Das Popfest 2021: Diversität auf allen Ebenen

Die diesjährige Ausgabe des Popfests verkörperte Diversität wie kaum eine andere. Denn das Kurator*innenteam Esra Özmen (EsRap) und Herwig Zamernik (Fuzzman) versteht den Begriff der Diversität ganz offensichtlich intersektional und genreübergreifend. Popmusik wurde aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, reichten die gebuchten Acts von Rap (Eli Preiss, Kid Pex, Gazal) über individuelle Pop-Ausprägungen (Alicia Edelweiss, Buntspecht) bis zu Metal (Schirenc plays Pungent Stench, Fuckhead) und gar zur „literarisch-liturgischen“ Band Gebenedeit. In der Podiumsdiskussion „We are from Austria / Diversität im österreichischen Pop“ am letzten Festivaltag wurde das Thema auch konkret diskutiert. Ein Nachbericht von Itta Francesca Ivellio-Vellin.

Die Musikerin Golnar Shahyar war dieses Jahr am Popfest in zwei verschiedenen Rollen zu sehen und zu hören. Nach einem sensationellen musikalischen Auftritt im Karlsgarten, der Publikum von allen Seiten anlockte, war kurz darauf ihre Expertise als Musikpädagogin und Aktivistin in der Podiumsdiskussion zum Thema „We are from Austria / Diversität im österreichischen Pop“ gefragt. Das Podium teilten mit ihr Tori Reichel und Tmnit Ghide. Tori Reichel, professioneller Storyteller mit einem besonderen Gespür für interessante Geschichten und Menschen, verbindet Journalismus mit Musikvideo-Ästhetiken und zeigt dies im derzeit innovativsten Medienformat Österreichs, dem AUX Magazin. Tmnit Ghide ist DJ, Co-Gründerin des Labels ALVOZAY, das sich auf QTBIPOC Künstler*innen fokussiert, und Mitwirkende bei Kollektiven wie Münchens Afrodiaspora 2.0, Wiens Bad&Boujee oder auch dem BlackMovementAustria. Moderiert wurde das Panel von der FM4-Journalistin Dalia Ahmed.

Systematische Diskriminierung von BIPOC und LGBTIQA* Musikschaffenden

Die unterschiedlichen Facetten des Musikbereichs waren also vertreten – die Meinungen der Diskutierenden waren sich allerdings ähnlich. Einheitlich wurde zugestimmt, dass das Problem der mangelnden Sichtbarkeit von BIPOC und LGBTIQA* Musikschaffenden ein systemisches und institutionelles ist. Das bedeutet kurz gesagt, dass diskriminierende Strukturen in den gesellschaftlichen und politischen Systemen verankert sind – Rassismus, Queer-Feindlichkeit und andere Arten der Diskriminierung sind somit kein individuelles Problem. Eine österreichische Gesellschaft, in der alle gleichberechtigt und sichtbar sind benötigt also Reformen auf den unterschiedlichsten Ebenen.

Dalia Ahmed & Golnar Shahyar am Popfest 2021
Dalia Ahmed & Golnar Shahyar am Popfest 2021 (c) Patrick Münnich

Als Musikpädagogin sieht Golnar Shahyar zum Beispiel eine Verbesserungsmöglichkeit auf der Bildungsebene: „Es gibt fundamentale Probleme auf dem Wissensniveau: Es gibt viel zu viele Menschen – vor allem in den Musikschulen und -universitäten – die sich nicht in anderen Musikkulturen auskennen. Musikalische Sprachen sind unterschiedlich und musikalische Diversität ist ebenso wichtig wie körperliche.“

Die Sichtbarkeit von BIPOC und LGBTIQA* Musikschaffenden ist eine weitere Ebene, auf der Arbeit notwendig ist. Von verschiedenen Seiten werden BIPOC und LGBTIQA* Menschen ausgeschlossen, nicht zuletzt von Bereichen wie Labels und Förderungen. „Es gibt genügend Fördermöglichkeiten in Österreich – es werden allerdings nur Weiße gefördert“ – Tmnit Ghide spricht hier auch aus eigener Erfahrung. Für ein Queer-POC-Festival suchte sie nämlich um eine Förderung an, wurde aber abgelehnt, da die Jury sich nicht vorstellen konnte, dass sich dafür jemand interessieren würde.

