“Das Schöpferische ist unsere einzige Chance” – Nachruf auf Gert Jonke

Das Burgtheater veranstaltet im Kasino am Schwarzenbergplatz am Samstag einen Abschiedsabend für den am 4. Jänner 2009 an den Folgen eines Krebsleidens verstorbenen Autor Gert Jonke (seit gestern bereits ausverkauft). Ursprünglich war zu diesem Termin ein Auftritt von Jonke (mit der Big Band Graz) geplant. Das mica teilt (vermutlich auch mit vielen Musikern) die  Trauer um Gert Jonke, einen der wichtigsten Autoren der Gegenwartsliteratur. Das Theater – insbesondere jenes über Musik – ist um eine Herausforderung ärmer.

“Ihm und seiner Poesie verdanken wir das Größte: die Illusion fliegen zu können, den Tod und alle anderen Widrigkeiten überwinden zu können. Jetzt nimmt der Sprachkünstler und Fantast Gert Jonke dieses Geschenk, das er uns gemacht hat, mit ins Grab. In seinen Texten jedoch wird es bleiben”, heißt es in einem Nachruf des Burgtheaters, verfasst von Chef-Dramaturg Joachim Lux.

Im Burgtheater wurden drei Stücke Jonkes uraufgeführt: “Chorphantasie (2003), “Die versunkene Kathedrale” (2005) und “Freier Fall” (2008). Erst vor wenigen Wochen war der 62-jährige Jonke zum wiederholten Mal mit dem Theaterpreis der Stadt Wien, dem Nestroy 2008, ausgezeichnet worden. Mit großer Disziplin hatte der an Krebs Erkrankte in den vergangenen Wochen noch zahlreiche Termine absolviert Jonke schrieb Romane, Gedichte, Hörspiele und Drehbücher. In den letzten Jahren war er vor allem als Dramatiker tätig.

Er wurde am 8. Februar 1946 in Klagenfurt geboren. 1969 machte ihn sein erstes Buch “Geometrischer Heimatroman” mit einem Schlag international bekannt. 1977 war er der erste Preisträger des Ingeborg-Bachmann-Preises (unter den Juroren damals Marcel Reich-Ranicki oder Gertrud Fussenegger). Wie auch bei seinen Altersgenossen Elfriede Jelinek und Peter Handke hat Jonkes Literatur ihre Wurzeln in der sprachkritischen Avantgarde. Ihr ist er sein Leben hindurch treu geblieben.

Während Thomas Bernhard in “Frost” (1963) die Beschreibung der Provinz durch die Hauptfiguren des Romans ins genaue Gegenteil einer uneingeschränkten Lobeshymne auf das Landleben verkehrt, verstand Jonke es mittels Sprache eine möglichst große gefühlsmäßige Distanz zu schaffen. Dieser den “Roman” durchziehende nüchterne Sprachgestus lehnt sich an den von Bürokratie- und Gesetzestexten an: Paragrafen, Auflistungen, Merksätze sowie vereinfachte, schematisierte grafische Veranschaulichungen des Geschriebenen verstärken den lehrbuchhaften Charakter, der nicht selten in einen satirischen Unterton verfällt.

“Es gibt gerade in unserem Jahrhundert genügend Beispiele”, schrieb Gert Jonke in seinem Essay “Die Überschallgeschwindigkeit der Musik” (1990), “dass mit Literatur hervorragend Musik gemacht werden kann – ich nehme hier nur herausgegriffen Ernst Jandl oder Gerhard Rühm -, und dass es ebenso möglich ist, Musik selbst so zu beschreiben, dass sie fast oder auch wirklich zum Klingen kommt.” Ohne Abstriche trifft das auf Jonke selbst zu. Musikalische Prinzipien bestimmen die Textgestalt seiner Werke, Musiker, wie etwa Anton Webern in der Filmerzählung “Geblendeter Augenblick” (1986), oder Beethoven in der Theatersonate “Sanftwut oder Der Ohrenmaschinist” (1990), bilden die Angelpunkte seiner Arbeit.

 

In seinem “Stück Naturtheater” “Es singen die Steine” (1998) ist von der “Musikerzeugungsfähigkeit botanischer Musikanten” die Rede, und dass es “glückliche Zeiten” gegeben habe, als in den Hitparaden “die Liebeslieder der Sumpflilie, die Trauergesänge der Akelei, aber auch die listigen Couplets der Fuchsien jahrelang die vorderen Ränge” besetzt hätten “und somit Leute wie Udo Jürgens, Charles Aznavour, ja sogar den großen Jacques Brel in Vergessenheit geraten ließen.”

Mit Literatur Musik machen – “Chorfantasie”, “Der ferne Klang”, “Der Ohrenmaschinist”.

