„DAS SAXOPHON IST EIN INSTRUMENT UND KEIN GENRE.“ – STEPHANIE SCHOISWOHL (SPECTRUM SAXOPHONQUARTETT) IM MICA-INTERVIEW

Das SPECTRUM SAXOPHONQUARTETT formierte sich 2020 aus STEPHANIE SCHOISWOHL, FLORIAN BAUER, DANIEL DUNDUS und SEVERIN NEUBAUER. Es wurde in der Kategorie Neue Musik für das Förderprogramm „The New Austrian Sound of Music (NASOM) 2023/24“ des BMEIA in Kooperation mit mica – music austria ausgewählt. Am 19. Februar 2025 bringen sie im Rahmen des impuls Festivals in Graz großteils Werke ihres feines Debütalbum „En dehors“, erschienen bei col legno. Michael Franz Woels sprach mit Stephanie Schoiswohl über emotionsgeladene Backgammon-Abende, das Spiel der hundert Optionen und die Thematik des Niemals-Aufgebens. 

Kannst du uns noch einmal kurz die Entstehung eures Quartetts Spectrum Saxophonquartett schildern?

Stephanie Schoiswohl: Es war ein langgehegter Wunsch von mir, der während der Corona-Pandemie 2020 zusammengeführt werden konnte. Wir kennen uns alle durch die langwährende Zusammenarbeit im Rahmen von Projekten während des Studiums in Graz an der KUG und verfolgen ähnliche musikalische Ideen. Dieses ur-kammermusikalische Konstrukt des Saxophonquartetts bezüglich des Repertoires, abgesehen von der Solo-Literatur mit Klavier und Orchester, war ja in der Historie der klassische Arbeitsplatz in der Szene.

Ihr habt für euer Album mit zeitgenössischen, österreichischen Kompositionen einen französischen Titel gewählt. Wie kam es dazu?

Stephanie Schoiswohl: Man findet die Bezeichnung „En dehors“ oft in alten französischen Kompositionen, zum Beispiel in der Partitur eines Saxophonquartetts von Florent Schmitt. „En dehors“ meint das Heraustreten als Solist, das In-den Vordergrund-Treten. Das Saxophon hatte ja seine Wurzeln in der belgisch-französischen Heimat – der Titel wurde also auch zu Ehren seiner Geschichte gewählt. En dehors, dieses Außerhalb und dieses Herausheben bezieht sich auch auf die bewusste Auswahl von nur österreichischen Komponistinnen und Komponisten.

Wie habt ihr da eine Auswahl getroffen? Eines der „turbulentesten“ Stücke mit sehr vielen Richtungswechseln ist meiner Meinung nach La Gammonaira“ von Gerald Preinfalk. Es handelt sich bei dem Titel um ein Kunstwort, nehme ich an?

Stephanie Schoiswohl: Ich gehe die Stücke einmal der Reihe nach durch. Das 1995 entstandene 5-sätzige Saxophonquartett von Friedrich Cerha wurde damals für das Wiener Saxophonquartett geschrieben. Man findet Informationen auch im Online-Booklet.

Das Stück wurde in der jetzigen Zeit nie so richtig professionell aufgenommen und uns war es ein Anliegen, dieses „erste“ österreichische Neue Musik Stück für Saxophonquartett mit dieser Vielfalt an wechselnder Instrumentierung der Saxophonbesetzung neu aufzunehmen. Es ist stilistisch einem Streichquartett ähnlich, mit eigenen Stimmen, die immer wieder einmal in den Vordergrund treten.

Bild Spectrum Quartett
Spectrum Quartett (c) Spectrum Quartett

Die Auswahl von Olga Neuwirth ist unter anderem eine Schlussfolgerung davon, dass alle vier von uns immer wieder einmal im Klangforum Wien substituieren durften und wir mit vielen neuen Komponistinnen und Komponisten in Berührung gekommen sind. Das Saxophonquartett von Olga Neuwirth haben wir auch im Studium schon kennengelernt und deshalb gehört es einfach auch auf dieses Album.

Ursula Reicher ist eine Jazz-Komponistin, mit der Florian Bauer und ich auch in einer Bigband spielen. Das Stück “Never“ ist von ihr speziell für uns komponiert worden. Es hat ein mystisches, dunkles, Sich-im-Kreis-drehendes Motiv und die Kompositionsidee behandelt die Thematik des Niemals-Aufgebens.

„EINE REMINISZENZ AN UNSERE GEMEINSAMEN BACKGAMMON-ABENDE.“

Gerald Preinfalk war unser aller Lehrer an der KUG. Deshalb war es naheliegend, ihn, der das Saxophon und uns alle so gut kennt wie sonst kein anderer, um ein Stück zu bitten, das uns quasi auf den Leib geschneidert ist. Er hat dieses Stück in einer Phase seines Lebens komponiert, wo er sich eine kleine Auszeit gegönnt hat, unter anderem auf der spanischen Finca „La Donaira“. Da er sehr gerne Backgammon spielt haben wir auch diese Kunst von ihm bei gemeinsamen Projekten erlernt. Das waren oft auch sehr sprunghafte und emotional geladene Abende. Daher ist dieses Stück eine direkte Widmung, eine Reminiszenz an unsere gemeinsamen Backgammon-Abende und das Kunstwort des Titels eine Mischung aus der Finca und dem Brettspiel. Der Untertitel lautet übrigens: „The game of hundred options“ und Gerald Preinfalk sagt selber, dass er Ideen oft sehr schnell auch wieder verwirft und im Komponieren sehr sprunghaft sein kann.

