„Das Schlagzeug ist nur eine von sehr vielen Männerdomänen“ – KATHARINA ERNST im mica-Interview

Nach einer erfolgreich vollzogenen Karenz verzeichnet die umtriebige Schlagwerkerin mit ihrem ersten Solo-Album „Extrametric“ (VENTIL RECORDS) eine lautstarke Rückkehr ins musikalische Geschehen. Anlässlich ihres fulminanten Debüts stand KATHARINA ERNST, Wahlberlinerin und frischgebackene Mutter einer einjährigen Tochter, Patrick Wurzwallner an einem lauen Sonntagnachmittag Rede und Antwort auf Fragen zu Inspiration, Motivation und instrumentaler Fitness.

Seit wann sind Sie denn nun wieder offiziell aktiv?

Katharina Ernst: Ich habe eigentlich nie ganz aufgehört. Ein paar Monate habe ich zwar meine Live-Aktivitäten stark reduziert, war jedoch in der Zwischenzeit nie wirklich untätig, was mich in gewisser Weise auch vor einem jungelterlichen Lagerkoller bewahrt hat. So konnte ich meine sehr begrenzte Freizeit  produktiv nutzen und habe mich – neben allen anderen parentalen Verpflichtungen wohlgemerkt – größtenteils mit der Produktion des Albums befasst. Die Arbeit war in der Hinsicht sehr wichtig für mein eigenes Gefühl, künstlerisch nicht ganz weg vom Fenster zu sein. Ich konnte natürlich nicht jeden Tag so üben, wie ich es gern getan hätte, aber abends an Mixen arbeiten etc. Außerdem hab ich mir vorgenommen, in den nächsten Monaten auch live wieder deutlich aktiver zu werden.

„Es hat mich früher mehr gestört als jetzt.“

Wie spürbar ist es für Sie, sich als Frau in einer Männerdomäne zu behaupten?

Katharina Ernst: Ich konnte mir in den letzten Jahren eine gewisse kreative Basis schaffen und habe inzwischen deutlich mehr Vertrauen in die Annahme, dass die Leute mich buchen, weil sie meinen Stil und meine Musik gut finden, und nicht bloß, weil ich eine Frau am Schlagzeug bin. Es würde mich jetzt auch nicht mehr stören, wenn mich jemand deswegen einladen würde. Das war vor ein paar Jahren noch anders, hatte aber sicherlich sehr viel mit meinem Selbstbewusstsein und einem anderen Selbstverständnis zu tun. Zusätzlich hat sich auch meine Einstellung dazu geändert. Ich wäre seinerzeit einfach gerne ungeschlechtlich als „Drummer“ gebucht worden, habe aber inzwischen auch das gesellschaftliche und politische Statement, als Frau in einer klaren Männerdomäne aktiv zu sein, mehr in mein Denken und Schaffen eingebunden. Das ist zwar nicht die Grundmotivation, aber gerade in Zeiten wie diesen eine klare Ansage und deshalb auch vermutlich gegenwärtiger als zuvor. Die Tragweite und Wichtigkeit dieses Bekenntnisses waren mir früher auch nicht so bewusst wie jetzt.

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Warum, denken Sie, ist das Schlagzeug so patriarchalisch behaftet?

Katharina Ernst: Sagen wir es so: Das Schlagzeug ist nur eine von sehr vielen Männerdomänen und markiert in diesem Fall einfach keine Ausnahme. Alle möglichen Berufsfelder bis auf den Pflege- und den Bildungssektor sind scheinbare Männerdomänen. Man könnte diese Frage mit einer riesigen Gesellschaftsanalogie beantworten und behaupten, dass sich in den letzten tausend Jahren gesellschaftlicher Entwicklung die patriarchal-hierarchischen Modelle durchgesetzt haben, was dazu führt, dass Frauen in Bezug auf soziale Normen größtenteils nach wie vor nicht gänzlich selbstbestimmt agieren können. Was ich damit sagen will, ist Folgendes: In einer Ordnung, in der Frauen im gesellschaftlich-öffentlichen Raum nur wenig bis gar nichts zu suchen hatten, ist es keine große Überraschung, dass es nicht so viele Schlagzeugerinnen gibt, geschweige denn überhaupt Musikerinnen.

„Zusammenfassend könnte man sagen, dass mir der aktuelle Diskurs um die Neupositionierung und -verhandlung gewisser geschlechtlicher Rollenbilder sehr zusagt.“

Katharina Ernst (c) Michael Breyer

Bemerken Sie dahingehend eine Veränderung?

