„Das Wichtigste ist, dass es abenteuerlich und frisch bleibt” – PRESSYES im mica-Interview

Mit “Breeze In Breeze Out” (Assim Records) hat RENEE MÜHLBERGER aka “PRESSYES” ein so buntes wie entspanntes Album gegen den Alltagstrott vorgelegt. Ein Album, das eloquent von Fernweh erzählt und dafür nach Herzenslaune alles plündert, was der Musik-Fundus hergibt: Pop aus Teheran, Psychedelik aus Istanbul und Fuzz-Gitarre aus 70s-Cimeascope-Filmen. Ein Album, das Lust auf sommerlich-laue Abende und Nächten an der Küste macht, und einen mit der Frage zurücklässt, ob es nicht besser wäre, die wichtigen Dinge am Strand zu überdenken und sich dabei mit einer leichten Brise melodiösen Pops locker zu machen.

Ein Gespräch über Fernweh, die Leichtigkeit des Urlaubs, und wie es gelingt, wieder mehr mit dem Herzen zu spüren.

Kann man sagen, dass das neue Album von Deinen musikalischen Vorlieben, aber auch vom Fernweh an sich erzählt?

Pressyes: Von Fernweh absolut. Es ist generell bei diesem Soloprojekt, auch beim ersten Album so, dass das Fernwehthema sehr stark ausgeprägt ist. Ich fahre gern auf Urlaub, reise gern, aber wenn es nicht möglich ist, wie in Pandemie-Zeiten, dann versuche ich, in die Stimmung zu kommen. Dabei hilft mir das Projekt PRESSYES. PRESSYES ist mein Versuch, an die Stimmung ranzukommen, die man fühlt, wenn man im Urlaub ist.

Küste, Orient, laue Abende und Nächte am Strand. Ist es das?

Pressyes: Das klingt mir ein wenig zu sehr nach Sommer-Hit. Kennst Du das Gefühl, wenn man im Urlaub war, in Asien etwa, und plötzlich eine Art neuartige Frische in sich verspürt? Das Gehirn fängt anders zu denken an und man spürt wieder mehr mit dem Herzen, als man es tut, wenn man im üblichen Alltagstrott versinkt. Oder wenn man im Frühling die ersten Tage draußen ist. Da kommt so ein eigenes Gefühl auf, das mir sehr wichtig ist, ich sehr schätze und mir zu erhalten versuche, weil es für mich auch eng mit Kreativität verbunden ist. Ich funktioniere am besten in den Momenten, in denen ich so drauf bin – ganz im Gegensatz zu vielen anderen Künstler*innen, die dann am besten schreiben, wenn sie traurig sind.

Man hört türkischen und iranischen Pop, viel Groove und Fuzz-Gitarren, 60´s Westcoast-Harmonien, eine ganze Menge verschiedener Einflüsse also. Das alles kommt aber so daher, als ob du das schon immer genau so machen würdest. Das aber ist nicht so. Du hast mit der Band Velojet durchaus auch schon andere Musik gemacht in Deinem Leben. Mit anderen Worten: Von Velojet ist das schon recht weit weg. Wie würdest Du den Weg vom Britpop zum Psychedelic-Pop beschreiben? Was gab den Ausschlag? Auf den richtigen Drogen hängengeblieben?

Pressyes: (lacht) Beim ersten PRESSYES-Album konnte ich das noch nicht so reflektieren, weil ich mitten drin in der Trennung von der Band steckte, die fünfzehn Jahre existiert hatte. Das war eine Phase, in der ich mich einigelte und einfach meine Dinge machte. Ich war noch nicht so weit, darüber nachzudenken und zu reflektieren. Bei der zweiten Platte jetzt wird mir erst bewusst, was die erste bedeutete. Und wie Du richtig sagst: Es ist schon ein Unterschied, der vom Sound vielleicht gar nicht so groß ist, aber das Thema ist ein ganz anderes. Velojet hat sich mit meinen Problemen beschäftigt. Da habe ich auch noch geschrieben, wenn es mir schlecht ging, und ehrlich gesagt ging es mir viel schlecht in dieser Zeit. Es waren eine Melancholie und eine Grundschwere da, die ich nicht wegbekam. Diese Schwere war bei PRESSYES weg. Es war angenehm, Zeit für mich allein zu haben. Zeit, in der nicht viel passierte. Zeit, in der ich gelernt habe, was gut für mich ist, was mir gefällt und was mir Spaß macht.