„Popkultur ist Schwarze Kultur, trotzdem werden diese schwarze Menschen, die die Popkultur im Hintergrund prägen, ausgeschlossen“, weiß Tmnit Ghide. Tori Reichel ist derselben Meinung: „Schwarze Menschen machen einen Bruchteil der österreichischen Bevölkerung aus; ihre Kultur ist in Österreich super gut repräsentiert, sie selbst sind es allerdings überhaupt nicht“.

Tori Reichel & Tmnit Ghide am Popfest 2021
Tori Reichel & Tmnit Ghide am Popfest 2021 (c) Patrick Münnich

Popmusik gibt es nicht nur im globalen Norden

Sichtbarkeitsarbeit ist allerdings vor allem von Medien zu leisten. Als Journalist tut Tori Reichel genau das im AUX Magazin. In diesem werden nämlich die unterschiedlichsten Musiker*innen zu den verschiedensten Themen interviewt und befragt. Die Wahl der Musikschaffenden ist allerdings unbewusst divers: „Ich suche immer nach interessanten Stories und Menschen – so komme ich oft automatisch zu BIPOC Musiker*innen“, meint Tori Reichel. In anderen Medienformaten ist die Repräsentation von BIPOC allerdings wesentlich weniger selbstverständlich.

Diesbezüglich sprach Moderatorin Dalia Ahmed auch Golnar Shahyars Offenen Brief an die Musik- und Kulturjournalist*innen des Landes an. In diesem spricht die Musikerin vom Othering, das sie erfahren muss und von der „strukturellen Unsichtbarmachung migrantischer, marginalisierter, ‚fremder‘ Stimmen in der österreichischen Musiklandschaft“. Hat sich seit der Veröffentlichung des Briefs etwas geändert? Shahyar ernüchternd: „Nein. Es ist nichts passiert.“ Diversität, so fordert Shahyar, muss es überall geben: auch unter Journalist*innen und Kurator*innen, bei Labels und in Jurys. Auch die Musik selbst muss diversifiziert werden: Popmusik gibt es nicht nur im globalen Norden. Tmnit Ghide stimmt zu, sie hat nämlich gemeinsam mit der Musikerin Ebow ein eigenes Label gegründet, das einen QTBIPOC-Schwerpunkt hat. Außerdem konzentrieren sie sich bei ALVOZAY nicht auf ein Musikgenre, sondern unterstützen Musikschaffende aus unterschiedlichen Sparten.

Etablierte (weiße) Künstler*innen müssen mehr Platz machen

Podiumsdiskussion am Popfest 2021
Podiumsdiskussion am Popfest 2021 (c) Patrick Münnich

Ein weiterer Diskussionspunkt war der Begriff der Diversität selbst: „Diversität muss intersektional gesehen werden“, verlangt Shahyar. So gab es bei der vorletzten Ausgabe des Popfests einen Schwerpunkt auf Frauen. Die Mehrheit, so Shahyar, bestand allerdings aus weißen Musikerinnen, weshalb das Popfest 2019 nur oberflächlich divers war.

Was muss also getan werden? Es ist wichtig, das Bildungssystem zu ändern. Ebenso ist eine antirassistische (Weiter)Bildung von (weißen) Menschen essentiell. Bereits etablierte (weiße) Künstler*innen müssen mehr Platz machen – auf der Bühne sowie daneben. Es herrscht eine klare soziale Ungerechtigkeit -es liegt aber nicht an BIPOC und LGBTIQA* Menschen, dies zu ändern.

Itta Francesca Ivellio-Vellin