Um den Bogen von atonaler Musik hin zu Klangflächen zu spannen, und den Kreis der sehr bekannten Komponisten zu schließen – Georg Friedrich Haas war ja einmal ein Schüler von Friedrich Cerha – befasst sich das letzte Werk auf der CD mit der Spektralmusik von Georg Friedrich Haas. Es ist ein mikrotonales Monumentalwerk für Saxophon, das sehr anstrengend zu spielen ist. Es entsteht eine starke klangliche Fülle, vor allem live. Man kennt natürlich seine Meisterwerke für großes Ensemble wie zum Beispiel „in vain“. Ich finde, dieses Saxophonquartett spiegelt im Kleinformat dieses Durchleben der Aura eines Spektralmusikstückes sehr gut wider.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Es gibt eine lange Geschichte des Saxophonquartetts, das in den 1920er Jahren in Frankreich und den USA aufblühte und heute auf der ganzen Welt floriert. Die Stilrichtungen sind breit gefächert und die Saxophonfamilie hat sich im Laufe der Jahrhunderte vergrößert. Gibt es Saxophonquartette und Saxophonisten oder Saxophonistinnen, die euch speziell inspiriert haben?

Stephanie Schoiswohl: Das Saxophon ist ein sehr junges Instrument, es wurde erst 1846 patentiert. Wir sind durchaus von unseren Lehrern stark geprägt worden, haben aber in dem Sinne keine großen Vorbilder. Spannend finden wir das Repertoire von zum Beispiel dem Fukio Quartet  oder auch das SIGNUM Saxophone Quartet. Es gibt natürlich auch in Österreich viele Saxophon Quartette, aber wir versuchen unser eigenes, zeitgenössisches Ding zu machen und neues Repertoire zu kreieren und zu entwickeln. Denn es ist die Frage, wo wir im klassischen Konzertbetrieb unseren Platz hätten, wenn wir nur altes, klassisches Repertoire im Stile von zum Beispiel Alfred Desenclos im Programm hätten. Wir suchen unsere Nischen und versuchen, uns nicht so stark festzulegen. Wir suchen auch außerhalb der Saxophonszene unsere Inspirationen. Das Klangforum Wien, das ich schon erwähnt habe, ist natürlich auch eine Inspirationsquelle, da sie exzellent mit der zeitgenössischen Musik umgehen können und wir durch das Mitspielen im Ensemble sehr viel gelernt haben.

Wir haben uns zum Beispiel auch beim Aufnehmen des Stückes „Ondate“ von Olga Neuwirth als Aufnahmeleiter einen Kollegen, den Flötisten Thomas Frey, eingeladen, da er sich mit ihren Kompositionen gut auskennt. Er kennt auch die Eigenheiten von Blasinstrumenten. Generell wollen wir uns als Quartett nicht vor diversesten Einflüssen verschließen, das Saxophon ist ein Instrument und kein Genre.

Wenn ich dich nach einem der experimentelleren Stücke frage, die dir in letzter Zeit untergekommen sind, an welches kannst du dich noch gut erinnern?

Stephanie Schoiswohl: Alberto Posadas, ein spanischer Komponist hat auch viel mit Saxophon-Sounds experimentiert. Er verändert die Klänge – in Zusammenarbeit mit einem Saxophonisten, indem er zum Beispiel typische Trompetendämpfer mitverwendet. Oder mit dem Versuch, einen ganz hohen und einen ganz tiefen Ton gleichzeitig zu erzeugen, ohne irgendwelche zusätzliche Zwischentöne im Mehrklang zu erhalten. Es gibt auch einen Zyklus für Saxophon-Quartett, aus dem letztes Jahr das Sigma Project ein Werk in Wien beim Suena-Festival gespielt hat. Das Sigma Project arbeitet auch sehr an der zeitgenössischen Repertoire-Entwicklung und es freut uns, dass wir einen der Musiker auch persönlich kennen.

Weiters war ich persönlich zum Beispiel in der letzten Saison mit dem Ensemble Schallfeld bei den Klangspuren in Schwaz, wo die jungen Komponistinnen und Komponisten ihrer Kreativität auch freien Lauf ließen – wir haben mit Schlauch, Trichter und Alufolie experimentiert.

Von der Gründung zum Debüt-Album ging es ja recht flott. Nun hofft ihr natürlich darauf, dass weiterhin österreichische Komponistinnen und Komponisten euer Repertoire erweitern.

Stephanie Schoiswohl: Wir bleiben dran und arbeiten uns gemeinsam durch unsere verschiedenen Lebensabschnitte. Wir hoffen unter anderem auf weitere Kompositionen von Österreichs großen Komponistinnen und Komponisten, freuen uns aber auch auf viele weitere Kompositionen von befreundeten Instrumentalistinnen und Instrumentalisten.

Herzlichen Dank für das Interview!

Michael Franz Woels (Mitarbeit Elisabeth Kelvin)

++++

Termin:
Mittwoch, 19. Februar 2025, 14 Uhr
im Rahmen des impuls Festivals
TiP . Theater im Palais, Leonhardstraße 19, 8010 Graz
Auf dem Programm stehen Werke von Gerald Preinfalk, Yulan Yu, Friedrich Cerha, Olga Neuwirth und Georg Friedrich Haas

++++

Links:
Spectrum Quartett
Spectrum Quartett (Facebook)
Spectrum Quartett (Instagram)
Spectrum Quartett (Soundcloud)