich glaube, es war auch Glück für die Band, dass Lukas den Auftrag bekommen hat, das Jazzfestival Saalfelden zu eröffnen, und wir danach Stage Band im Porgy & Bess gewesen sind. Dadurch war auch von außen ein super Anreiz vorhanden. Es hat alle sehr inspiriert, dass wir gleich so viel Zeit zusammen auf der Bühne verbringen durften bzw. dürfen. Wir konnten da einfach als Band super losstarten.

Auf dem aktuellen Album gibt es ja eine personelle Veränderung. Am Bass spielt nun auch Oliver Potratz. Hat sich deshalb etwas an der Dynamik und der Arbeitsweise geändert?

Lukas Kranzelbinder: Ja, auf jeden Fall. Die Band basiert immer auf musikalischen Individuen, die insofern den Sound stark prägen, als dass die Musik, die ich schreibe, auch immer in Bezug auf diejenige Person ist, die sie spielt. Wenn ich beispielsweise irgendeine melodische Vorstellung für einen Bläser oder so habe, dann denke ich sofort darüber nach, wie das in Bezug auf jeden Einzelnen wäre. So ist auch mit Oliver Potratz eine eigene Dynamik reingekommen. Was aber auch ein extremer Glücksfall war, weil das vorhandene Gemeinsame noch verstärkt wurde. Ich denke, dass Oliver nicht nur einen sehr positiven persönlichen Input gebracht hat, weil er einfach ein super Typ ist, sondern auch musikalisch viel Einfluss hat. Niki steht neben ihm auf der Bühne, der kann das noch besser beantworten [lacht].

Niki Dolp: Olli ist jemand, der sagt, dass das Musikmachen mit einem Lachen das wahre Musikmachen ist. Die Freude, die er dabei hat, und das, was er ausstrahlt, und was das auf die Musik für Auswirkungen hat, sind super.

Shake Stew (c) Peter Van Breukelen

„’Gris Gris ‘ ist wie ein wahnsinnig intensiver Trip.“

Inwiefern nehmt ihr selbst eine musikalische Entwicklung eurer Alben wahr? 

Niki Dolp:  Das Coole ist, dass bis jetzt jedes Album den gleichen Stamm hat, aber gleichzeitig jeweils ein anderer musikalischer Ast stärker ausgeprägt ist. Das jetzige Album ist eigentlich sehr vielfältig, und das erzeugt auch extreme Spannung, wie es weitergeht.

Lukas Kranzelbinder: Ich denke, die Spiritualität hat im Laufe der Zeit stark zugenommen. „Gris Gris“ ist wie ein wahnsinnig intensiver Trip. Es gibt Stücke, wie beispielsweise „Grilling Crickets“, die zwanzig Minuten dahingehen. Wo es wirklich ein Bewusstsein dafür gibt, in diese Energie einzutauchen und sich darin aufzulösen. Ich glaube, diese Tendenz wird sich in Zukunft verstärken. Heißt, die Stücke werden noch dreimal länger [lacht].

Ich habe in einem Interview gelesen, dass ihr eine klare Linie zwischen Effekthascherei und einer Show, welche das Erleben der Musik unterstützen soll, seht. Wo liegt für euch diese Grenze?

Lukas Kranzelbinder: Ja, sehr klar. Alles, was live an nicht musikalischem Material passiert, würde ich jetzt mal sagen, ist aus der Idee heraus entstanden, den Abend bzw. die Konzerterfahrung noch intensiver zu machen. Eben auch die restlichen Sinne neben dem Hören zu stimulieren, um in die Musik bzw. diese Welten noch besser eintauchen zu können. Ich finde, man kann nicht abstreiten, dass man, wenn man in einem Konzert sitzt, genauso viel sieht, wie man hört. Das ist einfach ein Fakt. Wenn ich ein Stück schreibe, ist dieses eigentlich immer an eine bestimmte Emotion oder einen Background geknüpft. Und das will ich auch gerne in einem Konzert übermitteln. Das heißt, alles, was da rundherum passiert, dient eigentlich nur dazu, die Emotion dieser Stücke noch stärker auf das Publikum wirken zu lassen und die Leute noch mehr in das Ganze einzusaugen. Ich denke, das ist genau das Gegenteil von Effekthascherei, weil Effekthascherei voraussetzen würde, dass du versucht, Tiefen in der Musik, die eigentlich nicht vorhanden sind, künstlich zu erzeugen. Und das ist bei uns genau nicht der Fall. Wenn die Musik nicht stark wäre, dann würde alles andere überhaupt nichts bringen. Dann würde ich das wahrscheinlich auch gar nicht machen.