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Durch die Band-Dynamik und die Dynamik einer Szene fällt man in eine bestimmte Erwartungshaltung rein und versucht, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Aber irgendwann kommst du drauf, dass die Entscheidungen, die du getroffen hast, die richtigen fürs System waren, aber nicht für dich selber. Bei PRESSYES mache ich das, was ich machen will, und das ist allein auch sehr gut möglich. Um auf den Punkt zu kommen: Es ging bei PRESSYES von Anfang an darum, die österreichische Mentalität abzulegen und mich mehr dem Positiven zuzuwenden.

Wie gelingt Dir das?

Pressyes: Das ist tägliche Arbeit. Ich meditiere, was manchmal Wunder wirkt. Die ganze Denkweise tauscht sich so aus. Aber natürlich ist das, was einem antrainiert wurde, auch stark in einem verankert. Deshalb gilt es, täglich die Entscheidung treffen, sich nicht auf diese Dinge zu fokussieren und mehr das andere zu sehen. Mit einem gewissen Alter weiß man dann am besten, wie man sich aushebelt, wen die Melancholie kommt. Man ist viel bewusster, ich weiß besser, was zu tun ist, wenn das Loch kommt, was weniger mit der Musik zu tun hat, die man macht, als schlicht mit dem Erwachsenwerden. Musik hilft. Ich habe festgestellt, dass ich mir schwertue, depressive Musik zu produzieren, weil ich es im Moment einfach nicht haben kann. Ich arbeite lieber mit Musik, die einen positiven Vibe hat.

Ein gutes Stichwort. Ich habe vor einer Weile Ian Fisher interviewt, dessen jüngstes Album Du produziert hast. Eine schräge Verbindung, die man so nicht erwarten würde: Hier der selbsternannte Country-Boy, dort der aus dem Britpop kommende Psychedelik-Pop Freak mit dem Gespür für eingängige Melodien.

Pressyes: Ich hab´ mich lange dagegen gewehrt, letztlich aber war es eine gute Sache, weil es  uns trotz der politischen Message ganz gut gelungen ist, ein Album zu machen, das hinschaut, aber nicht hinschlägt. Kritisch, aber nicht frustig. Das Ziel war, eine Leonard Cohensche Erzählweise an den Tag zu legen und den Frust, der mit Trump & Co verbunden war, abzuwerfen.

Egal ob der Country-Pop-Entwurf eines Ian Fisher oder Dein Psychedelik-Pop-Entwurf beim Projekt PRESSYES – es scheint Dir Lust zu bereiten, Dich in andere Musikwelten zu begeben, oder?

Bild Pressyes
Pressyes (c) Tiemo Frantal + Lucia Pascual Alcañiz

Pressyes: Absolut. Aber für mich als Produzent oder Musiker gilt, dass ich nur Sachen machen kann, die ich verstehe, wo sich bei mir emotional etwas tut. Wenn das nicht der Fall ist, nehme ich das nicht an. Wenn ich den Song nicht verstehe oder die Stilistik nicht mag, macht es für mich keinen Sinn. Das ist ein Luxus, der sich bis jetzt ausgeht. Ich geh immer von der emotionalen Warte aus. Natürlich können da auch negative Emotionen dabei sein, ich produziere gerade Sophie Lindingers Solo-Album, ein sehr trauriges Stück Musik. Mein Interesse ist breit gefächert: Von Musik, die nach anderen Kontinenten linst, ich finde indische Musik sehr spannend, würde gern mit einer indischen Sängerin arbeiten, habe aber leider noch keine getroffen. Aus der Türkei kommen sehr viele psychedelische Sachen, die mich interessieren, genauso aus Vietnam. Thai-Funk.

All das ist für mich sehr stark verknüpft mit Urlaubserinnerungen. Das wie gesagt ist das Thema, das mich bewegt. Die Österreich-Sozialisierung liegt mir als Mensch nicht sehr nahe. Ich lebe zwar seit zwanzig Jahren in Wien, bin in Wien aber nicht kreativ. Das Songwriting findet woanders statt. Aber in meiner Wohnung habe ich eine Art geschützten Raum, den ich mir sehr unösterreichisch gestaltet habe.

Aber auch in Wien kann man durchaus viel orientalischen Einschlag haben, wenn einem danach ist, oder?

