"Das Schöne ist: Es gibt ein Gegenüber" – Annelie Gahl im mica-Interview

Die Geigerin Annelie Gahl hat mit einer Solo-CD für Furore gesorgt und hat sich als Mitglied mehrerer renommierter Orchester (u.a. Camerata Salzburg, Concentus Musicus Wien) einen hervorragenden Ruf in der österreichischen Musikszene erworben. Doch die Beschränkung auf die gesicherten Werte des klassisch-romantischen Repertoires war ihr nie genug. Mit der Solo-CD „innaron“, auf der sie Heinrich Ignaz Bibers „Passacaglia“ mit neuen, von ihr in Auftrag gegebenen Werken konfrontiert, begeistere sie 2004 Kritik und Publikum.

Sie kommen aus einem musikalischen Elternhaus. Beide Eltern sind oder waren Professoren am Mozarteum in Salzburg. Der Kontakt zur Musik hat sich da wohl ganz natürlich ergeben.
Meine Eltern sind beide Musiker, Streicher sogar. Meine Mutter war Geigerin, mein Vater ist Cellist. Seit ich denken und hören kann, war Musik also immer da. Das Nachmachen zu wollen ist ein ganz natürlicher Prozess. Mit vier Jahren war zum Beispiel das Beethoven-Violinkonzert mein absolutes Lieblingsstück. Das wollte ich auch spielen. Aber ich war als Kind sehr klein. Da haben mir meine Eltern von einer Reise eine Achtel-Geige mitgebracht. Aber die war trotzdem zu groß. Der erste Impuls hat also nicht funktioniert. Ich habe dann erst später ernsthaft angefangen. Mit elf, das ist extrem spät. Da habe ich Thomas Zehetmair beim Mozart-Violinwettbewerb gehört, den er auch gewonnen hat. Er hat einfach überirdisch schön gespielt.

Dann ist es aber ziemlich schnell gegangen.
Es ist sehr schnell gegangen, weil ich sehr begeistert war.  Einen zweiten Schub hat es dann mit 16 gegeben, als ich das Mendelssohn-Konzert studiert habe. Natürlich hat es von zu Hause eine Prägung gegeben. Dann aber auch Widerstand und Rebellion. Der Ehrgeiz, es alleine zu schaffen, ohne Beistand der Eltern. Ich habe mich da nur abgegrenzt, weil die Geige ja auch ein sehr individuell geprägtes Instrument ist. Ich habe dann aber doch sehr viel von meiner Mutter gelernt. Da war ich aber schon 20.

Ab wann war klar, dass Sie Geigerin werden wollen?
Ungefähr mit 16. Meine Eltern waren da aber sehr zurückhaltend beim Rat zur Berufswahl. Vom häuslichen Klima her waren die Voraussetzungen sicher ideal. Es hat eine permanente Auseinandersetzung mit Musik gegeben, die Neugier auf Musik war immer da.

Ist dadurch auch Ihr Interesse an der zeitgenössischen Musik gewachsen?
Die Haltung, Musik immer wieder neu zu entdecken, war sicher prägend. Und mit dieser Neugierde findet man dann ja fast automatisch zur Neuen Musik. Es war ein Klima, in dem nicht nur die Musik eine Rolle gespielt hat, sondern auch die Literatur und andere Kunstrichtungen.

Das Studium bei Ernst Kovacic in Wien hat sicher das Interesse an Neuer Musik auch befördert.
Das war sicher meine wichtigste Studienzeit. Ich studierte viereinhalb Jahre bei ihm. Dann bin ich noch für ein Jahr nach Amerika gegangen. Ich habe dann auch begonnen in der Camerata Salzburg zu spielen. Sándor Végh hat die Streicher des Orchesters auch privat unterrichtet. Diese drei, vier Stunden waren natürlich enorm wichtig. Als ob man von einem 80jährigen ayurvedischen Arzt angesehen wird, der einen sofort erkennt.

So sind Sie dann zur viel beschäftigten Orchestermusikerin geworden.
Es hat sich damals auch ergeben, dass Nikolaus Harnoncourt am Mozarteum in Salzburg unterrichtet hat. Ich habe ihm da einmal Vivaldis “Jahreszeiten” vorgespielt. Dieser Unterricht bei ihm war ein sehr beeindruckendes Ereignis. Ich habe den “Winter” gespielt und es waren sehr plastische Bilder, die er da verwendet hat. Am Ende hat er sich sogar ans Cello gesetzt, um mit- und vorzuspielen. Es hatte eine starke Bildhaftigkeit. Es war eigentlich wildester Unterricht. Er hat gesagt: “Da müssen die Hobelspäne unter dem Sessel liegen nachher.” Der andere Cellist hat ihn nur mit großen Augen angesehen. Ich habe auch sein “Praktikum Alte Musik” besucht. Aus diesem Kontakt heraus hat sich dann auch ein Mitspielen im Concentus Musicus entwickelt.

Solistin zu werden war kein Thema?
Als Solistin mit Orchester habe ich mich nie gesehen. Aber die Kammermusik war mir schon immer wichtig. Wenn man das nicht hat, geht einem wirklich etwas ab.

Was hat den Unterricht bei Kovacic ausgemacht?
Neue Musik zu studieren ist natürlich immer mühsamer als bekanntes Repertoire zu erarbeiten. Sollte es da jemals Hemmschwellen gegeben haben, sind diese schon in der Zeit bei Kovacic geschwunden. Da hat er mir unglaublich viel vermittelt. Auch im Mut und der Art und Weise, wie man sich Neuer Musik annähern soll. Diese Musik also auch persönlich zu deuten.