Katharina Ernst: Auf jeden Fall! Es gibt viele Initiativen im Musikbereich wie beispielsweise female:pressure oder das Girls Rock Camp, die ebendiese Veränderung auch propagieren und Frauen im Berufsleben unterstützen und ermutigen.. Glücklicherweise ziehen durch den öffentlichen Fokus des gesellschaftlichen und politischen Diskurses diesbezüglich auch viele Festivals und Veranstalterinnen und Veranstalter mit und schenken dem Thema Beachtung. Das ist nicht zuletzt auch der Tatsache geschuldet, dass es kontroverse Konsequenzen nach sich ziehen kann, wenn man dieser Causa gegenüber eine ignorante Haltung an den Tag legt. Das ist meinen Augen zum Beispiel ein großer Unterschied zu früher. Ich habe ja noch nicht so viel Erfahrung und blicke nicht auf Jahrzehnte meines Schaffens zurück, aber ich glaube dennoch, eine positive Entwicklung zu verspüren. Ich habe einst als Neunjährige begonnen, Schlagzeug zu spielen, weil mich das Instrument einfach sehr angezogen hat. Schon damals war mir klar, dass die meisten Schlagzeuger männlich sind. Man sieht also, in welch zartem Alter bereits die Rollen verteilt sind und wie wichtig es daher ist, diese Aufteilung gründlich zu hinterfragen und neu zu verhandeln.

Wurden Sie am Schlagzeug ausgebildet?

Katharina Ernst: Kann man sagen – ich spiele nun seit etwa 22 Jahren Schlagzeug und hatte davon etwa zehn Jahre lang privaten Instrumentalunterricht bei verschiedenen Lehrern, unter anderem auch bei Uli Soyka.

Was war denn nun die Faszination der Drums?

Katharina Ernst: Meine Mutter, die selbst Musikerin ist, hatte mal mit mir zusammen ein Seminar besucht. Mehr brauchte es nicht. Vom ersten Kontakt an war mir klar, dass ich das lernen wollte. Glücklicherweise war das auch gerade die Zeit, in der ich gefragt wurde, was für ein Instrument ich denn gern lernen will. Die Antwort fiel mir leicht – man könnte sagen, es hat sich super ergeben!

Gibt es Schlagzeugerinnen und Schlagzeuger, die für Sie eine besondere Vorbildwirkung hatten?

Katharina Ernst: Ein richtiges Vorbild gab es nie. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich nie nur auf das Schlagzeug fixiert war. Ich habe Malerei studiert und meine Inspirationsquellen finden sich in vielen verschiedenen Feldern der Kunst. Für mich waren MalerInnen wie Marlene Dumas oder Agnes Martin wichtig. Ich lese Gilles Deleuze, Michel Houellebecq. Es gibt natürlich auch viele SchlagzeugerInnen, die ich toll finde, wie z.B. aktuell Evelyn Glennie und Michael Wertmüller. Colin Stetson finde ich top, der ist aber Saxophonist. Eine Zeit lang habe ich Jack DeJohnette und Jim Black rauf und runter gehört, mich mit Terry Lyne Carrington und Cindy Blackman beschäftigt. Auch Katherina Bornefeld von The Ex und Ikue Mori sind spannende Vertreterinnen unserer Zunft. Wer mich stark in puncto Polyrhythmik beeinflusst hat, ist der Schweizer Pianist Nick Bärtsch. Das Album „Portrait” des Perkussionisten Pierre Favre ist auch sehr empfehlenswert. Ansonsten bin und war ich immer viel auf Konzerten von Freunden und Kollegen.

Ist regelmäßiges Üben noch Teil Ihres Alltags?

Katharina Ernst: Sehr unterschiedlich – jedoch übe ich bedingt durch die Familie zurzeit relativ wenig. Natürlich beschäftige ich mich mit der konkreten Art der Live-Umsetzung meines Programms, speziell jetzt im Rahmen der Veröffentlichung. Es handelt sich dabei aber inzwischen nicht mehr um ein rein technisches Sich-etwas-Draufschaffen, schließlich sind gewisse zugrunde liegende Ideen für mich inzwischen nicht mehr neu, sondern mitunter bis zu sieben Jahren alt und schlichtweg in Fleisch und Blut übergegangen. Es geht aktuell eher darum, das Selbstverständnis der musikalischen Entscheidungen zu festigen, um freier und leichtfüßiger über die damit in Beziehung stehenden kompositorischen Muster zu verfügen.