So war es nur konsequent, wenn Jonke in seinem Auftragswerk für die Kulturhauptstadt 2003 “Chorphantasie” (benannt nach Beethovens “Fantasie für Klavier, Chor und Orchester c-moll op. 80”) abermals die Musik in den Mittelpunkt rückte, mit einem Dirigenten als Hauptakteur, für den das Publikum zum Chor wird. Über die Chorfantasie, 1808 im Theater an der Wien uraufgeführt, sagte Jonke: “Aber das gedankliche Spiel mit der idealen Stille, in der das All-Eine der Welt erklingt, erinnert an Cage. Alles ist Poesie, alles ist Musik, man muss nur zuhören können, hinlauschen. Das Unhörbare ist das Unerhörte, und der Dirigent ohne Orchester erscheint als der tollkühne Mystiker, der materielos, weil ohne orchestrale Klangverschmutzung, das ideale innere Hören erschaffen will.”

Jonke variiert in diesem Stück wieder sein Thema der Suche nach dem Absoluten in der Musik, steht im Text von G. Eichinger (“Das Schöpferische ist unsere einzige Chance”, Droschl), wie es etwa schon in seinem 1986 produzierten Spielfilm “Geblendeter Augenblick – Anton  Weberns Tod” auf den radikalen Punkt gebracht wurde: Erst das schweigende Orchester sei das wahre, nur die nicht exerzierte Musik die wirkliche Musik. “Nur wenn wir wirklich nichts, gar nichts mehr hören können, werden wir die Musik begreifen und verstehen. Hören Sie!”, hieß es schon im Essay “Gegenwart der Erinnerung”. “jetzt ruhig atmen, einmal noch einatmen und einmal noch ausatmen” sagt Webern dem Besatzungssoldaten (der ihn im wirklichen Leben irrtümlich erschossen hat) und erübrigt so die Tat.

Gert Jonke hatte ein einfaches, aber überzeugendes Argument: Gäbe es die Kunst nicht, wäre die Geschichte der Menschheit eine Horrorgeschichte. “Das Schöpferische ist unsere einzige Chance” (Dossier Gert Jonke, Droschl-Verlag)

Eines der besten Stücke Gert Jonkes ist für mich “Der Ohrenmaschinist”, das der ORF in memoriam in der Aufzeichnung eines Gastspiels der Hamburger Kammerspiele im August 1994 bei der Szene Salzburg zeigte. Und zweifellos auch eine der besten Inszenierungen. Den Beethoven spielte der selbst tragisch durch Selbstmord 1999 umgekommene große Schauspieler Ulrich Wildgruber, über den Claus Peymann nach dessen Tod sagte: “Er schien von einem ganz anderen Planeten auf die Erde gekommen zu sein.” Wildgruber wurde berühmt durch das Engagement an die Berliner Schaubühne, an die ihn Peter Stein 1971 holte, schon 1968 hatte er Peter Handkes “Kaspar” in Oberhausen verköpert. Wildgruber im Rückblick 1985: “Die wichtigste Rolle, die mir begegnet ist.”

Das war eine Übertreibung, denn für Wildgruber war die jeweilige Theaterrolle (fast) immer “die wichtigste”. Er spielte unter Peymann, Hans Neuenfels, vor allem unter Peter Zadek große Shakespeare-Rollen, 1996 trat er in Wien in Zadeks “Kirschgarten”-Inszenierung auf. In der Saison 1993/94 spielte er in Hamburg und bei Gastspielen den tauben Beethoven mit einer Besessenheit, dass es eine Wucht war.  In dieser  “Theatersonate” ist Ludwig van Beethoven ein aufbrausender, von seiner Musik besessener und am Ende einsamer Komponist. In der guten Besprechung auf der ORF-Website heißt es weiter:

“Beethoven erreicht die völlige und absolute Taubheit ausgerechnet in der Zeit der Entstehung seiner größten, wichtigsten und schwierigsten Sonate, der ,Großen Sonate für das Hammerklavier’, op. 106. Sein Adlatus Anton Schindler, der sich dem Komponisten förmlich aufgedrängt hat, ist ihm in Alltagsproblemen, der Korrespondenz und verschiedenen musikalischen Organisationen behilflich. Doch mischt er sich, für den Meister zunehmend lästiger, in die verschiedenen Belange auch immer mehr ein.  Als er Beethoven zu hindern versucht, die fertige Sonate in der Öffentlichkeit zu spielen, – da Beethoven durch seine Taubheit jede Beherrschung des Klaviers vollkommen verloren hat, will er ihn vor der befürchteten Katastrophe bewahren -, kommt es zum Eklat. In dessen Verlauf wird Schindler hinausgeworfen und entlassen.

