„Wir werden heute über Clubkultur sprechen”, sagt die Moderatorin der Vienna Club Commission (VCC) und findet das „voll toll”, denn: Mit Vienna After Dark findet eine Veranstaltung für sogenannte Clubkultur nicht in Augsburg oder Berlin, sondern in Wien statt. Das Programm für 14. bis 16. November 2024 ist bereits online – daran mitgewirkt haben neben der VCC auch sechs „Co-Kuratoren”.
Fünf davon sprachen neben Mate und Biostoff über ihren Beitrag. Masha Dabelka will zeigen, wie Musik entsteht. Rey Joichl, der sich als Psychologe, Performance-Künstler und Community-Organizer ankündigen lässt, möchte über Rassismus sprechen. Musiker und Journalist Sandro Nicolussi zumindest über Spotify. Dorian Pearce aus dem Loft-Management wird keine Rapper lesen. Die Awareness-Aktivistin Janet Bakalarz dafür eine Messe.
Was „der Standort” Wien von der „Clubkultur-Konferenz” haben wird, stand ebenso zur Frage wie das neue Wiener Veranstaltungsgesetz. Eingangs durften außerdem die Panelgäste über die Gegenwart nachdenken. Im Veranstaltungsraum eines Hipsterhotels unweit des Wiener Praters hat Christoph Benkeser zugehört.
Micòl Gilkarov-Masliah (VCC): Wie schätzt du die aktuelle Lage der Wiener Clubszene ein, Rey?
Rey Joichl: In den letzten Jahren haben sich einige Kollektive gegründet, die richtig cool sind, zum Beispiel booster club und spice mixers. Es ist gleichzeitig schwierig, Clubräume für Veranstaltungen zu finden. Wir waren gerade auf der Suche nach Räumen für ein Event und es war voll schwierig, etwas zu finden. Es muss ja schon groß sein, einen Außenbereich und ein gutes Soundsystem haben und sich auch sicher anfühlen. Dazu gehört, dass sich Clubs, Veranstalterinnen und Kollektive, die nicht QTIBIPOC-led sind, gewissen Strukturen bewusster werden.
Micòl Gilkarov-Masliah (VCC): Wie siehst du das, Dorian?
Dorian Pearce: Ich denke spontan an die Verwaltungsebene und die Förderebene. Auch wenn es etablierte Räume gibt, wird es trotzdem immer schwieriger, neue Räume auf magistratischer Ebene auf die Beine zu stellen. Es gibt einerseits eine gut ausgebaute Förderlandschaft, auf der anderen Seite aber Restriktionen auf der Verwaltungsebene. Die linke Hand weiß nicht, was die rechte macht. Dabei müsste man das Potenzial dahinter entdecken. Clubs gehören nämlich zum kulturellen Leben dazu. Sie sind Keimzellen des sozialen Wandels.
Janet Bakalarz: Ich stimme zu, dass es Probleme gibt, sichere und leistbare Räume zu finden. Finanzen sind generell ein großes Thema. Clubs haben Geldprobleme. Arbeitsverhältnisse sind prekär. Dabei sollte Clubkultur allen zugänglich sein. Deshalb finde ich es schön, dass die Awareness-Bewegung in Wien und in den letzten Jahren so stark geworden ist. Trotzdem ist es noch immer eine Bubble. Es gibt also Probleme, aber auch Hoffnung. Weil es so viele Leute gibt, die sich dafür einsetzen, dass Clubkultur Freude macht.
Micòl Gilkarov-Masliah (VCC): Ich gehe direkt auf das Veranstaltungsgesetz ein. Darin steht demnächst der Begriff Awareness.
Janet Bakalarz: Als Awareness-Aktivistin finde ich das total toll. Es sind die ersten wichtigen Schritte. Vor zwei, drei Jahren gab es eine Handvoll Kollektive, die Awareness gemacht haben. Mittlerweile gibt es Dutzende. In manchen Clubs ist es schon Standard. Und weil es so etabliert ist, ist es nicht mehr abwegig, es zu verlangen. Trotzdem: Es kostet Geld, es ist Aufwand. Die Gesetzgebung muss also nachhelfen. Auch wenn ein paar Sachen zu ungenau definiert sind.
„MAN MERKT, DASS DAS GESETZ VON LEUTEN VERFASST WURDE, DIE SICH NICHT DAMIT AUSKENNEN.” JANET BAKALARZ
Sandro Nicolussi: Ich habe mir die Novellierung durchgelesen und dabei gedacht: Was ich lieber lesen würde, wäre ein Gesetzesentwurf zu Situationen wie Clubschließungen aufgrund von Betriebssystemen, die sich nicht an die aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen halten wollen. Es ist natürlich spannend, dass der Begriff Awareness jetzt vorkommt. Wie positiv das ist, ohne dass der Begriff definiert wird und ohne dass eine Mindestanforderung gestellt wird, sei dahingestellt. Ich werde aber das Gefühl nicht los, dass die Gesetzgebung ein paar Zugeständnisse macht, damit der Druck der Kulturtätigen nicht zu groß wird.