Pressyes: Ja, klar. Ich probiere immer wieder daran teilzunehmen, gehe z.B. in Shisha-Bars. Es macht mich aber traurig, dass man diese Grenzen immer noch sehr stark spürt. Wenn man auf die Menschen zugeht, merkt man doch, wie leicht es geht, dass man ins Gespräch kommt. Das machen nur die wenigsten, weil ich an diesen Orten immer schnell feststelle, dass ich der einzige Wiener dort bin. Von den Wienern bin ich meist der Einzige, der sich da reintraut. Dass das im Jahr 2022 immer noch so ist – da passt man rein, da nicht, dieses Schubladisierte, fast Ghettoisierte – es ist immer noch so stark ausgeprägt. Im Urlaub ist es anders: Da treffen sich alle vorbehaltlos, und das ist genau das, was ich so sehr daran liebe.

Wie würdest Du die Grundstimmung des Albums beschreiben? Ein wenig verspult, aber durchwegs (fast schon kindlich) positiv?

Pressyes: Ich kann es selber nicht mehr beurteilen, nachdem ich selbst so lange daran geschraubt habe und der Prozess sich so lange hingezogen hat. Wenn man mit dem Schlagzeug anfängt, dann Synths dazu spielt, Texte schreibt, dann wieder einen Schritt zurück macht und anfängt, das Schlagzeug zu editieren und mit Bandmaschinen zu arbeiten, ist das eine Reise. Wenn die Songs fertig sind und ich sie mische, kann ich irgendwann nicht mehr sagen, wonach es klingt. Das kann ich erst zwei Monate oder ein halbes Jahr nach Veröffentlichung beurteilen.

Das heißt, aus einer Distanz heraus, die sich ergibt, weil das eigen Schaffen ein wenig von einem weggleitet, fällt die Beurteilung leichter?

Pressyes: Genau. Dann höre ich das wieder ganz normal wie jeder andere Hörer. Ich hoffe es klingt so, wie es geklungen hat, als ich die Songs geschrieben habe. Da war es sehr leicht und sommerlich. Aber durch das viele dran Herumprobieren und die pandemiebedingte Verschiebung der Deadline um ein gutes Jahr hatte ich zu viel Zeit, und das, finde ich, ist immer sehr schwierig. Wenn man die Zeit hat, lange daran herumzuschrauben…

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Warum? Weil man sich in Details verliert und dadurch Gefahr läuft, zu viel zu wollen?

Pressyes: Weil man ständig neue Spuren dazu mischt, weil man sich an den alten abgehört hat und es immer Spaß macht, neue Melodien aufzunehmen. Es bleibt immer kreativ und macht Spaß, aber das Vermögen, darüber zu urteilen, ob es jetzt schon reicht, kommt abhanden. Ich bin happy damit, ich finde es gut, aber so richtig beurteilen kann ich es erst später. Ich liebe es, das ganze Album dann wie ein normaler Hörer hören zu können.

Das vermeintlich Einfache ist ja oft das Schwierigste. Eine bestimmte Musik luftig und leicht klingen zu lassen ist harte Arbeit, nach der aber darf es aber nicht klingen. Das “Summer-Breeze-Feeling” kann schnell abhandenkommen, je länger man daran herumschraubt, oder?

Pressyes: Das stimmt. Die Arbeit, die ständige Evaluierung – das ist kein einfacher Prozess. Die letzten drei, vier Monate sind nicht angenehm, weil man fertig werden muss, aber anfängt zu vergleichen. Es gibt keine Band, mit der man in einem gemeinsamen Entscheidungsprozess abwägt, sondern man fängt neue mit über einem Jahr alten Mixes zu vergleichen an, und wenn man dann zum Schluss kommt, die alte Version war eigentlich cooler, ist das frustrierend. Da fängt der Wahnsinn an. Das ist etwas, das ich in Zukunft nicht mehr machen will.

Warum frustrierend? Weil man die in der Zwischenzeit investierte Arbeit als sinnlos erachtet? Weil man in die falsche Richtung abgebogen ist?

Pressyes: Wenn man daran arbeitet, ist man am Ende immer davon überzeugt, dass es gut ist. Schon am nächsten Tag ist das anders. Mitunter hat man drei Tage lang Schlagzeug und Synths aufgenommen, um am Ende draufzukommen, das es das eigentlich alles gar nicht braucht. Also drei Tage umsonst gearbeitet. Die verlorene Zeit ist schlimm. Deshalb auch der Titel “Breeze in Breeze Out”. Es geht um die Leichtigkeit, die ich mir mehr wünsche, indem man Entscheidungen trifft, macht, und das Leben ein Abenteuer bleibt und nicht die ständige Wiederholung eines Traums. Das Wichtigste im Leben, ist, dass es abenteuerlich und frisch bleibt. Das ist meine Grundvorstellung. Dafür kämpfe ich.