Beethoven aber ist inzwischen schon in seiner gesamten körperlichen Gestalt zu einer Sonate geworden und hat sich in ein lebendiges Klangwesen verwandelt, das sich durch die Welt bewegt und bewegt wird.”

[“Der Ohrenmaschinist” mit: Ulrich Wildgruber /Ludwig van Beethoven,
Johannes Silberschneider/Anton Schindler, Werner Eggenhofer/Ferdinand Waldmüller
Bildregie: Felix Breisach
Eine Koproduktion des ORF, NDR und arte 1994]

Eine ORF-Matinee zeigte übrigens am 11.01. auch das Jonke-Portrait  “Reise zum unerforschten Grund des Horizonts”

Die Trauerfeier für Gert Jonke findet am Montag, 19. Jänner 2009, um 15.30 Uhr in der Luegerkirche auf dem Wiener Zentralfriedhof statt. Dort wird er ab 9.00 Uhr aufgebahrt sein. Anschließend wird der Autor in einem Ehrengrab der Stadt Wien bestattet.
Heinz Rögl (unter Verwendung von Materialien des Literaturhauses)

 

Gert Jonke – Werke (Auswahl)

Bücher
. Geometrischer Heimatroman. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1969.
. Glashausbesichtigung. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1970.
. Schule der Geläufigkeit. Erzählung. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1977.
. Der Ferne Klang. Roman. Salzburg, Wien: Residenz, 1979.
. Erwachen zum großen Schlafkrieg. Erzählung. Salzburg, Wien: Residenz, 1982.
. Der Kopf des Georg Friedrich Händel. Salzburg, Wien: Residenz, 1988. (Liber : Libertas).
. Stoffgewitter. Salzburg, Salzburg, Wien: Residenz, 1996.
. Es singen die Steine. Ein Stück Naturtheater. Salzburg, Wien: Residenz, 1998.
. Himmelstraße – Erdbrustplatz oder Das System von Wien. Salzburg, Wien: Residenz, 1999.
. Insektarium. Salzburg: Jung und Jung, 2001.
. Redner rund um die Uhr. Eine Sprechsonate. Salzburg: Jung und Jung, 2003.
. Chorphantasie. Konzert für Dirigent auf der Suche nach dem Orchester. Graz, Wien: Droschl, 2003.
. Strandkonzert mit Brandung. Georg Friedrich Händel. Anton Webern. Lorenzo da Ponte. Salzburg: Jung und Jung, 2006.

Stücke
. Die Hinterhältigkeit der Windmaschinen. Regie: Heinz Hartwig. Graz: Grazer Forum Stadtpark im Rahmen des Steirischen Herbstes, 1981.
. Sanftwut oder Der Ohrenmaschinist. Theatersonate. Regie: Ernst Friedrich Jünger. Graz: styriarte, Schauspielhaus Graz, 1990.
. “Der Ohrenmaschinist” mit: Ulrich Wildgruber /Ludwig van Beethoven, Johannes Silberschneider/Anton Schindler, Werner Eggenhofer/Ferdinand Waldmüller, TV-Aufzeichnung
Bildregie: Felix Breisach
. Opus 111. Ein Klavierstück. Regie: Stephan Bruckmeier. Wien: Volkstheater, 1993
. Gegenwart der Erinnerung. Ein Festspiel. Regie: Emmy Werner. Wien: Volkstheater, 1995.
. Es singen die Steine. Regie: Ernst Binder. Klagenfurt: Stadttheater, 1998.
. Insektarium. Regie: Michael Kreihsl. Wien: Volkstheater (Wiener Festwochen), 1999.
. Chorphantasie. Regie: Christiane Pohle. Graz: Schauspielhaus, 2003.
. Die versunkene Kathedrale. Regie: Christiane Pohle. Wien: Akademietheater, 2005.
Libretto
. Volksoper. Musik: Dieter Kaufmann. Regie: Vintila Ivanceanu, Ausstattung: Burgis Paier. Wien: Theater an der Wien, 1984.

Hörspiele
. Der Dorfplatz. SDR, 1969.
. Hörfunkenflug. WDR, 1979.
. Im Schatten der Wetterfahne. WDR, 1986.
. Opus 111. ORF, 1994.

Filme
. Händels Auferstehung. TV-Film. Drehbuch (nach Motiven der Novelle “Georg Friedrich Händels Auferstehung” von Stefan Zweig): Gert Jonke, Klaus Lindemann. ORF, 1980.
. Geblendeter Augenblick – Anton Weberns Tod. Filmerzählung. ARD, 1986.

 

Fotos 1,2: ORF
Foto 3: Andy Wind