Dorian Pearce: Die Novelle ist aber ein erster Schritt in die richtige Richtung. Trotzdem braucht es viele aktive Akteur:innen der Clubszene, die wachsam sind und aufzeigen. Vielleicht ist es ein gutes Zeichen, dass die letzte Gesetzesänderung in dieser Hinsicht nicht zu lange her ist. Es ist eine schnelllebige Gesellschaft. Gerade im Kunst- und Kulturbereich tut sich viel. Deshalb muss man genau hinschauen, was sich verändert. In ein paar Jahren lässt sich wieder nachjustieren.
Micòl Gilkarov-Masliah (VCC): Es ist einerseits cool, dass Begriffe wie Awareness im neuen Veranstaltungsgesetz stehen. Auf der anderen Seite ist es auch etwas schwammig formuliert.
Janet Bakalarz: Die beiden Stichworte, die in der Novelle stehen, sind: Awareness-Konzept und Awareness-Beauftragte. Es ist aber nicht vorgegeben, was ein Awareness-Konzept ist, außer dass es sich um eine Rettungskette handelt, die einen Auslöser voraussetzt. Aus meiner Sicht ist das komisch, weil es keinen Auslöser für Awareness braucht. Dazu kommt: Wer stellt das Awareness-Konzept? Die Veranstaltenden? Der Club? Festgeschrieben steht auch, dass auf 300 Besucher:innen nur eine Awareness-Person kommt. Das ist gegen unsere Prinzipien, wir arbeiten immer zu zweit. Man merkt also, dass das Gesetz von Leuten verfasst wurde, die sich nicht damit auskennen.
Micòl Gilkarov-Masliah: Fair.
Sandro Nicolussi: Ich pick mir da noch was raus. Rey hat ja schon gesagt, dass es immer neue, coole Kollektive gibt. Du, Janet, hast gesagt, dass sich diese Kollektive in Clubs einmieten. Ich glaube, dass es Teil eines größer werdenden Problems ist, dass der Begriff Kollektiv irgendwann nicht mehr funktioniert. Es sind eher fragmentierte Zellen, die in Konkurrenz treten – um sich eben auf eigenes Risiko in Clubräume einzumieten, die wiederum risikofrei zu Räumen werden, mit denen man Geld verdienen kann.
Micòl Gilkarov-Masliah (VCC): Erzähl mir von deinem Format, das du für die Konferenz kuratierst. Es heißt: „Beyond Streaming Fatalism. A Few Ides for an Actual Independent Music Ecosystem.” Voll gut.
Sandro Nicolussi: Ich habe eine E-Mail an den deutschen Musikjournalisten Kristoffer Cornils geschrieben, der zum Beispiel für GROOVE und Spex geschrieben hat. Inhaltlich dreht sich der Talk um ein Phänomen, das es bald wieder zu beobachten gibt: die Spotify-Wrapped-Season. Was wird passieren? Ganz viele Leute werden ihre total uninteressanten Musikzusammenfassungen posten. Während andere Leute sich moralisch darüber erheben und Infoslides posten, wie oarsch Spotify ist. Das klingt ganz lustig, andererseits ist es gar nicht so lustig, dass Spotify als Entität sowohl Aufmerksamkeit als auch Vorstellungsvermögen monopolisiert hat. Schließlich gibt es auch andere Streaminganbieter und Distributionsplattformen. Sie werden nur nicht beachtet, weil alle damit beschäftigt sind, von Spotify einen Cent pro Stream zu verlangen.
Micòl Gilkarov-Masliah (VCC): Hast du einen Spotify-Account?
Sandro Nicolussi: Ja, und ich nutze ihn für meine Vokal-Aufwärmübungen vor Konzerten. Ansonsten kaufe ich meine Musik auf Bandcamp.
Micòl Gilkarov-Masliah (VCC): Rey, dein Programm heißt: „This is Our House. On Creating Safer Spaces for QTIBIPOC in Club Culture.
„DAS IST VIELLEICHT NERDY, ABER WICHTIG.” MASHA DABELKA
Rey Joichl: Der Hintergedanke war: Es ist unangenehm, mit weißen Menschen über Rassismus zu sprechen, weil diese Menschen nicht darüber reden wollen. Dabei kommt Techno aus Schwarzer Kultur. Deshalb habe ich viele coole Menschen eingeladen, über ihre Probleme zu sprechen. Es sind Speakerinnen wie DJ Paulette aus dem UK, DJ Shepperd aus Wien sowie Madame Léa, eine Dragqueen aus Brasilien und Henrie Dennis von Afro Rainbow Austria.
Micòl Gilkarov-Masliah (VCC): Masha, dein Programm heißt: „Scene Revealed with Electric Indigo and Olinclusive.”