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Existiert eine konzeptuelle Grundlage für Ihr Album „Extrametric“?

Katharina Ernst: Ja, gibt es. Alle Stücke sind polymetrische bzw. polyrhythmische Kompositionen im weitesten Sinne. Viele davon sind elaborierte, stark durchkomponierte Grooves, welche sich durch gewisse Muster hindurchentwickeln. Es gibt aber auch deutlich Raum für gröbere Abstraktion und sprichwörtliche gerahmte Improvisation in Form von Chance Operations und dergleichen. Zum konventionellen Schlagzeug kommen auch Elektronik und kleineres Schlagwerk hinzu, wobei der Fokus auch sehr klar auf authentischer und effizienter Live-Umsetzung liegt. Im Vordergrund steht dabei die pulsierende Veränderung der miteinander in Beziehung stehenden rhythmischen Relationen als komplexes kaskadierendes Geflecht.

„Vielleicht erweist es sich ja in Konsequenz auch als Ermutigung für andere – das wäre natürlich das Schönste.“

Was war Ihre persönliche Motivation für „Extrametric“ als Schlagzeug-Soloalbum?

Katharina Ernst “Extrametric” Cover

Katharina Ernst: Ich hatte vor etwa sechs Jahren mein erstes Solokonzert im Rahmen einer Tanzaufführung, was mich im Vorfeld sowohl brennend interessiert als auch total gestresst hat. Ich habe mir im Zuge dessen natürlich sehr viele Gedanken gemacht, wie man etwas rein schlagzeugbasiert anlegen kann, ohne dass es sofort diesen etüdenhaften Sportcharakter bekommt. Diese Herausforderung fand ich sehr spannend. In den letzten sechs Jahren habe ich doch einige Solokonzerte absolviert, viel herumgetüftelt und mich sehr intensiv mit polyrhythmischen und polymetrischen Konzepten beschäftigt, die sich mehr und mehr zu Versatzstücken verdichtet haben. Ich habe es jedoch nicht wirklich geschafft, sie in meinen diversen Bandformaten unterzubringen. Auch im improvisatorischen Rahmen arbeite ich kaum mit diesem Material, weil es für mich schon einen sehr abgeschlossenen, sprich fertigen Charakter hat, welcher in besagtem Kontext meiner Ansicht nach fehl am Platz wäre. Letztendlich ist dieses Album die logische Konsequenz meiner Arbeit der letzten Jahre. Der kompositorische Fokus liegt klar auf der rhythmischen Organisation eines groovigen Geflechts, welches durch die elektronische Orchestrierung und Kontextualisierung in dem, was es ist, bestärkt wird.

Gibt es aktuell – neben Ihrem taufrischen Debüt und dem Unternehmen Familie – andere Working-Bands und Projekte?

Katharina Ernst: Es gibt Also, ein Duo mit Martin Siewert. Hier sind einige Konzerte im Herbst dieses Jahres und eine CD-Produktion geplant. Ventil nimmt auch bereits wieder Fahrt auf und arbeitet an einer EP, die kommendes Frühjahr erscheinen soll. Außerdem gibt es eine Kooperation mit der installativen Klangkünstlerin Christina Kubisch, ihres Zeichens eine Kapazität der elektromagnetischen Komposition. Es bleibt also spannend.

Noch ein persönlicher Kommentar mit auf den Weg?

Katharina Ernst: Wie vorher bereits erwähnt wollte ich ja schon seit Jahren eine Soloplatte machen, habe aber immer stark an mir gezweifelt und sogar schon fixierte Aufnahmetermine wieder verschoben und prokrastiniert. Dann wurde ich schwanger und wollte es schließlich aus Angst, dass es dann vielleicht gar nicht mehr klappt, einfach durchziehen und habe das Album im vierten Monat aufgenommen. Ganz nach dem Schema: Wenn’s nix wird, hab ich’s immerhin probiert. Es ist ja tatsächlich ein großes Thema, wie man alles unter einen Hut kriegt, wenn man seinen Beruf liebt. Für mich war es jedenfalls in dieser Hinsicht die beste Entscheidung. Das ermöglicht mir, nach dieser Babypause wieder mit vollem Elan einzusteigen. Vielleicht erweist es sich ja in Konsequenz auch als Ermutigung für andere – das wäre natürlich das Schönste.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Patrick Wurzwallner

 

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