Die wichtigen Dinge am Strand überdenken und dabei locker bleiben?

Pressyes: Schön gesagt. Ja, genau darum geht´s.

Ich finde, “Breeze In Breeze Out” ist ein “Album-Album”, d.h. es ist ein Album, das

nicht nur aus einzelnen guten Nummern besteht. Soll heißen: Es in einem durch zu hören macht nicht nur Sinn, es steigert auch den Hörgenuss. Erst durch die Abfolge entfaltet das Album seine ganze Stärke. Das scheint in Zeiten von Spotify und TikTok fast schon anachronistisch. War das Absicht?

Bild Pressyes
Pressyes (c) Patricia Narbón

Pressyes: Ich habe an den Songs einzeln gearbeitet und muss sagen, dass das Album relativ passiv entstanden ist. Ich war in den letzten Jahren einfach sehr stark mit anderen Projekten beschäftigt. Daher war nicht unbedingt klar, was wann geschieht. Ob es überhaupt ein zweites Album geben wird. Ich habe es einfach passieren lassen. Deshalb hat es auch lange gedauert. Am Schluss, als ich die Songs in eine Tracklist gegeben habe, habe ich schon geschaut, was gut zusammenpasst, weil mir das wichtig ist. Ich bin Albumhörer und Vinylliebhaber. Ich habe auch eine Nummer, die schon gemastert war und gut reingepasst hätte, gestrichen, weil das Album sonst 44 Minuten lang gewesen wäre. Bei 41 Minuten Länge klingen die anderen besser.

So die Überlegung. D.h. ich habe sehr pragmatisch geschaut, dass es als Album und auf Vinyl funktioniert, und u.a. deshalb auch zwei Skizzen reingeschummelt, weil mir die Aneinanderreihung von Song an Song zu viel war.

Du meinst die kurzen Interludes. Die sind sehr charmant.

Pressyes: „Meditation Pt. 2“ ist drei Jahre alt. Das andere war ein Outro, das ich gefunden habe und über die Bandmaschine laufen ließ. Es passieren ganz am Schluss noch Änderungen, damit es insgesamt mehr nach Album klingt.

Es kam, wenn man versuchte, dein Album einzuordnen, immer wieder der Vergleich mit Tame Impala. Du kennst und schätz die Musik von Kevin Parker, nehme ich an?

Pressyes: Wir haben natürlich viel gemeinsam: Das Instrumentarium ist sehr ähnlich, wobei ich sagen muss, dass ich die meisten Instrumente schon hatte, bevor Tame Impala die gleichen verwendet haben. Den Höfner Bass haben wir schon bei Velojet verwendet.

War das eine bewusste Entscheidung, mehr oder weniger alles selbst zu machen?

Pressyes: Die Pandemie war geprägt von Verschiebungen – es gab viele Recording Sessions, die schon ausgemacht waren und dann aber abgesagt werden mussten, weil ein Musiker/eine Musikerin positiv war. Deshalb habe ich fast alle Instrumente gespielt. Jeder Edit, jeder Mix, jedes Video – alles ist aus meiner Hand. Aber die Arbeit an der Musik macht ohnehin nur noch 40% des Gesamtaufwands aus. Die Videos waren fast genauso zeitintensiv wie das Album, weil ich erst lernen musste, wie man filmt, schneidet, exportiert.

Grundsätzlich habe ich bei PRESSYES aber von Anfang an alles selbst gemacht, auch vor Corona schon. Wenn mich etwas anspricht, dann mach ich´s selber und nerde mich auch rein, etwa in die Verwendung von 16 mm-Kameras. Letztes Jahr bin war ich fast nur im Filmforum unterwegs, weil es nicht gerade einfach ist, aber ich kaufe mir lieber etwas Analoges aus den 1970ern, und lerne, wie man damit umgehen muss. Wenn man es dann kann, kann man es ewig. Bei digitalen Sachen kommt jedes Jahr ein neues Plug in oder Update. Darauf habe ich keine Lust. Ich mache keine Updates. Am liebsten würde ich auf meinem Atari aus den 1990ern arbeiten, aber das geht halt leider nicht mehr. Aber diese Abhängigkeit von Backups ödet mich an. Das Leben wird dann zur Backuporgie. Wo bleibt da das Abenteuer?

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

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