Masha Dabelka: Ich will Teilelemente der Szene zusammenbringen. Musiker:innen, das Publikum und Journalist:innen. Deshalb wollte ich einen Workshop zum Thema Musikproduktion veranstalten, also: nur über Musik sprechen. Electric Indigo, eine Ikone der Technoszene, und Oliver Cortez werden teilnehmen. Sie sollen den Musikproduktionsprozess entmystifizieren. Damit alle Teile der Szene verstehen, wie es funktioniert. Das ist vielleicht nerdy, aber wichtig!
Micòl Gilkarov-Masliah (VCC): Dorian, erzähl mir von deinem Format.
Dorian Pearce: Es heißt „MA2413. Alltagsgeschichten aus der Clubbürokratie”. Dabei sollen Erfahrungen von Clubbetreiber:innen gebündelt gesammelt werden – um absurde, skurrile Bürokratie in einer satirischen, kurzweiligen Lesung aufzubereiten. Es soll aber nicht nur ein Augenzwinkern sein, sondern auf die Tragweite der Problematik hinweisen. Das mag gefühlte Willkür der Magistratsabteilungen sein. Oder Prüfungsverfahren, bei denen man sich nur an die Stirn fassen kann. Es ist jedenfalls eine schöne Sache, den Kolleg:innen in der Branche die Stories aus der Nase zu ziehen.
Micòl Gilkarov-Masliah (VCC): Janet, du hast eine ganze Awareness-Messe geplant.
Janet Bakalarz: Es gibt zwar ein einheitliches Verständnis, dass Awareness Anti-Gewalt-Praxis ist, mit der wir uns gegen verschiedene Formen von Diskriminierung einsetzen. Wie das aber in der Praxis aussieht, definieren wir erst jetzt. Bei einem Vernetzungstreffen letztes Jahr ist mir jedenfalls aufgefallen, dass ich viele von den Kollektiven gar nicht kenne, obwohl ich schon so lange dabei bin. Das hat mir gezeigt, wie schnell die Szene wächst. Mein Gedanke war also: Es wäre cool, sie zusammenzubekommen. Damit sich alle sehen und vernetzen können. Ich dachte, es wären vielleicht zwei Dutzend. Mittlerweile habe ich über 50 Awareness-Gruppen in Wien, die in verschiedenen Kontexten Awareness machen. Mit der Messe möchte ich die Vielfalt zeigen. Weil Awareness-Arbeit urwichtig ist.
Micòl Gilkarov-Masliah (VCC): Was heißt es für Wien, eine internationale Konferenz für Clubkultur zu veranstalten?
Masha Dabelka: Für alle Kulturschaffenden ist es Anerkennung, um mehr Geld von der Stadt zu bekommen. Nachtleben wird immer noch viel zu oft als reine Unterhaltung gesehen. Aber es gibt echte Künstler:innen, die in der Nacht tätig sind – hoffentlich können wir auch einige Politiker:innen zu einem Dialog einladen.
„ES WÜRDE UNS GUT TUN, DASS WIR NEBEN DEM FEIERN AUCH HART MIT UNS INS GERICHT GEHEN.” SANDRO NICOLUSSI
Dorian Pearce: Diese Konferenz ist eine Plattform für starke Allianzen. Das ist spartenübergreifend wichtig. Schließlich schafft sie auch Bewusstsein, welchen gesellschaftlichen, sozialen und kulturpolitischen Wert unser Nachtleben hat.
Sandro Nicolussi: Ich hoffe, dass diese Konferenz ein Forum sein kann für ernst gemeinte, tief gehende und mitunter auch schmerzhafte Selbstkritik. Ich bin mir sicher, dass wir alle Gutes im Sinne haben. Ich glaube aber auch, dass wir große Probleme haben, was Durchlässigkeit und Inklusion betrifft. Es würde uns also gut tun, dass wir neben dem Feiern auch hart mit uns ins Gericht gehen.
Janet Bakalarz: Die Konferenz sollte dazu da sein, die Clubkulturszene sichtbar zu machen. Das heißt: auch unsere Probleme sichtbar zu machen. Weil Speaker:innen aus dem Ausland zu uns kommen, bekommen wir aber auch Lösungsansätze aus dem Ausland. Das schafft neue Perspektiven.
Rey Joichl: Deshalb hoffe ich, dass auch einige Geldgeber:innen kommen, weil: Alle gehen ab und zu gerne feiern, aber die ausbeuterische Arbeit, die dahinter steckt, sieht man viel zu oft nicht. Mehr Anerkennung und Geld könnte das verändern.
Die Veranstaltung moderierte Micòl Gilkarov-Masliah von der Vienna Club Commission.
Das Programm von Vienna After Dark umfasst neben 125 Speaker auch Keynotes, Talks und Workshopreihen. Tagestickets für Vienna After Dark sind ab 30 Euro zu haben.
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