Und dann haben die eigenen Entdeckungsreisen begonnen.
Ich hatte sehr spannende Begegnungen mit Komponisten. Da ist dann eines zum anderen gekommen. Die haben sich gefreut, dass jemand bereit ist professionell Neue Musik zu spielen. Das war damals der Nader Mashayekhi mit seinem Ensemble. Später sind dann Alexander Stankowski, Klaus Lang, Bernhard Lang dazugekommen. Das ist ein Prozess geworden, in dem ich mich dann auch orientiert habe. Am Anfang war einfach nur die Neugierde. Im Lauf dieser Beschäftigung bin ich dann mit den Klassikern der Moderne in Berührung gekommen: Luigi Nono, Giacinto Scelsi. Das ist ja auch an dem Stück so faszinierend, dass Nono “Kremer-Material” gesammelt hat, bevor er das dann verarbeitet hat.

Es gibt Klassiker für Violine solo. Aber trotzdem wurde dieser Nono zum ersten Mal seit über zehn Jahren wieder in Wien gespielt. Wo sind die großen Geiger, die sich auch der Neuen Musik widmen? Mir scheint, dass es etwa mehr Pianisten gibt, die die Moderne wie selbstverständlich in ihre Programme aufnehmen als Geiger.
Das kann schon sein. Ich nehme einmal an, dass das Repertoire für wirklich neue Musik für Klavier größer ist. Ansonsten ist es schwer zu begründen. Ich habe beobachtet, dass viele der Komponisten, die für Violine schreiben, sich zum ersten Mal wirklich mit den Klangmöglichkeiten auseinandersetzen. Das ist ein ziemliches langes Annäherungsverfahren. Die Möglichkeiten auf der Violine sind einfach unglaublich komplex und vielschichtig. In der Notation und auch im Vokabular.

Wie ist es dann zur CD gekommen? War es schwer, sie zu organisieren?
Die Organisation war unglaublich schwer und mühsam. Ich glaube, ich habe jeden Fehler gemacht, den man machen kann. Es kostet sehr viel Zeit und braucht irrsinnig viel Erfahrung, den richtigen Raum zu finden, die richtigen technischen Entscheidungen zu treffen. Das geht bis zu vermeintlichen Kleinigkeiten, dass etwa der Boden im Studio nicht knackst.  Ich musste Stunden von Aufnahmematerial wegwerfen. Es war am Anfang wie ein Fluch, aber auch ein enormer Lernprozess, mich schließlich für die beste und nicht unbedingt billigste Lösung zu entscheiden. Was Label-Suche, Vertrieb und Finanzierung betrifft, war das mica dann eine große Hilfe.

Der Erfolg war dann aber doch sehr groß.
Das ist vollkommen überraschend gekommen. Ich habe die Produktion gemacht, weil es mir ein Anliegen war, etwas zu produzieren, mit dem ich mich identifiziere und zeige. Alle haben mich davor gewarnt, weil der CD-Markt einfach so ist wie er ist. Es war auch ein gewisse Art Übung dann, es durchzuziehen, bis zum Ende. Die Fertigstellung hat auch dementsprechend lange gedauert.
Wie ich dann fertig war, bin ich zur Extraplatte gegangen. Das war die erste positive Rückmeldung. Die waren dort wirklich begeistert. Dann ist eben das Übliche passiert, dass Harald Quendler an alle Journalisten, die in Frage kommen, Exemplare schickt. Und dann hat sich eine vollkommen unerwartete Eigendynamik entwickelt. Es hat sich das Radio gemeldet, dann das Fernsehen. Es war keine große, teure PR-Maschinerie dahinter. Ich glaube, auch die Mischung war für den Erfolg ausschlaggebend. Es gibt nur wenige Musiker, die sich wirklich ernsthaft mit Alter und Neuer Musik beschäftigen. Die Auflage betrug 500 Stück und alle sind verkauft.

Das nächste Projekt ist schon in Vorbereitung?

Dasselbe Konzept werde ich sicher nicht noch einmal machen, also Alte und Neue Musik mischen. Es wird sich mehr auf Neue und neueste Musik beziehen. Die Musik Scelsis ist der nächste Anknüpfungspunkt.

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Annelie GAHL

begann das Violinstudium an der Hochschule Mozarteum bei Paul Roczek und schloss ihre Studien 1991 an der Wiener Musikhochschule bei Ernst Kovacic mit dem Großen Diplom ab. Danach ermöglichte ihr ein Stipendium der Alban-Berg-Stiftung einen Studienaufenthalt an der Northern Illinois University bei Shmuel Ashkenasi. 1995 wurde sie Mitglied der Camerata Salzburg, im selben Jahr begann auch ihre regelmäßige Mitwirkung im Concentus Musicus unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt. Seit 2000 arbeitet sie als Stimmführerin und Konzertmeisterin in der Wiener Akademie. Hinzu kommen Lehrverpflichtungen an einer Wiener Musikschule sowie an der Universität Mozarteum Salzburg. Annelie Gahl ist Trägerin des Anton-Bruckner-Preises der Wiener Symphoniker. Sie lebt als freischaffende Geigerin in Wien. Ihr besonderes Interesse gilt der Alten und Neuen Musik. Auf CD spielte sie Werke von Erwin Schulhoff und Richard Strauss mit dem Hyperion Ensemble ein. Sie befasste sich auch intensiv mit Improvisation innerhalb ihrer Tätigkeit mit dem Böszen Salonorchester und als musikalische Partnerin des Tänzers Mario Mattiazzo, mit dem sie Produktionen im Schauspielhaus Wien und im Odeon erarbeitete. Mit ihrer Solo-CD “innaron”, erschienen auf extraplatte, gelang ihr 2004 ein großer Erfolg.

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