Das OENM zu Gast im Wiener Konzerthaus

Das OENM – Österreichische Ensemble für Neue Musik, mit Sitz in Salzburg bereits 1975 von den Komponisten Klaus Ager und Ferenc Tornai gegründet, mittlerweile eine auch international beachtete Formation für zeitgenössische Musik, gastiert heute unter der Leitung seines Ersten Gastdirigenten Johannes Kalitzke im Rahmen des Internationalen Musikfests im Wiener Konzerthaus. Auf dem Programm im Neuen Saal stehen zwei unter dem Titel “Pulse Shadows” ineinander verwobene Werkzyklen von Harrison Birtwistle.

Birtwistles Celan-VertonungenHarrison Birtwistle, zu dessen OEuvre so bedeutende Musiktheaterwerke wie The Mask of Orpheus, Punch and Judy, The Second Mrs. Kong, große Orchesterwerke wie Endless Parade, The Triumph of Time oder Earth Dances zählen, dessen Ensemble- und Kammermusik zum Komplexesten und Bestechendsten der zeitgenössischen europäischen Musikszene gehört, war nicht der einzige Komponist, der sich zur Vertonung von Texten Paul Celans entschlossen hat. Aber seine 1989 begonnene Celan-Auseinandersetzung, angewachsen zu einem Zyklus von neun “Settings” für Sopran und Kammerensemble, zählt zu den überzeugendsten.  Die neun Clean-Gedichtvertonungen, dargeboten von der Solistin Salome Kammer, werden interferiert mit Nine Movements for String Quartet, gespielt vom stadler quartett, dessen vier Mitglieder den Kern des OENM bilden.

In der als “Pulse Shadows” bezeichneten Version von über einer Stunde Spieldauer verknüpfte Birtwistle seine Gedichtvertonungen von dem Auschwitz-Überlebenden Celan mit fast simultan dazu komponierten neun Streichquartett-Sätzen, gedacht als Meditationen und “Friese” auch zu anderen Celan-Gedichten, etwa der “Todesfuge”. Sätze, die, so Birtwistle, musikalisches Material “vorführen” aber nicht “durchführen”, oder, anders gesagt, “Lieder, die nicht geschrieben werden konnten”.

Im Rahmen der Festwochen-Konzerte stellt dieses Programm – abgesehen von dem Ustwolskaja-Sonatenzyklus, den Markus Hinterhäuser im Mai faszinierend interpretierte (das Klangforum Wien widmete sich in einem Konzertzyklus neben Ligeti überwiegend Janácek) – so ziemlich den einzigen Schwerpunkt mit zeitgenössischer Musik dar. Die großen Orchesterkonzerte boten überwiegend “Highlights” mit Klassikern der Moderne. Immerhin wird in einem RSO-Wien-Konzert unter Bertand de Billy (12.6.) noch ein bereits 1946-48 komponiertes Hauptwerk von Olivier Messiaen, seine Turangalîla-Symphonie, erklingen. Bela Bartók – er sollte ursprünglich im Zentrum des letzten von Christoph Lieben-Seutter ausgerichteten Musikfest-Programms stehen – wurde vergangenes Wochenende zumindest an drei Abenden mehr als würdig Reverenz erwiesen. Ausgewählten Klavierwerken und den sechs epochalen Streichquartetten widmeten sich der Pianist András Schiff und das ungarische Mikrokosmos-Quartett (u. a. mit dem großartigen, bereits 67-jährigen Miklos Perényi am Cello) in schlichtweg eindrucksvollen Interpretationen.

Das OENM

Zurück zum heutigen Gastensemble, dessen Gründungsmission und Aufgabenstellung einen unverzichtbaren Bestandteil im österreichischen Musikleben darstellt: Das OENM sieht es als seine Aufgabe an, im Inland einen Überblick über die neuesten Tendenzen der internationalen Musik zu geben, aber auch dem kompositorischen Schaffen der Region ein Publikum zu finden. Das Ensemble sucht deshalb die Zusammenarbeit mit jungen Komponisten, von denen es in den letzten dreißig Jahren an die 300 Werke uraufgeführt hat. Weiters ist es dem OENM ein Anliegen, im Ausland schwerpunktmäßig österreichische Musik des 20. und 21. Jahrhunderts vorzustellen. Das Repertoire schließt auch experimentelle Ausdrucksformen ein, wobei die Spannweite vom Experiment mit neuen Klanginstrumenten über elektronische Musik, Musiktheater bis hin zur Musikalischen Installation reicht. Das OENM führt regelmäßig Workshops durch, die einerseits jungen Komponisten die Chance geben, bereits während der kompositorischen Tätigkeit mit dem Ensemble zusammenzuarbeiten und öffnet andererseits dem interessierten Publikum Einblicke in die Arbeitsweise von Komponisten und Interpreten. Eine hauseigene ästhetische Erfindung gab es auch: Das Klangmobil.
Wichtige Stationen auf dem Weg Ensembles waren in den letzten Jahren das von der IG Komponisten veranstalte “Musikfest Salzburg”, bei dem das Ensemble nicht weniger als 24 Werke zur Aufführung brachte, weiters Auftritte bei den Salzburger Festspielen darunter 2003 spektakulär: die Realisierung des Helikopterquartetts von Karl-Heinz Stockhausen. Das OENM gastierte weiters 2003  beim Warschauer Herbst, u. a. mit der UA des Violinkonzertes von Bohuslav Schaeffer sowie 2004 bei den Internationalen Ferienkursen in Darmstadt. Bei den Salzburger Festspielen 2004 waren das OENM und das stadler quartett wiederum bei drei Konzerten vertreten, das Ensemble eröffnete die Salzburg Passagen 2005 mit einem Porträtkonzert der israelischen Komponistin Chaya Czernowin, es gestaltete Uraufführungen von Herbert Grassls Oper “Pygamalion” oder Hossam Mahmouds Oper “Prisca” am Opernhaus Kairo, und tritt in Salzburg auch regelmäßig bei den “Dialogen” an. Am 30.6. bestreitet das Ensemble in Salzburg das Abschlusskonzert des Dirigierworkshop des Deutschen Musikrats, beim  Komponistenforum in Mittersill (KOFOMI) wird es in diesem Sommer das Residenzensemble bilden (hr).

 

Fotos:
(1+2) OENM
(3) John Cage, Klaus Ager, Herbert Grassl mit Klangmobil

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