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Niki Dolp: Wir haben da halt ein bisschen einen cineastischen Zugang zu dem Ganzen. In anderen Bereichen ist es das Normalste der Welt, dass man das alles eher als Gesamtkunstwerk sieht. Es gibt dann schon noch Unterschiede zwischen Show, Effekthascherei und Inszenierung. Inszenierung ist ein normaler Teil von Kunst. Wenn zum Beispiel ein guter Text verfilmt wird, gibt es zu diesem Text auch Bilder. Was den Text aber überhaupt nicht schlechter macht, sondern ihn noch unterstützt. Wenn aber der Text schlecht ist, bringen auch die besten Bilder nicht viel. Das hängt immer zusammen. Ich finde es eigentlich schade, dass es in der Musik nicht öfter so einen Zugang gibt.

„Für mich persönlich ist Musik eine der essentiellen Möglichkeiten, wie man sich Energie zuführen kann.“ 

Der Titel des aktuellen Albums, „Gris Gris“, ist ja ein afrikanischer Begriff. Könnt ihr uns erklären, was ein „Gris Gris“ ist?

Lukas Kranzelbinder: Ich habe in letzten Wochen bei mehreren Interviews versucht, das Ganze herunterzubrechen bzw. zu bündeln, aber das geht eigentlich gar nicht. Was man auf jeden Fall sagen kann, ist, dass „Gris Gris“ ein uralter afrikanischer Begriff für ein Objekt – das kann ein Talisman, ein Amulett oder eigentlich alles Mögliche sein – ist. Ein Objekt, das der Trägerin bzw. dem Träger Energie gibt. Das ist, glaube ich, der Grundkonsens. Für mich persönlich ist Musik eine der essenziellen Möglichkeiten, wie man sich Energie zuführen kann. Wenn ich mich frage, warum ich Musik spiele bzw. warum diese Musik so ist, wie sie ist, dann ist wirklich der allererste Faktor der, dass die Leute die Musik für sich selbst verwenden können. Wir machen die Musik und schicken sie raus, und in dem Moment ist sie nicht mehr nur für uns selbst, sondern für alle, die sie aufnehmen wollen. In diesem Sinne sind die Musik, das Album auch ein „Gris Gris“. Die Erfahrung gemacht zu haben, dass das funktioniert, ist wirkliche eine der ganz, ganz großen und schönsten Erfahrungen überhaupt. Es geht eben nicht mehr nur noch darum, schöne Musik bzw. coole Kompositionen zu spielen oder interessante neue Aspekte an der Musik zu finden, sondern einfach ganz konkret darum, die Menschen emotional zu beglücken. Ihnen etwas zu geben. Ich bin sehr dankbar dafür, diese Eigenschaft zu haben, ohne uns da jetzt selbst loben zu wollen. Ich denke, dass man damit sehr kostbar umgehen muss. 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Alexander Kochman

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Shake Stew live:

25.10.2019 SRB-Belgrad Jazz Festival, Belgrad
01.11.2019 DE–Hamburg, Überjazz
02.11.2019 NL-Amsterdam, Bimhuis
04.11.2019 DE-Nürnberg, Tafelhalle
05.11.2019 DE-München, Unterfahrt
06.11.2019 AT-Wien, Porgy&Bess
08.11.2019 BA-Sarajevo, Jazzfestival
09.11.2019 DE-Braunschweig (19.00 Uhr
09.11.2019 DE-Göttingen, Jazzfestival (24.00 Uhr)
14.11.2019 HU-Budapest, Opus Jazz Club
15.11.2019 DE-Bad Homburg, Speicher
19.11.2019 DE-Berlin, Gretchen Club
20.11.2019 PL-Wroclaw, Jazztopad Fest
14.01.2020 DE-Gauting. Theaterforum
16.01.2020 CH-Zürich, Moods
17.01.2020 DE-Tübingen, Sudhaus
18.01.2020 DE-Altdorf, Jazz & Beyond

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Links:
Shake Stew
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Traumton Records